LONDON – Aufgrund der enormen, unvorhersehbaren und bleibenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Volkswirtschaften weltweit haben die Regierungen Gelegenheit erhalten – und stehen vor der Notwendigkeit –, Rolle und Zweck der Fiskalpolitik neu zu überdenken.
Ein neuer Ansatz ist längst überfällig. Seit der Ära von Premierministerin Margaret Thatcher in Großbritannien und Präsident Ronald Reagan in den USA hat die vorherrschende wirtschaftliche Orthodoxie die potenzielle Investitionsfunktion des Staates faktisch verleugnet und ausgeglichene Haushalte zum Selbstzweck erhoben. Diese Gleichgültigkeit gegenüber der Richtung und dem Niveau der Wirtschaftsaktivität machte die Krise von 2008-2009 praktisch unvermeidlich, und die anschließende überstürzte Hinwendung zur Sparpolitik hat die Erholung abgeschwächt. Der gleichzeitige Zusammenbruch von Angebot und Nachfrage im Gefolge von COVID-19 hat die neoliberale Orthodoxie nun gleich doppelt unhaltbar gemacht.
Es gibt jedoch kaum Hinweise auf ein fiskalpolitisches Umdenken. Zwar gibt es angesichts der Krise Nothilfen. Doch wenn diese Ausgaben nicht in strukturierter Weise erfolgen, wird sich das Ergebnis der Zeit nach 2008 wiederholen: Die hohe Liquidität wird die Vermögenspreise an den Finanzmärkten in die Höhe treiben, aber kaum etwas tun, um der Realwirtschaft zu helfen.
In Großbritannien mag Premierminister Boris Johnson eine Rolle als Erbe von US-Präsident Franklin D. Roosevelt vorschweben. Doch sein propagierter „New Deal“ kommt Roosevelts Original weder vom Ausmaß noch vom Ehrgeiz her nah. Die bisher angekündigten Staatsausgaben gehen nicht über Erste-Hilfe-Maßnahmen hinaus.
Die Notmaßnahmen haben jedoch die immense Finanzkraft des Staates aufgezeigt, der, wenn die Umstände es erfordern, ohne Weiteres imstande ist, die privaten Haushalte selbst über einen mehrmonatigen Stillstand der privaten Unternehmen hinweg versorgt zu halten. Entsprechend sollte das Ziel in den kommenden Monaten und Jahren nicht darin bestehen, schnellstmöglich die Subventionswirtschaft aufzugeben, sondern vielmehr, sie zu einer neuen, dauerhaften Partnerschaft zwischen Staat, Privatwirtschaft und Arbeitnehmern umzugestalten.
Ein neuer Ausgangspunkt
Genau wie der Weg aus der Großen Depression und dem Zweiten Weltkrieg politische Zusammenarbeit und die Übernahme von Ideen erforderte, die in den 1920er und 1930 Jahren noch als radikal und „wirtschaftsfeindlich“ galten, muss die Erholung im Gefolge der Pandemie über bloßes Krisenmanagement hinausgehen. Es ist Zeit, die einzigartige, profunde Fähigkeit des Staates zur Lenkung des Wirtschaftslebens im Interesse des Gemeinwohls zu nutzen.
Schließlich besteht kein Mangel an langfristigen Herausforderungen, die vorausschauende politische Führung und zielgerichtete öffentliche Investitionen erfordern. Angesichts einer historischen arktischen Hitzewelle war die Notwendigkeit einer Neuausrichtung der Wirtschaft hin zu sauberem, nachhaltigem Wachstum nie dringender oder offensichtlicher. Und während Forderungen nach einem „grünen New Deal“ in der Größenordnung der sozioökonomischen Veränderungen des Zweiten Weltkriegs bereits an Boden gewonnen hatten, hat die COVID-19-Krise gezeigt, dass ein „Business as usual“ diesem Ziel nicht gerecht wird. Geht es hart auf hart, sind Staaten und nicht private Unternehmen die primären Wirtschaftsakteure.
Die sozioökonomischen und klimatischen Dimensionen der aktuellen Krise stehen in enger Beziehung zueinander. Die Politik des Laissez-faire hat zu chronischer Unterbeschäftigung und einer Unterbewertung wichtiger Sektoren und großer Teile der Erwerbsbevölkerung geführt. Wie das UK Committee on Climate Changegezeigt hat, ist der derzeitige Wirtschaftsabschwung daher der perfekte Zeitpunkt zur Beschleunigung des „Übergangs hin zu einer saubereren, netto emissionsfreien Wirtschaft und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Landes gegen die Auswirkungen des Klimawandels.“
Doch muss jede modernisierte Fassung des New Deal eine neue Finanzverfassung mit umfassen. Andernfalls gibt es keine Garantie gegen die Wiederaufnahme der Finanzorthodoxie, wenn der aktuelle Notfall als bewältigt gilt.
Der Staat muss eine ständige, anhaltende Rolle bei der Lenkung, Stabilisierung und ggf. erforderlichen Umgestaltung des Wirtschaftslebens erhalten. Nur in schlechten Zeiten zu intervenieren, um das System zu reparieren, garantiert eine weitere Krise. Auf der Angebotsseite sollte die Lenkung der Produktion in Richtung des langfristigen Entwicklungsbedarfs – hin zu einer nachhaltigeren, innovativeren und stärker inklusiven Wirtschaft – mehr Aufmerksamkeit erhalten. Und auf der Nachfrageseite ist es Zeit, das keynesianische Bekenntnis zur Vollbeschäftigung wieder zu bekräftigen, und zwar durch eine Arbeitsplatzgarantie, um sicherzustellen, dass Humankapital weder verschwendet wird noch während der kommenden wirtschaftlichen Übergangsphase erodiert.
Wichtiger noch: Ein modernisierter New Deal bedeutet, der Richtung des Wachstums genauso viel Aufmerksamkeit zu schenken wie der Wachstumsrate und das Wettbewerbsumfeld aktiv in eine grünere Richtung zu neigen. Dies erfordert nicht nur „spatenreife“ Projekte im Bereich sauberer Infrastruktur, erneuerbarer Energie und anderer Formen der Dekarbonisierung, sondern auch eine Vision, wie diese Projekte im Rahmen eines neuen, nachhaltigen Wachstumspfads zu konzipieren und zu koordinieren sind. Zudem bedarf es neuer Anreize, um private Investitionen in die richtige Richtung zu lenken. Steuern, Regulierung und andere staatliche Maßnahmen müssen auf die langfristige Planung und die Verringerung der Treibhausgasemissionen innerhalb der gesamten Volkswirtschaft abgestimmt sein.
Ein derartiger missionsorientierter Ansatz zur Wirtschaftslenkung hätte zur Folge, dass die öffentlichen Ausgaben größere Wirksamkeit entfalten und sowohl die negativen Multiplikatoreffekte eines Wirtschaftsabschwungs verringern als auch die positiven Multiplikatoreffekte eines Konjunkturaufschwungs verstärken würden.
