bildt133_Tobias SchwarzGettyImages_rutte_vance Tobias Schwarz/Getty Images

Die transatlantische Welt wird nie mehr sein, wie sie war

STOCKHOLM – Es waren einmal Vereinigte Staaten, die den Wettstreit zwischen Demokratie und Autoritarismus als zentrale und entscheidende Frage betrachteten. Diese aus dem Inferno des Zweiten Weltkriegs entstandene Sichtweise schuf starke transatlantische Bindungen. Viele Jahrzehnte lang ging es in der amerikanisch-europäischen Allianz nicht nur um Sicherheit, sondern auch um Ideologie und gemeinsame Werte. Aus diesem Grund hielt die Beziehung auch 80 Jahre lang.

Mittlerweile allerdings fühlt sich die Welt, wie sie sich noch vor zwei Monaten präsentierte, dank US-Präsident Donald Trump bereits wie eine ferne Erinnerung an. Das Wesen des Westens verändert sich vor unseren Augen mit Lichtgeschwindigkeit. Die Disruption bricht so abrupt und unkontrollierbar über uns herein, dass viele meinen, ihren Anker verloren zu haben. Diese neue Realität wurde deutlich, als sich die USA am dritten Jahrestag der vollständigen russischen Invasion in der Ukraine Russland und einigen anderen geächteten autoritären Ländern anschlossen und gegen eine Resolution der UN-Generalversammlung stimmten, in der Russlands Aggression gegen die Ukraine verurteilt wurde. Das war ein Wendepunkt – ein Datum, das als Tag der Schande fortleben wird.

Die Konsequenzen der neuen US-Außenpolitik sind zweifellos tiefgreifend. Es lässt sich nicht leugnen, dass das transatlantische Sicherheitsbündnis brüchig wird. Die politischen Entscheidungsträger mögen sich bemüßigt fühlen, öffentlich darauf zu beharren, dass die alten gegenseitigen Verteidigungsverpflichtungen weiterhin Bestand haben. Doch davon lässt sich niemand täuschen - nicht einmal sie selbst. Die Glaubwürdigkeit des Bündnisses hängt von der Person im Weißen Haus ab, und diese Person verfügt über keinerlei Glaubwürdigkeit, wenn es um Fragen der transatlantischen Sicherheit geht.

Darüber hinaus erleben wir eine deutliche Abweichung gegenüber der ersten Regierung Trump, die zumindest die ideologische Ebene des transatlantischen Bündnisses weitgehend intakt hielt. Die Rede von Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz ließ jedoch erkennen, dass diesmal alles anders ist. Seine Botschaft löste Schockwellen in europäischen Kreisen für Sicherheit, Verteidigung und Außenpolitik aus. Vance tat nicht nur die Sicherheitsfragen, die die Nato seit einem Dreivierteljahrhundert prägen, als irrelevant ab, sondern zeichnete die ideologische Landkarte völlig neu, und zwar so, dass Europa und die USA gegeneinander in Stellung gebracht werden. Plötzlich wirkten die USA nicht mehr wie ein Verbündeter, sondern wie ein Gegner.

Die MAGA-Fundamentalisten („Make America Great Again“) im Zentrum der Trump-Administration befinden sich in einem Kulturkampf, der darauf abzielt, die amerikanische Gesellschaft zu verändern. Ihr Projekt besteht im Wesentlichen in einer reaktionären Gegenrevolution gegen liberale Tendenzen, die ihrer Meinung nach ihr Land ausgehöhlt haben. MAGA will eine Rückkehr zu einer militanteren, konservativeren und halb-isolationistischen Version des amerikanischen Exzeptionalismus. Insofern hat der Kampf, der MAGA definiert, nichts mit dem Wettstreit zwischen Demokratie und Autoritarismus zu tun. Diese Begriffe spielen in ihren Erzählungen kaum eine Rolle.

Angesichts der Art ihres Kulturkampf-Projekts betrachtet MAGA Europa als Gegner. Vance, der seine Rhetorik an die der europäischen Rechtsextremisten angepasst hat, argumentiert, Europa sei „in Gefahr, zivilisatorischen Selbstmord zu begehen.“ In ähnlicher Weise hat Trumps wichtigster Geldgeber und Berater, Elon Musk, offen für rechtsextreme Parteien in Deutschland und Großbritannien geworben. In Zukunft werden wir mit ziemlicher Sicherheit mehr Unterstützung dieser Art in Ländern wie Polen und Rumänien sehen (wo ein Gericht im vergangenen Jahr das Ergebnis der ersten Wahlrunde für ungültig erklärte und dabei auf russische Einmischung verwies). Da MAGA-Ideologen offene, liberale europäische Gesellschaften als verlängerte Arme ihrer Feinde im eigenen Land betrachten, ist ihre Unterstützung für illiberale, antidemokratische Kräfte vollkommen logisch.

Introductory Offer: Save 30% on PS Digital
PS_Digital_1333x1000_Intro-Offer1

Introductory Offer: Save 30% on PS Digital

Access every new PS commentary, our entire On Point suite of subscriber-exclusive content – including Longer Reads, Insider Interviews, Big Picture/Big Question, and Say More – and the full PS archive.

Subscribe Now

Sie haben auch eine grundlegend andere Sicht auf Russland. Es ist kein Zufall, dass ihre Rhetorik oft an die des Regimes des russischen Präsidenten Wladimir Putin erinnert (manchmal fast wortwörtlich). Sowohl MAGA als auch Putin stehen für aggressiven Nationalismus und Feindseligkeit gegenüber liberalen Werten; beide schwadronieren endlos über Souveränität und die Rolle starker Führungspersönlichkeiten und starker Nationen bei der Gestaltung der Zukunft. Ob im Kreml oder im Weißen Haus, die sogenannten Globalisten sind der Feind.

Während die US-Regierung unter Biden sich offensichtlich einen Regimewechsel in Russland wünschte – auch wenn dies nie als offizielles politisches Ziel formuliert wurde – strebt die Trump-Administration einen Regimewechsel in Europa an. Europa gilt nicht mehr als Verbündeter, sondern als Feind. Und auch wenn Russland (noch) kein vollwertiger Verbündeter der USA sein mag, ist das Land auch kein Gegner. Putins Regime hat eine engere ideologische Affinität zur derzeitigen US-Regierung als die Europäer es jemals haben werden.

Wenn es für die transatlantische Welt noch Hoffnung gibt, dann liegt sie in der Tatsache, dass die USA nicht in sich geschlossen sind. Entgegen seiner Behauptungen verfügt Trump über kein Mandat für seine Handlungen. Doch angesichts der starken Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft ist ihr politischer Kurs nicht so leicht vorherzusagen. Selbst wenn eine teilweise Rückkehr zur alten Ordnung noch möglich ist, werden die Kräfte, die die reaktionäre Gegenrevolution vorantreiben, noch jahrelang präsent sein.

Die Welt wird dies zur Kenntnis nehmen und ihre Politik entsprechend gestalten müssen. Die Europäer können das Beste hoffen, sollten sich aber auf das Schlimmste vorbereiten. Was einst undenkbar schien – Amerika, ein Schurkenstaat – ist inzwischen nur allzu wahrscheinlich geworden.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/3mV5rrjde