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Der „bescheidene Vorschlag“ der Tea Party

WASHINGTON, D.C.: Amerikas Tea Party hat eine simple fiskalpolitische Botschaft: Die USA sind pleite. Dies ist sachlich falsch – US-Staatspapiere bleiben eine der sichersten Investitionen weltweit –, doch die Behauptung dient dem Ziel, den Bundeshaushalt zu dramatisieren und eine Menge Hysterie in Bezug auf Amerikas aktuelles Schuldenniveau zu erzeugen. Dies bringt dann die glühende Überzeugung hervor, dass die Staatsausgaben radikal gesenkt werden müssen, und zwar sofort.

Es gibt echte fiskalische Probleme, die eine ernsthafte Diskussion erfordern, u.a., wie sich der Anstieg der Kosten im Gesundheitswesen beherrschen lässt und wie man eine Steuerreform am besten strukturiert. Doch die Tea-Party-Fraktion innerhalb der Republikanischen Partei ist mehr als alles andere an einem schlanken Staat interessiert: Ihre Mitglieder beharren vor allem darauf, dass die Steuereinnahmen des Bundes nie über 18% vom BIP steigen dürfen. Ihr historischer Vorläufer ist Amerikas steuerfeindliche Whiskey-Rebellion von 1794, nicht die ursprüngliche antibritische, eine parlamentarische Vertretung fordernde Boston Tea Party des Jahres 1773.

Von besonderer Bedeutung freilich ist, dass sich ihre Taktik für den Wohlstand in den USA als enorm zerstörerisch erwiesen hat. Seit Beginn des anhaltenden Showdowns über den Haushalt Anfang des Jahres hat der Aktienmarkt etwa 20% seines Wertes (rund 10 Billionen Dollar) verloren. Tatsache ist, dass die Tea Party hart daran arbeitet, die öffentlich finanzierten Sozialleistungen – einschließlich von Renten und Medicare – zu reduzieren, obwohl ihre Methoden den Wert des privaten Vermögens jetzt und in Zukunft drastisch verringern.

Teil des Gründungsmythos der Tea Party ist natürlich, dass ein schlankerer Staat zu mehr Wachstum und größerem Wohlstand für alle führen wird. Dabei ist unerheblich, dass etwa die spektakulären Wachstumsprojektionen im Haushaltsplan des Kongressabgeordneten Paul Ryan absolut unplausibel sind; diese Projektionen sind politisch wichtig, weil ohne sie der geballte Schmerz der von Ryan vorgeschlagenen Einschnitte bei Medicare auf den ersten Blick erkennbar wäre.

Standard & Poor’s hat für die Analyse, die seiner jüngsten Entscheidung zur Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit zugrundeliegt, einige berechtigte Kritik einstecken müssen – schließlich gab es kaum Wirtschaftsnachrichten, die den Zeitpunkt dieses Schritts hätten erklären können. Doch S&Ps Beurteilung der politischen Lage trifft ins Schwarze: Indem sie im Zentrum der Regierung eine dysfunktionale Lähmung erzeugte, hat die Tea Party gezeigt, dass sie bereit ist, der Gesamtwirtschaft dramatische Kosten aufzuerlegen und für eine erhebliche Verlangsamung des Wachstums zu sorgen.

Das Motto in der amerikanischen Politik heißt inzwischen Konfrontation und Tanz am Rande des Abgrunds, selbst wenn dabei – bedingt durch die ideologische Sturheit der Tea Party – die Zahlungsfähigkeit der US-Regierung auf dem Spiel steht. Und der Ton der politischen Debatte ist, nicht überraschend, erheblich rauer geworden.

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Durch Unterzeichnung eines feierlichen Versprechens, die Steuern nicht zu erhöhen, haben sich die Vertreter der Tea Party glaubwürdig verpflichtet, keinen gemäßigten Kompromiss zu akzeptieren. Wer dieses Versprechen bricht, muss in der nächsten Runde der republikanischen Vorwahlen mit einer Niederlage rechnen. Während also ein Haushaltskompromiss technisch einfach zu erreichen wäre, dürfte er politisch gesehen kurzfristig unmöglich sein. Tatsächlich ist, während Kongress und Republikanische Partei im Verlaufe dieses Jahres an Popularität verloren haben, die Unterstützung für die Tea Party mit rund 30% der Bevölkerung bemerkenswert konstant geblieben. Ihre Taktik erscheint daher politisch durchhaltbar, zumindest bis zu den Wahlen 2012.

Das vielleicht schädlichste Ergebnis dieser Taktik ist, dass damit eine antizyklische Fiskalpolitik völlig vom Tisch ist. Egal, was in den kommenden Wochen und Monaten in der Weltwirtschaft passiert: Es ist unvorstellbar, dass es irgendwelche bedeutsamen steuerlichen Anreize durch das Repräsentantenhaus schaffen.

Es bleibt abzuwarten, ob sich auch die US Federal Reserve durch die politische Stimmung auf dem Capitol Hill in ihrer Handlungsfreiheit beschränkt fühlen wird. Klar ist, dass einflussreiche Unterstützer der Tea Party derzeit jedem Versuch von Notenbankchef Ben Bernanke, unorthodoxe Wege zu finden, um eine expansivere Geldpolitik zu betreiben, erbitterten Widerstand entgegenbringen würden.

Und was den Schutz des Finanzsystems vor einer Katastrophe angeht, ist die Haltung der aktuellen Mehrheit im Bankenausschuss des Repräsentantenhauses unmissverständlich: Sie favorisiert für den Fall, dass Großbanken in ernste Schwierigkeiten geraten, einen Einsatz des Konkurssystems. Falls die Krise im Euroraum weiter außer Kontrolle gerät, sollten sich die USA seitens der exponierten Finanzinstitute auf Zusammenbrüche wie oder ähnlich wie bei Lehman Brothers vorbereiten.

Die Ironie der Tea-Party-Revolte ist natürlich, dass sie den privaten Sektor stärker untergräbt, als dass sie „Big Government“ Zügel anlegt. Die Herabstufung durch S&P führte zu einer „Flucht in die Qualität“, d.h., die Anleger kauften US-Staatsanleihen – und erhöhten so deren Preis und senkten damit den Zinssatz, den die US-Bundesregierung für ihre Schulden zahlen muss.

Es war der Wert des Aktienmarktes, der steil fiel – was einleuchtet angesichts der Tatsache, dass eine antizyklische Politik nun schwerwiegenden Beschränkungen unterliegt. Der staatliche Teil des Kreditsystems wurde, relativ gesehen, durch die Entwicklungen der letzten Monate gestärkt. Es ist der private Sektor – wo Investitionen und unternehmerisches Handeln erforderlich sind, um Wachstum und Beschäftigung zu generieren – der Prügel einstecken musste.

Sofern und solange sich Amerikas Privatsektor nicht erholt, werden Investitionstätigkeit und Schaffung von Arbeitsplätzen weiter stagnieren. Doch das aktuelle Klima der Furcht und die aggressiven Haushaltstaktiken wirken zusammen, um Vertrauen und Kaufkraft des privaten Sektors zu untergraben.

Wie schon Jonathan Swift im Jahre 1727 sagte: „Partei ist der Wahnsinn der Vielen zum Vorteil von Wenigen.“

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