Der ausgehöhlte Staat
Wie John Maynard Keynes Mitte der 1930er Jahre bemerkte: „Die Schwierigkeit besteht nicht darin, neue Ideen zu entwickeln, sondern aus den alten auszubrechen, die sich in allen Winkeln der Köpfe derer festgesetzt haben, die so wie die meisten von uns unterrichtet wurden.“ Das zentrale Versäumnis des vorherrschenden Wirtschaftsmodells heute besteht – insbesondere in den USA und in Großbritannien – in seiner Vernachlässigung öffentlicher Güter. Während diese für das ordnungsgemäße Funktionieren der Volkswirtschaft unverzichtbar sind, fehlt es dem privaten Sektor an jedem Anreiz, sie zu liefern. Daher argumentierte Adam Smith in Der Wohlstand der Nationen, dass der Staat die Pflicht habe, die Infrastruktur bereitzustellen, auf der die Marktwirtschaft beruht. Und nun, da sich die Liste öffentlicher Güter auf den Zugriff auf Daten und digitale Technologien ausweitet, müssen wir größeren Ehrgeiz entwickeln, zu liefern, was die Bürger brauchen, um erfolgreich zu sein.
Die derzeitige Orthodoxie jedoch ordnet diese Pflicht dem Ausgleich des Staatshaushalts unter. Die Verantwortung für die Entwicklung der realen Ressourcen der Volkswirtschaft wird einfach im Namen eines finanziellen Zwangs aufgegeben, der in Wahrheit nur die privaten Haushalte betrifft. Während diese ihre Budgets im Zeitablauf ausgleichen müssen, sollten die Regierungen Haushalte aufstellen, um die Wirtschaft im Gleichgewicht zu halten und ihre volle Kapazitätsauslastung zu gewährleisten. Entscheidend dabei ist, dass wir, um die Vorstellung öffentlicher Güter aus der Versenkung hervorzuholen, sicherstellen müssen, dass diese nicht bloß „Korrekturen“ für Marktversagen darstellen, sondern vielmehr zentrale Elemente des Zusammenspiels zwischen Staat und privatem Unternehmertum. Die enge Logik der Markterhaltung muss den Weg frei machen für eine proaktivere marktschöpfende und marktgestaltende Logik.
Die vorherrschende Orthodoxie beruht auf zwei angeblich axiomatischen Annahmen: dass öffentliche Investitionen eine Form von Verschwendung sind und daher auf ein Minimum begrenzt werden sollten und dass Marktwirtschaften spontan zur Vollbeschäftigung neigen (was als „natürliche“ Arbeitslosenquote definiert wird). Aus diesen Axiomen folgt, dass nur wenn Märkte Ressourcen nicht effizient zuweisen können öffentliche Investitionen zum Ausgleich der „Reibungen“ genutzt werden sollten.
Schon die Finanzkrise von 2008-2009 hat die Schwäche dieses Modells aufgedeckt. Zwischen 1975 und dem Jahr 2000 sank der Anteil der Bruttoinvestitionen der öffentlichen Hand am BIP in Großbritannien von 8,9% auf 1,7%. Infolgedessen verlagerten sich die Investitionsausgaben vermehrt in den Bereich der Spekulation, wo sie nicht nur verschwendet waren, sondern zudem noch destabilisierend wirkten und zu einer Folge von Finanzkrisen beitrugen.
Die COVID-19-Krise hat die Schwächen des orthodoxen Modells noch offensichtlicher werden lassen, und zwar nicht zuletzt, indem sie den schwerwiegenden Mangel an öffentlichen Gütern aufgezeigt hat, der von der grundlegenden Infrastruktur im Bereich der Krankenversorgung bis hin zu persönlicher Schutzausrüstung reicht. Die Orthodoxie hatte für praktisch alle relevanten Bereiche – von der Erforschung und Entwicklung von Medikamenten und Technologien über das Verkehrswesen, die Krankenversorgung und die Bildung – Privatisierung, Patentschutz und die Auslagerung wichtiger staatlicher Funktionen vorgeschrieben. Und nach jahrelangen Ausgabensenkungen waren viele westliche Regierungen auf die Bewältigung einer Erschütterung wie der in diesem Jahr absolut nicht vorbereitet.
Unmittelbar mit dem Auftreten von COVID-19 wurden auch Anzeichen der Fäulnis sichtbar, die von Lücken in wichtigen Lieferketten bis zu unzureichenden staatlichen Kapazitäten reichten. Überall in der westlichen Welt haben Regierungen alle Kräfte mobilisiert, um der Pandemie Herr zu werden, doch es war zu wenig und kam zu spät. Der Aufbau ausreichender staatlicher Kapazitäten erfordert jahrelange geduldige Investitionen, nicht bloß Helikoptergeld, das in Reaktion auf einen Notfall über der Volkswirtschaft ausgeschüttet wird.
Zudem ist diese Unterversorgung ein Produkt einer unzureichenden Nachfrage. Viele Volkswirtschaften operieren seit der Krise von 2008 deutlich unterhalb ihrer vollen Kapazität. Zwar hatte Großbritannien 2018 eine offizielle Arbeitslosenquote von 4,2%, doch seine Unterbeschäftigungsquote – die diejenigen mit erfasst, die Teilzeit arbeiten und nicht in der Lage sind, eine Vollzeitbeschäftigung zu finden – lag näher an 8% (und dieser Wert erfasst noch nicht einmal jene, die gezwungen sind, unterhalb ihres Qualifikationsniveaus zu arbeiten).
Lektion gelernt?
Weil die Regierungen sich während der Großen Rezession weiterhin der Finanzbuchhaltung verpflichtet fühlten statt der Realvermögensrechnung, verpassten sie eine Gelegenheit, eine Verlagerung der Wirtschaftsaktivität in eine nachhaltigere, breitere Gruppen einbeziehende Richtung einzuleiten. Schlimmer noch: Viele verzichteten zugunsten einer wachstumshemmenden Haushaltskonsolidierung auf Konjunkturimpulse. Für Großbritannien schätzt Simon Wren-Lewis (Universität Oxford), dass die Sparpolitik den Wirtschaftsaufschwung um bis zu drei Jahre verzögert hat – genau wie die grundlegende keynesianische Theorie es vorhergesagt hätte. Und obwohl eine anhaltend lockere Geldpolitik verfolgt wurde, konnte diese die kontraktionäre Fiskalpolitik nicht ausgleichen.
Zwar behauptete die Bank von England, dass, wenn sie die Wirtschaft nicht angekurbelt hätte, die Lage noch schlechter wäre. Doch gab sie durch ihre Wertpapierkäufe lediglich den bestehenden Vermögensinhabern „neues“ Geld in die Hand – also denen, die es mit der geringsten Wahrscheinlichkeit ausgeben würden. Sofern die Geldschöpfung nicht mit der Schaffung wirtschaftlicher Chancen in der Realwirtschaft verknüpft wird, endet der größte Teil der von den Notenbanken bereitgestellten Liquidität letztlich wieder im Finanzsektor – genau wie das 2008 geschah.
Die Lehren aus der letzten Krise sind klar: Die Marginalisierung der Investitionsfunktion des Staates entzog der Politik die Instrumente, um ein unerwartetes Ereignis zu bewältigen, die Wirtschaft zu stabilisieren oder sie gar für ein nachhaltiges Wachstum zu positionieren. Öffentliche Investitionen sind nicht bloß unverzichtbar, um Marktversagen zu „beheben“, sondern auch, um jene stark risikobehafteten, kapitalintensiven Ausgaben zu tätigen, die für Innovationen – und daher für die Kapitalentwicklung selbst – erforderlich sind. Sie können sowohl auf der Angebotsseite (durch Investitionen in transformative Projekte, deren Risiken für ein privates Unternehmen untragbar groß sind) als auch auf der Nachfrageseite (durch die öffentliche Beschaffungspolitik) genutzt werden.
