NEU-DELHI – „Kein Land ist eine Insel, ganz für sich allein“ – eine Aussage, die, frei nach dem Dichter John Donne, heute zutreffender ist denn je. Das hat auch Indien erkannt, das sich über den Handel mit Waren und Dienstleistungen, Kapitalströme, Technologietransfer und den Fluss von Ideen auf dem Weg der vollständigen Integration in die Weltwirtschaft befindet. Auch die außerordentlich große und weitverbreitete indische Diaspora spielt natürlich eine einzigartige Rolle dabei, die Beziehungen Indiens mit der Welt zu festigen.
Es ist eine Welt, in der Indien heute eine Sonderstellung einnimmt. Während sich in vielen Ländern – hochentwickelten Volkswirtschaften ebenso wie Entwicklungsländern – wirtschaftliche Besorgnis und mitunter Konjunkturpessimismus breit machen, ist Indien ein Fanal der Hoffnung, des positiven Wandels und der wirtschaftlichen Dynamik.
Unsere Wirtschaft hat sich stabilisiert: Die Inflation ist gesunken, der Wechselkurs der Rupie ist stabil und unser Bekenntnis zu Haushaltsdisziplin tragfähig. Mit seinem Wirtschaftswachstum ist Indien die am stärksten expandierende der großen Volkswirtschaften und seine Entwicklung wird sich weiter beschleunigen. Daher überrascht es nicht, dass Investoren in unsere Märkte strömen.
Bei allem Stolz auf das Erreichte sehen wir uns auch in der Verantwortung. Ich bin mir deutlich bewusst, dass das indische Volk der Regierung, der ich angehöre, ein Mandat für einen entschlossenen wirtschaftlichen Wandel und politische Reformen erteilt hat. Wir werden dieses Mandat erfüllen, und in einer globalisierten Welt ist die Voraussetzung hierfür, dass wir integratives Wachstum im eigenen Land erzielen und uns auf internationaler Ebene konstruktiv engagieren.
Ein Grund für den Schwerpunkt integratives Wachstum ist der Umstand, dass die Inder heute anders sind als die Generation der „Mitternachtskinder“. Im Unterschied zu jener Generation, der ersten, die nach der Unabhängigkeit erwachsen wurde, sehen sich die Inder von heute – auch die Ärmsten – als „Mittelschicht“. Der Inder des einundzwanzigsten Jahrhunderts ist im Durchschnitt betrachtet jünger als fast überall sonst auf der Welt. Er oder sie ist zudem zuversichtlich und vor allem auf sozialen Aufstieg bedacht. Angesichts positiver Veränderungen, eines Vorgeschmacks auf ein besseres Leben und der Perspektive oder Erfahrung erweiterter Möglichkeiten, wollen die Inder von heute mehr – und das zu Recht. Unsere Herausforderung besteht darin, diese Erwartungen zu erfüllen.
Aus diesem Grund ist integratives Wachstum kein Mantra, sondern eine existenzielle Notwendigkeit. Wir sind ein großes Land, das sich durch große Vielfalt auszeichnet: Gesellschaftsschichten, Kasten, Sprache und Religion zusätzlich zur Altersstruktur, Geschlechterverteilung und Meinungen. Wenn Verschiedenheit bewahrt und gefeiert wird, ist sie eine Quelle des kulturellen Reichtums und neuer Ideen. Und sie ist mit einer Herausforderung verbunden. Ökonomen haben festgestellt, dass derart heterogene Gesellschaften bei der Förderung des Wirtschaftswachstums und der Entwicklung größere Probleme zu bewältigen haben.
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Auch das politische Konfliktpotenzial ist größer und kann das Streben nach wirtschaftlicher Entwicklung behindern. Wenn Menschen verschieden sind, neigen sie dazu einander zu misstrauen, was das Regieren erschwert – und potenziell zu schwächeren politischen Entscheidungen führen kann.
Die Verwirklichung integrativen Wachstums wird die Grundlage für Indien schaffen, sich international zu engagieren. Das Jahr 2015 endet mit zwei großen Bemühungen um internationale/multilaterale Kooperation: Die UN-Klimakonferenz in Paris und die Welthandelskonferenz in Nairobi, bei der über einen Abschluss der Doha-Entwicklungsrunde verhandelt worden ist. Indien strebt in beiden Bemühungen eine Rolle als konstruktiver Akteur an, nicht zuletzt, weil für uns so viel auf dem Spiel steht.
