CHICAGO – Seit der Gründung der Vereinigten Staaten sind die Amerikaner besorgt, dass ihre Präsidenten zu Diktatoren (oder in früheren Zeiten zu Tyrannen) werden könnten. Die Verfasser der US-Verfassung wussten, dass in klassischen Demokratien und Republiken die Regierenden oft versuchten, die Macht von der Legislative und anderen Versammlungen zu übernehmen. Aus diesem Grund schufen sie ein System gegenseitiger Kontrolle der Regierungsgewalt.
So weit, so gut. Kein amerikanischer Präsident war jemals ein Diktator. Dennoch ist es zu einem alle vier Jahre wiederkehrenden Ritual geworden, den Kandidaten des anderen Lagers zu beschuldigen, diktatorische Vollmachten anzustreben. Dieses Ritual hat dieses Mal schon sehr früh begonnen. In einem weit verbreiteten Kommentar in der Washington Post wiederholte Robert Kagan letzte Woche seine frühere Vorhersage, dass der ehemalige Präsident Donald Trump ein faschistischer Führer werden würde, und warnte, dass er ein Diktator werden würde, wenn er 2024 wiedergewählt würde. Kagan verglich einen Wahlsieg Trumps mit einem Asteroiden, der auf der Erde einschlägt, und griff damit den viel belächelten Kommentar von Michael Anton auf, der einen Wahlsieg Hillary Clintons 2016 mit einem Selbstmordanschlag auf ein Passagierflugzeug verglich.
Donald Trump war und ist vieles, und das meiste davon ist schlecht. Aber er war kein Faschist, als er Präsident war, und er wird kein Diktator sein, wenn er ein zweites Mal gewählt wird. Während seiner gesamten letzten Amtszeit war Trump alles andere als ein starker Mann. Seine wichtigsten Errungenschaften – eine Steuersenkung, ein Konjunkturpaket während der Pandemie und die Ernennung konservativer (aber größtenteils allgemein akzeptierte) Richter – durchliefen alle die normalen verfassungsrechtlichen Verfahren unter voller Einbeziehung des Kongresses. In der Zwischenzeit hat der Kongress Trumps Versprechen, den Affordable Care Act („Obamacare“) abzuschaffen und eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu errichten, vereitelt.
Selbst Trumps bemerkenswerteste Versuche, im Alleingang zu handeln ‑ die Beendigung des Einwanderungsprogramms „Deferred Action for Childhood Arrivals“, die Aufnahme einer Frage nach dem Staatsbürgerschaftsstatus in die Volkszählung und die Kürzung von Umweltvorschriften ‑ wurden von den Gerichten blockiert oder als Reaktion auf gerichtliche Anfechtungen abgeschwächt. Trumps eigene Untergebene missachteten seine Befehle, um Ermittlungen gegen seine Aktivitäten zu blockieren und schikanöse Klagen gegen seine Gegner anzustrengen. Und Trumps folgenreichste außenpolitische Entscheidungen, wie der Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und dem Atomabkommen mit dem Iran, standen ganz in der Tradition der präsidialen Autorität in diesen Bereichen.
Trump war ein schwacher Präsident, weil die meisten Wähler ihn nicht mochten. Jeder Demokrat und sogar einige Republikaner konnten es sich leisten, gegen ihn zu sein. Da er nicht in der Lage war, eine Mehrheit in der Bevölkerung hinter sich zu bringen, konnte er nur so tun, als ob. Er versuchte zwar, die Justiz einzuschüchtern, scheiterte jedoch in diesen Bemühungen. „Meine Richter“, wie er sie nannte, entschieden immer wieder gegen ihn, wenn er die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl 2020 anzweifelte. Er war nicht in der Lage, die riesige föderale Bürokratie dazu zu bringen, nach seiner Pfeife zu tanzen, weil er nicht die Weisheit und die Geduld hatte, sie zu führen.
Trump hat versucht, die Wahl 2020 zu kippen, indem er Lügen verbreitete und den Mob aufstachelte. Doch er scheiterte auf ganzer Linie, erneut vereitelt von seinen engsten Mitarbeitern, den Gerichten und Wahlbeamten beider Parteien. Heute stehen Trump und seine Gefolgsleute unter Anklage, seinen Anwälten drohen Disziplinarverfahren und Hunderte seiner Anhänger wurden zu Haftstrafen verurteilt.
