HAMBURG – Vor etwa 60 Jahren versprach die Entdeckung der Kernenergie die ultimative Lösung der Energieprobleme dieser Welt. Dieses Versprechen wurde bis heute nicht eingelöst. Die Entwicklung der Nukleartechnologie stagniert, wobei die Atomkraftwerke von heute noch immer mit der vor einem halben Jahrhunderten entwickelten Technologie arbeiten.amp#160;
Kernenergie wird im Zuge des Zerfallsprozesses schwerer Elemente wie Uran oder Thorium frei. Ihre Atomkerne zerfallen in zwei kleinere Atomkerne und eine Reihe von Neutronen. Bei diesem Vorgang wird viele Millionen Mal mehr Energie abgegeben, als bei jedem anderen chemischen Prozess. Schwere Elemente enthalten so viel Energie, weil sie einen Bruchteil jener Energie gespeichert haben, die bei der Supernova vor etwa fünf Milliarden Jahren frei wurde, als auch unsere Erde und das Sonnensystem entstanden.amp#160;
Der Brennstoff für die Kraftwerke von heute ist eine spezielle Art des Uran, nämlich U-235, das im Zuge einer Kettenreaktion verbrannt wird, wobei die Neutronen aus dem einem nuklearen Zerfallsprozess, den nächsten induzieren. Weder Uran-238, von dem es ungefähr hundert Mal mehr gibt als von U-235, noch Thorium, das noch leichter zugänglich ist, werden für die Energiegewinnung in großem Maßstab herangezogen.
Tatsächlich ist prinzipiell jedes schwere Element eine potenzielle Quelle von Kernenergie. Alle, die sich mit den Zerfallsprozessen von Atomen näher beschäftigen, sind fasziniert von den zahllosen Möglichkeiten, wie daraus Energie gewonnen werden kann.
Dennoch ist der Fortschritt hinsichtlich des Zugangs zu diesen Ressourcen sehr langsam. Aus wissenschaftlicher Sicht besteht das Hauptproblem in einem Mangel an Wissen. Trotz vieler hunderter einwandfrei funktionierender Atomkraftwerke ist unser Verständnis von atomaren Kräften lediglich empirischer Natur und empirisches Wissen ist immer unvollkommen.
Bei der Gewinnung von Kernenergie beispielsweise wiederholen sich die Zerfallsreaktionen viele Male, wobei die Unvollkommenheiten hinsichtlich jeder Wiederholung zu einem Verlust an Vorhersagekraft der Berechnungen führen. Dies behindert den Optimierungsprozess und ist einer der Hauptgründe für die frühzeitige, vor dem Erreichen des erwarteten Leistungsgrades, erfolgte Beendigung mehrerer Großprojekte in Europa und den USA, bei denen die Energiegewinnung aus dem häufiger vorkommenden Elementen Uran-238 oder Thorium (in schnellen Brütern) untersucht wurde.
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Ein weiteres Problem ist der Atommüll, der bei der Energiegewinnung durch einen Zerfallsprozess entsteht. Diesen Atommüll könnte man beträchtlich reduzieren oder überhaupt vermeiden, wenn es uns gelänge, eine alternative, von extern beschleunigten Teilchen ausgelöste Form des nuklearen Zerfallsprozesses zu nützen. Aber auch in diesem Bereich benötigen wir genauere Kenntnisse über die Eigenschaften der atomaren Prozesse.
Die Kraft, die Atomkerne zusammenhält, ist ein Spezialfall der „starken Kraft“, einer der vier fundamentalen Wechselwirkungen in der Natur. Ihre Erforschung gestaltet sich überaus schwierig, weil sie sehr rasch und heftig wirkt. Vor rund 50 Jahren wurde angeregt, die starken Kräfte zu erforschen, indem man Protonen bei sehr hohen Energien aufeinanderprallen lässt.
Die Beschleunigung von Teilchen bei hoher Energie verlangsamt alle anderen physikalischen Prozesse, weil, gemäß der Relativitätstheorie von Einstein, die Zeit für Objekte, die sich schnell bewegen, langsamer vergeht. Da Protonen die einfachsten Kerne sind, hoffte man, bei Anwendung hoher Energien jene Kräfte, die während der Streuung von Protonen am Werk sind, wie in Zeitlupe beobachten und untersuchen zu können und dabei ein genaues Verständnis der starken Kraft zu erlangen.
Mehrere Forschungszentren mit großen Teilchenbeschleunigern wurden errichtet und die Teilchenstreuung bei hohen Energien enthüllte eine faszinierende Struktur der Materie. Man fand neue Teilchen – Gluonen – die die starke Kraft vermitteln. Die Entdeckung der Gluonen sollte den Schlüssel für das präzise Verständnis der starken Kraft liefern.amp#160;
Über kurze Entfernungen entfalten Gluonen eine recht schwache Anziehungskraft, die gut erklärbar ist. Auf längere Entfernungen allerdings, wie etwa dem Radius eines Protons, wird diese Kraft enorm stark. Daran ist eine riesige Zahl von Gluonen beteiligt, die komplizierte Strukturen bilden, von denen man noch keine genauen Kenntnisse hat. Daher glaubte man eine Zeit lang nicht, dass die Eigenschaften der starken Kraft direkt von den Eigenschaften der Gluonen herrühren konnten.
