NEW YORK – Der amerikanische Komiker Tony Hinchcliffe sorgte in den Tagen vor der US-Präsidentschaftswahl mit seinen Witzen bei Donald Trumps Wahlkampfveranstaltung im New Yorker Madison Square Garden für einen Skandal. Als Auftakt zu einem von der New York Times so bezeichneten „Karneval des Grolls“ beleidigte Hinchcliffe Puerto Rico („schwimmende Müllinsel“), Latinos (es gäbe zu „viele von ihnen“, die „gerne Babys machen“), schwarze Menschen (Wassermelonenesser), Palästinenser (Steinewerfer) und so weiter.
Viele Menschen, nicht nur Liberale und Minderheiten, waren empört. Sie gingen sogar davon aus, diese Art von Fanatismus würde Trumps Gewinnchancen schmälern – Latinos würden sicherlich alle für Kamala Harris stimmen. Sie lagen falsch. Hinchcliffes Humor half Trump, oder schadete ihm zumindest nicht: 46 Prozent der selbstausgewiesenen hispanischen Wählerschaft gaben ihre Stimme für ihn ab.
Der 40-jährige Hinchcliffe, der in einem problematischen Teil von Ohio aufwuchs und jetzt in Texas lebt, schockiert gerne. Sein Stil fällt unter die Kategorie „Beleidigungskomik“. Seine Art von Humor besteht darin, Prominente und auch das Publikum vorzuführen.
Diese Art von Comedy hat in den USA eine lange Tradition. Hinchcliffe ist ein großer Bewunderer des verstorbenen jüdischen Komikers Don Rickles, der auch als „Merchant of Venom“ bekannt ist. Rickles beleidigte jeden, von Italienern, Polen, Schwarzen und Juden bis hin zu seinen prominenten Freunden, darunter Dean Martin und Frank Sinatra, und sogar sich selbst. Aber seine augenzwinkernden Dementis sorgten dafür, dass nur wenige Menschen ernsthaft Anstoß nahmen.
Ein viel bissigerer und provokanterer Künstler als Rickles war Lenny Bruce, ein Stand-up-Comedian, der absichtlich pöbelte und herabsetzende Bemerkungen machte, um die Scheinheiligkeit einer Gesellschaft zu entlarven, die auf verbale Schicklichkeit bestand, aber gleichzeitig rassistische Beleidigungen, Polizeigewalt und politische Korruption tolerierte. Bruce wurde 1961 verhaftet, weil er in seiner Show „obszöne“ Worte verwendet hatte. Obwohl er freigesprochen wurde, erhielt er Auftrittsverbot im Fernsehen und wurde bis zu seinem Tod fünf Jahre später von der Polizei verfolgt.
Am meisten lag Bruce an der Redefreiheit. Seiner Meinung nach bestand die Aufgabe eines Komikers darin, die Grenzen des guten Geschmacks und der gesellschaftlichen Konventionen zu überschreiten. Hinchcliffe sieht das genauso. „Ich bin der Meinung, dass sich Komiker niemals für einen Witz entschuldigen sollten, dass sie mit ihrer Arbeit nie aufhören sollten, auch wenn alle auf sie losgehen, und dass sie sich niemals selbst einbremsen sollten“, erklärte er in einem Interview im April.
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Doch zwischen Bruce und Hinchcliffe besteht ein entscheidender Unterschied. Bruce kam aus der Jazz-Szene, der seine Darbietungen dem Free Jazz nachempfand und sich in die Gegenkultur der Beat-Poeten, der Black Music und der sexuellen Revolution vertiefte. Er wurde von Kunstschaffenden und Intellektuellen unterstützt, die sich als Teil einer „progressiven“ Avantgarde sahen.