Kagan entgegnet, dass es dieses Mal anders sei. Die Heritage Foundation, eine führende rechtsgerichtete Denkfabrik, hat eine Liste mit Tausenden von Rechtsradikalen erstellt, die in der Bundesbürokratie, insbesondere im Justizministerium, Positionen einnehmen sollen, die Trump durch ein neuartiges juristisches Manöver frei gemacht hat. Sie hat auch eine konservative Wunschliste namens Projekt 2025 erstellt. Aber die Vorstellung, dass Trump den Vorschlägen und Weißbüchern von Denkfabriken Beachtung schenken wird, ist abwegig ‑ hat denn niemand etwas gelernt?
Kagan hat gute Gründe für die Annahme, dass Trump Ermittlungen und Prozesse gegen seine politischen Gegner anordnen wird ‑ ein typischer Schachzug aus dem Spielbuch des Diktators. In der Tat hat Trump damit gedroht und versprochen, unter anderem seinen eigenen ehemaligen Generalstaatsanwalt William Barr und seinen ehemaligen Stabschef John Kelly strafrechtlich zu verfolgen.
Aber wenn wir etwas über Trump gelernt haben, dann, dass wir seine Versprechen mit Vorsicht genießen sollten. Schließlich hat er Hillary Clinton nie „eingesperrt“, und er hat bereits versucht, die Bundesbürokratie mit dem berüchtigten „Schedule F“-Erlass gegen Ende seiner Amtszeit zu leeren. Außer bürokratischer Verwirrung ist dabei nichts herausgekommen.
Das Problem für Trump und seine engsten Vertrauten ist, dass es einfach nicht genügend fähige rechtsgerichtete Juristen und Politiker gibt, die in eine für sie unbekannte Behörde kommen und sie effektiv umgestalten könnten. Behördenleiter, die widersprüchliche Befehle erhalten, die drakonische Politik Trumps umzusetzen und Tausende von erfahrenen Mitarbeitern durch Mitläufer zu ersetzen, werden wahrscheinlich weder das eine noch das andere erreichen und stattdessen in Klagen von entlassenen Mitarbeitern verwickelt werden.
Zudem hat Trump bereits angekündigt, dass er keine Anwälte der Federalist Society in seiner Regierung haben will, da sich zu viele von ihnen, darunter seine beiden Generalstaatsanwälte Jeff Sessions und William Barr, die sich als dem Land loyaler erwiesen haben als ihm. Aber wo soll er dann juristischen Sachverstand finden? Da sich die Federalist Society als Hauptquelle für ehrgeizige konservative Anwälte etabliert hat, hat sich Trump auf einen verschwindend kleinen Pool von Talenten festgelegt.
Dass ein Präsident die Bundesbürokratie nicht einfach herumkommandieren kann, weiß Trump nicht und kümmert ihn auch nicht. Ein Präsident muss schmeicheln, Kompromisse schließen und um Gnade betteln können. Aber selbst wenn Trump das tut, werden die Ermittler und Staatsanwälte der Regierung nicht gegen Leute wie Barr und Kelly vorgehen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Sollten sie doch dazu gezwungen werden, ist mit massenhaften Rücktritten, Leaks, öffentlichen Verurteilungen und einem großen Medienrummel zu rechnen. Die Richter werden die Fälle ablehnen und die Geschworenen werden sie nicht verurteilen. Kagan glaubt, wenn Trump seine aktuellen Prozesse gewinnt, werden die Richter Angst haben, gegen ihn zu entscheiden, sollte er Präsident werdn. Beide überschätzen Trumps gegenwärtige juristische Bedrohung und unterschätzen die Integrität der Justiz.
Machen wir uns nichts vor: Eine zweite Amtszeit Trumps wird nicht schön. Man kann zwar (wieder) mit Unruhen rechnen, aber nicht mit einer Diktatur.
