STOCKHOLM: Der Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen die Ukraine geht nun schon ins dritte Jahr, und es stellt sich zunehmend die Frage, ob ein Frieden oder ein Sieg überhaupt möglich ist.
Viel hängt natürlich davon ab, wie man diese Begriffe definiert. Putins erklärtes Ziel ist es, die Ukraine als unabhängigen Nationalstaat zu eliminieren und der russischen Kontrolle zu unterwerfen. Doch nach zweieinhalb Jahren und einer massiven Mobilisierung von militärischen Ressourcen und Soldaten kontrolliert Russland weiterhin nur etwa 18 % des ukrainischen Staatsgebiets, und der größte Teil davon wurde bereits 2014 erobert. Gemessen an Putins Kriegszielen war die Invasion ein kläglicher Fehlschlag.
Könnte sich das ändern? Damit ein russischer Sieg auch nur im Entferntesten möglich wäre, müsste der Westen jede Form der Unterstützung – sowohl finanziell als auch militärisch – für die Ukraine einstellen, und das ukrainische Volk müsste seinen Widerstandswillen verlieren. Ohne eines dieser Ergebnisse – oder wahrscheinlich sogar beide – scheint Putins Kriegsziel unerreichbar.
Es gibt keine Anzeichen, dass der Willen der Ukrainer schwindet. Zwar gibt eine Minderheit der Befragten in Meinungsumfragen an, dass sie als Preis für die Beendigung des Krieges gewisse territoriale Zugeständnisse akzeptieren könnte, doch würden diese Verluste bei weitem nicht ausreichen, um die Ukraine von der Landkarte zu tilgen.
Die vielen Milliarden Dollar, die aus Europa, den USA und anderen Ländern in die Ukraine geflossen sind, waren von entscheidender Bedeutung, und es stellt sich in der Tat die Frage, ob diese Unterstützung fortgesetzt würde, wenn der ehemalige US-Präsident Donald Trump im November wieder das Weiße Haus erobern sollte. Man darf jedoch nicht vergessen, dass die noch größeren Summen, die von der EU kommen, im Schnitt kaum mehr als 0,3 % vom BIP der einzelnen Mitgliedstaaten ausmachen. Da es keine Anzeichen dafür gibt, dass der politische Wille der Europäer nachlässt, ließe sich diese Unterstützung bei Bedarf vielleicht erhöhen.
Darüber hinaus nimmt die europäische Munitionsproduktion zu und wird im nächsten Jahr voraussichtlich zwei Millionen Geschosse erreichen. Russland hingegen scheint Schwierigkeiten zu haben, seine Produktion zu steigern, und ist zunehmend auf Munition aus Nordkorea angewiesen.
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Dies ist Teil eines größeren Musters. Die russischen Streitkräfte haben es seit den ersten Kriegswochen durchweg nicht geschafft, erfolgreiche groß angelegte Offensivoperationen durchzuführen. Sie haben es zwar versucht und in diesem Sommer Charkiw ins Visier genommen, aber sie sind immer wieder gescheitert. Der Großteil der russischen Vormärsche erfolgte durch Zerstörung kleinerer Städte.
Natürlich hatte auch die ukrainische Armee ihre Schwierigkeiten. Im Jahr 2022 gelang es ihr, Russland um Cherson und Charkiw zurückzudrängen, doch ihre mit Spannung erwartete Gegenoffensive im Sommer 2023 scheiterte spektakulär. Die plötzliche Offensive in der russischen Region Kursk im vergangenen Monat allerdings hat neue und beeindruckende Fähigkeiten gezeigt und die Welt an den schieren Kampfgeist und die Anpassungsfähigkeit der ukrainischen Streitkräfte erinnert.
Wie es aussieht, hat die ukrainische Armee jedoch kaum eine Chance, das von Russland besetzte Gebiet zurückzuerobern. Sie könnte den Erfolg der Kursk-Operation durchaus anderswo entlang der Front wiederholen, was wichtige politische Auswirkungen hätte, aber es wird schwierig sein, darüberhinausgehende nachhaltige Ergebnisse zu erzielen.