Die jüngsten Überschwemmungen im Bundesstaat Tamil Nadu erinnern daran, dass Indien besonders durch den Klimawandel gefährdet ist. Wir haben große Anstrengungen unternommen, den Anteil erneuerbarer Energien zu vergrößern, Kohle direkt und indirekt zu besteuern und staatliche Investitionen in grüne Technologien zu erhöhen. Wir rufen die hochentwickelten Volkswirtschaften dazu auf, Maßnahmen zur Bepreisung von Kohlenstoff zu ergreifen, was infolge des deutlichen Preisrückgangs bei Öl und anderen fossilen Brennstoffen besondere Bedeutung erlangt hat. Nur durch einen Innovationsschub im Bereich grüner Technologien, einschließlich der umweltfreundlichen Energiegewinnung aus Kohle, können wir die dringende Notwendigkeit, Hunderte Millionen von Menschen mit Energie zu versorgen mit der Sorge für den Schutz unseres Planeten vereinbaren.
Ebenso sind sich die indische Regierung und Bevölkerung bewusst, dass Handel ein Wachstumsmotor und eine Quelle der Effizienz und Dynamik ist. Multilateralismus ist die beste Möglichkeit dafür zu sorgen, dass globale Märkte für alle und nicht nur für wenige offen bleiben. Der erfolgreiche Abschluss der Doha-Runde ist die Voraussetzung für die Zukunft und die Revitalisierung der Welthandelsorganisation WTO. Unser Ziel ist es, für den Schutz unserer Entwicklungsinteressen zu sorgen, vor allem für die Lebensgrundlage von Millionen von Bauern, und anschließend eine Agenda zu formulieren, die gewährleistet, dass Multilateralismus zukünftig eine entscheidende Rolle beim Erhalt und bei der Öffnung der Märkte für alle Länder zukommt.
Mahatma Gandhi, der Vater der Nation, hat am besten beschrieben, auf welche Weise sich Indien auf die Welt einlassen sollte. Er hatte den Wunsch, dass „die Kulturen aller Länder so frei wie möglich durch mein Haus wehen. Aber ich möchte auf keinen Fall von ihnen hinweggeweht werden“.
Wir wollen Indiens Wirtschaft weder von allen Seiten mit Mauern umgeben, noch unsere Fenster verschließen. Wir wollen, dass der Wind des Wissens und der Erfahrung, des ausländischen Kapitals, der Technologie und des Unternehmertums von außen durch das indische Haus weht. Indien wird der Welt offen und empfänglich gegenübertreten, aber auch im Vertrauen auf unsere Werte, unsere reiche Geschichte und vielversprechende Zukunft, die uns davor bewahren werden, vom Wind hinweggeweht zu werden.
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NEU-DELHI – „Kein Land ist eine Insel, ganz für sich allein“ – eine Aussage, die, frei nach dem Dichter John Donne, heute zutreffender ist denn je. Das hat auch Indien erkannt, das sich über den Handel mit Waren und Dienstleistungen, Kapitalströme, Technologietransfer und den Fluss von Ideen auf dem Weg der vollständigen Integration in die Weltwirtschaft befindet. Auch die außerordentlich große und weitverbreitete indische Diaspora spielt natürlich eine einzigartige Rolle dabei, die Beziehungen Indiens mit der Welt zu festigen.
Es ist eine Welt, in der Indien heute eine Sonderstellung einnimmt. Während sich in vielen Ländern – hochentwickelten Volkswirtschaften ebenso wie Entwicklungsländern – wirtschaftliche Besorgnis und mitunter Konjunkturpessimismus breit machen, ist Indien ein Fanal der Hoffnung, des positiven Wandels und der wirtschaftlichen Dynamik.
Unsere Wirtschaft hat sich stabilisiert: Die Inflation ist gesunken, der Wechselkurs der Rupie ist stabil und unser Bekenntnis zu Haushaltsdisziplin tragfähig. Mit seinem Wirtschaftswachstum ist Indien die am stärksten expandierende der großen Volkswirtschaften und seine Entwicklung wird sich weiter beschleunigen. Daher überrascht es nicht, dass Investoren in unsere Märkte strömen.
Bei allem Stolz auf das Erreichte sehen wir uns auch in der Verantwortung. Ich bin mir deutlich bewusst, dass das indische Volk der Regierung, der ich angehöre, ein Mandat für einen entschlossenen wirtschaftlichen Wandel und politische Reformen erteilt hat. Wir werden dieses Mandat erfüllen, und in einer globalisierten Welt ist die Voraussetzung hierfür, dass wir integratives Wachstum im eigenen Land erzielen und uns auf internationaler Ebene konstruktiv engagieren.
