Frankreich ist man derzeit eilig um den Bau des Internationalen Thermonuklearen Experimentellen Reaktors (ITER) bemüht. Dieser soll zeigen, dass für den Betrieb von Nuklearreaktoren die Kernfusion genutzt werden kann. ITER wird oft als langfristige Lösung für das Problem der globalen Erwärmung präsentiert, weil die Kernfusion eine unerschöpfliche und saubere Energiequelle sei. Aber ITER wird nichts dergleichen tun.
Bei der Kernspaltung, auf welcher heute die Erzeugung von Nuklearstrom beruht, werden Schwerelemente wie Uran in kleinere Elemente aufgespalten, während bei der Kernfusion kleine Elemente wie beispielsweise Wasserstoff verschmolzen werden und schwerere Elemente (Helium) bilden. Sowohl Kernspaltung wie Kernfusion erzeugen große Mengen Energie.
Einige führende Politiker erklären uns, die Kernfusion sei das, was auch in der Sonne ablaufe, und dank ITER würden wir diese Kraft nutzbar machen können. Häufig fügen Sie hinzu, dass die Kernfusion – weil dabei der im Meerwasser enthaltene Wasserstoff verbrannt werde – eine unerschöpfliche Energiequelle sei.
Leider wissen unsere politischen Führer wenig von den wissenschaftlichen Fragen, um die es hier geht. Dass die Kernfusion Energie freisetzt, ist seit der Erfindung der Wasserstoffbombe bekannt. Aber sie unter Kontrolle zu halten, ist für die Forschungsinstitute noch immer ein grundlegendes Problem, keine unwesentliche technische Schwierigkeit, die sich problemlos bewältigen ließe.
Eine kleine Sonne in einer Schachtel einzusperren, ist eine extrem schwierige Aufgabe, und zwar im Wesentlichen aus drei Gründen. Erstens besteht der nukleare Brennstoff nicht aus Meerwasser, sondern aus einer Mischung der beiden Schwerisotope des Wasserstoffs, Deuterium und Tritium. Letzteres ist ein radioaktives Element, das in kleinen Mengen für Wasserstoffbomben produziert wurde. Die Entwicklung von Fusionsreaktoren setzt voraus, dass man Tritium im industriellen Maßstab produziert – mit Methoden, die es erst noch zu erfinden gilt.
Zweitens setzt die Fusion von Deuterium und Tritium bei etwa 100 Millionen Grad ein. Um eine derartige Temperatur zu erreichen, muss man ein aus einer großen Flamme aus Deuterium- und Tritiumkernen bestehendes Plasma mit einem Magneten beschleunigen. Dies muss in einer großen Kammer geschehen, in der ein ultrahohes Vakuum herrscht. ITER ist nicht darauf ausgelegt, Strom zu erzeugen, sondern um die Stabilität der Flamme innerhalb des Magneten zu untersuchen. Da die Fusionsreaktionen Alphateilchen produzieren, die das Plasma verunreinigen, muss man bei 100 Millionen Grad einen „Divertor“ in das Flammeninnere einführen, um das Plasma zu reinigen. Das hat bisher noch nie jemand geschafft, aber ITER könnte etwa im Jahre 2030 soweit sein – vorausgesetzt, man löst zuerst das vorherige Problem.
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Drittens werden bei der Kernfusion zusätzlich Neutronen freigesetzt, die innerhalb des Wandmaterials zur Explosion neigende Blasen aus Heliumgas produzieren. Die Befürworter von ITER erklären, dass die Blasen entweichen können, wenn man die Wände porös gestaltet. Aber eine Sache kann nicht gleichzeitig dicht und porös sein, und ITER ist nicht darauf ausgelegt, diesen Widerspruch zu untersuchen. In der Zukunft soll zwischen Plasma und Wände eine „Abdeckung“ eingefügt werden, die zwei Ziele verfolgt: die Außenwände zu schützen und durch Kernreaktionen, die in einer Lithium enthaltenen Flüssigkeit ablaufen, Tritium zu produzieren. Dies könnte funktionieren, aber die erste Wand der Abdeckung müsste dabei nicht nur gleichzeitig dicht und porös sein, sondern auch ausreichend durchlässig für die Neutronen, die die dahinter liegenden Lithiumatome treffen müssen.
Das Werkstoffproblem ist für sich allein gesehen bereits ein vollständiges Forschungsfeld. Um es zu untersuchen, wurde beschlossen, in Japan die Internationale Anlage zur Bestrahlung von Fusionswerkstoffen (IFMIF) zu errichten. Einige Wissenschaftler haben argumentiert, dass die Bestrahlung mit Neutronen in der IFMIF nicht mit der eines Fusionsreaktors identisch sei, aber dafür betragen die Kosten für die IFMIF mit einer Milliarde Euro nur ein Zehntel der Kosten von ITER.
Warum also können wir nicht die Ergebnisse der IFMIF abwarten, bevor wir ITER bauen? Es ist alles eine Frage des Budgets. Falls sich mit ITER das Energieproblem unseres Planeten tatsächlich lösen ließe, wären 10 Milliarden Euro eine unbedeutende Investition – weniger als der Nettogewinn der Ölgesellschaft TOTAL (der 2006 bei 13 Milliarden Euro lag) und genau so viel wie zehn Tage Kriegsführung im Irak.
