NEW YORK/HONGKONG – Dass in vielen Industrieländern die Inflation zurückgekehrt ist, scheint die Zentralbanken überrascht zu haben und ist schnell zur größten wirtschaftlichen Sorge der Menschen geworden. Jetzt ist zwar geldpolitische Straffung nötig, aber auch die Rolle struktureller Faktoren muss beachtet werden. Neben pandemiebedingten Unterbrechungen der Lieferketten und hohen Energie- und Lebensmittelpreisen – verstärkt durch den Krieg in der Ukraine – müssen die Politiker insbesondere auch die Folgen der Deglobalisierung berücksichtigen.
Während der beiden Jahrzehnte vor der Finanzkrise von 2008 schien die Globalisierung unaufhaltsam gewesen zu sein. Der Umfang des globalen Handels stieg über doppelt so schnell wie das weltweite BIP. Und die Liberalisierung von Handel und Investitionen in den Entwicklungsregionen Asiens, Lateinamerikas sowie Ost- und Mitteleuropas trug dazu bei, dass die grenzüberschreitende Neuverteilung der Herstellungsprozesse von Vor- und Endprodukten einen Boom erlebte.
Die Hyperglobalisierung dieser Zeit – und insbesondere die Integration Chinas in die weltweiten Handels- und Investitionsportfolios – trug dazu bei, den Inflationsdruck in den Industrieländern zu verringern. Als beispielsweise die jährliche US-Gesamtinflation bei etwa 2% lag, lag die Wareninflation häufig bei nur -1%. Und während die US-Importpreise für Produktionsgüter aus industrialisierten Ländern zwischen 1990 und 2008 um 33% gestiegen sind, lag dieser Wert für Waren aus Entwicklungsländern lediglich bei 3,4%. Die geringsten Preissteigerungen gab es bei Produkten, die weitgehend aus China importiert wurden.
Dieser Deflationsdruck aus China ließ sich auf anhaltende wirtschaftliche Reformen des Landes und Investitionen internationaler Konzerne zurückführen. Anfang der 1990er lagen die durchschnittlichen Zölle in China noch bei über 40%. Bis 2001, dem Beitrittsjahr des Landes zur Welthandelsorganisation, gingen sie auf 15% zurück, und in den Folgejahren weiter auf etwa 8%. Durch die wirtschaftliche Liberalisierung und den Zugang zu den Weltmärkten wurden chinesische Unternehmer angespornt, die wachsenden Möglichkeiten durch die Gründung neuer Firmen zu nutzen.
Unterdessen hat die chinesische Förderung ausländischer Direktinvestitionen – gemeinsam mit den niedrigen Arbeitskosten und der relativ guten Infrastruktur im Land – internationale Konzerne angezogen. Dies hat China wiederum dabei geholfen, sich zu einem der größten Empfänger ausländischer Direktinvestitionen und zur „Werkbank der Welt“ zu entwickeln. In der meisten Zeit der letzten drei Jahrzehnte war ein Drittel bis die Hälfte aller chinesischen Exporte auf ausländische Unternehmen zurückzuführen.
Dadurch, dass die Globalisierung teurere Inlandsprodukte durch kostengünstige Importe ersetzen konnte, hatte sie auf die Industrieländer einen direkten deflatorischen Effekt. Außerdem hat sie dazu beigetragen, im Inland hergestellte Waren wettbewerbsfähiger zu machen und die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer zu schwächen.
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Aber US-Präsident Donald Trump hat durch seine Serie von Handelskriegen – und insbesondere seine Zollerhöhungen für Importe aus China in den Jahren 2018 und 2019 – der Globalisierung einen schweren Schlag versetzt. Durch diese Maßnahmen wurden die US-Preise sowohl direkt als auch indirekt in die Höhe getrieben: Der direkte Effekt ist, dass die US-Haushalte heute für chinesische Waren erheblich mehr bezahlen müssen. Und zu den indirekten Folgen gehören höhere Preise für US-Importe aus anderen Ländern und für andere Waren oder Dienstleistungen.
Auch die Regierung von US-Präsident Joe Biden hat Trumps Zölle nicht wieder abgeschafft, da sie den Vorwurf fürchtet, sie gehe mit China zu sanft um. Tatsächlich hat sich – inmitten steigender geopolitischer Spannungen und Sorgen über die nationale Sicherheit – der Deglobalisierungsdruck in den USA und anderswo sogar noch erhöht.