Ein Grund für den Schwerpunkt integratives Wachstum ist der Umstand, dass die Inder heute anders sind als die Generation der „Mitternachtskinder“. Im Unterschied zu jener Generation, der ersten, die nach der Unabhängigkeit erwachsen wurde, sehen sich die Inder von heute – auch die Ärmsten – als „Mittelschicht“. Der Inder des einundzwanzigsten Jahrhunderts ist im Durchschnitt betrachtet jünger als fast überall sonst auf der Welt. Er oder sie ist zudem zuversichtlich und vor allem auf sozialen Aufstieg bedacht. Angesichts positiver Veränderungen, eines Vorgeschmacks auf ein besseres Leben und der Perspektive oder Erfahrung erweiterter Möglichkeiten, wollen die Inder von heute mehr – und das zu Recht. Unsere Herausforderung besteht darin, diese Erwartungen zu erfüllen.
Aus diesem Grund ist integratives Wachstum kein Mantra, sondern eine existenzielle Notwendigkeit. Wir sind ein großes Land, das sich durch große Vielfalt auszeichnet: Gesellschaftsschichten, Kasten, Sprache und Religion zusätzlich zur Altersstruktur, Geschlechterverteilung und Meinungen. Wenn Verschiedenheit bewahrt und gefeiert wird, ist sie eine Quelle des kulturellen Reichtums und neuer Ideen. Und sie ist mit einer Herausforderung verbunden. Ökonomen haben festgestellt, dass derart heterogene Gesellschaften bei der Förderung des Wirtschaftswachstums und der Entwicklung größere Probleme zu bewältigen haben.
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Die Verwirklichung integrativen Wachstums wird die Grundlage für Indien schaffen, sich international zu engagieren. Das Jahr 2015 endet mit zwei großen Bemühungen um internationale/multilaterale Kooperation: Die UN-Klimakonferenz in Paris und die Welthandelskonferenz in Nairobi, bei der über einen Abschluss der Doha-Entwicklungsrunde verhandelt worden ist. Indien strebt in beiden Bemühungen eine Rolle als konstruktiver Akteur an, nicht zuletzt, weil für uns so viel auf dem Spiel steht.
Die jüngsten Überschwemmungen im Bundesstaat Tamil Nadu erinnern daran, dass Indien besonders durch den Klimawandel gefährdet ist. Wir haben große Anstrengungen unternommen, den Anteil erneuerbarer Energien zu vergrößern, Kohle direkt und indirekt zu besteuern und staatliche Investitionen in grüne Technologien zu erhöhen. Wir rufen die hochentwickelten Volkswirtschaften dazu auf, Maßnahmen zur Bepreisung von Kohlenstoff zu ergreifen, was infolge des deutlichen Preisrückgangs bei Öl und anderen fossilen Brennstoffen besondere Bedeutung erlangt hat. Nur durch einen Innovationsschub im Bereich grüner Technologien, einschließlich der umweltfreundlichen Energiegewinnung aus Kohle, können wir die dringende Notwendigkeit, Hunderte Millionen von Menschen mit Energie zu versorgen mit der Sorge für den Schutz unseres Planeten vereinbaren.
Ebenso sind sich die indische Regierung und Bevölkerung bewusst, dass Handel ein Wachstumsmotor und eine Quelle der Effizienz und Dynamik ist. Multilateralismus ist die beste Möglichkeit dafür zu sorgen, dass globale Märkte für alle und nicht nur für wenige offen bleiben. Der erfolgreiche Abschluss der Doha-Runde ist die Voraussetzung für die Zukunft und die Revitalisierung der Welthandelsorganisation WTO. Unser Ziel ist es, für den Schutz unserer Entwicklungsinteressen zu sorgen, vor allem für die Lebensgrundlage von Millionen von Bauern, und anschließend eine Agenda zu formulieren, die gewährleistet, dass Multilateralismus zukünftig eine entscheidende Rolle beim Erhalt und bei der Öffnung der Märkte für alle Länder zukommt.
Mahatma Gandhi, der Vater der Nation, hat am besten beschrieben, auf welche Weise sich Indien auf die Welt einlassen sollte. Er hatte den Wunsch, dass „die Kulturen aller Länder so frei wie möglich durch mein Haus wehen. Aber ich möchte auf keinen Fall von ihnen hinweggeweht werden“.
Wir wollen Indiens Wirtschaft weder von allen Seiten mit Mauern umgeben, noch unsere Fenster verschließen. Wir wollen, dass der Wind des Wissens und der Erfahrung, des ausländischen Kapitals, der Technologie und des Unternehmertums von außen durch das indische Haus weht. Indien wird der Welt offen und empfänglich gegenübertreten, aber auch im Vertrauen auf unsere Werte, unsere reiche Geschichte und vielversprechende Zukunft, die uns davor bewahren werden, vom Wind hinweggeweht zu werden.
Aus dem Englischen von Sandra Pontow.