PHILADELPHIA – US-Präsident Barack Obama nannte den Abschuss von Flug 17 der Malaysia Airlines "eine Gewalttat von entsetzlichem Ausmaß", während der russische Präsident Wladimir Putin ihn als einen "Unfall" und eine "schreckliche Tragödie" bezeichnete. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sprach von einem "Terrorakt", und der malaysische Premierminister Najib Razak von einer "inhumanen, unzivilisierten, gewaltsamen und unverantwortlichen Tat".
All diese Beschreibungen treffen wohl zu, aber jede einzelne hat ein anderes rhetorisches Gewicht und andere rechtliche Konsequenzen. Es ist an der Zeit, dass Regierungen und internationale Organisationen den Angriff auf MH17 als vermutliches Kriegsverbrechen bezeichnen.
Diese rhetorische Verschiebung ist zunächst einmal notwendig, weil eine einheitliche Beschreibung der moralischen Verwerflichkeit dieser abscheulichen Tat dazu beitragen wird, einen Konsens in der öffentliche Wahrnehmung der Tat herzustellen. Zurzeit gehen die Deutungen in Russland und im Westen weit auseinander. Russische Medien und Politiker bezeichnen die Episode im besten Fall als schrecklichen Fehler und im schlimmsten als eine Intrige der Amerikaner, die die Unterstützung für die Rebellen schwächen soll. Amerikaner und Europäer beschuldigen Russland zunehmend, die Aufständischen auszurüsten oder ihnen zu helfen.
Damit wird die Chance auf ein gemeinsames Verständnis der Tat und auf eine mögliche Kooperation verspielt. Wenn aber der Abschuss von MH17 als Kriegsverbrechen bezeichnet wird, können die Regierungen diese verschiedenen Deutungen vielleicht miteinander vereinen.
Was auch immer das Motiv der Täter war, ihr moralisches und rechtliches Fehlverhalten kann nicht geleugnet werden. Die Benennung des Delikts mit seinem rechtlichen Namen trägt dem Rechnung und kommt einer rhetorischen Auseinandersetzung zuvor, den Angriff Terroranschlag, Tragödie oder Verschwörung zu nennen. Sogar die Russen könnten mit dieser Begrifflichkeit einverstanden sein, weil damit nicht mit dem Finger auf bestimmte Akteure gezeigt wird und weil daraus hervorgeht, dass ein Gericht - und nicht die Schlagzeilen der Medien - ermitteln wird, was geschehen ist und wer verantwortlich ist.
Ein weiterer wichtiger Grund, den Abschuss von MH17 als Kriegsverbrechen zu bezeichnen, ist, dass dies dazu beitragen kann, die Täter zu finden. Es besteht eine reale Gefahr, dass diejenigen, die auf den Knopf gedrückt haben - und vielleicht auch diejenigen, die den Befehl dazu gaben - im Chaos der Ostukraine, in den russischen Weiten oder irgendwo anders verschwinden werden. Es besteht auch die Gefahr, dass den Tätern, wenn sie gefunden werden, kein Prozess gemacht wird, wenn die örtlichen Behörden das Verbrechen als politisch bezeichnen und somit die üblichen Auslieferungsanforderungen nicht angewandt werden müssen.
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Alle wichtigen Staaten in der Region haben die rechtliche Verpflichtung anerkannt, bei den Ermittlungen und der Strafverfolgung von Kriegsverbrechen Hilfe zu leisten. Die Verantwortung, vermutliche Kriegsverbrecher zu verfolgen oder sie auszuliefern, damit sie woanders vor Gericht gestellt werden können, wird umso dringlicher, je schwerwiegender das mutmaßliche Verbrechen ist.
Die Einzelheiten des Angriffs auf MH17 sind zwar noch nicht bekannt, aber der Abschuss einer Flugabwehrrakete auf ein ziviles Flugzeug ist mit größter Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Kriegsrechts, an das die ukrainische Regierung, die russische Regierung und die Rebellen gleichermaßen gebunden sind. Der Konflikt in der Ostukraine stellt tatsächlich einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt dar (also einen Krieg zwischen einer Regierung und einer aufständischen Bewegung), für den das humanitäre Völkerrecht gilt, das das absichtliche Zielen auf Zivilpersonen kategorisch verbietet. Mit anderen Worten, wenn derjenige, der die Rakete abgeschossen hat, dies in der Absicht tat, die zivilen Passagiere von MH17 zu töten, dann handelt es sich unmissverständlich um ein Kriegsverbrechen.