Hinchcliffe hingegen gab seine Bemerkungen auf einer Kundgebung der Republikanischen Partei zum Besten. Bei den Menschen, die ihm zujubelten, handelte es sich ganz und gar nicht um Progressive. Vielmehr haben sie sich ungeniert hinter Trump gestellt, der Einwanderer als „Kriminelle“ und „Vergewaltiger“ bezeichnet, erfundene Geschichten über haitianische Amerikaner wiederholt, die angeblich Haustiere essen, und davon spricht, seine Gegner einzusperren und seine Kritiker zu vernichten. Wie andere Medienstars in der Trump-Welt möchte Hinchcliffe sich die Freiheit nehmen, ein Fanatiker zu sein, und das ist meilenweit von Bruces Plädoyer für mehr Toleranz entfernt.
Aber Bruce als progressiv und Hinchcliffe als konservativ zu betrachten, geht am Thema vorbei. Hinchcliffe ist, wie Trump, keineswegs konservativ, sondern ein Rebell gegen ein selbstgerechtes Establishment – ähnlich wie Bruce, der es auf die Mächtigen, die Geschäftsleute, die Moralapostel und die Spießer abgesehen hatte. In gewisser Weise gilt das auch für Hinchcliffe, der die Eliten verärgert, die Amerikas Universitäten, Medienorganisationen, Verlage, Museen, Stiftungen und NGOs dominieren.
Trump-Wähler fühlen sich von diesen privilegierten urbanen Akademikern größtenteils ausgeschlossen und verachtet. Bei ihnen handelt es sich um die „Erbärmlichen“, um Hillary Clintons berüchtigten Ausdruck zu zitieren, die den von elitären Institutionen vereinnahmten Ansichten zu Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und sozialer Gerechtigkeit nichts abgewinnen können und es leid sind, belehrt und herablassend behandelt zu werden.
Trumps Sieg ist kein Triumph des Konservatismus, sondern das genaue Gegenteil. Es ist eine Rebellion der kulturell Enteigneten, die sich durch einen selbsternannten Außenseiter, der radikale Veränderungen verspricht, politisch gestärkt fühlen. Diese Gruppe umfasst auch Hispanics, die nicht als Latinx bezeichnet werden wollen, und nicht wenige schwarze Männer gehören auch dazu.
Trump ist selbst eine Art Beleidigungskomiker. Die Derbheit seiner Witze ist der Grund, warum ihn so viele Menschen mögen. Und je mehr sich die New York Times und andere Organe des kulturellen Establishments über seine Eskapaden empören, desto größer wird seine Anziehungskraft.
Viele, über Trumps Wahlsieg zu Recht bestürzte Liberale könnten versucht sein, die Schuld auf den Rassismus und die Engstirnigkeit seiner Wähler zu schieben. Doch das wäre ein schwerer Fehler. Die Demokraten werden das Vertrauen weiter Teile der amerikanischen Wählerschaft außerhalb der Groß- und Universitätsstädte nicht zurückgewinnen können, solange sie als Partei der Eliten gelten. Und ohne die Unterstützung von Menschen ohne Hochschulabschluss, Evangelikalen und Wählergruppen aus ländlichen Gebieten sind die Demokraten dem Untergang geweiht.
Liberale müssen die Frage der sozialen Schicht stärker in den Vordergrund stellen als ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht und Sexualität. Dieser Kulturkrieg mag urbane Wählerschichten interessieren, wird aber die Politik auf nationaler Ebene nicht wesentlich beeinflussen. Es gab Anzeichen dafür, dass Harris das verstanden hatte. Sie spielte ihren eigenen Hintergrund herunter und hielt sich weitgehend an Themen, die die Menschen in deren Alltag beschäftigen.
Allerdings zu wenig und auch zu spät. Schon allein ihre Kandidatur – als farbige Frau, die in letzter Minute als Ersatz ins Rennen geschickt wurde – schürte die Rebellion gegen das kulturelle Establishment. Hinchcliffes Humor ist in der Tat erbärmlich. Doch der Empörung darüber Ausdruck zu verleihen, ist weniger hilfreich, als zu verstehen, warum er die Menschen zum Lachen bringt.
