PARIS – Welche Bedeutung kommt dem unlängst in Frankreich abgewickelten Verkauf von vier schlagkräftigen Kriegsschiffen vom Typ Mistral an Russland zu? Handelt es sich um ein ganz alltägliches Geschäft oder um einen unverantwortlichen Schritt, der zu einer gefährlichen Verlagerung der Machtverhältnisse an der Ostsee und am Schwarzen Meer beiträgt?
Bisweilen wird gesagt, Deutschland sei mit seiner „egoistischen“ Haltung gegenüber der Europäischen Union zu einem „zweiten Frankreich“ geworden. Aber ist Frankreich wirklich dabei ein „zweites Deutschland“ zu werden? Wenn Deutschland Russlands wichtigster wirtschaftlicher Partner ist, warum sollte Frankreich dann nicht sein wichtigster strategischer Partner sein?
Zwischen Deutschland und Russland besteht eine natürliche Nähe – eine Beziehung, die sowohl geografische als auch historische Gründe hat. Das ist in Frankreich zwar nicht der Fall, aber es verfügt dennoch über eine lange Tradition einer „speziellen“ bilateralen Beziehung zu Russland – geprägt von einer tiefen kulturellen Dimension –, der es irgendwie gelungen ist über den Kalten Krieg hinaus Bestand zu haben.
General Charles de Gaulle hat sich einmal als „Schlechtwetterfreund“ der Vereinigten Staaten bezeichnet, was beinhaltete, dass er bei „schönerem Wetter“ seinen eigenen Weg gehen konnte, sich aus der integrierten militärischen Kommandostruktur der NATO zurückziehen und als eine Art Brücke zwischen Ost und West fungieren konnte. De Gaulles Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion, die er Jahre bevor Nixon und Kissinger sich darin versuchten betrieb, verkörperte Frankreichs Wunsch, diplomatisch für sich allein zu „existieren“ und seinen Handlungsspielraum mit den USA zu maximieren.
Die Zeiten haben sich geändert. Der Kalte Krieg ist vorbei. Nikolas Sarkozy ist nicht de Gaulle und Russland ist nicht die Sowjetunion. Dennoch liegt unbestreitbar ein Hauch von Nostalgie über der aktuellen Annäherung zwischen zwei Mächten, die sich beide ihres relativen Bedeutungsverlustes in der Welt bewusst sind. Beide beabsichtigen ihren jeweiligen Status zu bekräftigen – im Falle Frankreichs in diplomatischer Hinsicht, im Falle Russlands in strategischer Hinsicht. Die Realität sieht allerdings für beide eher nüchtern aus.
Der Höhepunkt des kürzlichen Besuchs des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew in Paris, wo das Rüstungsgeschäft abgeschlossen wurde, bestand eher in der Einigung beider Länder auf pragmatische Überlegungen als auf langfristige strategische Visionen. Für Frankreich gilt: „It’s the economy, stupid“ – ein mittlerweile geflügeltes Wort, mit dem im Wahlkampf von Bill Clinton zum Ausdruck gebracht wurde, dass es letzten Endes auf die Wirtschaft ankommt.
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Frankreich ist sehr daran interessiert seine unabhängige Rüstungsindustrie beizubehalten und sein Marinearsenal in Saint-Nazaire an der französischen Westküste zu erhalten. Diesem berechtigten „kaufmännischen“ Anliegen kommt Russland angeblich in „kleinen Schritten“ entgegen, in Richtung einer Sanktionspolitik gegen Iran. Es wird interessant sein in einigen Wochen oder Monaten zu sehen, ob der Kreml sich wirklich daran hält.
Die Maßnahmen des französischen Präsidenten sind tatsächlich Musik in russischen Ohren, so wie im August 2008, als Sarkozy erfolgreich einen Waffenstillstand und anschließend ein Friedensabkommen zwischen Georgien und Russland (größtenteils zu russischen Bedingungen) vermittelte. Und „Sarkozy der Amerikaner“ (wie man ihn einst in Frankreich nannte) findet heute nicht mehr, dass er Amerika etwas beweisen müsste. Im April 2009 ist Frankreich symbolisch in die militärische Kommandostruktur der NATO zurückgekehrt. Auch wenn einige amerikanische Politiker durch die französischen Verkäufe hoch entwickelter Rüstungsgüter an Russland irritiert sind, hat es niemand gewagt sich offen zu beschweren.
