HONGKONG – Nach der globalen Finanzkrise von 2008 schien die Welt bereit, eine echte Reform des internationalen Währungssystems in Angriff zu nehmen. Doch die versprochenen strukturellen Änderungen blieben aus. Und die jüngsten Frühjahrstagungen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank legten nahe, dass die aktuellen wirtschaftlichen Turbulenzen ähnlich wenig verändern werden.
Als die Krise von 2008 das globale Finanzsystem erschütterte, unternahmen die politischen Entscheidungsträger radikale Maßnahmen zu seiner Stabilisierung. Über die Rettung in Zahlungsschwierigkeiten steckender Banken in den USA, dem Epizentrum der Krise, hinaus wurde die Liquidität durch eine quantitative Lockerung großen Umfangs und Devisenswaps seitens der Notenbanken ausgeweitet. Die Legitimität des internationalen Währungssystems wurde durch die Ausweitung der Entscheidungsfindung von der G7 auf die G20 gestärkt.
Der offensichtliche nächste Schritt war eine Regulierungsreform mit dem Ziel, künftige Krisen zu verhindern. Zu diesem Zweck wurden dem Finanzstabilitätsrat (FSB) – einem internationalen Gremium, das sich auf die Ermittlung und Förderung solider Regulierungs-, Aufsichts- und sonstiger Politiken innerhalb des Finanzsektors konzentriert – zusätzliche Befugnisse übertragen. Zum Beispiel drängte der FSB auf höhere Kapital- und Liquiditätsanforderungen für Banken und Obergrenzen für die Gesamtschuldenquote.
Doch wichtige Reformen – etwa die Versuche des FSB zur Ausweitung der Aufsicht auf Finanzmittler, bei denen es sich nicht um Banken handelt – wurden durch den Widerstand der Finanzwelt vereitelt. In ähnlicher Weise wurden in den USA die nach der Krise eingerichteten strengeren Regulierungsvorgaben wieder abgeschwächt.
Derweil hat die massive Ausweitung der Geldmenge, die die Weltwirtschaft zunächst stützte, neue Risiken hervorgebracht, und die anhaltend ultraniedrigen Zinsen ermutigen zu kurzfristiger Spekulation und heizen Vermögensblasen an, ohne die langfristige Produktivität zu steigern. Laut dem McKinsey Global Institute verdreifachte sich das Gesamtvermögen von 2000-2020, wobei der Wert der weltweiten finanziellen Vermögenswerte und Schulden inzwischen doppelt so hoch ist wie der des Realvermögens. Zugleich kam es zu einer deutlichen Konzentration im Finanzsektor und bei den Vermögen.
Und jetzt droht eine Serie neuer Erschütterungen – bedingt durch die Pandemie, den Anstieg der Inflation und der Zinsen sowie den Krieg in der Ukraine –, weitere Turbulenzen auszulösen. Laut der Zwischenstaatlichen Gruppe der Vierundzwanzig für internationale Währungsangelegenheiten und Entwicklung (G-24) umfassen die drängendsten Herausforderungen die Überschuldung von Schwellen- und Entwicklungsländern, die Impfgerechtigkeit, der steile Anstieg der Inflation und zunehmende Risiken für die Finanzstabilität.
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Die Bemühungen, diesen dringenden Herausforderungen zu begegnen, sind weitgehend Stückwerk. So bewilligte im vergangen August der IWF eine allgemeine Zuteilung von Sonderziehungsrechten (die Reservewährung des Fonds) im Gegenwert von 650 Milliarden Dollar, was die Mittel des IWF beträchtlich erhöhte. Doch ist die Nachfrage nach Finanzmitteln exponentiell gestiegen. Wie die Geschäftsführende Direktorin des Fonds Kristalina Georgieva bei den jüngsten Tagungen zugab, haben 60 % aller Länder, darunter mindestens 20 in Schwarzafrika, Schuldenlasten von über 50 % vom BIP und sind überschuldet oder zumindest beinahe überschuldet.
