krueger73_David McNewGetty Images_USimmigration David McNew/Getty Images

Amerika braucht mehr Zuwanderung

WASHINGTON, D.C. – Angesichts einer beispiellosen Anzahl an Migranten und Asylsuchenden, die versuchen, über die Südgrenze in die Vereinigten Staaten zu gelangen, ist das Thema Einwanderung im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im November ein zentrales Anliegen der amerikanischen Wählerinnen und Wähler. Paradoxerweise hat diese Debatte gerade in dem Moment Fahrt aufgenommen, in dem die US-Wirtschaft andere entwickelte Volkswirtschaften übertrifft, was zum Teil auf das durch Zuwanderung beförderte Bevölkerungswachstum zurückzuführen ist.

Die japanische Wirtschaft sollte als warnendes Beispiel für die Gefahren einer ablehnenden Haltung gegenüber Zuwanderung dienen. Nachdem die Bevölkerung Japans nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schnell gewachsen war, erreichte sie 2010 mit 128,1 Millionen Menschen ihren Höchststand. Anfang 2024 war sie auf 124 Millionen gesunken, und es wird erwartet, dass sie weiter zurückgeht und bis 2055 unter 100 Millionen fällt.

Japans wirtschaftliche Stagnation seit den 1990er-Jahren kann zum Teil auf seine demografischen Herausforderungen zurückgeführt werden, da die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 86,8 Millionen im Jahr 1993 auf 81,5 Millionen im Jahr 2010 zurückging. Obwohl Japan anfangs gegen Zuwanderung war, führte es schließlich verschiedene Anreize ein, um sie zu fördern. Diese Maßnahmen haben jedoch nur bescheidene Ergebnisse hervorgebracht, und die Bevölkerung des Landes schrumpft weiter.

Japan ist nicht allein. Zahlreiche Industrie- und Entwicklungsländer, darunter auch China, haben ebenfalls mit einer schrumpfenden Bevölkerung zu kämpfen. In Südkorea bezeichnete der Sprecher der Nationalversammlung die niedrige Geburtenrate des Landes kürzlich als „nationale Krise“. Für die Europäische Union wird bis 2050 ein Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um 20% prognostiziert. Selbst in Afrika, dem einzigen Kontinent, für den in diesem Jahrhundert ein starkes Bevölkerungswachstum erwartet wird, dürfte sich die Wachstumsrate verlangsamen.

Dem „mittleren Szenario“ der prognostizierten Einwanderung des statistischen Bundesamtes der USA zufolge wird die amerikanische Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bis 2035 nur um 2% wachsen. Im Gegensatz dazu würde die amerikanische Erwerbsbevölkerung in einem „Szenario ohne Einwanderung“ einen Rückgang von 5% verzeichnen, und die US-Bevölkerung würde bis 2100 um 32% schrumpfen.

Wenn die Bevölkerung und die Erwerbsbevölkerung schrumpfen, kann das Wirtschaftswachstum beeinträchtigt werden, da Investitionen in neue Investitionsgüter, die die Produktivität der Arbeitnehmer steigern würden, darauf ausgerichtet werden müssen Arbeitskräfte zu ersetzen. Darüber hinaus übersteigt das durchschnittliche Bildungsniveau der neu ins Erwerbsleben Eintretenden das der Ruheständler, was bedeutet, dass die Ruheständler tendenziell weniger gut ausgebildet sind als die Neuzugänge zur Erwerbsbevölkerung. Wenn es weniger Neuzugänge auf dem Arbeitsmarkt gibt als Ruheständler, kann die Produktivität beeinträchtigt werden. In einem solchen Szenario wächst die Nachfrage nach Gesundheitsversorgung und Renten schneller als die Gesamtbevölkerung.

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Während die Zahl der in den USA geborenen Arbeitskräfte seit 2019 zurückgegangen ist, ist die Gesamtzahl der Arbeitskräfte dank der Zuwanderung um 2% gestiegen. Das Congressional Budget Office schätzt, dass hohe Einwanderungsraten das durchschnittliche jährliche BIP-Wachstum in den kommenden zehn Jahren um 0,2 Prozentpunkte erhöhen könnten.

Bedauerlicherweise wächst die ablehnende Haltung gegenüber Zuwanderung, genau zu dem Zeitpunkt, als ihre wirtschaftlichen Auswirkungen größer werden. Einwanderer, die oft schon in jungen Jahren kommen, bringen wichtige Kompetenzen im mittleren Qualifikationsbereich mit, die für Branchen wie das Gesundheitswesen, das Baugewerbe und das Gastgewerbe erforderlich sind. Pflegekräfte und Bauarbeiter sind jedoch nicht nur wichtig, um Menschen zu ersetzen, die in den Ruhestand gehen, sondern sie steigern auch die Produktivität hochqualifizierter Fachkräfte, wie Ärzte, Ingenieure und Pädagogen. Daher könnte die Aufnahme von mehr Zuwanderern das Produktionswachstum der USA steigern.

Angesichts der historisch niedrigen Arbeitslosigkeit und des anhaltenden Arbeitskräftemangels ist die Behauptung grotesk, Migranten würden Amerikanern Arbeitsplätze „wegnehmen“. Ebenso gibt es kaum Belege für die rechtspopulistische Behauptung, dass Einwanderer mit größerer Wahrscheinlichkeit Straftaten begehen. Im Gegenteil, Studien haben wiederholt gezeigt, dass sich Einwanderer in der Regel gesetzestreuer verhalten als gebürtige Amerikaner.

Trotz möglicher kurzfristiger Störungen ist Einwanderung für die Aufnahmeländer langfristig von wirtschaftlichem Nutzen. Anstatt unproduktive Debatten über die negativen Auswirkungen der Zuwanderung zu führen, sollten sich die Debatten über die öffentliche Politik der USA darauf konzentrieren, die optimale Zuwanderungsrate zu bestimmen, die Legalität zu gewährleisten, eine nahtlose Integration zu fördern und die Produktivität zu steigern. Darüber hinaus sollten politische Entscheidungsträger nach Möglichkeiten suchen, das Wirtschaftswachstum zu fördern und das Einkommensniveau in den Ländern zu erhöhen, aus denen Migranten und Asylsuchende stammen.

Selbst das derzeitige Einwanderungsniveau reicht möglicherweise nicht aus, um den Bevölkerungsrückgang in den USA auszugleichen, da die Geburtenrate in den USA von durchschnittlich 2,1 Kindern pro Frau im Jahr 2007 auf 1,64 im Jahr 2020 gesunken ist. Um die derzeitige Größe der amerikanischen Erwerbsbevölkerung aufrechtzuerhalten, müssten die USA jährlich 1,6 Millionen Zuwanderer aufnehmen, was 0,5% ihrer Bevölkerung entspricht. Ohne Zuwanderung würden die Bevölkerung und die Erwerbsbevölkerung um etwa 0,5% pro Jahr schrumpfen.

Da immer mehr Länder die dringende Notwendigkeit erkennen, ihre schrumpfende einheimische Erwerbsbevölkerung aufzustocken, wird sich der Wettbewerb um Zuwanderer verschärfen. Um eine Phase der wirtschaftlichen Stagnation wie in Japan zu vermeiden, muss sich die politische Debatte in der gesamten entwickelten Welt darauf verlagern, die legale Einreise zu erleichtern und eine wirksamere Einwanderungspolitik einzuschlagen.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow

https://prosyn.org/yEvbag0de