Aber auch wenn es das Ziel war, ein ukrainisches Transportflugzeug zu treffen, handelt es sich wahrscheinlich um ein Kriegsverbrechen. Ein wichtiger Grundsatz des Kriegsrechts, einschließlich des Rechts hinsichtlich nicht-internationaler bewaffneter Konflikte, ist das Prinzip der Unterscheidung - die Notwendigkeit, dass die kämpfenden Parteien zwischen zivilen und militärischen Zielen unterscheiden. In den Worten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes beinhaltet diese Sorgfaltspflicht, dass "alles Mögliche zu tun sei, um sicherzustellen, dass ein Ziel militärisch ist".
In diesem Fall hätten einiges getan werden können, um MH17 von einem militärischen Transportflugzeug zu unterscheiden, wie eine Sichtprüfung (zum Beispiel mit Ferngläsern), eine Radarsignaturanalyse oder eine Prüfung der Transpondercodesendung für Zivilflugzeuge. Wenn diese einfachen Regeln nicht beachtet wurden, was wahrscheinlich ist, würde auch ein unbeabsichtigter Angriff auf MH17 ein Kriegsverbrechen darstellen.
Ein niederländisches oder malaysisches Gericht oder sogar ein Sondergericht unter dem Dach der Vereinten Nationen (wie das, das sich 1988 mit dem Bombenanschlag auf den Pan Am-Flug in Lockerbie befasste), wird letztendlich bestimmen, wer rechtlich für den Abschuss von MH17 verantwortlich ist. Wenn die Tat jetzt als vermutliches Kriegsverbrechen bezeichnet wird - wie es der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Navi Pillay bereits getan hat - kann dies dazu beitragen, die unterschiedlichen Interpretationen aufeinander abzustimmen. Und noch wichtiger ist, dass dies eine Schlüsselrolle spielen kann bei der Sicherstellung der notwendigen politischen, diplomatischen und rechtlichen Unterstützung, um die Täter vor Gericht zu stellen.
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Over time, as American democracy has increasingly fallen short of delivering on its core promises, the Democratic Party has contributed to the problem by catering to a narrow, privileged elite. To restore its own prospects and America’s signature form of governance, it must return to its working-class roots.
is not surprised that so many voters ignored warnings about the threat Donald Trump poses to US institutions.
Enrique Krauze
considers the responsibility of the state to guarantee freedom, heralds the demise of Mexico’s democracy, highlights flaws in higher-education systems, and more.
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PHILADELPHIA – US-Präsident Barack Obama nannte den Abschuss von Flug 17 der Malaysia Airlines "eine Gewalttat von entsetzlichem Ausmaß", während der russische Präsident Wladimir Putin ihn als einen "Unfall" und eine "schreckliche Tragödie" bezeichnete. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sprach von einem "Terrorakt", und der malaysische Premierminister Najib Razak von einer "inhumanen, unzivilisierten, gewaltsamen und unverantwortlichen Tat".
All diese Beschreibungen treffen wohl zu, aber jede einzelne hat ein anderes rhetorisches Gewicht und andere rechtliche Konsequenzen. Es ist an der Zeit, dass Regierungen und internationale Organisationen den Angriff auf MH17 als vermutliches Kriegsverbrechen bezeichnen.
Diese rhetorische Verschiebung ist zunächst einmal notwendig, weil eine einheitliche Beschreibung der moralischen Verwerflichkeit dieser abscheulichen Tat dazu beitragen wird, einen Konsens in der öffentliche Wahrnehmung der Tat herzustellen. Zurzeit gehen die Deutungen in Russland und im Westen weit auseinander. Russische Medien und Politiker bezeichnen die Episode im besten Fall als schrecklichen Fehler und im schlimmsten als eine Intrige der Amerikaner, die die Unterstützung für die Rebellen schwächen soll. Amerikaner und Europäer beschuldigen Russland zunehmend, die Aufständischen auszurüsten oder ihnen zu helfen.
Damit wird die Chance auf ein gemeinsames Verständnis der Tat und auf eine mögliche Kooperation verspielt. Wenn aber der Abschuss von MH17 als Kriegsverbrechen bezeichnet wird, können die Regierungen diese verschiedenen Deutungen vielleicht miteinander vereinen.