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While the Democrats have won some recent elections with support from Silicon Valley, minorities, trade unions, and professionals in large cities, this coalition was never sustainable. The party has become culturally disconnected from, and disdainful of, precisely the voters it needs to win.
thinks Kamala Harris lost because her party has ceased to be the political home of American workers.
NEW YORK – Der amerikanische Komiker Tony Hinchcliffe sorgte in den Tagen vor der US-Präsidentschaftswahl mit seinen Witzen bei Donald Trumps Wahlkampfveranstaltung im New Yorker Madison Square Garden für einen Skandal. Als Auftakt zu einem von der New York Times so bezeichneten „Karneval des Grolls“ beleidigte Hinchcliffe Puerto Rico („schwimmende Müllinsel“), Latinos (es gäbe zu „viele von ihnen“, die „gerne Babys machen“), schwarze Menschen (Wassermelonenesser), Palästinenser (Steinewerfer) und so weiter.
Viele Menschen, nicht nur Liberale und Minderheiten, waren empört. Sie gingen sogar davon aus, diese Art von Fanatismus würde Trumps Gewinnchancen schmälern – Latinos würden sicherlich alle für Kamala Harris stimmen. Sie lagen falsch. Hinchcliffes Humor half Trump, oder schadete ihm zumindest nicht: 46 Prozent der selbstausgewiesenen hispanischen Wählerschaft gaben ihre Stimme für ihn ab.
Der 40-jährige Hinchcliffe, der in einem problematischen Teil von Ohio aufwuchs und jetzt in Texas lebt, schockiert gerne. Sein Stil fällt unter die Kategorie „Beleidigungskomik“. Seine Art von Humor besteht darin, Prominente und auch das Publikum vorzuführen.
Diese Art von Comedy hat in den USA eine lange Tradition. Hinchcliffe ist ein großer Bewunderer des verstorbenen jüdischen Komikers Don Rickles, der auch als „Merchant of Venom“ bekannt ist. Rickles beleidigte jeden, von Italienern, Polen, Schwarzen und Juden bis hin zu seinen prominenten Freunden, darunter Dean Martin und Frank Sinatra, und sogar sich selbst. Aber seine augenzwinkernden Dementis sorgten dafür, dass nur wenige Menschen ernsthaft Anstoß nahmen.
Ein viel bissigerer und provokanterer Künstler als Rickles war Lenny Bruce, ein Stand-up-Comedian, der absichtlich pöbelte und herabsetzende Bemerkungen machte, um die Scheinheiligkeit einer Gesellschaft zu entlarven, die auf verbale Schicklichkeit bestand, aber gleichzeitig rassistische Beleidigungen, Polizeigewalt und politische Korruption tolerierte. Bruce wurde 1961 verhaftet, weil er in seiner Show „obszöne“ Worte verwendet hatte. Obwohl er freigesprochen wurde, erhielt er Auftrittsverbot im Fernsehen und wurde bis zu seinem Tod fünf Jahre später von der Polizei verfolgt.
Am meisten lag Bruce an der Redefreiheit. Seiner Meinung nach bestand die Aufgabe eines Komikers darin, die Grenzen des guten Geschmacks und der gesellschaftlichen Konventionen zu überschreiten. Hinchcliffe sieht das genauso. „Ich bin der Meinung, dass sich Komiker niemals für einen Witz entschuldigen sollten, dass sie mit ihrer Arbeit nie aufhören sollten, auch wenn alle auf sie losgehen, und dass sie sich niemals selbst einbremsen sollten“, erklärte er in einem Interview im April.