Anscheinend inspiriert von diesen US-Maßnahmen haben auch viele andere Länder kürzlich Importzölle oder andere Handelsbarrieren eingeführt, was auch dort zu Preissteigerungsdruck führt. Auch Pläne der USA und einiger europäischer Länder, Unternehmen Anreize dafür zu bieten, ihre Produktion ins Inland zurück zu bringen oder ihre Lieferketten in verbündete Länder zu verlagern, werden zu höheren Inlandspreisen führen.
Unterdessen verfolgt China schon lange eine Industriepolitik der zunehmenden „Eigenständigkeit“. Auch ihre jüngste Strategie der „zwei Kreisläufe“ zur Wachstumsförderung mithilfe von Angebot und Nachfrage aus dem Inland wird – insbesondere im Technologiesektor – zu ähnlichen Preiseffekten führen.
Obwohl sich die Ankündigungen der Deglobalisierung nun tatsächlich in Politik verwandeln, werden die inflationären Folgen erst längerfristig spürbar sein. 2019 hat Kristin Forbes, ein ehemaliges Mitglied der geldpolitischen Kommission der Bank of England, eine wichtige Frage gestellt: Wenn es die deflationären Effekte der Globalisierung den großen Zentralbanken erleichtert haben, niedrige Inflation anzustreben und durchzusetzen, wird die zunehmende Deglobalisierung dann den entgegen gesetzten Effekt haben?
Sollte die Deglobalisierung ungebremst weitergehen, müssten die Zentralbanken die Geldpolitik vielleicht stärker straffen als geplant. Deglobalisierungsmaßnahmen eines Landes könnten dazu führen, dass andere seinem Beispiel folgen, was eine Verzerrung der globalen Produktions- und Handelsmuster zur Folge haben und allen Ländern schaden würde. Daher braucht die Welt einige globale Regeln, um die staatliche Politik in diesen Bereichen zu disziplinieren – Regeln, die am sinnvollsten über die WTO und die G20 durchgesetzt werden können.
Ein gemeinsamer Ansatz wie dieser würde den inflationären Einfluss der Deglobalisierung begrenzen und die Notwendigkeit für die Zentralbanken verringern, zu hart auf die Bremse treten zu müssen. Dies könnte dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit einer globalen Rezession – oder zumindest die Gefährlichkeit eines eventuellen Abschwungs – zu verringern.
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At the end of a year of domestic and international upheaval, Project Syndicate commentators share their favorite books from the past 12 months. Covering a wide array of genres and disciplines, this year’s picks provide fresh perspectives on the defining challenges of our time and how to confront them.
ask Project Syndicate contributors to select the books that resonated with them the most over the past year.
NEW YORK/HONGKONG – Dass in vielen Industrieländern die Inflation zurückgekehrt ist, scheint die Zentralbanken überrascht zu haben und ist schnell zur größten wirtschaftlichen Sorge der Menschen geworden. Jetzt ist zwar geldpolitische Straffung nötig, aber auch die Rolle struktureller Faktoren muss beachtet werden. Neben pandemiebedingten Unterbrechungen der Lieferketten und hohen Energie- und Lebensmittelpreisen – verstärkt durch den Krieg in der Ukraine – müssen die Politiker insbesondere auch die Folgen der Deglobalisierung berücksichtigen.
Während der beiden Jahrzehnte vor der Finanzkrise von 2008 schien die Globalisierung unaufhaltsam gewesen zu sein. Der Umfang des globalen Handels stieg über doppelt so schnell wie das weltweite BIP. Und die Liberalisierung von Handel und Investitionen in den Entwicklungsregionen Asiens, Lateinamerikas sowie Ost- und Mitteleuropas trug dazu bei, dass die grenzüberschreitende Neuverteilung der Herstellungsprozesse von Vor- und Endprodukten einen Boom erlebte.
Die Hyperglobalisierung dieser Zeit – und insbesondere die Integration Chinas in die weltweiten Handels- und Investitionsportfolios – trug dazu bei, den Inflationsdruck in den Industrieländern zu verringern. Als beispielsweise die jährliche US-Gesamtinflation bei etwa 2% lag, lag die Wareninflation häufig bei nur -1%. Und während die US-Importpreise für Produktionsgüter aus industrialisierten Ländern zwischen 1990 und 2008 um 33% gestiegen sind, lag dieser Wert für Waren aus Entwicklungsländern lediglich bei 3,4%. Die geringsten Preissteigerungen gab es bei Produkten, die weitgehend aus China importiert wurden.