Sind die USA schließlich nicht gerade dabei die „Rückstelltaste“ mit Russland zu betätigen? Da China sich als wesentlich selbstbewusstere und aufsässigere Macht als Russland am Horizont abzeichnet, unter anderem auch als Hauptakteur in den G20, wird Russland von allen Weltmächten umworben. Und alle scheinen dabei das gleiche Kalkül anzustellen in der Hoffnung, die Machtverhältnisse innerhalb Russlands so zu verändern, dass Medwedews Position gegenüber Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin gestärkt wird.
Macht ein solches Kalkül überhaupt Sinn oder ist es einfach Wunschdenken, eine beruhigende und angenehme Illusion, in der sich die französische Führung wohlfühlen kann, obwohl ihrem Umgang mit Russland in Wirklichkeit eine rein wirtschaftliche Motivation zugrunde liegt?
Neulich sagte ein russischer Freund zu mir: „Putin will wie Roman Abramowitsch leben und wie Stalin regieren.“ Er hat die Hebel in der Hand. Die Vorstellung, dass man eine Medwedew-Karte ausspielen kann, um Putins Einfluss zu neutralisieren, ist eine gefährliche Illusion. Es gibt keine Machtteilung zwischen den beiden Männern. Der erste ist dabei dem zweiten den Weg für eine Rückkehr in den Kreml im Jahr 2012 zu ebnen. In Russland ist Macht Geld und Geld ist Macht. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel.
Frankreich sollte sich keine Illusionen machen. Grundsätzlich ist nichts falsch daran, Waffen an Russland zu verkaufen, aber damit wird lediglich Putins Bemühungen in die Hände gespielt, seine Vorherrschaftspolitik gegenüber Russlands „nahem Ausland“ zu bekräftigen. Der Verkauf solcher Kriegsschiffe wird sich nicht positiv auf die Machtverhältnisse in Russland auswirken, sondern die regionalen Machtverhältnisse beeinflussen – zu Gunsten von Russland.
Klar ist hingegen, dass jegliches Bestreben eine gemeinsame europäische Energie- und Sicherheitspolitik gegenüber Russland zu definieren allmählich schwindet. Von Berlin bis Paris und von Paris bis Rom mögen europäische Spitzenpolitiker letztlich das gleiche machen, aber sie machen es alle unabhängig voneinander; als Konkurrenten, die um die Gunst Russlands wetteifern und nicht als Partner innerhalb einer angeblich eng verbundenen Union.
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At the end of a year of domestic and international upheaval, Project Syndicate commentators share their favorite books from the past 12 months. Covering a wide array of genres and disciplines, this year’s picks provide fresh perspectives on the defining challenges of our time and how to confront them.
ask Project Syndicate contributors to select the books that resonated with them the most over the past year.
PARIS – Welche Bedeutung kommt dem unlängst in Frankreich abgewickelten Verkauf von vier schlagkräftigen Kriegsschiffen vom Typ Mistral an Russland zu? Handelt es sich um ein ganz alltägliches Geschäft oder um einen unverantwortlichen Schritt, der zu einer gefährlichen Verlagerung der Machtverhältnisse an der Ostsee und am Schwarzen Meer beiträgt?
Bisweilen wird gesagt, Deutschland sei mit seiner „egoistischen“ Haltung gegenüber der Europäischen Union zu einem „zweiten Frankreich“ geworden. Aber ist Frankreich wirklich dabei ein „zweites Deutschland“ zu werden? Wenn Deutschland Russlands wichtigster wirtschaftlicher Partner ist, warum sollte Frankreich dann nicht sein wichtigster strategischer Partner sein?
Zwischen Deutschland und Russland besteht eine natürliche Nähe – eine Beziehung, die sowohl geografische als auch historische Gründe hat. Das ist in Frankreich zwar nicht der Fall, aber es verfügt dennoch über eine lange Tradition einer „speziellen“ bilateralen Beziehung zu Russland – geprägt von einer tiefen kulturellen Dimension –, der es irgendwie gelungen ist über den Kalten Krieg hinaus Bestand zu haben.
General Charles de Gaulle hat sich einmal als „Schlechtwetterfreund“ der Vereinigten Staaten bezeichnet, was beinhaltete, dass er bei „schönerem Wetter“ seinen eigenen Weg gehen konnte, sich aus der integrierten militärischen Kommandostruktur der NATO zurückziehen und als eine Art Brücke zwischen Ost und West fungieren konnte. De Gaulles Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion, die er Jahre bevor Nixon und Kissinger sich darin versuchten betrieb, verkörperte Frankreichs Wunsch, diplomatisch für sich allein zu „existieren“ und seinen Handlungsspielraum mit den USA zu maximieren.
