Wohin geht Europa's Rechte?

Überall in Europa sind die traditionellen Parteien des rechten Flügels in der Krise. Die britischen Torries scheinen sich auf einem mörderischen Marsch in ihre eigene Isolation zu befinden - und das in einem so kleinen Land wie England. In Frankreich hat sich mit dem Verbot seitens eines Enkels Charles de Gaulle's an die Gaullisten, sich Jean- Marie Le Pen's National Front anzuschließen, ein Bürgerkrieg in der Französischen Rechten aufgetan. Und sogar der ewig starre Block der Christdemokraten in Deutschland wird von einem abgrundtiefen Skandal erschüttert. Nur die extremen Rechten der Freiheits-Partei von Jörg Haider in Österreich befinden sich auf dem Vormasch. Ist die europäische Rechte nun zum Aussterben oder zum Extremismus verurteilt?

Ich bin weder ein Unterstützer der Rechten noch der Linken. Nichtsdestotrotz sollten die Unruhen der Rechten alle Demokraten zum Nachdenken bewegen, gerade weil sie sich nicht auf Europas Westen beschränken. Noch vor zwei Jahren habe ich den Professionalismus bewundert, mit dem die rechten Parteien Polens und Ungarns an die Macht kamen. Seitdem haben sie wie alle westlichen Konservativen in Europa beinahe alles verpfuscht, zumindest in politischen Angelegenheiten. Beide Bewegungen können sich heutzutage nur noch auf ca. 20% Unterstützung seitens der Bevölkerung berufen. Die sogenannten Post-Kommunisten dagegen beflügelt ein Zuspruch von ca. 70%.

Vielleicht kann man aus der kollabierenden Popularität der Rechten in unseren neuen Demokratien wie Polen und Ungarn etwas über den rechten Flügel in Europas alten Demokratien ableiten. Denn wie ihre westlichen Kollegen sind die polnischen wie auch ungarischen Konservativen gefangen zwischen ihrem immer mehr an Attraktivität verlierenden Neo-Liberalismus und ihren anachronistischen Gesellschaftstraditionen.

Fidesz in Ungarn und die Solidaritäts-Wähler-Gemeinschaft (AWS) in Polen konnten vor zwei Jahren die Macht nur aus einer Reaktion auf die post-kommunistischen Nachfolger erlangen. Während ihrer Amtszeiten haben die post-kommunistischen Parteien das Boot der Reformen weder immens ins Wanken gebracht noch die Demokratie bedroht. Trotzdem waren die Wähler bereit von den alten Bindungen Abschied zu nehmen: In den ersten Jahren des neuen Jahrzehnts war das Elektorat um ein Vielfaches jünger geworden, und die Verbesserungen gegenüber dem alten Regime wurden offensichtlich, nachdem die Rezession der frühen 90-er Jahre vorbei war und die Reformpolitik sich auszahlte. In der Tat waren die Völker Polens und Ungarns beinahe beschämt, den Postkommunisten einen Sieg in der zweiten Runde der demokratischen Wahlen in der Mitte der 90-er Jahre erlaubt zu haben.

Der rechte Flügel sah das Interregenum der Post-Kommunisten immer als eine Art "Schreckens-Zeit": eine Zeit, in der die Samen von Reformen eingehen würden. So lautete die bekräftigende Rhetorik der Rechten. Das war in keiner Weise mehr neo-liberal. Was wir hörten, war eine robuste Form des christlichen Konservativismus wie er seit de Gaulle, Adenauer und de Gasperi nicht mehr ertönt war. Dieser kommunitaristische Ton half, die Post-Kommunisten zu vertreiben.

Die Rechte in Poland und Ungarn nutzte zwar die kommunitaristische Rhetorik des christlichen Konservativismus', nachdem sie aber die Macht hatten, kehrten sie zu ihren Ausgangspunkten zurück und regierten wie Neo-Liberale. Wirtschaftlich gesehen waren die Folgen sehr positiv, politisch betrachtet jedoch ein Disaster. Denn die Menschen fragen heute: Wenn wir ein starkes Wachstum haben, warum ist dann die Arbeitslosigkeit so hoch? Warum befinden sich staatliche Schulen und das Gesundheitssystem in so schlechtem Zustand? Warum haben wir plötzlich eine so schwache soziale Unterschicht, wie wir sie - dargestellt in amerikanischen Großstädten - normalerweise in nur kommunistischen Propagandafilmen zu sehen bekamen?