Solange Putin und sein innerer Kreis glauben, dass sie die Ukrainer und ihre westlichen Unterstützer zermürben und ihren Willen brechen können, werden sie den Krieg fortsetzen. Doch wenn ihnen dämmert, dass dies nicht gelingen wird und dass sich Russland auf einem Weg immer schnelleren Niedergangs befindet, werden sich die Dinge ändern. Das wird zwar wahrscheinlich nicht mehr in diesem Jahr geschehen, aber ist 2025 nicht unwahrscheinlich. Dann kann man sich vielleicht eine Art Zwischenlösung vorstellen, die die Kämpfe beendet, ohne dass eine der beiden Seiten einen „Sieg“ erringt.
Ein dauerhafter Frieden jedoch ist schwieriger vorstellbar. Ich glaube nicht, dass er möglich ist, solange nicht zwei Bedingungen erfüllt sind. Erstens müsste Putin seine Macht verlieren. Er kontrolliert den Kreml und die russische Gesellschaft mit eisernem Griff, und er ist viel zu sehr seiner imperialen Besessenheit verhaftet, als dass er je einen echten Frieden akzeptieren würde. Zweitens muss die Zukunft der Ukraine durch die Mitgliedschaft in der EU und verlässliche westliche Sicherheitsvereinbarungen fest abgesichert werden.
Dann, und nur dann, könnte ein Frieden möglich sein. Ein solches Ergebnis wäre nicht nur ein Sieg für die Ukraine, sondern auch für Russland. Befreit von selbstzerstörerischen imperialen Projekten könnte es endlich daran arbeiten, ein normaler, wohlhabender Nationalstaat des 21. Jahrhunderts zu werden.
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Despite being a criminal, a charlatan, and an aspiring dictator, Donald Trump has won not only the Electoral College, but also the popular vote – a feat he did not achieve in 2016 or 2020. A nihilistic voter base, profit-hungry business leaders, and craven Republican politicians are to blame.
points the finger at a nihilistic voter base, profit-hungry business leaders, and craven Republican politicians.
Shell-shocked Europeans will be tempted to hunker down and hope that Donald Trump does not make good on his most extreme threats, like sweeping import tariffs and quitting NATO. But this would be a catastrophic mistake; Europeans must swallow their pride and try to capitalize on Trump’s craving for admiration.
outlines a strategy for EU leaders to win over the next US president and mitigate the threat he represents.
Anders Åslund
considers what the US presidential election will mean for Ukraine, says that only a humiliating loss in the war could threaten Vladimir Putin’s position, urges the EU to take additional steps to ensure a rapid and successful Ukrainian accession, and more.
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STOCKHOLM: Der Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen die Ukraine geht nun schon ins dritte Jahr, und es stellt sich zunehmend die Frage, ob ein Frieden oder ein Sieg überhaupt möglich ist.
Viel hängt natürlich davon ab, wie man diese Begriffe definiert. Putins erklärtes Ziel ist es, die Ukraine als unabhängigen Nationalstaat zu eliminieren und der russischen Kontrolle zu unterwerfen. Doch nach zweieinhalb Jahren und einer massiven Mobilisierung von militärischen Ressourcen und Soldaten kontrolliert Russland weiterhin nur etwa 18 % des ukrainischen Staatsgebiets, und der größte Teil davon wurde bereits 2014 erobert. Gemessen an Putins Kriegszielen war die Invasion ein kläglicher Fehlschlag.
Könnte sich das ändern? Damit ein russischer Sieg auch nur im Entferntesten möglich wäre, müsste der Westen jede Form der Unterstützung – sowohl finanziell als auch militärisch – für die Ukraine einstellen, und das ukrainische Volk müsste seinen Widerstandswillen verlieren. Ohne eines dieser Ergebnisse – oder wahrscheinlich sogar beide – scheint Putins Kriegsziel unerreichbar.
Es gibt keine Anzeichen, dass der Willen der Ukrainer schwindet. Zwar gibt eine Minderheit der Befragten in Meinungsumfragen an, dass sie als Preis für die Beendigung des Krieges gewisse territoriale Zugeständnisse akzeptieren könnte, doch würden diese Verluste bei weitem nicht ausreichen, um die Ukraine von der Landkarte zu tilgen.