Im Rahmen des neoliberalen Washingtoner Konsenses wurden diese staatlichen Funktionen weitgehend an die Märkte „ausgelagert“ – freiwillig im Falle der entwickelten Länder und als Voraussetzung für Finanzhilfen in den Entwicklungsländern (die dann zu „Schwellenmärkten“ umdeklariert wurden). Die Deregulierung des Finanzsektors und des Arbeitsmarktes, die Privatisierung staatseigener Unternehmen und die staatliche Sparpolitik waren die Rezepte einer angeblichen Universalformel, die die Mikro- und die Makroökonomie verschmelze und unabhängig von der Entwicklungsstufe eines Landes anzuwenden sei.
Die neoliberale Wirtschaftstheorie orientiert sich am „Gesetz“ des Ökonomen Jean-Baptiste Say aus dem frühen 19. Jahrhundert, wonach das Angebot seine eigene Nachfrage schafft. Dabei wird impliziert, dass der Markt bei Verhinderung unangemessener politischer Einflussnahme auf die wirtschaftlichen Anreize eine optimale Wertschöpfung gewährleistet. Die Politik entwickelt sich also zu einem Wettlauf zur Verringerung der marktformenden Rolle des Staates, während zugleich die realweltliche Beziehung zwischen Angebot und Nachfrage – und insbesondere zwischen Unterversorgung und unzureichender Nachfrage – weitgehend ignoriert wird.
Doch bediente sich die neoliberale Heilsordnung zudem selektiv bei der „Wohlfahrtsökonomik“, die Regierungen eine Rolle dabei zuweist, die Dinge zu flicken, wenn die Ergebnisse vom Ideal des perfekten Marktes abweichen. Diese analytische Benchmark stellte im Verbund mit der Furcht vor einem unweigerlichen „Staatsversagen“ sicher, dass die Marktreparaturen nie den Grad einer Markterneuerung erreichten. Im Zweifel erhielt immer der Markt, und nie der Staat, einen Vertrauensbonus.
Märkte mit einer Mission
Nun, da COVID-19 die von dem bisherigen Paradigma angerichteten Schäden aufgedeckt hat, ist es Zeit, den Kurs für eine neue Ära öffentlicher Investitionen abzustecken, um unsere technologische, produktive und soziale Landschaft umzugestalten. Das neue Modell sollte sich die Erkenntnis zu eigen machen, dass sich unsere Volkswirtschaften immer in irgendeine Richtung entwickeln, statt sich lediglich im luftleeren Raum auszudehnen. Auf sich allein gestellt neigen Marktwirtschaften dazu, kurzfristige oder wertabschöpfende Aktivitäten zu begünstigen – daher die radikalen Trends im Bereich der Finanzialisierung und Deindustrialisierung, die wir im Laufe der vergangenen vier Jahrzehnte erlebt haben.
Im Gegensatz hierzu lenken in Marktwirtschaften mit missionsorientierten Regierungen öffentliche Ausgaben und Politik die Aktivität in Richtung gesellschaftlich wünschenswerter Ziele, die über ein Wachstum um des Wachstums willen hinausreichen. Neben den USA der New-Deal-Ära ist ein gutes realweltliches Beispiel des neuen Modells Neuseeland, dessen Regierung ein „Wellbeing Budget“ verabschiedet hat, um die Entscheidungen über die öffentlichen Ausgaben mit breiter ausgelegten Zielen zur Abstimmung zu bringen.
Ein missionsorientierter Ansatz erlaubt zugleich eine neue Form zielgerichteter fiskalischer Konjunkturimpulse. Dabei setzt man bei einer großen Herausforderung wie dem Klimawandel an und untergliedert diese in konkrete politische Ziele wie das Erreichen von Emissionsneutralität in einer gewählten Region bis zu einem konkreten Zeitpunkt. Sind derartige Ziele festgelegt, kann man die geballte Kraft staatlicher Subventionen, Darlehen und Beschaffungsverträge einsetzen, um das gemeinsame Potenzial des öffentlichen, des privaten und des NGO-Sektors zu nutzen.
Um vorhersehbaren Einwänden den Boden zu entziehen: Es geht bei diesem missionsorientierten Ansatz nicht darum, in Bezug auf Sektoren, Technologien oder Unternehmen Gewinner und Verlierer auszuwählen; die Idee ist vielmehr, dass man konkrete Probleme auswählt und dafür sorgt, dass sich im Rahmen eines sektorenübergreifenden Bottom-up-Prozesses des Experimentierens und der Innovation Lösungen herausbilden können. Derselbe Prozess wird auch neue Beschäftigungschancen hervorbringen. CO2-Neutralität in einer bestimmten Region zu erreichen würde etwa neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Energie-, Verkehrs-, Werkstoff-, Digital-, Technologie-, Infrastruktur- und anderen Sektoren sowie neue Arten von Arbeitsplätzen zur Umfunktionierung, Wiederverwendung und Wiederverwertung vorhandener Ressourcen und Finanzmittel erfordern.
Die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Nachfrageseite im Allgemeinen sind der Ort, wo die zweite Säule der neuen Finanzverfassung zum Tragen kommt. Eine reibungslose wirtschaftliche Wende erfordert ein staatliches Arbeitsprogramm, das eine nachhaltige Steuerbasis hervorzubringen sucht, indem es Wirtschaftsaktivitäten unterstützt, die ansonsten krisenbedingt brachliegen würden. Tatsächlich sollte man sich echte Vollbeschäftigung als öffentliches Gut vorstellen.
Schließlich steigert eine vollbeschäftigte Person nicht nur ihr eigenes Einkommen, sondern durch zusätzlich getätigte Einkäufe auch das der übrigen Gemeinschaft. Unterbeschäftigte oder Arbeitslose haben weniger Einkommen, mit dem sie die Nachfrage in der Volkswirtschaft verstärken können, sodass es allen schlechter geht.
Der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Samuelson argumentierte 1948, dass „das moderne Fiskalsystem große ihm innewohnende automatische Stabilisierungseigenschaften hat“. Bei einem Konjunkturabschwung erhöht sich automatisch das Haushaltsdefizit; erholt sich die Konjunktur, sinkt das Defizit automatisch. Um diese systeminhärente Stabilität zu bewahren, so Samuelson, dürfe „kein Versuch gemacht werden, den Haushalt im Abschwung auszugleichen“. Doch wie Samuelson selbst bemerkte: „[E]in eingebauter Stabilisator bewirkt eine Reduzierung eines Teils der Schwankungen in der Volkswirtschaft, aber er beseitigt die Störung nicht zu 100%. Er hinterlässt den Rest der Störung als Aufgabe für fiskal- und geldpolitische diskretionäre Maßnahmen.“
Die ultimative Marktreparatur
Im Falle der heutigen Erholung sollten derartige diskretionäre Maßnahmen ein staatliches Beschäftigungsprogramm mit umfassen, das sich an den vom Levy Economics Institute in den USA skizzierten Vorgaben orientiert. Dies wäre ein deutlich stärkerer antizyklischer Stabilisator als das von Samuelson beschriebene System; zugleich jedoch würde es eine Fortsetzung der durch Roosevelts New Deal eingeführten Politik darstellen.
