haldar9_DREW ANGERERPOOLAFP via Getty Images_trump hearing DREW ANGERER/POOL/AFP via Getty Images

Den Rechtsstaat mit Trumps Mitteln verteidigen

CAMBRIDGE – Im Fernsehen läuft gerade eine neue Show, die dem Begriff „Reality TV“ eine ganz neue Bedeutung verleiht. Nennen wir sie Demokratie in Amerika: Klar in akuter Gefahr. Jeder sollte sie sich ansehen.

Fast 18 Monate nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 veröffentlicht ein Ausschuss des US-Repräsentantenhauses die Ergebnisse seiner detaillierten Nachforschungen. Der Ausschuss hat über 1000 Zeugen befragt und 125 000 Dokumente geprüft. In seinem Versuch, den früheren Präsidenten Donald Trump zur Rechenschaft zu ziehen, hat er bisher sechs Anhörungen abgehalten.

Die stellvertretende Vorsitzende Liz Cheney, die prominentere der einzigen beiden republikanischen Abgeordneten, die zu einer Mitarbeit im Ausschuss bereit waren, hat die Schlussfolgerungen des Gremiums so zusammengefasst: „Präsident Trump hat den Mob bestellt, den Mob in Bewegung gesetzt und die Lunte für diesen Angriff entzündet.“ Der Ausschuss hat gezeigt, dass Donald Trump die Bitten seiner Berater, seine Anhänger zum Rückzug zu bewegen, ignoriert und es abgelehnt hat, Einheiten der Nationalgarde oder zusätzliche Polizisten zum Schutz des Kapitols anzufordern Wie diese und weitere Beweise zeigen, war der frühere Präsident viel direkter an diesem Aufstand beteiligt, als bisher bekannt. Trump hatte geradezu zu Gewalt aufgerufen. Das Bild, das der Ausschuss zeichnet, ist nicht das einer spontan handelnden Menge, sondern das eines vorab geplanten Angriffs auf die Demokratie.

Der früherer Bürgermeister von New York Rudy Giuliani und John Eastman, ein konservativer Jurist und Akademiker waren, wie es scheint, die „Gehirne“ hinter dem Putschversuch und klügelten den Plan aus, von dem sogar Trump wusste, dass er illegal war. Und die rechtsextremen Gruppen Proud Boys und Oath Keepers stellten die Muskelkraft. Ihr wichtigstes Ziel war es, den damaligen Vizepräsidenten Mike Pence davon abzuhalten, die Präsidentschaftswahl von 2020, in der Joe Biden Trump besiegt hatte, als rechtmäßig anzuerkennen. Es gibt Beweise, dass das Trump-Lager noch heute versucht, Beamte in bestimmten US-Bundesstaaten zu einer Änderung des Wahlergebnisses zu zwingen. Eine schockierende Aussage aus den Anhörungen in dieser Woche deutet darauf hin, dass sich Trump selbst dem Mob anschließen wollte.

Mehrere ehemals loyale Trump-Anhänger haben inzwischen gegen ihn ausgesagt. Der frühere Justizminister Bill Barr nannte Trumps Lügen über die Wahl „Quatsch“. Trumps Tochter Ivanka und sein Schwiegersohn Jared Kushner haben im Wesentlichen bestätigt, dass sie das Ergebnis akzeptieren (und wurden von Trumm dafür mit eine giftigen Hasstirade bedacht). Die erschreckende Aussage der Polizistin Caroline Edwards, in der sie beschrieb, wie sie in dem „Gemetzel“ im „Blut der Leute ausgerutscht“ ist, erinnerte daran, dass bei dem Angriff fünf Menschen starben und 140 Polizeibeamte verletzt wurden.

Der konservative Bundesrichter Michael Luttig nannte Trump eine „klare und akute Gefahr“ für die amerikanische Demokratie – und wendet sich dabei an die Republikanische Partei, die sich immer noch schützend vor den früheren Präsidenten stellt. Der Fraktionsvorsitzende der Republikaner Kevin McCarthy boykottiert die Anhörungen und die meisten Republikaner ignorieren sie und mauern. Trump bleibt die zentrale Figur der republikanischen Partei, wird weiterhin von der Mehrheit der Parteibasis unterstützt und wird sich 2024 womöglich erneut um die Präsidentschaft bewerben.