Die vielen Milliarden Dollar, die aus Europa, den USA und anderen Ländern in die Ukraine geflossen sind, waren von entscheidender Bedeutung, und es stellt sich in der Tat die Frage, ob diese Unterstützung fortgesetzt würde, wenn der ehemalige US-Präsident Donald Trump im November wieder das Weiße Haus erobern sollte. Man darf jedoch nicht vergessen, dass die noch größeren Summen, die von der EU kommen, im Schnitt kaum mehr als 0,3 % vom BIP der einzelnen Mitgliedstaaten ausmachen. Da es keine Anzeichen dafür gibt, dass der politische Wille der Europäer nachlässt, ließe sich diese Unterstützung bei Bedarf vielleicht erhöhen.
Darüber hinaus nimmt die europäische Munitionsproduktion zu und wird im nächsten Jahr voraussichtlich zwei Millionen Geschosse erreichen. Russland hingegen scheint Schwierigkeiten zu haben, seine Produktion zu steigern, und ist zunehmend auf Munition aus Nordkorea angewiesen.
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Dies ist Teil eines größeren Musters. Die russischen Streitkräfte haben es seit den ersten Kriegswochen durchweg nicht geschafft, erfolgreiche groß angelegte Offensivoperationen durchzuführen. Sie haben es zwar versucht und in diesem Sommer Charkiw ins Visier genommen, aber sie sind immer wieder gescheitert. Der Großteil der russischen Vormärsche erfolgte durch Zerstörung kleinerer Städte.
Natürlich hatte auch die ukrainische Armee ihre Schwierigkeiten. Im Jahr 2022 gelang es ihr, Russland um Cherson und Charkiw zurückzudrängen, doch ihre mit Spannung erwartete Gegenoffensive im Sommer 2023 scheiterte spektakulär. Die plötzliche Offensive in der russischen Region Kursk im vergangenen Monat allerdings hat neue und beeindruckende Fähigkeiten gezeigt und die Welt an den schieren Kampfgeist und die Anpassungsfähigkeit der ukrainischen Streitkräfte erinnert.
Wie es aussieht, hat die ukrainische Armee jedoch kaum eine Chance, das von Russland besetzte Gebiet zurückzuerobern. Sie könnte den Erfolg der Kursk-Operation durchaus anderswo entlang der Front wiederholen, was wichtige politische Auswirkungen hätte, aber es wird schwierig sein, darüberhinausgehende nachhaltige Ergebnisse zu erzielen.
Solange Putin und sein innerer Kreis glauben, dass sie die Ukrainer und ihre westlichen Unterstützer zermürben und ihren Willen brechen können, werden sie den Krieg fortsetzen. Doch wenn ihnen dämmert, dass dies nicht gelingen wird und dass sich Russland auf einem Weg immer schnelleren Niedergangs befindet, werden sich die Dinge ändern. Das wird zwar wahrscheinlich nicht mehr in diesem Jahr geschehen, aber ist 2025 nicht unwahrscheinlich. Dann kann man sich vielleicht eine Art Zwischenlösung vorstellen, die die Kämpfe beendet, ohne dass eine der beiden Seiten einen „Sieg“ erringt.
Ein dauerhafter Frieden jedoch ist schwieriger vorstellbar. Ich glaube nicht, dass er möglich ist, solange nicht zwei Bedingungen erfüllt sind. Erstens müsste Putin seine Macht verlieren. Er kontrolliert den Kreml und die russische Gesellschaft mit eisernem Griff, und er ist viel zu sehr seiner imperialen Besessenheit verhaftet, als dass er je einen echten Frieden akzeptieren würde. Zweitens muss die Zukunft der Ukraine durch die Mitgliedschaft in der EU und verlässliche westliche Sicherheitsvereinbarungen fest abgesichert werden.
Dann, und nur dann, könnte ein Frieden möglich sein. Ein solches Ergebnis wäre nicht nur ein Sieg für die Ukraine, sondern auch für Russland. Befreit von selbstzerstörerischen imperialen Projekten könnte es endlich daran arbeiten, ein normaler, wohlhabender Nationalstaat des 21. Jahrhunderts zu werden.
Aus dem Englischen von Jan Doolan