Zwischen 1935 und 1943 beschäftigte die Works Progress Administration (WPA) in den USA 8,5 Millionen Amerikaner und stellte dabei nahezu jede vorstellbare Art von Arbeitsplätzen zur Verfügung. Dies reichte vom Ausbau der Infrastruktur und der Schädlingsbekämpfung bis zur Herstellung von Büchern in Braille und zur Aufführung der weltbedeutendsten Symphonien. In ähnlicher Weise war das Civilian Conservation Corps (CCC) darauf ausgelegt, rund einer Million jungen arbeitslosen Männern Arbeit an Projekten zu geben, die „die Verhinderung von Wandbränden, Überflutungen und Bodenerosion, die Kontrolle von Pflanzenschädlingen und -krankheiten, den Bau, die Wartung oder Reparatur von Wegen, Pfaden und Brandschutzschneisen in den Nationalparks und Staatsforsten sowie solche anderen Arbeiten … wie der Präsident sie als wünschenswert festlegt umfasst.“
In der von uns skizzierten Version eines staatlichen Beschäftigungsprogramms würde die britische Regierung gegenüber jedem Arbeitssuchenden oder Erwachsenen im Erwerbsalter, der keine Beschäftigung im privaten Sektor finden kann, eine Arbeitsplatzgarantie zu einem festen Stundensatz abgeben (der nicht unter dem nationalen Mindestlohn liegen würde). Sie würde sich dabei auf die Schaffung von Arbeitsplätzen in Bereichen konzentrieren, die unverzichtbar sind, um die Wirtschaft in Richtung größerer Umweltfreundlichkeit zu lenken, und Weiterbildungsprogramme anbieten, damit die im Rahmen dieses Programms beschäftigten Arbeitnehmer ihre Fertigkeiten ausbauen oder erhalten können, und sie so auf eine Beschäftigung im privaten Sektor vorbereiten.
Ein robustes Beschäftigungsprogramm hätte darüber hinaus vier wichtige Vorteile gegenüber dem Status quo. Erstens würde es eine Arbeitsmarktreserve schaffen, die im Einklang mit dem Wirtschaftszyklus automatisch wächst oder schrumpft, und so diskretionäre Abweichungen bei den Ausgaben begrenzen. Sie würde daher die Gesamtnachfrage stützen und zugleich einen Schutz vor zum falschen Zeitpunkt getätigten (durch Fehlprognosen oder unzulässige politische Einflussnahme bedingten) öffentlichen Ausgaben bieten.
Zweitens würde ein Beschäftigungsprogramm die Beschäftigungsfähigkeit arbeitsloser Arbeitnehmer besser aufrechterhalten, als Arbeitslosenhilfe das täte, und ließe sich problemlos mit betrieblichen Fortbildungsmaßnahmen kombinieren – ein wichtiger Faktor für eine wirtschaftliche Erholung und langfristiges Wachstum.
Drittens würden die im Rahmen des Programms beschäftigten Arbeitnehmer einen Festlohn erhalten; dies würde eine Untergrenze für die Entlohnung im privaten Sektor schaffen. Würde als Programmlohn der nationale Mindestlohn festgelegt, gäbe es keine Notwendigkeit für gesetzliche Mindestlohnbestimmungen und die damit einhergehenden Befolgungskosten. Und wie Pavlina R. Tcherneva vom Levy Economics Institute argumentiert, hätte ein im Rahmen des Programms gezahlter, oberhalb des Mindestlohns liegender Lohn sogar einen nützlichen Verteilungseffekt.
Viertens schließlich kann ein staatliches Beschäftigungsprogramm genutzt werden, um die Beschäftigungsstruktur insgesamt zu beeinflussen; es würde den durch den grünen New Deal vorgesehenen Zielen Arbeitskräfte und Ressourcen zuführen.
Das Programmparadigma
In unserem Entwurfe für Großbritannien würde das Programm auf nationaler Ebene finanziert, aber lokal durch eine Anzahl unterschiedlicher ABM-Träger verwaltet: Kommunen, NGOs und Sozialunternehmen. Jeder hätte die Aufgabe, örtliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, wo sie am dringendsten gebraucht werden (im Bereich der Umwelt, sozialer Programme und der Pflege), und dabei die unerfüllten Bedürfnisse der Gemeinschaft auf die arbeitslosen oder unterbeschäftigten Menschen abzustimmen.
Natürlich werden dabei unerwartete Schwierigkeiten auftreten, und wie alle neuen Ideen wird auch diese die Barriere festgefahrener Denkmuster durchbrechen müssen. Die Vorstellung, dass Volkswirtschaften von Natur aus zur Vollbeschäftigung neigen, ist ein Teil der Orthodoxie, den die Realität inzwischen vollständig diskreditiert haben müsste. Doch sie bleibt tief in den zunehmend stringenten Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosenhilfe verankert. Die zugrundeliegende Annahme ist dabei, dass das Problem immer die Arbeitsunwilligkeit der Arbeitslosen ist und nicht der Mangel an Arbeitsplätzen. In jedem Fall würde ein Beschäftigungsprogramm diese moralischen Debatten überwinden, indem es allen, die willens und in der Lage sind, Arbeit oder Schulungsmaßnahmen bietet und so die Notwendigkeit für Arbeitslosenhilfe per se verringert.
Und schließlich ist ein Beschäftigungsprogramm eine per se umweltfreundliche Idee, denn es spricht zwei wichtige Formen wirtschaftlicher Vernachlässigung und Verheerung in der Volkswirtschaft an: die des Natur- und des Humankapitals. Daher ist es nicht bloß als ein antizyklisches Konsumprogramm anzusehen, sondern auch als unverzichtbare Zutat dessen, was die Technologiewissenschaftlerin Carlota Perez als „intelligentes grünes Wachstum“ bezeichnet.
Es wird der Wirtschaft an einer zeitgemäßen Produktivkapazität fehlen, solange ein großer Teil ihrer Erwerbsbevölkerung unterbeschäftigt und unterbezahlt bleibt. Doch mit einer inklusiven Lohnpolitik und einer stärkeren Gesamtnachfrage werden die Unternehmen in intelligentere Ausrüstung reinvestieren müssen. Arbeitnehmer in prekären Beschäftigungsverhältnissen auszubeuten ist dann keine praktikable Option zur Aufrechterhaltung der Unternehmensgewinne mehr.
Die Revolution im Bereich der Informationstechnologie und wichtige Fortschritte bei der erneuerbaren Energie in den letzten Jahren haben gezeigt, dass Innovation neue Produkte, Dienstleistungen, Werkstoffe und Lebensformen hervorbringt – die sämtlich Arbeitsplätze schaffen. Die neoliberale Orthodoxie hat die Notwendigkeit ignoriert, altes Kapital in neues umzuwandeln, und deshalb sind wir heute wirtschaftlich und sozial ärmer.
Es ist Zeit, die Tugendkreise einer starken Nachfrage und hoher Investitionen wieder in Gang zu bringen. Der Schwerpunkt sollte dabei auf umweltfreundlichem Wachstum und einer sachgemäßen Abstimmung der Angebots- und Nachfrageseite der Volkswirtschaft liegen. Eine neue Finanzverfassung, die durch ein Beschäftigungsprogramm abgesichert wird, bietet die Grundlage für eine derartige Volkswirtschaft. Wir dürfen diese Chance zur Reform des Kapitalismus zum Wohle der Menschen und des Planten nicht vertun.
Aus dem Englischen von Jan Doolan
LONDON – Aufgrund der enormen, unvorhersehbaren und bleibenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Volkswirtschaften weltweit haben die Regierungen Gelegenheit erhalten – und stehen vor der Notwendigkeit –, Rolle und Zweck der Fiskalpolitik neu zu überdenken.
Ein neuer Ansatz ist längst überfällig. Seit der Ära von Premierministerin Margaret Thatcher in Großbritannien und Präsident Ronald Reagan in den USA hat die vorherrschende wirtschaftliche Orthodoxie die potenzielle Investitionsfunktion des Staates faktisch verleugnet und ausgeglichene Haushalte zum Selbstzweck erhoben. Diese Gleichgültigkeit gegenüber der Richtung und dem Niveau der Wirtschaftsaktivität machte die Krise von 2008-2009 praktisch unvermeidlich, und die anschließende überstürzte Hinwendung zur Sparpolitik hat die Erholung abgeschwächt. Der gleichzeitige Zusammenbruch von Angebot und Nachfrage im Gefolge von COVID-19 hat die neoliberale Orthodoxie nun gleich doppelt unhaltbar gemacht.
Es gibt jedoch kaum Hinweise auf ein fiskalpolitisches Umdenken. Zwar gibt es angesichts der Krise Nothilfen. Doch wenn diese Ausgaben nicht in strukturierter Weise erfolgen, wird sich das Ergebnis der Zeit nach 2008 wiederholen: Die hohe Liquidität wird die Vermögenspreise an den Finanzmärkten in die Höhe treiben, aber kaum etwas tun, um der Realwirtschaft zu helfen.
In Großbritannien mag Premierminister Boris Johnson eine Rolle als Erbe von US-Präsident Franklin D. Roosevelt vorschweben. Doch sein propagierter „New Deal“ kommt Roosevelts Original weder vom Ausmaß noch vom Ehrgeiz her nah. Die bisher angekündigten Staatsausgaben gehen nicht über Erste-Hilfe-Maßnahmen hinaus.
Die Notmaßnahmen haben jedoch die immense Finanzkraft des Staates aufgezeigt, der, wenn die Umstände es erfordern, ohne Weiteres imstande ist, die privaten Haushalte selbst über einen mehrmonatigen Stillstand der privaten Unternehmen hinweg versorgt zu halten. Entsprechend sollte das Ziel in den kommenden Monaten und Jahren nicht darin bestehen, schnellstmöglich die Subventionswirtschaft aufzugeben, sondern vielmehr, sie zu einer neuen, dauerhaften Partnerschaft zwischen Staat, Privatwirtschaft und Arbeitnehmern umzugestalten.
Ein neuer Ausgangspunkt
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Genau wie der Weg aus der Großen Depression und dem Zweiten Weltkrieg politische Zusammenarbeit und die Übernahme von Ideen erforderte, die in den 1920er und 1930 Jahren noch als radikal und „wirtschaftsfeindlich“ galten, muss die Erholung im Gefolge der Pandemie über bloßes Krisenmanagement hinausgehen. Es ist Zeit, die einzigartige, profunde Fähigkeit des Staates zur Lenkung des Wirtschaftslebens im Interesse des Gemeinwohls zu nutzen.
Schließlich besteht kein Mangel an langfristigen Herausforderungen, die vorausschauende politische Führung und zielgerichtete öffentliche Investitionen erfordern. Angesichts einer historischen arktischen Hitzewelle war die Notwendigkeit einer Neuausrichtung der Wirtschaft hin zu sauberem, nachhaltigem Wachstum nie dringender oder offensichtlicher. Und während Forderungen nach einem „grünen New Deal“ in der Größenordnung der sozioökonomischen Veränderungen des Zweiten Weltkriegs bereits an Boden gewonnen hatten, hat die COVID-19-Krise gezeigt, dass ein „Business as usual“ diesem Ziel nicht gerecht wird. Geht es hart auf hart, sind Staaten und nicht private Unternehmen die primären Wirtschaftsakteure.
Die sozioökonomischen und klimatischen Dimensionen der aktuellen Krise stehen in enger Beziehung zueinander. Die Politik des Laissez-faire hat zu chronischer Unterbeschäftigung und einer Unterbewertung wichtiger Sektoren und großer Teile der Erwerbsbevölkerung geführt. Wie das UK Committee on Climate Changegezeigt hat, ist der derzeitige Wirtschaftsabschwung daher der perfekte Zeitpunkt zur Beschleunigung des „Übergangs hin zu einer saubereren, netto emissionsfreien Wirtschaft und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Landes gegen die Auswirkungen des Klimawandels.“
Doch muss jede modernisierte Fassung des New Deal eine neue Finanzverfassung mit umfassen. Andernfalls gibt es keine Garantie gegen die Wiederaufnahme der Finanzorthodoxie, wenn der aktuelle Notfall als bewältigt gilt.
Der Staat muss eine ständige, anhaltende Rolle bei der Lenkung, Stabilisierung und ggf. erforderlichen Umgestaltung des Wirtschaftslebens erhalten. Nur in schlechten Zeiten zu intervenieren, um das System zu reparieren, garantiert eine weitere Krise. Auf der Angebotsseite sollte die Lenkung der Produktion in Richtung des langfristigen Entwicklungsbedarfs – hin zu einer nachhaltigeren, innovativeren und stärker inklusiven Wirtschaft – mehr Aufmerksamkeit erhalten. Und auf der Nachfrageseite ist es Zeit, das keynesianische Bekenntnis zur Vollbeschäftigung wieder zu bekräftigen, und zwar durch eine Arbeitsplatzgarantie, um sicherzustellen, dass Humankapital weder verschwendet wird noch während der kommenden wirtschaftlichen Übergangsphase erodiert.
Wichtiger noch: Ein modernisierter New Deal bedeutet, der Richtung des Wachstums genauso viel Aufmerksamkeit zu schenken wie der Wachstumsrate und das Wettbewerbsumfeld aktiv in eine grünere Richtung zu neigen. Dies erfordert nicht nur „spatenreife“ Projekte im Bereich sauberer Infrastruktur, erneuerbarer Energie und anderer Formen der Dekarbonisierung, sondern auch eine Vision, wie diese Projekte im Rahmen eines neuen, nachhaltigen Wachstumspfads zu konzipieren und zu koordinieren sind. Zudem bedarf es neuer Anreize, um private Investitionen in die richtige Richtung zu lenken. Steuern, Regulierung und andere staatliche Maßnahmen müssen auf die langfristige Planung und die Verringerung der Treibhausgasemissionen innerhalb der gesamten Volkswirtschaft abgestimmt sein.
Ein derartiger missionsorientierter Ansatz zur Wirtschaftslenkung hätte zur Folge, dass die öffentlichen Ausgaben größere Wirksamkeit entfalten und sowohl die negativen Multiplikatoreffekte eines Wirtschaftsabschwungs verringern als auch die positiven Multiplikatoreffekte eines Konjunkturaufschwungs verstärken würden.