Der durch den Krieg in der Ukraine bedingte starke Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise, der die Schwellen- und Entwicklungsländer besonders hart trifft, dürfte die Situation noch verschlimmern. Argentinien, Ägypten, der Libanon und Sri Lanka befinden sich bereits in dringenden Verhandlungen über Hilfen mit dem IWF. Was die Ukraine angeht, so hat der IWF dieser 1,4 Milliarden Dollar an Nothilfen zur Verfügung gestellt, doch braucht das Land braucht mindestens fünf Milliarden Dollar monatlich, um eine funktionierende Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Und dabei ist der Wiederaufbau nach dem Krieg noch gar nicht inbegriffen.
Grundlegender ist, dass „dringend“ und „wichtig“ nicht dasselbe sind. Und es stellen sich zudem einige wichtige Fragen zum Thema Strukturreformen, mit deren Beantwortung der IWF und seine mächtigsten Stakeholder noch nicht einmal begonnen haben. Die vielleicht grundlegendste ist, ob das derzeitige auf dem US-Dollar basierende System, das nach dem Zweiten Weltkrieg entworfen wurde, weiterhin globale öffentliche Güter bereitstellen kann.
Dieses System hat, was die Förderung der Globalisierung, des Handels, der Finanzialisierung und des Gesamtwachstums anging, während der weitgehend friedlichen Phase nach dem Zweiten Weltkrieg, einschließlich der angespannten Zeit des Kalten Krieges, mit Sicherheit gut funktioniert. Aber es ist nicht dafür konzipiert, die vom Klimawandel, Pandemien, rapider technologischer Innovation, zunehmender Ungleichheit, einem langfristigen demografischen Wandel und sich verschärfenden geopolitischen Konflikten ausgehenden komplexen Herausforderungen zu bewältigen. Und mit Sicherheit ist es nicht auf eine multipolare Weltordnung ausgelegt.
Der Welt wurde ein neutrales internationales Währungssystem versprochen, das durch eine stabile, von einem globalen Hegemon ausgestellte Reservewährung gestützt war. Doch angesichts der Tatsache, dass der US-Dollar nun im Rahmen von Sanktionen als Waffe eingesetzt wird, ist überdeutlich geworden, dass das aktuelle System alles andere als neutral ist.
Zudem sind die USA nicht mehr der globale Hegemon. Es scheint der Weltordnung nun bestimmt zu sein, sich in zwei Blöcke mit jeweils eigenen Sicherheitsstrukturen, Lieferketten, Technologien und Finanzsysteme zu spalten. In jedem Fall kommt es, wie Bernard Snoy et d’Oppuers in einem in Kürze erscheinenden Buch erläutert, wenn eine nationale Währung als Weltwährung fungiert zu mindestens sechs Arten von Instabilität: nämlich ökologischer, wirtschaftlicher, sozialer, finanzieller, politischer und ideologischer Instabilität.
Der Aufbau eines stabileren internationalen Währungssystems verlangt eine Umstellung auf eine wirklich globale Währung. Gestützt auf die Palais-Royal-Initiative des Jahres 2011 bieten sich dabei die Sonderziehungsrechte als offensichtlichster Kandidat an. Doch die USA, die beim IWF den größten Einfluss haben, würden nicht zustimmen, den Fonds in eine Quasi-Notenbank mit der Macht zur Ausstellung einer supranationalen Währung umzugestalten, die Amerikas „exorbitantes Privileg“ untergraben würde.
Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass eine andere nationale Währung den Dollar in absehbarer Zeit ersetzt, gibt es zwei andere Wege, um die Dominanz des Dollars als Zahlungsmittel und Wertspeicher zu verringern: digitale Währungen und die Schaffung und Ausweitung nicht-dollargestützter Zahlungssysteme (die Fedwire, SWIFT, Euroclear usw. ersetzen).
Das internationale Währungssystem ist so nicht aufrechtzuerhalten. Wir können es entweder jetzt reformieren oder warten, bis uns eine katastrophale Krise – eine Schuldenkrise der Schwellen- und Entwicklungsländer in der Größenordnung der lateinamerikanischen und asiatischen Finanzkrisen der 1980er und 1990er Jahre, eine weltweite Depression wie in den 1930er Jahren oder ein Krieg zwischen Großmächten – zum Handeln zwingt.