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Trumps politische Taktik ist ein Beleg für die Macht der Emotionen. Im Jahr 2016 sahen viele Experten Trump Wahlchancen skeptisch, weil dieser keine, für sie erkennbare, Strategie verfolgte. Sie suchten in seinen zusammenhangslosen Reden vergeblich nach Logik oder Fakten und übersahen dabei das emotionale Element in seinen Botschaften, mit dem er seine Wähler an sich bindet.

Laut dem Psychologen Paul Ekman gibt es sechs Basisemotionen: Furcht, Wut, Traurigkeit, Freude, Ekel und Überraschung. Für Trump ist eine davon – Wut – das, was für Mozart g-Moll war. Und er hat scheinbar das angeboren Talent, seine Wut auf seine Anhänger zu übertragen. Das war Trumps Meisterleistung im Wahlkampf 2016: er hat Fakten durch Gefühle ersetzt.

Der Streit, was beim Menschen an erster Stelle steht – „Fühlen“ oder „Denken“ hat die Psychologie in den 1980er-Jahren dominiert. Der Sozialpsychologe Robert Zajonc und der Psychologe Richard Lazarus gehörten zu den prominenten Teilnehmern an dieser hitzigen Debatte. Zajonc argumentierte überzeugend für ein „Primat der Affekte“ und konnte zeigen, dass bei der Entscheidungsfindung und in vielen anderen Fällen der Affekt (grob ausgedrückt: Gefühle) vor dem Denken kommt und die Rechtfertigung später nachgereicht wird.

In jüngerer Zeit argumentiert der Psychologe Jonathan Haidt von der New York University, dass „moralisches Handeln stärker mit moralischen Emotionen zusammenhängt, als mit moralischem Denken“ – oder anders formuliert: der emotionale Hund mit seinem rationalen Schwanz wedelt. Bei vielen Amerikanern hält Trump diesen Hund praktisch an der Leine. Im Gegensatz dazu und obwohl sich dieses Problem immer deutlicher zeigt, sind die meisten Liberalen in Amerika immer noch entschlossen, Emotionen zu unterdrücken und sich auf rationale Argumente zu konzentrieren. Deshalb kommen sie mit einem Messer zur Schießerei.

Emotionale Reaktionen sind von Natur aus schnell, automatisch und dominant – und meistens mächtiger als jede Überlegung. In seinem bahnbrechenden Werk Das Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tierenargumentierte Charles Darwin, dass unsere affektiven Reaktionen teilweise mit denen anderer Tiere übereinstimmen, in Sekundenbruchteilen entstehen und den existenziellen Überlebensinstinkten entspringen (zum Beispiel der Flucht vor einem Raubtier). Nach dem aktuellen Wissenstand der Psychologie „zeigen Organismen reflexartige Reaktionen, die es ihnen erlauben, auf Gefahren zu reagieren … und Gefühlsausdrücke sind Überreste dieser Reaktionen.“ Diesen Überlebensinstinkt spricht Trump an.

Das Erbe unserer tierischen Vorfahren verdammt uns aber nicht zur Knechtschaft unter unserer primitiven Instinkten. Der Philosoph David Hume war überzeugt, dass moralische Gefühle uns besser leiten als reine Logik. Auch wenn wir wissen, dass eine bestimmte Handlung vielen Menschen schaden kann, lassen wir uns von diesem Wissen nur dann lenken, wenn uns diese Menschen oder das menschliche Wohl etwas bedeuten.

Immer weniger Menschen interessieren sich noch für die Unruhen am Kapitol oder sind von Trumps Schuld überzeugt. Damit steht der Untersuchungsausschuss zum 6. Januar vor einer schwierigen Aufgabe. Indem es Trumps Taktik kopiert und auf die öffentliche Meinung zielt, setzt das Gremium aber zumindest die richtigen Prioritäten. Der Produktionswert der Anhörungen war großartig und anstatt sich auf logische Argumente zu verlassen hat der Ausschuss in einem mehrteiligen Dokudrama eine fesselnde Geschichte erzählt, die stark an unser Moralgefühl appelliert.

Rund 20 Millionen Amerikaner haben die erste Anhörung im Fernsehen verfolgt, was ungefähr der Einschaltquote der traditionellen Parade an Thanksgiving entspricht und weit über den 4,6 bis 7,6 Millionen Menschen liegt, die das Finale der aktuellen Staffel von Trumps Show The Apprentice gesehen haben. Der aktuelle Spielstand ist Trump: 0 – Rechtstaat: 1. Dieses immens wichtige Drama kann aber nur dann ein Erfolg werden, wenn es die Zuschauer weiter in seinem Bann hält.

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