Die Zeiten haben sich geändert. Der Kalte Krieg ist vorbei. Nikolas Sarkozy ist nicht de Gaulle und Russland ist nicht die Sowjetunion. Dennoch liegt unbestreitbar ein Hauch von Nostalgie über der aktuellen Annäherung zwischen zwei Mächten, die sich beide ihres relativen Bedeutungsverlustes in der Welt bewusst sind. Beide beabsichtigen ihren jeweiligen Status zu bekräftigen – im Falle Frankreichs in diplomatischer Hinsicht, im Falle Russlands in strategischer Hinsicht. Die Realität sieht allerdings für beide eher nüchtern aus.
Der Höhepunkt des kürzlichen Besuchs des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew in Paris, wo das Rüstungsgeschäft abgeschlossen wurde, bestand eher in der Einigung beider Länder auf pragmatische Überlegungen als auf langfristige strategische Visionen. Für Frankreich gilt: „It’s the economy, stupid“ – ein mittlerweile geflügeltes Wort, mit dem im Wahlkampf von Bill Clinton zum Ausdruck gebracht wurde, dass es letzten Endes auf die Wirtschaft ankommt.
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Die Maßnahmen des französischen Präsidenten sind tatsächlich Musik in russischen Ohren, so wie im August 2008, als Sarkozy erfolgreich einen Waffenstillstand und anschließend ein Friedensabkommen zwischen Georgien und Russland (größtenteils zu russischen Bedingungen) vermittelte. Und „Sarkozy der Amerikaner“ (wie man ihn einst in Frankreich nannte) findet heute nicht mehr, dass er Amerika etwas beweisen müsste. Im April 2009 ist Frankreich symbolisch in die militärische Kommandostruktur der NATO zurückgekehrt. Auch wenn einige amerikanische Politiker durch die französischen Verkäufe hoch entwickelter Rüstungsgüter an Russland irritiert sind, hat es niemand gewagt sich offen zu beschweren.
Sind die USA schließlich nicht gerade dabei die „Rückstelltaste“ mit Russland zu betätigen? Da China sich als wesentlich selbstbewusstere und aufsässigere Macht als Russland am Horizont abzeichnet, unter anderem auch als Hauptakteur in den G20, wird Russland von allen Weltmächten umworben. Und alle scheinen dabei das gleiche Kalkül anzustellen in der Hoffnung, die Machtverhältnisse innerhalb Russlands so zu verändern, dass Medwedews Position gegenüber Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin gestärkt wird.
Macht ein solches Kalkül überhaupt Sinn oder ist es einfach Wunschdenken, eine beruhigende und angenehme Illusion, in der sich die französische Führung wohlfühlen kann, obwohl ihrem Umgang mit Russland in Wirklichkeit eine rein wirtschaftliche Motivation zugrunde liegt?
Neulich sagte ein russischer Freund zu mir: „Putin will wie Roman Abramowitsch leben und wie Stalin regieren.“ Er hat die Hebel in der Hand. Die Vorstellung, dass man eine Medwedew-Karte ausspielen kann, um Putins Einfluss zu neutralisieren, ist eine gefährliche Illusion. Es gibt keine Machtteilung zwischen den beiden Männern. Der erste ist dabei dem zweiten den Weg für eine Rückkehr in den Kreml im Jahr 2012 zu ebnen. In Russland ist Macht Geld und Geld ist Macht. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel.
Frankreich sollte sich keine Illusionen machen. Grundsätzlich ist nichts falsch daran, Waffen an Russland zu verkaufen, aber damit wird lediglich Putins Bemühungen in die Hände gespielt, seine Vorherrschaftspolitik gegenüber Russlands „nahem Ausland“ zu bekräftigen. Der Verkauf solcher Kriegsschiffe wird sich nicht positiv auf die Machtverhältnisse in Russland auswirken, sondern die regionalen Machtverhältnisse beeinflussen – zu Gunsten von Russland.
Klar ist hingegen, dass jegliches Bestreben eine gemeinsame europäische Energie- und Sicherheitspolitik gegenüber Russland zu definieren allmählich schwindet. Von Berlin bis Paris und von Paris bis Rom mögen europäische Spitzenpolitiker letztlich das gleiche machen, aber sie machen es alle unabhängig voneinander; als Konkurrenten, die um die Gunst Russlands wetteifern und nicht als Partner innerhalb einer angeblich eng verbundenen Union.