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Since Plato’s Republic 2,300 years ago, philosophers have understood the process by which demagogues come to power in free and fair elections, only to overthrow democracy and establish tyrannical rule. The process is straightforward, and we have now just watched it play out.
observes that philosophers since Plato have understood how tyrants come to power in free elections.
Despite being a criminal, a charlatan, and an aspiring dictator, Donald Trump has won not only the Electoral College, but also the popular vote – a feat he did not achieve in 2016 or 2020. A nihilistic voter base, profit-hungry business leaders, and craven Republican politicians are to blame.
points the finger at a nihilistic voter base, profit-hungry business leaders, and craven Republican politicians.
HONGKONG – Nach der globalen Finanzkrise von 2008 schien die Welt bereit, eine echte Reform des internationalen Währungssystems in Angriff zu nehmen. Doch die versprochenen strukturellen Änderungen blieben aus. Und die jüngsten Frühjahrstagungen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank legten nahe, dass die aktuellen wirtschaftlichen Turbulenzen ähnlich wenig verändern werden.
Als die Krise von 2008 das globale Finanzsystem erschütterte, unternahmen die politischen Entscheidungsträger radikale Maßnahmen zu seiner Stabilisierung. Über die Rettung in Zahlungsschwierigkeiten steckender Banken in den USA, dem Epizentrum der Krise, hinaus wurde die Liquidität durch eine quantitative Lockerung großen Umfangs und Devisenswaps seitens der Notenbanken ausgeweitet. Die Legitimität des internationalen Währungssystems wurde durch die Ausweitung der Entscheidungsfindung von der G7 auf die G20 gestärkt.
Der offensichtliche nächste Schritt war eine Regulierungsreform mit dem Ziel, künftige Krisen zu verhindern. Zu diesem Zweck wurden dem Finanzstabilitätsrat (FSB) – einem internationalen Gremium, das sich auf die Ermittlung und Förderung solider Regulierungs-, Aufsichts- und sonstiger Politiken innerhalb des Finanzsektors konzentriert – zusätzliche Befugnisse übertragen. Zum Beispiel drängte der FSB auf höhere Kapital- und Liquiditätsanforderungen für Banken und Obergrenzen für die Gesamtschuldenquote.
Doch wichtige Reformen – etwa die Versuche des FSB zur Ausweitung der Aufsicht auf Finanzmittler, bei denen es sich nicht um Banken handelt – wurden durch den Widerstand der Finanzwelt vereitelt. In ähnlicher Weise wurden in den USA die nach der Krise eingerichteten strengeren Regulierungsvorgaben wieder abgeschwächt.
Derweil hat die massive Ausweitung der Geldmenge, die die Weltwirtschaft zunächst stützte, neue Risiken hervorgebracht, und die anhaltend ultraniedrigen Zinsen ermutigen zu kurzfristiger Spekulation und heizen Vermögensblasen an, ohne die langfristige Produktivität zu steigern. Laut dem McKinsey Global Institute verdreifachte sich das Gesamtvermögen von 2000-2020, wobei der Wert der weltweiten finanziellen Vermögenswerte und Schulden inzwischen doppelt so hoch ist wie der des Realvermögens. Zugleich kam es zu einer deutlichen Konzentration im Finanzsektor und bei den Vermögen.
Und jetzt droht eine Serie neuer Erschütterungen – bedingt durch die Pandemie, den Anstieg der Inflation und der Zinsen sowie den Krieg in der Ukraine –, weitere Turbulenzen auszulösen. Laut der Zwischenstaatlichen Gruppe der Vierundzwanzig für internationale Währungsangelegenheiten und Entwicklung (G-24) umfassen die drängendsten Herausforderungen die Überschuldung von Schwellen- und Entwicklungsländern, die Impfgerechtigkeit, der steile Anstieg der Inflation und zunehmende Risiken für die Finanzstabilität.