In den letzten Jahren allerdings hat man bei Experimenten am HERA-Beschleuniger in Hamburg die starken Wechselwirkungseffekte in Zeitlupe beobachten können. Diese könnten amp#160;einen Weg in Richtung eines präzisen Verständnisses der starken Kraft eröffnen. Untersucht wurde die Protonenstreuung am HERA-Beschleuniger bei den höchsten Energien, die jemals bei dieser Art von Experimenten angewendet wurden.
Der HERA-Beschleuniger war von 1992 bis 2007 im Einsatz. Eine der bedeutendsten Entdeckungen war, dass mehrere, bei hoher Energie und über kurze Entfernungen beobachtete eindeutige Phänomene ganz klar der Emission von Gluonen und dem Entstehen gluonischer Strukturen zugeschrieben werden konnte. Durch Beobachtung, wie sich diese Strukturen bei der Vergrößerung der Entfernung verändern, sollte es möglich sein, die Wirkung der starken Kraft zu verfolgen – und daher auch zu verstehen.
Mit dem Auftreten dieser klaren gluonischen Strukturen hat man nicht gerechnet und die Experimente mit dem HERA-Beschleuniger waren auch nicht auf das Studium dieser Strukturen ausgerichtet. Aber die zur Messung der starken Kraft nötigen Präzisionsexperimente können mit bekannter Technologie konzipiert und durchgeführt werden. Daher regen zwei große Gruppen von Physikern an – die eine von den Brookhaven und Jefferson National Laboratories in den USA, die anderen vom CERN in Genf – amp#160;die Forschung im Bereich der Elektron-Proton-Wechselwirkungen wieder aufzunehmen.
Die Untersuchung dieser Wechselwirkungen sollte ein präzises Verständnis der starken Kraft liefern. Und wie in der Geschichte der Physik bereits belegt, eröffnet ein besseres Verständnis natürlicher Kräfte neue, völlig unerwartete Chancen. So ermöglichte beispielsweise das vorwiegend im 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelte Wissen über elektromagnetische Kräfte die heutigen bahnbrechenden Entwicklungen in den Bereichen Telekommunikation, Computer, Chemie und Materialwissenschaften.
Ebenso könnte ein präzises Verständnis der starken Kraft neue Wege beim Einsatz nuklearer Ressourcen aufzeigen und gleichzeitig die Lösung der Sicherheits- und Atommüllprobleme bieten.amp#160;
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Over time, as American democracy has increasingly fallen short of delivering on its core promises, the Democratic Party has contributed to the problem by catering to a narrow, privileged elite. To restore its own prospects and America’s signature form of governance, it must return to its working-class roots.
is not surprised that so many voters ignored warnings about the threat Donald Trump poses to US institutions.
Enrique Krauze
considers the responsibility of the state to guarantee freedom, heralds the demise of Mexico’s democracy, highlights flaws in higher-education systems, and more.
HAMBURG – Vor etwa 60 Jahren versprach die Entdeckung der Kernenergie die ultimative Lösung der Energieprobleme dieser Welt. Dieses Versprechen wurde bis heute nicht eingelöst. Die Entwicklung der Nukleartechnologie stagniert, wobei die Atomkraftwerke von heute noch immer mit der vor einem halben Jahrhunderten entwickelten Technologie arbeiten.amp#160;
Kernenergie wird im Zuge des Zerfallsprozesses schwerer Elemente wie Uran oder Thorium frei. Ihre Atomkerne zerfallen in zwei kleinere Atomkerne und eine Reihe von Neutronen. Bei diesem Vorgang wird viele Millionen Mal mehr Energie abgegeben, als bei jedem anderen chemischen Prozess. Schwere Elemente enthalten so viel Energie, weil sie einen Bruchteil jener Energie gespeichert haben, die bei der Supernova vor etwa fünf Milliarden Jahren frei wurde, als auch unsere Erde und das Sonnensystem entstanden.amp#160;
Der Brennstoff für die Kraftwerke von heute ist eine spezielle Art des Uran, nämlich U-235, das im Zuge einer Kettenreaktion verbrannt wird, wobei die Neutronen aus dem einem nuklearen Zerfallsprozess, den nächsten induzieren. Weder Uran-238, von dem es ungefähr hundert Mal mehr gibt als von U-235, noch Thorium, das noch leichter zugänglich ist, werden für die Energiegewinnung in großem Maßstab herangezogen.
Tatsächlich ist prinzipiell jedes schwere Element eine potenzielle Quelle von Kernenergie. Alle, die sich mit den Zerfallsprozessen von Atomen näher beschäftigen, sind fasziniert von den zahllosen Möglichkeiten, wie daraus Energie gewonnen werden kann.
Dennoch ist der Fortschritt hinsichtlich des Zugangs zu diesen Ressourcen sehr langsam. Aus wissenschaftlicher Sicht besteht das Hauptproblem in einem Mangel an Wissen. Trotz vieler hunderter einwandfrei funktionierender Atomkraftwerke ist unser Verständnis von atomaren Kräften lediglich empirischer Natur und empirisches Wissen ist immer unvollkommen.