Der ausgehöhlte Staat
Wie John Maynard Keynes Mitte der 1930er Jahre bemerkte: „Die Schwierigkeit besteht nicht darin, neue Ideen zu entwickeln, sondern aus den alten auszubrechen, die sich in allen Winkeln der Köpfe derer festgesetzt haben, die so wie die meisten von uns unterrichtet wurden.“ Das zentrale Versäumnis des vorherrschenden Wirtschaftsmodells heute besteht – insbesondere in den USA und in Großbritannien – in seiner Vernachlässigung öffentlicher Güter. Während diese für das ordnungsgemäße Funktionieren der Volkswirtschaft unverzichtbar sind, fehlt es dem privaten Sektor an jedem Anreiz, sie zu liefern. Daher argumentierte Adam Smith in Der Wohlstand der Nationen, dass der Staat die Pflicht habe, die Infrastruktur bereitzustellen, auf der die Marktwirtschaft beruht. Und nun, da sich die Liste öffentlicher Güter auf den Zugriff auf Daten und digitale Technologien ausweitet, müssen wir größeren Ehrgeiz entwickeln, zu liefern, was die Bürger brauchen, um erfolgreich zu sein.
Die derzeitige Orthodoxie jedoch ordnet diese Pflicht dem Ausgleich des Staatshaushalts unter. Die Verantwortung für die Entwicklung der realen Ressourcen der Volkswirtschaft wird einfach im Namen eines finanziellen Zwangs aufgegeben, der in Wahrheit nur die privaten Haushalte betrifft. Während diese ihre Budgets im Zeitablauf ausgleichen müssen, sollten die Regierungen Haushalte aufstellen, um die Wirtschaft im Gleichgewicht zu halten und ihre volle Kapazitätsauslastung zu gewährleisten. Entscheidend dabei ist, dass wir, um die Vorstellung öffentlicher Güter aus der Versenkung hervorzuholen, sicherstellen müssen, dass diese nicht bloß „Korrekturen“ für Marktversagen darstellen, sondern vielmehr zentrale Elemente des Zusammenspiels zwischen Staat und privatem Unternehmertum. Die enge Logik der Markterhaltung muss den Weg frei machen für eine proaktivere marktschöpfende und marktgestaltende Logik.
Die vorherrschende Orthodoxie beruht auf zwei angeblich axiomatischen Annahmen: dass öffentliche Investitionen eine Form von Verschwendung sind und daher auf ein Minimum begrenzt werden sollten und dass Marktwirtschaften spontan zur Vollbeschäftigung neigen (was als „natürliche“ Arbeitslosenquote definiert wird). Aus diesen Axiomen folgt, dass nur wenn Märkte Ressourcen nicht effizient zuweisen können öffentliche Investitionen zum Ausgleich der „Reibungen“ genutzt werden sollten.
Schon die Finanzkrise von 2008-2009 hat die Schwäche dieses Modells aufgedeckt. Zwischen 1975 und dem Jahr 2000 sank der Anteil der Bruttoinvestitionen der öffentlichen Hand am BIP in Großbritannien von 8,9% auf 1,7%. Infolgedessen verlagerten sich die Investitionsausgaben vermehrt in den Bereich der Spekulation, wo sie nicht nur verschwendet waren, sondern zudem noch destabilisierend wirkten und zu einer Folge von Finanzkrisen beitrugen.
Die COVID-19-Krise hat die Schwächen des orthodoxen Modells noch offensichtlicher werden lassen, und zwar nicht zuletzt, indem sie den schwerwiegenden Mangel an öffentlichen Gütern aufgezeigt hat, der von der grundlegenden Infrastruktur im Bereich der Krankenversorgung bis hin zu persönlicher Schutzausrüstung reicht. Die Orthodoxie hatte für praktisch alle relevanten Bereiche – von der Erforschung und Entwicklung von Medikamenten und Technologien über das Verkehrswesen, die Krankenversorgung und die Bildung – Privatisierung, Patentschutz und die Auslagerung wichtiger staatlicher Funktionen vorgeschrieben. Und nach jahrelangen Ausgabensenkungen waren viele westliche Regierungen auf die Bewältigung einer Erschütterung wie der in diesem Jahr absolut nicht vorbereitet.
Unmittelbar mit dem Auftreten von COVID-19 wurden auch Anzeichen der Fäulnis sichtbar, die von Lücken in wichtigen Lieferketten bis zu unzureichenden staatlichen Kapazitäten reichten. Überall in der westlichen Welt haben Regierungen alle Kräfte mobilisiert, um der Pandemie Herr zu werden, doch es war zu wenig und kam zu spät. Der Aufbau ausreichender staatlicher Kapazitäten erfordert jahrelange geduldige Investitionen, nicht bloß Helikoptergeld, das in Reaktion auf einen Notfall über der Volkswirtschaft ausgeschüttet wird.
Zudem ist diese Unterversorgung ein Produkt einer unzureichenden Nachfrage. Viele Volkswirtschaften operieren seit der Krise von 2008 deutlich unterhalb ihrer vollen Kapazität. Zwar hatte Großbritannien 2018 eine offizielle Arbeitslosenquote von 4,2%, doch seine Unterbeschäftigungsquote – die diejenigen mit erfasst, die Teilzeit arbeiten und nicht in der Lage sind, eine Vollzeitbeschäftigung zu finden – lag näher an 8% (und dieser Wert erfasst noch nicht einmal jene, die gezwungen sind, unterhalb ihres Qualifikationsniveaus zu arbeiten).
Lektion gelernt?
Weil die Regierungen sich während der Großen Rezession weiterhin der Finanzbuchhaltung verpflichtet fühlten statt der Realvermögensrechnung, verpassten sie eine Gelegenheit, eine Verlagerung der Wirtschaftsaktivität in eine nachhaltigere, breitere Gruppen einbeziehende Richtung einzuleiten. Schlimmer noch: Viele verzichteten zugunsten einer wachstumshemmenden Haushaltskonsolidierung auf Konjunkturimpulse. Für Großbritannien schätzt Simon Wren-Lewis (Universität Oxford), dass die Sparpolitik den Wirtschaftsaufschwung um bis zu drei Jahre verzögert hat – genau wie die grundlegende keynesianische Theorie es vorhergesagt hätte. Und obwohl eine anhaltend lockere Geldpolitik verfolgt wurde, konnte diese die kontraktionäre Fiskalpolitik nicht ausgleichen.
Zwar behauptete die Bank von England, dass, wenn sie die Wirtschaft nicht angekurbelt hätte, die Lage noch schlechter wäre. Doch gab sie durch ihre Wertpapierkäufe lediglich den bestehenden Vermögensinhabern „neues“ Geld in die Hand – also denen, die es mit der geringsten Wahrscheinlichkeit ausgeben würden. Sofern die Geldschöpfung nicht mit der Schaffung wirtschaftlicher Chancen in der Realwirtschaft verknüpft wird, endet der größte Teil der von den Notenbanken bereitgestellten Liquidität letztlich wieder im Finanzsektor – genau wie das 2008 geschah.
Die Lehren aus der letzten Krise sind klar: Die Marginalisierung der Investitionsfunktion des Staates entzog der Politik die Instrumente, um ein unerwartetes Ereignis zu bewältigen, die Wirtschaft zu stabilisieren oder sie gar für ein nachhaltiges Wachstum zu positionieren. Öffentliche Investitionen sind nicht bloß unverzichtbar, um Marktversagen zu „beheben“, sondern auch, um jene stark risikobehafteten, kapitalintensiven Ausgaben zu tätigen, die für Innovationen – und daher für die Kapitalentwicklung selbst – erforderlich sind. Sie können sowohl auf der Angebotsseite (durch Investitionen in transformative Projekte, deren Risiken für ein privates Unternehmen untragbar groß sind) als auch auf der Nachfrageseite (durch die öffentliche Beschaffungspolitik) genutzt werden.