Dieser Deflationsdruck aus China ließ sich auf anhaltende wirtschaftliche Reformen des Landes und Investitionen internationaler Konzerne zurückführen. Anfang der 1990er lagen die durchschnittlichen Zölle in China noch bei über 40%. Bis 2001, dem Beitrittsjahr des Landes zur Welthandelsorganisation, gingen sie auf 15% zurück, und in den Folgejahren weiter auf etwa 8%. Durch die wirtschaftliche Liberalisierung und den Zugang zu den Weltmärkten wurden chinesische Unternehmer angespornt, die wachsenden Möglichkeiten durch die Gründung neuer Firmen zu nutzen.
Unterdessen hat die chinesische Förderung ausländischer Direktinvestitionen – gemeinsam mit den niedrigen Arbeitskosten und der relativ guten Infrastruktur im Land – internationale Konzerne angezogen. Dies hat China wiederum dabei geholfen, sich zu einem der größten Empfänger ausländischer Direktinvestitionen und zur „Werkbank der Welt“ zu entwickeln. In der meisten Zeit der letzten drei Jahrzehnte war ein Drittel bis die Hälfte aller chinesischen Exporte auf ausländische Unternehmen zurückzuführen.
Dadurch, dass die Globalisierung teurere Inlandsprodukte durch kostengünstige Importe ersetzen konnte, hatte sie auf die Industrieländer einen direkten deflatorischen Effekt. Außerdem hat sie dazu beigetragen, im Inland hergestellte Waren wettbewerbsfähiger zu machen und die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer zu schwächen.
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Aber US-Präsident Donald Trump hat durch seine Serie von Handelskriegen – und insbesondere seine Zollerhöhungen für Importe aus China in den Jahren 2018 und 2019 – der Globalisierung einen schweren Schlag versetzt. Durch diese Maßnahmen wurden die US-Preise sowohl direkt als auch indirekt in die Höhe getrieben: Der direkte Effekt ist, dass die US-Haushalte heute für chinesische Waren erheblich mehr bezahlen müssen. Und zu den indirekten Folgen gehören höhere Preise für US-Importe aus anderen Ländern und für andere Waren oder Dienstleistungen.
Auch die Regierung von US-Präsident Joe Biden hat Trumps Zölle nicht wieder abgeschafft, da sie den Vorwurf fürchtet, sie gehe mit China zu sanft um. Tatsächlich hat sich – inmitten steigender geopolitischer Spannungen und Sorgen über die nationale Sicherheit – der Deglobalisierungsdruck in den USA und anderswo sogar noch erhöht.
Anscheinend inspiriert von diesen US-Maßnahmen haben auch viele andere Länder kürzlich Importzölle oder andere Handelsbarrieren eingeführt, was auch dort zu Preissteigerungsdruck führt. Auch Pläne der USA und einiger europäischer Länder, Unternehmen Anreize dafür zu bieten, ihre Produktion ins Inland zurück zu bringen oder ihre Lieferketten in verbündete Länder zu verlagern, werden zu höheren Inlandspreisen führen.
Unterdessen verfolgt China schon lange eine Industriepolitik der zunehmenden „Eigenständigkeit“. Auch ihre jüngste Strategie der „zwei Kreisläufe“ zur Wachstumsförderung mithilfe von Angebot und Nachfrage aus dem Inland wird – insbesondere im Technologiesektor – zu ähnlichen Preiseffekten führen.
Obwohl sich die Ankündigungen der Deglobalisierung nun tatsächlich in Politik verwandeln, werden die inflationären Folgen erst längerfristig spürbar sein. 2019 hat Kristin Forbes, ein ehemaliges Mitglied der geldpolitischen Kommission der Bank of England, eine wichtige Frage gestellt: Wenn es die deflationären Effekte der Globalisierung den großen Zentralbanken erleichtert haben, niedrige Inflation anzustreben und durchzusetzen, wird die zunehmende Deglobalisierung dann den entgegen gesetzten Effekt haben?
Sollte die Deglobalisierung ungebremst weitergehen, müssten die Zentralbanken die Geldpolitik vielleicht stärker straffen als geplant. Deglobalisierungsmaßnahmen eines Landes könnten dazu führen, dass andere seinem Beispiel folgen, was eine Verzerrung der globalen Produktions- und Handelsmuster zur Folge haben und allen Ländern schaden würde. Daher braucht die Welt einige globale Regeln, um die staatliche Politik in diesen Bereichen zu disziplinieren – Regeln, die am sinnvollsten über die WTO und die G20 durchgesetzt werden können.
Ein gemeinsamer Ansatz wie dieser würde den inflationären Einfluss der Deglobalisierung begrenzen und die Notwendigkeit für die Zentralbanken verringern, zu hart auf die Bremse treten zu müssen. Dies könnte dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit einer globalen Rezession – oder zumindest die Gefährlichkeit eines eventuellen Abschwungs – zu verringern.
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff