Wie viele andere Heilmethoden der traditionellen chinesischen Medizin wurde auch die Akupunktur im Westen über viele Jahrhunderte misstrauisch betrachtet. Zwar scheint sie zu funktionieren, aber wie? Ist eine wissenschaftliche Antwort darauf möglich?
Die meisten Ärzte und Patienten in China beispielsweise sehen die Akupunktur seit langem als wirkungsvolle Behandlung nach einem Schlaganfall, um Motorik, Sprache und andere gestörte Funktionen zu verbessern. In einer Studie wurde gezeigt, dass 66 % der chinesischen Ärzte Akupunktur routinemäßig in der Behandlung von Schlaganfallfolgen einsetzen und 63 % der Ansicht sind, diese Behandlung wäre wirkungsvoll. Ungefähr 36 % der chinesischen Ärzte glauben, die Wirksamkeit der Akupunktur sei fraglich, vielleicht weil die wissenschaftliche Grundlagen dafür noch sehr neu sind.
In jüngster Zeit allerdings begann man die Wirkung der Akupunktur in systematischen wissenschaftlichen Studien zu untersuchen. In beinahe allen in China durchgeführten Studien über Akupunktur in der Schlaganfallbehandlung kam man zu positiven Ergebnissen. Aber auch eine weitere, vor kurzem in Großbritannien durchgeführte Studie zeigte, dass in mehreren Ländern durchgeführte Untersuchungen über die Akupunktur als Behandlungsmöglichkeit bei Schlaganfallfolgen zu einheitlich positiven Ergebnissen gelangten. Sämtliche vor Juni 1995 in China, Japan, Hongkong und Taiwan durchgeführte Studien wurden von den britischen Forschern als positiv bewertet.
Die Cochrane Collaboration, eine internationale gemeinnützige Organisation für die Bereitstellung von Information aus dem Gesundheitsbereich, erstellte eine systematische Übersichtsarbeit über den Nutzen der Akupunktur. Bewertet wurden dabei 14 Studien, von denen 10 in China durchgeführt wurden und an denen 1.208 Patienten teilnahmen. Die Akupunkturbehandlung begann dabei 30 Tage nach dem Schlaganfallereignis, wobei Patienten in den Kontrollgruppen entweder eine Placebobehandlung – nämlich vorgetäuschte Akupunktur – oder gar keine Behandlung erhielten. Im Vergleich zu Patienten, die eine vorgetäuschte Akupunktur oder gar keine Behandlung erhielten, war die Zahl der Todes- oder Invaliditätsfälle innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten nach dem Schlaganfall in der Gruppe der mit Akupunktur Behandelten viel geringer. Im Untersuchungszeitraum nach diesen drei Monaten stieg diese Zahl signifikant zugunsten der mit echter Akupunktur behandelten Patienten an.
Vergleicht man allerdings echte Akupunktur mit vorgetäuschter Akupunktur, so ist die statistische Differenz im Hinblick auf Todesfälle oder den Bedarf an institutioneller Behandlung seltsamerweise gering. In einer weiteren Analyse von 14 randomisierten Studien, an denen 1.213 Patienten sechs Monate nach einem Schlaganfall teilnahmen, wurde die Wirksamkeit konventioneller Schlaganfalltherapien mit und ohne Akupunktur als Ergänzungsbehandlung verglichen. Dabei stellte sich heraus, dass Akupunktur keine zusätzliche Wirkung bei der motorischen Wiederherstellung des Patienten hat, jedoch einen kleinen positiven Effekt im Hinblick auf Invalidität, der durch einen echten Placeboeffekt oder aufgrund der unterschiedlichen Qualität der Studien zustande gekommen sein könnte.
Tatsächlich bleibt die Wirksamkeit der Akupunktur ohne konventionelle Schlaganfalltherapie fraglich, allerdings hauptsächlich aufgrund der schlechten Qualität derartiger Studien – ein Problem der meisten bisher durchgeführten Untersuchungen. So stand beispielsweise in vielen Studien nichts über die Methoden zur Ermittlung der statistischen Relevanz, sie nannten sich einfach „randomisierte Kontrollstudien“. Nur vier Studien mit 373 Patienten konnten mit Daten über Todesfälle oder spätere Abhängigkeit (von anderen Personen für die Aktivitäten des täglichen Lebens) aufwarten. Und in nur drei – allesamt in Europa durchgeführten – Studien wurde vorgetäuschte Akupunktur als Kontrolle eingesetzt, wohingegen es in China keinerlei Akupunkturstudien mit Placebos oder vorgetäuschter Akupunktur als Kontrolle gab. Dies hat allerdings kulturelle Gründe.
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Teilweise liegt das Problem in China in der Auswahl der in die Studien aufzunehmenden Patienten. Letzten Endes kommen die Patienten ja deshalb in Krankenhäuser, wo man die traditionelle chinesische Medizin praktiziert, weil sie bereits an die Wirkung der Akupunktur glauben und sie wahrscheinlich auch zur Behandlung anderer Krankheiten anwendet. Solche Patienten zur Aufnahme in eine Kontrollgruppe zu bewegen, die nicht mit Akupunktur behandelt wird, ist fast unmöglich. Aufgrund dieses Problems sind randomisierte Studien über die Wirksamkeit der Akupunktur bei Schlaganfallpatienten in Krankenhäusern, die sich der traditionellen chinesischen Medizin verschrieben haben, besonders schwierig durchzuführen.
Auf grundlegenderer Ebene argumentieren chinesische Ärzte, die traditionelle chinesische Medizin praktizieren, dass sich die Hauptzielkriterien in Studien über Akupunktur als Behandlungsmethode bei Schlaganfällen von den in westlichen Studien angewandten konventionellen Kriterien unterscheiden sollten, weil auch die theoretischen Grundlagen der Akupunktur unterschiedlich sind. Allerdings wurden die geeigneten Hauptzielkriterien für Akupunktur noch nicht definiert.
Eine vor kurzem in China durchgeführte Studie mit 862 Patienten zwischen dem zweiten und dem zehnten Tag nach einem Schlaganfallereignis ist die größte wirklich randomisierte Studie, in der Tod oder Abhängigkeit als primäres Hauptzielkriterium definiert sind. Die Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip entweder einer Akupunkturgruppe zugewiesen, die mit Akupunktur und konventionellen Maßnahmen behandelt wurde oder einer Kontrollgruppe, deren Behandlung ausschließlich mit konventionellen Methoden erfolgte. Die Ergebnisse werden nach Auswertung der Studiendaten präsentiert und könnten sich für die Therapie von Schlaganfallpatienten als nützlich erweisen.
Momentan allerdings gibt es nur ungenügende Hinweise über die Vorteilhaftigkeit des routinemäßigen Einsatzes von Akupunktur bei Schlaganfallpatienten. Dazu sind noch mehr qualitativ hochwertige Studien erforderlich. Wir wissen, dass es sich bei der Akupunktur um eine sichere, kostengünstige, weithin anerkannte und potenziell wirksame Therapiemöglichkeit handelt. Vor allem in Zeiten, da den meisten chinesischen Schlaganfallpatienten eine Standardbehandlung nicht zur Verfügung steht, werden die wenigsten mit der Anwendung der Akupunktur warten, bis deren Rolle durch verlässliche Beweise bestätigt oder widerlegt wird.
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Wie viele andere Heilmethoden der traditionellen chinesischen Medizin wurde auch die Akupunktur im Westen über viele Jahrhunderte misstrauisch betrachtet. Zwar scheint sie zu funktionieren, aber wie? Ist eine wissenschaftliche Antwort darauf möglich?
Die meisten Ärzte und Patienten in China beispielsweise sehen die Akupunktur seit langem als wirkungsvolle Behandlung nach einem Schlaganfall, um Motorik, Sprache und andere gestörte Funktionen zu verbessern. In einer Studie wurde gezeigt, dass 66 % der chinesischen Ärzte Akupunktur routinemäßig in der Behandlung von Schlaganfallfolgen einsetzen und 63 % der Ansicht sind, diese Behandlung wäre wirkungsvoll. Ungefähr 36 % der chinesischen Ärzte glauben, die Wirksamkeit der Akupunktur sei fraglich, vielleicht weil die wissenschaftliche Grundlagen dafür noch sehr neu sind.
In jüngster Zeit allerdings begann man die Wirkung der Akupunktur in systematischen wissenschaftlichen Studien zu untersuchen. In beinahe allen in China durchgeführten Studien über Akupunktur in der Schlaganfallbehandlung kam man zu positiven Ergebnissen. Aber auch eine weitere, vor kurzem in Großbritannien durchgeführte Studie zeigte, dass in mehreren Ländern durchgeführte Untersuchungen über die Akupunktur als Behandlungsmöglichkeit bei Schlaganfallfolgen zu einheitlich positiven Ergebnissen gelangten. Sämtliche vor Juni 1995 in China, Japan, Hongkong und Taiwan durchgeführte Studien wurden von den britischen Forschern als positiv bewertet.
Die Cochrane Collaboration, eine internationale gemeinnützige Organisation für die Bereitstellung von Information aus dem Gesundheitsbereich, erstellte eine systematische Übersichtsarbeit über den Nutzen der Akupunktur. Bewertet wurden dabei 14 Studien, von denen 10 in China durchgeführt wurden und an denen 1.208 Patienten teilnahmen. Die Akupunkturbehandlung begann dabei 30 Tage nach dem Schlaganfallereignis, wobei Patienten in den Kontrollgruppen entweder eine Placebobehandlung – nämlich vorgetäuschte Akupunktur – oder gar keine Behandlung erhielten. Im Vergleich zu Patienten, die eine vorgetäuschte Akupunktur oder gar keine Behandlung erhielten, war die Zahl der Todes- oder Invaliditätsfälle innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten nach dem Schlaganfall in der Gruppe der mit Akupunktur Behandelten viel geringer. Im Untersuchungszeitraum nach diesen drei Monaten stieg diese Zahl signifikant zugunsten der mit echter Akupunktur behandelten Patienten an.
Vergleicht man allerdings echte Akupunktur mit vorgetäuschter Akupunktur, so ist die statistische Differenz im Hinblick auf Todesfälle oder den Bedarf an institutioneller Behandlung seltsamerweise gering. In einer weiteren Analyse von 14 randomisierten Studien, an denen 1.213 Patienten sechs Monate nach einem Schlaganfall teilnahmen, wurde die Wirksamkeit konventioneller Schlaganfalltherapien mit und ohne Akupunktur als Ergänzungsbehandlung verglichen. Dabei stellte sich heraus, dass Akupunktur keine zusätzliche Wirkung bei der motorischen Wiederherstellung des Patienten hat, jedoch einen kleinen positiven Effekt im Hinblick auf Invalidität, der durch einen echten Placeboeffekt oder aufgrund der unterschiedlichen Qualität der Studien zustande gekommen sein könnte.
Tatsächlich bleibt die Wirksamkeit der Akupunktur ohne konventionelle Schlaganfalltherapie fraglich, allerdings hauptsächlich aufgrund der schlechten Qualität derartiger Studien – ein Problem der meisten bisher durchgeführten Untersuchungen. So stand beispielsweise in vielen Studien nichts über die Methoden zur Ermittlung der statistischen Relevanz, sie nannten sich einfach „randomisierte Kontrollstudien“. Nur vier Studien mit 373 Patienten konnten mit Daten über Todesfälle oder spätere Abhängigkeit (von anderen Personen für die Aktivitäten des täglichen Lebens) aufwarten. Und in nur drei – allesamt in Europa durchgeführten – Studien wurde vorgetäuschte Akupunktur als Kontrolle eingesetzt, wohingegen es in China keinerlei Akupunkturstudien mit Placebos oder vorgetäuschter Akupunktur als Kontrolle gab. Dies hat allerdings kulturelle Gründe.
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Auf grundlegenderer Ebene argumentieren chinesische Ärzte, die traditionelle chinesische Medizin praktizieren, dass sich die Hauptzielkriterien in Studien über Akupunktur als Behandlungsmethode bei Schlaganfällen von den in westlichen Studien angewandten konventionellen Kriterien unterscheiden sollten, weil auch die theoretischen Grundlagen der Akupunktur unterschiedlich sind. Allerdings wurden die geeigneten Hauptzielkriterien für Akupunktur noch nicht definiert.
Eine vor kurzem in China durchgeführte Studie mit 862 Patienten zwischen dem zweiten und dem zehnten Tag nach einem Schlaganfallereignis ist die größte wirklich randomisierte Studie, in der Tod oder Abhängigkeit als primäres Hauptzielkriterium definiert sind. Die Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip entweder einer Akupunkturgruppe zugewiesen, die mit Akupunktur und konventionellen Maßnahmen behandelt wurde oder einer Kontrollgruppe, deren Behandlung ausschließlich mit konventionellen Methoden erfolgte. Die Ergebnisse werden nach Auswertung der Studiendaten präsentiert und könnten sich für die Therapie von Schlaganfallpatienten als nützlich erweisen.
Momentan allerdings gibt es nur ungenügende Hinweise über die Vorteilhaftigkeit des routinemäßigen Einsatzes von Akupunktur bei Schlaganfallpatienten. Dazu sind noch mehr qualitativ hochwertige Studien erforderlich. Wir wissen, dass es sich bei der Akupunktur um eine sichere, kostengünstige, weithin anerkannte und potenziell wirksame Therapiemöglichkeit handelt. Vor allem in Zeiten, da den meisten chinesischen Schlaganfallpatienten eine Standardbehandlung nicht zur Verfügung steht, werden die wenigsten mit der Anwendung der Akupunktur warten, bis deren Rolle durch verlässliche Beweise bestätigt oder widerlegt wird.