Was auch immer das Motiv der Täter war, ihr moralisches und rechtliches Fehlverhalten kann nicht geleugnet werden. Die Benennung des Delikts mit seinem rechtlichen Namen trägt dem Rechnung und kommt einer rhetorischen Auseinandersetzung zuvor, den Angriff Terroranschlag, Tragödie oder Verschwörung zu nennen. Sogar die Russen könnten mit dieser Begrifflichkeit einverstanden sein, weil damit nicht mit dem Finger auf bestimmte Akteure gezeigt wird und weil daraus hervorgeht, dass ein Gericht - und nicht die Schlagzeilen der Medien - ermitteln wird, was geschehen ist und wer verantwortlich ist.
Ein weiterer wichtiger Grund, den Abschuss von MH17 als Kriegsverbrechen zu bezeichnen, ist, dass dies dazu beitragen kann, die Täter zu finden. Es besteht eine reale Gefahr, dass diejenigen, die auf den Knopf gedrückt haben - und vielleicht auch diejenigen, die den Befehl dazu gaben - im Chaos der Ostukraine, in den russischen Weiten oder irgendwo anders verschwinden werden. Es besteht auch die Gefahr, dass den Tätern, wenn sie gefunden werden, kein Prozess gemacht wird, wenn die örtlichen Behörden das Verbrechen als politisch bezeichnen und somit die üblichen Auslieferungsanforderungen nicht angewandt werden müssen.
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Die Einzelheiten des Angriffs auf MH17 sind zwar noch nicht bekannt, aber der Abschuss einer Flugabwehrrakete auf ein ziviles Flugzeug ist mit größter Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Kriegsrechts, an das die ukrainische Regierung, die russische Regierung und die Rebellen gleichermaßen gebunden sind. Der Konflikt in der Ostukraine stellt tatsächlich einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt dar (also einen Krieg zwischen einer Regierung und einer aufständischen Bewegung), für den das humanitäre Völkerrecht gilt, das das absichtliche Zielen auf Zivilpersonen kategorisch verbietet. Mit anderen Worten, wenn derjenige, der die Rakete abgeschossen hat, dies in der Absicht tat, die zivilen Passagiere von MH17 zu töten, dann handelt es sich unmissverständlich um ein Kriegsverbrechen.
Aber auch wenn es das Ziel war, ein ukrainisches Transportflugzeug zu treffen, handelt es sich wahrscheinlich um ein Kriegsverbrechen. Ein wichtiger Grundsatz des Kriegsrechts, einschließlich des Rechts hinsichtlich nicht-internationaler bewaffneter Konflikte, ist das Prinzip der Unterscheidung - die Notwendigkeit, dass die kämpfenden Parteien zwischen zivilen und militärischen Zielen unterscheiden. In den Worten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes beinhaltet diese Sorgfaltspflicht, dass "alles Mögliche zu tun sei, um sicherzustellen, dass ein Ziel militärisch ist".
In diesem Fall hätten einiges getan werden können, um MH17 von einem militärischen Transportflugzeug zu unterscheiden, wie eine Sichtprüfung (zum Beispiel mit Ferngläsern), eine Radarsignaturanalyse oder eine Prüfung der Transpondercodesendung für Zivilflugzeuge. Wenn diese einfachen Regeln nicht beachtet wurden, was wahrscheinlich ist, würde auch ein unbeabsichtigter Angriff auf MH17 ein Kriegsverbrechen darstellen.
Ein niederländisches oder malaysisches Gericht oder sogar ein Sondergericht unter dem Dach der Vereinten Nationen (wie das, das sich 1988 mit dem Bombenanschlag auf den Pan Am-Flug in Lockerbie befasste), wird letztendlich bestimmen, wer rechtlich für den Abschuss von MH17 verantwortlich ist. Wenn die Tat jetzt als vermutliches Kriegsverbrechen bezeichnet wird - wie es der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Navi Pillay bereits getan hat - kann dies dazu beitragen, die unterschiedlichen Interpretationen aufeinander abzustimmen. Und noch wichtiger ist, dass dies eine Schlüsselrolle spielen kann bei der Sicherstellung der notwendigen politischen, diplomatischen und rechtlichen Unterstützung, um die Täter vor Gericht zu stellen.
Aus dem Englischen von Eva Göllner.