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Der durch den Krieg in der Ukraine bedingte starke Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise, der die Schwellen- und Entwicklungsländer besonders hart trifft, dürfte die Situation noch verschlimmern. Argentinien, Ägypten, der Libanon und Sri Lanka befinden sich bereits in dringenden Verhandlungen über Hilfen mit dem IWF. Was die Ukraine angeht, so hat der IWF dieser 1,4 Milliarden Dollar an Nothilfen zur Verfügung gestellt, doch braucht das Land braucht mindestens fünf Milliarden Dollar monatlich, um eine funktionierende Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Und dabei ist der Wiederaufbau nach dem Krieg noch gar nicht inbegriffen.
Grundlegender ist, dass „dringend“ und „wichtig“ nicht dasselbe sind. Und es stellen sich zudem einige wichtige Fragen zum Thema Strukturreformen, mit deren Beantwortung der IWF und seine mächtigsten Stakeholder noch nicht einmal begonnen haben. Die vielleicht grundlegendste ist, ob das derzeitige auf dem US-Dollar basierende System, das nach dem Zweiten Weltkrieg entworfen wurde, weiterhin globale öffentliche Güter bereitstellen kann.
Dieses System hat, was die Förderung der Globalisierung, des Handels, der Finanzialisierung und des Gesamtwachstums anging, während der weitgehend friedlichen Phase nach dem Zweiten Weltkrieg, einschließlich der angespannten Zeit des Kalten Krieges, mit Sicherheit gut funktioniert. Aber es ist nicht dafür konzipiert, die vom Klimawandel, Pandemien, rapider technologischer Innovation, zunehmender Ungleichheit, einem langfristigen demografischen Wandel und sich verschärfenden geopolitischen Konflikten ausgehenden komplexen Herausforderungen zu bewältigen. Und mit Sicherheit ist es nicht auf eine multipolare Weltordnung ausgelegt.
Der Welt wurde ein neutrales internationales Währungssystem versprochen, das durch eine stabile, von einem globalen Hegemon ausgestellte Reservewährung gestützt war. Doch angesichts der Tatsache, dass der US-Dollar nun im Rahmen von Sanktionen als Waffe eingesetzt wird, ist überdeutlich geworden, dass das aktuelle System alles andere als neutral ist.
Zudem sind die USA nicht mehr der globale Hegemon. Es scheint der Weltordnung nun bestimmt zu sein, sich in zwei Blöcke mit jeweils eigenen Sicherheitsstrukturen, Lieferketten, Technologien und Finanzsysteme zu spalten. In jedem Fall kommt es, wie Bernard Snoy et d’Oppuers in einem in Kürze erscheinenden Buch erläutert, wenn eine nationale Währung als Weltwährung fungiert zu mindestens sechs Arten von Instabilität: nämlich ökologischer, wirtschaftlicher, sozialer, finanzieller, politischer und ideologischer Instabilität.
Der Aufbau eines stabileren internationalen Währungssystems verlangt eine Umstellung auf eine wirklich globale Währung. Gestützt auf die Palais-Royal-Initiative des Jahres 2011 bieten sich dabei die Sonderziehungsrechte als offensichtlichster Kandidat an. Doch die USA, die beim IWF den größten Einfluss haben, würden nicht zustimmen, den Fonds in eine Quasi-Notenbank mit der Macht zur Ausstellung einer supranationalen Währung umzugestalten, die Amerikas „exorbitantes Privileg“ untergraben würde.
Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass eine andere nationale Währung den Dollar in absehbarer Zeit ersetzt, gibt es zwei andere Wege, um die Dominanz des Dollars als Zahlungsmittel und Wertspeicher zu verringern: digitale Währungen und die Schaffung und Ausweitung nicht-dollargestützter Zahlungssysteme (die Fedwire, SWIFT, Euroclear usw. ersetzen).
Das internationale Währungssystem ist so nicht aufrechtzuerhalten. Wir können es entweder jetzt reformieren oder warten, bis uns eine katastrophale Krise – eine Schuldenkrise der Schwellen- und Entwicklungsländer in der Größenordnung der lateinamerikanischen und asiatischen Finanzkrisen der 1980er und 1990er Jahre, eine weltweite Depression wie in den 1930er Jahren oder ein Krieg zwischen Großmächten – zum Handeln zwingt.
Aus dem Englischen von Jan Doolan