Im Rahmen des neoliberalen Washingtoner Konsenses wurden diese staatlichen Funktionen weitgehend an die Märkte „ausgelagert“ – freiwillig im Falle der entwickelten Länder und als Voraussetzung für Finanzhilfen in den Entwicklungsländern (die dann zu „Schwellenmärkten“ umdeklariert wurden). Die Deregulierung des Finanzsektors und des Arbeitsmarktes, die Privatisierung staatseigener Unternehmen und die staatliche Sparpolitik waren die Rezepte einer angeblichen Universalformel, die die Mikro- und die Makroökonomie verschmelze und unabhängig von der Entwicklungsstufe eines Landes anzuwenden sei.
Die neoliberale Wirtschaftstheorie orientiert sich am „Gesetz“ des Ökonomen Jean-Baptiste Say aus dem frühen 19. Jahrhundert, wonach das Angebot seine eigene Nachfrage schafft. Dabei wird impliziert, dass der Markt bei Verhinderung unangemessener politischer Einflussnahme auf die wirtschaftlichen Anreize eine optimale Wertschöpfung gewährleistet. Die Politik entwickelt sich also zu einem Wettlauf zur Verringerung der marktformenden Rolle des Staates, während zugleich die realweltliche Beziehung zwischen Angebot und Nachfrage – und insbesondere zwischen Unterversorgung und unzureichender Nachfrage – weitgehend ignoriert wird.
Doch bediente sich die neoliberale Heilsordnung zudem selektiv bei der „Wohlfahrtsökonomik“, die Regierungen eine Rolle dabei zuweist, die Dinge zu flicken, wenn die Ergebnisse vom Ideal des perfekten Marktes abweichen. Diese analytische Benchmark stellte im Verbund mit der Furcht vor einem unweigerlichen „Staatsversagen“ sicher, dass die Marktreparaturen nie den Grad einer Markterneuerung erreichten. Im Zweifel erhielt immer der Markt, und nie der Staat, einen Vertrauensbonus.
Märkte mit einer Mission
Nun, da COVID-19 die von dem bisherigen Paradigma angerichteten Schäden aufgedeckt hat, ist es Zeit, den Kurs für eine neue Ära öffentlicher Investitionen abzustecken, um unsere technologische, produktive und soziale Landschaft umzugestalten. Das neue Modell sollte sich die Erkenntnis zu eigen machen, dass sich unsere Volkswirtschaften immer in irgendeine Richtung entwickeln, statt sich lediglich im luftleeren Raum auszudehnen. Auf sich allein gestellt neigen Marktwirtschaften dazu, kurzfristige oder wertabschöpfende Aktivitäten zu begünstigen – daher die radikalen Trends im Bereich der Finanzialisierung und Deindustrialisierung, die wir im Laufe der vergangenen vier Jahrzehnte erlebt haben.
Im Gegensatz hierzu lenken in Marktwirtschaften mit missionsorientierten Regierungen öffentliche Ausgaben und Politik die Aktivität in Richtung gesellschaftlich wünschenswerter Ziele, die über ein Wachstum um des Wachstums willen hinausreichen. Neben den USA der New-Deal-Ära ist ein gutes realweltliches Beispiel des neuen Modells Neuseeland, dessen Regierung ein „Wellbeing Budget“ verabschiedet hat, um die Entscheidungen über die öffentlichen Ausgaben mit breiter ausgelegten Zielen zur Abstimmung zu bringen.
Ein missionsorientierter Ansatz erlaubt zugleich eine neue Form zielgerichteter fiskalischer Konjunkturimpulse. Dabei setzt man bei einer großen Herausforderung wie dem Klimawandel an und untergliedert diese in konkrete politische Ziele wie das Erreichen von Emissionsneutralität in einer gewählten Region bis zu einem konkreten Zeitpunkt. Sind derartige Ziele festgelegt, kann man die geballte Kraft staatlicher Subventionen, Darlehen und Beschaffungsverträge einsetzen, um das gemeinsame Potenzial des öffentlichen, des privaten und des NGO-Sektors zu nutzen.
Um vorhersehbaren Einwänden den Boden zu entziehen: Es geht bei diesem missionsorientierten Ansatz nicht darum, in Bezug auf Sektoren, Technologien oder Unternehmen Gewinner und Verlierer auszuwählen; die Idee ist vielmehr, dass man konkrete Probleme auswählt und dafür sorgt, dass sich im Rahmen eines sektorenübergreifenden Bottom-up-Prozesses des Experimentierens und der Innovation Lösungen herausbilden können. Derselbe Prozess wird auch neue Beschäftigungschancen hervorbringen. CO2-Neutralität in einer bestimmten Region zu erreichen würde etwa neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Energie-, Verkehrs-, Werkstoff-, Digital-, Technologie-, Infrastruktur- und anderen Sektoren sowie neue Arten von Arbeitsplätzen zur Umfunktionierung, Wiederverwendung und Wiederverwertung vorhandener Ressourcen und Finanzmittel erfordern.
Die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Nachfrageseite im Allgemeinen sind der Ort, wo die zweite Säule der neuen Finanzverfassung zum Tragen kommt. Eine reibungslose wirtschaftliche Wende erfordert ein staatliches Arbeitsprogramm, das eine nachhaltige Steuerbasis hervorzubringen sucht, indem es Wirtschaftsaktivitäten unterstützt, die ansonsten krisenbedingt brachliegen würden. Tatsächlich sollte man sich echte Vollbeschäftigung als öffentliches Gut vorstellen.
Schließlich steigert eine vollbeschäftigte Person nicht nur ihr eigenes Einkommen, sondern durch zusätzlich getätigte Einkäufe auch das der übrigen Gemeinschaft. Unterbeschäftigte oder Arbeitslose haben weniger Einkommen, mit dem sie die Nachfrage in der Volkswirtschaft verstärken können, sodass es allen schlechter geht.
Der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Samuelson argumentierte 1948, dass „das moderne Fiskalsystem große ihm innewohnende automatische Stabilisierungseigenschaften hat“. Bei einem Konjunkturabschwung erhöht sich automatisch das Haushaltsdefizit; erholt sich die Konjunktur, sinkt das Defizit automatisch. Um diese systeminhärente Stabilität zu bewahren, so Samuelson, dürfe „kein Versuch gemacht werden, den Haushalt im Abschwung auszugleichen“. Doch wie Samuelson selbst bemerkte: „[E]in eingebauter Stabilisator bewirkt eine Reduzierung eines Teils der Schwankungen in der Volkswirtschaft, aber er beseitigt die Störung nicht zu 100%. Er hinterlässt den Rest der Störung als Aufgabe für fiskal- und geldpolitische diskretionäre Maßnahmen.“
Die ultimative Marktreparatur
Im Falle der heutigen Erholung sollten derartige diskretionäre Maßnahmen ein staatliches Beschäftigungsprogramm mit umfassen, das sich an den vom Levy Economics Institute in den USA skizzierten Vorgaben orientiert. Dies wäre ein deutlich stärkerer antizyklischer Stabilisator als das von Samuelson beschriebene System; zugleich jedoch würde es eine Fortsetzung der durch Roosevelts New Deal eingeführten Politik darstellen.