Übersetzung: Andreas Hubig
CHICAGO – Seit der Gründung der Vereinigten Staaten sind die Amerikaner besorgt, dass ihre Präsidenten zu Diktatoren (oder in früheren Zeiten zu Tyrannen) werden könnten. Die Verfasser der US-Verfassung wussten, dass in klassischen Demokratien und Republiken die Regierenden oft versuchten, die Macht von der Legislative und anderen Versammlungen zu übernehmen. Aus diesem Grund schufen sie ein System gegenseitiger Kontrolle der Regierungsgewalt.
So weit, so gut. Kein amerikanischer Präsident war jemals ein Diktator. Dennoch ist es zu einem alle vier Jahre wiederkehrenden Ritual geworden, den Kandidaten des anderen Lagers zu beschuldigen, diktatorische Vollmachten anzustreben. Dieses Ritual hat dieses Mal schon sehr früh begonnen. In einem weit verbreiteten Kommentar in der Washington Post wiederholte Robert Kagan letzte Woche seine frühere Vorhersage, dass der ehemalige Präsident Donald Trump ein faschistischer Führer werden würde, und warnte, dass er ein Diktator werden würde, wenn er 2024 wiedergewählt würde. Kagan verglich einen Wahlsieg Trumps mit einem Asteroiden, der auf der Erde einschlägt, und griff damit den viel belächelten Kommentar von Michael Anton auf, der einen Wahlsieg Hillary Clintons 2016 mit einem Selbstmordanschlag auf ein Passagierflugzeug verglich.
Donald Trump war und ist vieles, und das meiste davon ist schlecht. Aber er war kein Faschist, als er Präsident war, und er wird kein Diktator sein, wenn er ein zweites Mal gewählt wird. Während seiner gesamten letzten Amtszeit war Trump alles andere als ein starker Mann. Seine wichtigsten Errungenschaften – eine Steuersenkung, ein Konjunkturpaket während der Pandemie und die Ernennung konservativer (aber größtenteils allgemein akzeptierte) Richter – durchliefen alle die normalen verfassungsrechtlichen Verfahren unter voller Einbeziehung des Kongresses. In der Zwischenzeit hat der Kongress Trumps Versprechen, den Affordable Care Act („Obamacare“) abzuschaffen und eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu errichten, vereitelt.
Selbst Trumps bemerkenswerteste Versuche, im Alleingang zu handeln ‑ die Beendigung des Einwanderungsprogramms „Deferred Action for Childhood Arrivals“, die Aufnahme einer Frage nach dem Staatsbürgerschaftsstatus in die Volkszählung und die Kürzung von Umweltvorschriften ‑ wurden von den Gerichten blockiert oder als Reaktion auf gerichtliche Anfechtungen abgeschwächt. Trumps eigene Untergebene missachteten seine Befehle, um Ermittlungen gegen seine Aktivitäten zu blockieren und schikanöse Klagen gegen seine Gegner anzustrengen. Und Trumps folgenreichste außenpolitische Entscheidungen, wie der Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und dem Atomabkommen mit dem Iran, standen ganz in der Tradition der präsidialen Autorität in diesen Bereichen.
Trump war ein schwacher Präsident, weil die meisten Wähler ihn nicht mochten. Jeder Demokrat und sogar einige Republikaner konnten es sich leisten, gegen ihn zu sein. Da er nicht in der Lage war, eine Mehrheit in der Bevölkerung hinter sich zu bringen, konnte er nur so tun, als ob. Er versuchte zwar, die Justiz einzuschüchtern, scheiterte jedoch in diesen Bemühungen. „Meine Richter“, wie er sie nannte, entschieden immer wieder gegen ihn, wenn er die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl 2020 anzweifelte. Er war nicht in der Lage, die riesige föderale Bürokratie dazu zu bringen, nach seiner Pfeife zu tanzen, weil er nicht die Weisheit und die Geduld hatte, sie zu führen.
Trump hat versucht, die Wahl 2020 zu kippen, indem er Lügen verbreitete und den Mob aufstachelte. Doch er scheiterte auf ganzer Linie, erneut vereitelt von seinen engsten Mitarbeitern, den Gerichten und Wahlbeamten beider Parteien. Heute stehen Trump und seine Gefolgsleute unter Anklage, seinen Anwälten drohen Disziplinarverfahren und Hunderte seiner Anhänger wurden zu Haftstrafen verurteilt.