Bei der Gewinnung von Kernenergie beispielsweise wiederholen sich die Zerfallsreaktionen viele Male, wobei die Unvollkommenheiten hinsichtlich jeder Wiederholung zu einem Verlust an Vorhersagekraft der Berechnungen führen. Dies behindert den Optimierungsprozess und ist einer der Hauptgründe für die frühzeitige, vor dem Erreichen des erwarteten Leistungsgrades, erfolgte Beendigung mehrerer Großprojekte in Europa und den USA, bei denen die Energiegewinnung aus dem häufiger vorkommenden Elementen Uran-238 oder Thorium (in schnellen Brütern) untersucht wurde.
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Die Kraft, die Atomkerne zusammenhält, ist ein Spezialfall der „starken Kraft“, einer der vier fundamentalen Wechselwirkungen in der Natur. Ihre Erforschung gestaltet sich überaus schwierig, weil sie sehr rasch und heftig wirkt. Vor rund 50 Jahren wurde angeregt, die starken Kräfte zu erforschen, indem man Protonen bei sehr hohen Energien aufeinanderprallen lässt.
Die Beschleunigung von Teilchen bei hoher Energie verlangsamt alle anderen physikalischen Prozesse, weil, gemäß der Relativitätstheorie von Einstein, die Zeit für Objekte, die sich schnell bewegen, langsamer vergeht. Da Protonen die einfachsten Kerne sind, hoffte man, bei Anwendung hoher Energien jene Kräfte, die während der Streuung von Protonen am Werk sind, wie in Zeitlupe beobachten und untersuchen zu können und dabei ein genaues Verständnis der starken Kraft zu erlangen.
Mehrere Forschungszentren mit großen Teilchenbeschleunigern wurden errichtet und die Teilchenstreuung bei hohen Energien enthüllte eine faszinierende Struktur der Materie. Man fand neue Teilchen – Gluonen – die die starke Kraft vermitteln. Die Entdeckung der Gluonen sollte den Schlüssel für das präzise Verständnis der starken Kraft liefern.amp#160;
Über kurze Entfernungen entfalten Gluonen eine recht schwache Anziehungskraft, die gut erklärbar ist. Auf längere Entfernungen allerdings, wie etwa dem Radius eines Protons, wird diese Kraft enorm stark. Daran ist eine riesige Zahl von Gluonen beteiligt, die komplizierte Strukturen bilden, von denen man noch keine genauen Kenntnisse hat. Daher glaubte man eine Zeit lang nicht, dass die Eigenschaften der starken Kraft direkt von den Eigenschaften der Gluonen herrühren konnten.
In den letzten Jahren allerdings hat man bei Experimenten am HERA-Beschleuniger in Hamburg die starken Wechselwirkungseffekte in Zeitlupe beobachten können. Diese könnten amp#160;einen Weg in Richtung eines präzisen Verständnisses der starken Kraft eröffnen. Untersucht wurde die Protonenstreuung am HERA-Beschleuniger bei den höchsten Energien, die jemals bei dieser Art von Experimenten angewendet wurden.
Der HERA-Beschleuniger war von 1992 bis 2007 im Einsatz. Eine der bedeutendsten Entdeckungen war, dass mehrere, bei hoher Energie und über kurze Entfernungen beobachtete eindeutige Phänomene ganz klar der Emission von Gluonen und dem Entstehen gluonischer Strukturen zugeschrieben werden konnte. Durch Beobachtung, wie sich diese Strukturen bei der Vergrößerung der Entfernung verändern, sollte es möglich sein, die Wirkung der starken Kraft zu verfolgen – und daher auch zu verstehen.
Mit dem Auftreten dieser klaren gluonischen Strukturen hat man nicht gerechnet und die Experimente mit dem HERA-Beschleuniger waren auch nicht auf das Studium dieser Strukturen ausgerichtet. Aber die zur Messung der starken Kraft nötigen Präzisionsexperimente können mit bekannter Technologie konzipiert und durchgeführt werden. Daher regen zwei große Gruppen von Physikern an – die eine von den Brookhaven und Jefferson National Laboratories in den USA, die anderen vom CERN in Genf – amp#160;die Forschung im Bereich der Elektron-Proton-Wechselwirkungen wieder aufzunehmen.
Die Untersuchung dieser Wechselwirkungen sollte ein präzises Verständnis der starken Kraft liefern. Und wie in der Geschichte der Physik bereits belegt, eröffnet ein besseres Verständnis natürlicher Kräfte neue, völlig unerwartete Chancen. So ermöglichte beispielsweise das vorwiegend im 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelte Wissen über elektromagnetische Kräfte die heutigen bahnbrechenden Entwicklungen in den Bereichen Telekommunikation, Computer, Chemie und Materialwissenschaften.
Ebenso könnte ein präzises Verständnis der starken Kraft neue Wege beim Einsatz nuklearer Ressourcen aufzeigen und gleichzeitig die Lösung der Sicherheits- und Atommüllprobleme bieten.amp#160;