Zwischen 1935 und 1943 beschäftigte die Works Progress Administration (WPA) in den USA 8,5 Millionen Amerikaner und stellte dabei nahezu jede vorstellbare Art von Arbeitsplätzen zur Verfügung. Dies reichte vom Ausbau der Infrastruktur und der Schädlingsbekämpfung bis zur Herstellung von Büchern in Braille und zur Aufführung der weltbedeutendsten Symphonien. In ähnlicher Weise war das Civilian Conservation Corps (CCC) darauf ausgelegt, rund einer Million jungen arbeitslosen Männern Arbeit an Projekten zu geben, die „die Verhinderung von Wandbränden, Überflutungen und Bodenerosion, die Kontrolle von Pflanzenschädlingen und -krankheiten, den Bau, die Wartung oder Reparatur von Wegen, Pfaden und Brandschutzschneisen in den Nationalparks und Staatsforsten sowie solche anderen Arbeiten … wie der Präsident sie als wünschenswert festlegt umfasst.“
In der von uns skizzierten Version eines staatlichen Beschäftigungsprogramms würde die britische Regierung gegenüber jedem Arbeitssuchenden oder Erwachsenen im Erwerbsalter, der keine Beschäftigung im privaten Sektor finden kann, eine Arbeitsplatzgarantie zu einem festen Stundensatz abgeben (der nicht unter dem nationalen Mindestlohn liegen würde). Sie würde sich dabei auf die Schaffung von Arbeitsplätzen in Bereichen konzentrieren, die unverzichtbar sind, um die Wirtschaft in Richtung größerer Umweltfreundlichkeit zu lenken, und Weiterbildungsprogramme anbieten, damit die im Rahmen dieses Programms beschäftigten Arbeitnehmer ihre Fertigkeiten ausbauen oder erhalten können, und sie so auf eine Beschäftigung im privaten Sektor vorbereiten.
Ein robustes Beschäftigungsprogramm hätte darüber hinaus vier wichtige Vorteile gegenüber dem Status quo. Erstens würde es eine Arbeitsmarktreserve schaffen, die im Einklang mit dem Wirtschaftszyklus automatisch wächst oder schrumpft, und so diskretionäre Abweichungen bei den Ausgaben begrenzen. Sie würde daher die Gesamtnachfrage stützen und zugleich einen Schutz vor zum falschen Zeitpunkt getätigten (durch Fehlprognosen oder unzulässige politische Einflussnahme bedingten) öffentlichen Ausgaben bieten.
Zweitens würde ein Beschäftigungsprogramm die Beschäftigungsfähigkeit arbeitsloser Arbeitnehmer besser aufrechterhalten, als Arbeitslosenhilfe das täte, und ließe sich problemlos mit betrieblichen Fortbildungsmaßnahmen kombinieren – ein wichtiger Faktor für eine wirtschaftliche Erholung und langfristiges Wachstum.
Drittens würden die im Rahmen des Programms beschäftigten Arbeitnehmer einen Festlohn erhalten; dies würde eine Untergrenze für die Entlohnung im privaten Sektor schaffen. Würde als Programmlohn der nationale Mindestlohn festgelegt, gäbe es keine Notwendigkeit für gesetzliche Mindestlohnbestimmungen und die damit einhergehenden Befolgungskosten. Und wie Pavlina R. Tcherneva vom Levy Economics Institute argumentiert, hätte ein im Rahmen des Programms gezahlter, oberhalb des Mindestlohns liegender Lohn sogar einen nützlichen Verteilungseffekt.
Viertens schließlich kann ein staatliches Beschäftigungsprogramm genutzt werden, um die Beschäftigungsstruktur insgesamt zu beeinflussen; es würde den durch den grünen New Deal vorgesehenen Zielen Arbeitskräfte und Ressourcen zuführen.
Das Programmparadigma
In unserem Entwurfe für Großbritannien würde das Programm auf nationaler Ebene finanziert, aber lokal durch eine Anzahl unterschiedlicher ABM-Träger verwaltet: Kommunen, NGOs und Sozialunternehmen. Jeder hätte die Aufgabe, örtliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, wo sie am dringendsten gebraucht werden (im Bereich der Umwelt, sozialer Programme und der Pflege), und dabei die unerfüllten Bedürfnisse der Gemeinschaft auf die arbeitslosen oder unterbeschäftigten Menschen abzustimmen.
Natürlich werden dabei unerwartete Schwierigkeiten auftreten, und wie alle neuen Ideen wird auch diese die Barriere festgefahrener Denkmuster durchbrechen müssen. Die Vorstellung, dass Volkswirtschaften von Natur aus zur Vollbeschäftigung neigen, ist ein Teil der Orthodoxie, den die Realität inzwischen vollständig diskreditiert haben müsste. Doch sie bleibt tief in den zunehmend stringenten Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosenhilfe verankert. Die zugrundeliegende Annahme ist dabei, dass das Problem immer die Arbeitsunwilligkeit der Arbeitslosen ist und nicht der Mangel an Arbeitsplätzen. In jedem Fall würde ein Beschäftigungsprogramm diese moralischen Debatten überwinden, indem es allen, die willens und in der Lage sind, Arbeit oder Schulungsmaßnahmen bietet und so die Notwendigkeit für Arbeitslosenhilfe per se verringert.
Und schließlich ist ein Beschäftigungsprogramm eine per se umweltfreundliche Idee, denn es spricht zwei wichtige Formen wirtschaftlicher Vernachlässigung und Verheerung in der Volkswirtschaft an: die des Natur- und des Humankapitals. Daher ist es nicht bloß als ein antizyklisches Konsumprogramm anzusehen, sondern auch als unverzichtbare Zutat dessen, was die Technologiewissenschaftlerin Carlota Perez als „intelligentes grünes Wachstum“ bezeichnet.
Es wird der Wirtschaft an einer zeitgemäßen Produktivkapazität fehlen, solange ein großer Teil ihrer Erwerbsbevölkerung unterbeschäftigt und unterbezahlt bleibt. Doch mit einer inklusiven Lohnpolitik und einer stärkeren Gesamtnachfrage werden die Unternehmen in intelligentere Ausrüstung reinvestieren müssen. Arbeitnehmer in prekären Beschäftigungsverhältnissen auszubeuten ist dann keine praktikable Option zur Aufrechterhaltung der Unternehmensgewinne mehr.
Die Revolution im Bereich der Informationstechnologie und wichtige Fortschritte bei der erneuerbaren Energie in den letzten Jahren haben gezeigt, dass Innovation neue Produkte, Dienstleistungen, Werkstoffe und Lebensformen hervorbringt – die sämtlich Arbeitsplätze schaffen. Die neoliberale Orthodoxie hat die Notwendigkeit ignoriert, altes Kapital in neues umzuwandeln, und deshalb sind wir heute wirtschaftlich und sozial ärmer.
Es ist Zeit, die Tugendkreise einer starken Nachfrage und hoher Investitionen wieder in Gang zu bringen. Der Schwerpunkt sollte dabei auf umweltfreundlichem Wachstum und einer sachgemäßen Abstimmung der Angebots- und Nachfrageseite der Volkswirtschaft liegen. Eine neue Finanzverfassung, die durch ein Beschäftigungsprogramm abgesichert wird, bietet die Grundlage für eine derartige Volkswirtschaft. Wir dürfen diese Chance zur Reform des Kapitalismus zum Wohle der Menschen und des Planten nicht vertun.
Aus dem Englischen von Jan Doolan