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Als die Strapazen der politischen und wirtschaftlichen Umwälzung anhielten, trat eine allgemeine Ermüdung ein. Und diese Ermüdung von der liberalen Wirtschaft fand Resonanz in unseren Erinnerungen. Wir erinnerten uns an etwas, was man "Solidarität" nannte und uns versprach, daß wir alle gleich, alle zusammen Brüder waren und daß sich um jeden gekümmert werden würde. Das gemeinsame Gute besteht in der zivilen Gesellschaft: jeder würde Hilfe in den post-kommunistischen Demokratien erhalten. Obwohl einige die freie Marktwirtschaft und den liberalen Individualismus ernsthaft bezweifeln, fällt es wir uns schwer, diese gemeinschaftlichen Werte aufzugeben.

Unsere neuen Regierungen des rechten Flügels versprachen vor zwei Jahren, die Kälte des Wirtschaftsmarktes mit der Wärme des menschlichen Verständnisses zu beruhigen. Aber indem sie unbedingt auf dem Weg der Reformen bleiben wollten, verpaßten sie es, eine Sprache zu entdecken, die ihre Politik mit diesen Zielen in Einklang gebracht hätte. Die versprochene Wärme schien nichts als heiße politische Luft zu sein.

Die sogenannte Linke in Polen wie auch Ungarn bedient sich einer Sprache, die - von den Ex-Kommunisten entwickelt - so atembraubend zynisch, und dennoch effektiv ist. Sie ist eine Kopie der Sprache der Sozialdemokraten, die in Westeuropa so erfolgreich sind. Unsere Regierungen des rechten Flügels sind hilflos im emotionalen Ansprechen der Masse, weil sie viel zu vorsichtig gewesen sind, die populistische Sprache der radikalen Rechte zu benutzen. Ihre Worte haben nichts mit ihren Taten zu tun. Sie sprechen von Familie, Moral und Nation, ihre Politik allerdings orientiert sich an NATO-& und EU-Mitgliedschaft, an massiven ausländischen Investitionen, am internationalen Kapital und an der Globalisierung - alles Dinge, die die kommunitaristischen Werte der Rechten zu untergraben scheinen.

So sieht sich die Rechte in Polen und Ungarn ungefähr dem gleichen Dilemma der Parteien in Westeuropa gegenüber. Die große Frage ist: Wie soll eine Brücke zwischen dem Wirtschaftsmarkt und der Gemeinschaft geschlagen werden? Im Gegensatz zu dem englisch-sprachigen Teil der Welt, war der Liberalismus auf dem europäischen Kontinent nie wirklich populär und auch die Konservativen schienen sich immer an den patriotischen und religiösen Gefühlen ihrer Unterstützer orientiert zu haben. Die traditionelle Rechte sieht sich gefangen zwischen einerseits der populistischen Linie, die die Wähler noch immer anspricht, und andererseits einer liberalen Politik, auf die die modernen Regierungen auf der ganzen Welt bauen. Die Wahl, der sich die Konservativen Österreichs nun gegenüber sehen, scheint diese starke Dichotomie nur zu bestätigen. Haider ist nicht das historische Überbleibsel, das in den Bergen und Tälern Kärntens vergraben war, definitiv aber ein Vorzeichen für die Zukunft der Rechten auf dem europäischen Kontinent.

In jüngster Zeit hat es viel Gerede um eine "Krise der Linken" gegeben, als innerhalb der Labor-Partei Großbritaniens, der Sozialdemokraten Deutschlands und der Demokraten Amerikas ein Kampf zwischen ihren alten sozialistischen und neuen 'New-Deal'-Traditionen und den Anforderungen der modernen Wirtschaft entbrannte und die Parteien mit dem schwindenen Anteil von Gewerkschaften und anderen politischen Bastionen der alten Linken zurechtkommen mußten. Die Linke mag noch keine zufriedenstellende Antwort auf ihre mißliche Lage gefunden haben, aber mit pragmatisch-politischer Arbeit und Rhetorik ist es ihr zumindest gelungen, wieder in die politische Mitte zu rücken. Unterdessen ist der einst so unaufhaltsame Marsch der Wirtschaft, der Globalisierung und des Individualismus, den Thatcher und Reagan in Bewegung gesetzt hatten, abrupt zum Stehen gekommen. Und die kommunitaristischen Traditionen des rechten Flügels, bei denen oft ihre nationalistische Vergangenheit durchscheint, wird wahrscheinlich nicht leichter zu beleben sein als der außer Mode gekommene Sozialismus oder der New Deal-Populismus.

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