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Kagan entgegnet, dass es dieses Mal anders sei. Die Heritage Foundation, eine führende rechtsgerichtete Denkfabrik, hat eine Liste mit Tausenden von Rechtsradikalen erstellt, die in der Bundesbürokratie, insbesondere im Justizministerium, Positionen einnehmen sollen, die Trump durch ein neuartiges juristisches Manöver frei gemacht hat. Sie hat auch eine konservative Wunschliste namens Projekt 2025 erstellt. Aber die Vorstellung, dass Trump den Vorschlägen und Weißbüchern von Denkfabriken Beachtung schenken wird, ist abwegig ‑ hat denn niemand etwas gelernt?
Kagan hat gute Gründe für die Annahme, dass Trump Ermittlungen und Prozesse gegen seine politischen Gegner anordnen wird ‑ ein typischer Schachzug aus dem Spielbuch des Diktators. In der Tat hat Trump damit gedroht und versprochen, unter anderem seinen eigenen ehemaligen Generalstaatsanwalt William Barr und seinen ehemaligen Stabschef John Kelly strafrechtlich zu verfolgen.
Aber wenn wir etwas über Trump gelernt haben, dann, dass wir seine Versprechen mit Vorsicht genießen sollten. Schließlich hat er Hillary Clinton nie „eingesperrt“, und er hat bereits versucht, die Bundesbürokratie mit dem berüchtigten „Schedule F“-Erlass gegen Ende seiner Amtszeit zu leeren. Außer bürokratischer Verwirrung ist dabei nichts herausgekommen.
Das Problem für Trump und seine engsten Vertrauten ist, dass es einfach nicht genügend fähige rechtsgerichtete Juristen und Politiker gibt, die in eine für sie unbekannte Behörde kommen und sie effektiv umgestalten könnten. Behördenleiter, die widersprüchliche Befehle erhalten, die drakonische Politik Trumps umzusetzen und Tausende von erfahrenen Mitarbeitern durch Mitläufer zu ersetzen, werden wahrscheinlich weder das eine noch das andere erreichen und stattdessen in Klagen von entlassenen Mitarbeitern verwickelt werden.
Zudem hat Trump bereits angekündigt, dass er keine Anwälte der Federalist Society in seiner Regierung haben will, da sich zu viele von ihnen, darunter seine beiden Generalstaatsanwälte Jeff Sessions und William Barr, die sich als dem Land loyaler erwiesen haben als ihm. Aber wo soll er dann juristischen Sachverstand finden? Da sich die Federalist Society als Hauptquelle für ehrgeizige konservative Anwälte etabliert hat, hat sich Trump auf einen verschwindend kleinen Pool von Talenten festgelegt.
Dass ein Präsident die Bundesbürokratie nicht einfach herumkommandieren kann, weiß Trump nicht und kümmert ihn auch nicht. Ein Präsident muss schmeicheln, Kompromisse schließen und um Gnade betteln können. Aber selbst wenn Trump das tut, werden die Ermittler und Staatsanwälte der Regierung nicht gegen Leute wie Barr und Kelly vorgehen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Sollten sie doch dazu gezwungen werden, ist mit massenhaften Rücktritten, Leaks, öffentlichen Verurteilungen und einem großen Medienrummel zu rechnen. Die Richter werden die Fälle ablehnen und die Geschworenen werden sie nicht verurteilen. Kagan glaubt, wenn Trump seine aktuellen Prozesse gewinnt, werden die Richter Angst haben, gegen ihn zu entscheiden, sollte er Präsident werdn. Beide überschätzen Trumps gegenwärtige juristische Bedrohung und unterschätzen die Integrität der Justiz.
Machen wir uns nichts vor: Eine zweite Amtszeit Trumps wird nicht schön. Man kann zwar (wieder) mit Unruhen rechnen, aber nicht mit einer Diktatur.
Übersetzung: Andreas Hubig