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Hinchcliffe hingegen gab seine Bemerkungen auf einer Kundgebung der Republikanischen Partei zum Besten. Bei den Menschen, die ihm zujubelten, handelte es sich ganz und gar nicht um Progressive. Vielmehr haben sie sich ungeniert hinter Trump gestellt, der Einwanderer als „Kriminelle“ und „Vergewaltiger“ bezeichnet, erfundene Geschichten über haitianische Amerikaner wiederholt, die angeblich Haustiere essen, und davon spricht, seine Gegner einzusperren und seine Kritiker zu vernichten. Wie andere Medienstars in der Trump-Welt möchte Hinchcliffe sich die Freiheit nehmen, ein Fanatiker zu sein, und das ist meilenweit von Bruces Plädoyer für mehr Toleranz entfernt.
Aber Bruce als progressiv und Hinchcliffe als konservativ zu betrachten, geht am Thema vorbei. Hinchcliffe ist, wie Trump, keineswegs konservativ, sondern ein Rebell gegen ein selbstgerechtes Establishment – ähnlich wie Bruce, der es auf die Mächtigen, die Geschäftsleute, die Moralapostel und die Spießer abgesehen hatte. In gewisser Weise gilt das auch für Hinchcliffe, der die Eliten verärgert, die Amerikas Universitäten, Medienorganisationen, Verlage, Museen, Stiftungen und NGOs dominieren.
Trump-Wähler fühlen sich von diesen privilegierten urbanen Akademikern größtenteils ausgeschlossen und verachtet. Bei ihnen handelt es sich um die „Erbärmlichen“, um Hillary Clintons berüchtigten Ausdruck zu zitieren, die den von elitären Institutionen vereinnahmten Ansichten zu Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und sozialer Gerechtigkeit nichts abgewinnen können und es leid sind, belehrt und herablassend behandelt zu werden.
Trumps Sieg ist kein Triumph des Konservatismus, sondern das genaue Gegenteil. Es ist eine Rebellion der kulturell Enteigneten, die sich durch einen selbsternannten Außenseiter, der radikale Veränderungen verspricht, politisch gestärkt fühlen. Diese Gruppe umfasst auch Hispanics, die nicht als Latinx bezeichnet werden wollen, und nicht wenige schwarze Männer gehören auch dazu.
Trump ist selbst eine Art Beleidigungskomiker. Die Derbheit seiner Witze ist der Grund, warum ihn so viele Menschen mögen. Und je mehr sich die New York Times und andere Organe des kulturellen Establishments über seine Eskapaden empören, desto größer wird seine Anziehungskraft.
Viele, über Trumps Wahlsieg zu Recht bestürzte Liberale könnten versucht sein, die Schuld auf den Rassismus und die Engstirnigkeit seiner Wähler zu schieben. Doch das wäre ein schwerer Fehler. Die Demokraten werden das Vertrauen weiter Teile der amerikanischen Wählerschaft außerhalb der Groß- und Universitätsstädte nicht zurückgewinnen können, solange sie als Partei der Eliten gelten. Und ohne die Unterstützung von Menschen ohne Hochschulabschluss, Evangelikalen und Wählergruppen aus ländlichen Gebieten sind die Demokraten dem Untergang geweiht.
Liberale müssen die Frage der sozialen Schicht stärker in den Vordergrund stellen als ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht und Sexualität. Dieser Kulturkrieg mag urbane Wählerschichten interessieren, wird aber die Politik auf nationaler Ebene nicht wesentlich beeinflussen. Es gab Anzeichen dafür, dass Harris das verstanden hatte. Sie spielte ihren eigenen Hintergrund herunter und hielt sich weitgehend an Themen, die die Menschen in deren Alltag beschäftigen.
Allerdings zu wenig und auch zu spät. Schon allein ihre Kandidatur – als farbige Frau, die in letzter Minute als Ersatz ins Rennen geschickt wurde – schürte die Rebellion gegen das kulturelle Establishment. Hinchcliffes Humor ist in der Tat erbärmlich. Doch der Empörung darüber Ausdruck zu verleihen, ist weniger hilfreich, als zu verstehen, warum er die Menschen zum Lachen bringt.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier