haass65_Bloomberg_Getty Images_India USA relations Bloomberg/ Getty Images

Amerikas zweite Chance mit Indien

NEW YORK – Als der indische Ministerpräsident Narendra Modi im Juni Washington besuchte, hat dies außerhalb von Indien nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Aber die Diplomaten und Militärs in Asien und anderswo haben sicherlich genau hingeschaut, und zwar aus gutem Grund: Die Annäherung der beiden weltweit bevölkerungsreichsten Demokratien könnte die Zukunft der Welt entscheidend prägen.

Es ist erwähnenswert, dass Modi in seiner Ansprache vor dem US-Kongress nicht weniger als fünfzehnmal die Wörter „Partner“ oder „Partnerschaft“ gebrauchte. Die offizielle gemeinsame Erklärung der beiden Regierungen beschreibt Indien als „Hauptverteidungspartner“ der Vereinigten Staaten, der das Recht hat, fortgeschrittene Technologien mit militärischer Anwendung zu nutzen.

Die Beziehungen zwischen Indien und den USA haben sich innerhalb einer Generation von kühler Distanziertheit zu strategischer Nähe entwickelt – angesichts geopolitischer Maßstäbe eine blitzschnelle Veränderung. Die Faktoren hinter diesem Wandel verdienen Beachtung, da viele von ihnen zu einer noch größeren Annäherung der beiden Länder beitragen könnten.

Ein bedeutende Rolle bei der bilateralen Annäherung spielte das Ende des Kalten Krieges, da es die weitere Verbindung Indiens mit der Sowjetunion unmöglich machte und die Anreize des Landes für eine Entwicklung in Richtung Blockfreiheit erhöhte.

Ein zweiter Faktor ist Pakistan. Lange Zeit haben die USA die beiden strategisch wichtigsten Ländern Südasiens unparteiisch behandelt. Trotzdem wurde während der meisten Zeit des Kalten Krieges Pakistan als freundliches Land betrachtet, während sein großer Rivale Indien als schwierig galt. Diese Sichtweise verstärkte sich noch, als Pakistan für den Kampf Afghanistans gegen die russische Besatzung zum Hauptwaffenkanal wurde.

Aber mit dem Abzug des sowjetischen Militärs im Jahr 1989 schwächte sich auch die Verbindung zwischen den USA und Pakistan ab. Die Beziehungen litten unter der Entwicklung pakistanischer Atomwaffen, der Unterstützung und Beherbergung der Taliban im Land, und seiner Bereitschaft, einigen der weltweit gefährlichsten Terroristen Gastfreundschaft zu gewähren, darunter Osama bin Laden. Und so waren die Verbindungen der USA zu Indien nicht länger durch die Angst vor Komplikationen mit Pakistan blockiert.

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Bei den Verbesserungen der indisch-amerikanischen Beziehungen spielt auch China eine Rolle. Die Motivation dazu geht weit über die Tatsache hinaus, dass Indien und China immer noch eine ungeregelte gemeinsame Grenze haben. Durch Chinas Aufstieg haben Länder mit Interessen in Asien einen starken Anreiz bekommen, ihre Zusammenarbeit mit den USA und untereinander zu verstärken, um sicher zu stellen, dass sie sich gegen Chinas politische, militärische und wirtschaftliche Macht behaupten können.

Bei der Entwicklung der Beziehungen spielen – auf beiden Seiten – auch innenpolitische Faktoren eine Rolle. Mit dem Niedergang der indischen Kongresspartei geht der Einfluss derjenigen politischen Kraft zurück, die am stärksten mit einem weiter distanzierten Verhältnis zu den USA in Verbindung gebracht wird. Unterdessen gibt es über drei Millionen Indo-Amerikaner, und ebenso wie andere Einwanderergruppen wurden auch sie immer sichtbarer und mächtiger. Die Unterstützung engerer Bindungen zu Indien hat sich zu einem seltenen Beispiel parteiübergreifender US-Außenpolitik entwickelt, und unabhängig davon, welche Partei nach dem Wahl im November das Weiße Haus oder den Kongress kontrolliert, kann eine Fortsetzung dieser Politik erwartet werden.

Der Durchbruch bei den bilateralen Verbindungen kam vor zehn Jahren, als die USA ihre Sanktionen gegen das indische Kernwaffenprogramm aufhoben und dann ein Abkommen unterzeichneten, das den Weg für die US-Beteiligung am zivilen Nuklearprogramm Indiens bereitete. Im Gegensatz zu Pakistan und Nordkorea wird Indien als verantwortungsvolle Nuklearmacht gesehen. Das Land wird von den USA für seine Mitgliedschaft in verschiedenen Gruppen unterstützt, die die weitere Verbreitung nuklearer Materialien und Waffen regeln sollen.

Und gemeinsam mit dem Wachstum der indischen Wirtschaft nehmen auch die wirtschaftlichen Verbindungen zu. Der bilaterale Handel wurde auf über 100 Milliarden Dollar im Jahr gesteigert. Besuche auf höchster Ebene sind normal geworden. Engeren wirtschaftlichen Verbindungen und umfassender Zusammenarbeit im Bereich der erneuerbaren Energien wird hohe Priorität beigemessen. Auch eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Militär- und Geheimdiensten der beiden Länder kann prophezeit werden.

In der Tat sind gemeinsame Bemühungen für eine weitere Offenheit und Sicherheit des Indischen Ozeans heute bereits Wirklichkeit. Damit ihre Beziehung den erwünschten Effekt auf die strategischen Berechnungen Chinas hat, müssen die USA und Indien keine formalen Alliierten sein.

Natürlich gibt es auch weiterhin Herausforderungen. Die indische Wirtschaft wird immer noch durch Bürokratie, Korruption und mangelhafte Infrastruktur zurückgehalten. Auch müssen die indischen Politiker vorsichtig sein, keine Dinge zu tun oder zu sagen, mit denen sie die große muslimische Minderheit des Landes verprellen könnten. Und sie müssen immer noch zeigen, dass enge Verbindungen zu den USA nicht nur die Politik eines einzigen Ministerpräsidenten oder einer einzigen Partei ist. Dies bedeutet, die Kongresspartei vollständig mit an Bord zu nehmen und den Widerstand von Karrierebeamten gegen neue Arten des Denkens und Handelns zu überwinden.

Es ist nur schwer möglich, die Ironie all dessen zu übersehen. Vor über einem halben Jahrhundert, in den frühen Jahren des Kalten Krieges, sahen viele in Washington Indien als ein potenzielles Modell einer nichtkommunistischen Entwicklung von Politik und Wirtschaft. Aus vielen Gründen hat dies nicht funktioniert. Indien kam wirtschaftlich ins Stocken, wurde zeitweise politisch autoritär und rückte geopolitisch näher an die UdSSR heran, als es den US-Politikern lieb war.

Heute hingegen entwickelt sich das Land zu einem erfolgreichen Beispiel einer marktorientierten Demokratie mit engen Verbindungen zu den USA. Zweite Chancen sind im Leben selten, aber sowohl Indien als auch die USA könnten eine solche bekommen.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

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