Aber es wird viele Jahrzehnte dauern, bis die Kernfusion vielleicht einmal in Nuklearkraftwerken zum Einsatz kommen kann. Selbst falls ITER Erfolg haben sollte und man die Tritium- und die Werkstoffprobleme löst, müsste alles in Realgröße getestet werden, und erst dann könnte der erste Prototyp eines industriellen Reaktors errichtet werden. Eine drastische Reduzierung der CO2-Emissionen ist eine drängende Priorität, aber es ist unwahrscheinlich, dass die Kernfusion vor Beginn des 22. Jahrhunderts ausreichend Energie produziert, um dieses Ziel zu erreichen.
Tatsächlich ist ITER ein großes Instrument zur Grundlagenforschung; deshalb muss man seine Jahreskosten von 500 Millionen Euro mit denen ähnlicher wissenschaftlicher Initiativen wie der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) vergleichen, die eine Milliarde Schweizer Franken pro Jahr kostet. Meiner Meinung nach ist die Suche nach der Grundstruktur von Teilchen wesentlich wichtiger als die Untersuchung der Plasmastabilität.
Der französische Beitrag zu ITER ist größer als die Summe sämtlicher für Forschungsprojekte in all unseren Physiklabors zur Verfügung stehenden Fördermittel zusammen. Es besteht daher die Gefahr, dass ITER anderen lebenswichtigen Forschungsprojekten die Fördermittel entzieht. Wir haben so etwas schon einmal erlebt: mit der Internationalen Raumfahrtstation, für welche 100 Milliarden Dollar verschwendet wurden, ohne dass sie wissenschaftliche Ergebnisse geliefert hätte.
ITER wird unser Energieproblem nicht lösen. Obwohl ITER für den Bereich der Plasmaphysik von gewissem Interesse ist, sollten die teilnehmenden Länder klar erklären, dass seine Finanzierung ihre übrigen Forschungsanstrengungen nicht beeinflussen wird. Zugleich sollte die internationale Gemeinschaft Forschungsmaßnahmen im Bereich der Energieeinsparung und der Energiespeicherung unterstützen und die Entwicklung von Nuklearreaktoren der vierten Generation vorantreiben, die die Kernspaltung nutzen und sowohl sauber als auch langlebig sein werden.
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At the end of a year of domestic and international upheaval, Project Syndicate commentators share their favorite books from the past 12 months. Covering a wide array of genres and disciplines, this year’s picks provide fresh perspectives on the defining challenges of our time and how to confront them.
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Frankreich ist man derzeit eilig um den Bau des Internationalen Thermonuklearen Experimentellen Reaktors (ITER) bemüht. Dieser soll zeigen, dass für den Betrieb von Nuklearreaktoren die Kernfusion genutzt werden kann. ITER wird oft als langfristige Lösung für das Problem der globalen Erwärmung präsentiert, weil die Kernfusion eine unerschöpfliche und saubere Energiequelle sei. Aber ITER wird nichts dergleichen tun.
Bei der Kernspaltung, auf welcher heute die Erzeugung von Nuklearstrom beruht, werden Schwerelemente wie Uran in kleinere Elemente aufgespalten, während bei der Kernfusion kleine Elemente wie beispielsweise Wasserstoff verschmolzen werden und schwerere Elemente (Helium) bilden. Sowohl Kernspaltung wie Kernfusion erzeugen große Mengen Energie.
Einige führende Politiker erklären uns, die Kernfusion sei das, was auch in der Sonne ablaufe, und dank ITER würden wir diese Kraft nutzbar machen können. Häufig fügen Sie hinzu, dass die Kernfusion – weil dabei der im Meerwasser enthaltene Wasserstoff verbrannt werde – eine unerschöpfliche Energiequelle sei.
Leider wissen unsere politischen Führer wenig von den wissenschaftlichen Fragen, um die es hier geht. Dass die Kernfusion Energie freisetzt, ist seit der Erfindung der Wasserstoffbombe bekannt. Aber sie unter Kontrolle zu halten, ist für die Forschungsinstitute noch immer ein grundlegendes Problem, keine unwesentliche technische Schwierigkeit, die sich problemlos bewältigen ließe.
Eine kleine Sonne in einer Schachtel einzusperren, ist eine extrem schwierige Aufgabe, und zwar im Wesentlichen aus drei Gründen. Erstens besteht der nukleare Brennstoff nicht aus Meerwasser, sondern aus einer Mischung der beiden Schwerisotope des Wasserstoffs, Deuterium und Tritium. Letzteres ist ein radioaktives Element, das in kleinen Mengen für Wasserstoffbomben produziert wurde. Die Entwicklung von Fusionsreaktoren setzt voraus, dass man Tritium im industriellen Maßstab produziert – mit Methoden, die es erst noch zu erfinden gilt.
Zweitens setzt die Fusion von Deuterium und Tritium bei etwa 100 Millionen Grad ein. Um eine derartige Temperatur zu erreichen, muss man ein aus einer großen Flamme aus Deuterium- und Tritiumkernen bestehendes Plasma mit einem Magneten beschleunigen. Dies muss in einer großen Kammer geschehen, in der ein ultrahohes Vakuum herrscht. ITER ist nicht darauf ausgelegt, Strom zu erzeugen, sondern um die Stabilität der Flamme innerhalb des Magneten zu untersuchen. Da die Fusionsreaktionen Alphateilchen produzieren, die das Plasma verunreinigen, muss man bei 100 Millionen Grad einen „Divertor“ in das Flammeninnere einführen, um das Plasma zu reinigen. Das hat bisher noch nie jemand geschafft, aber ITER könnte etwa im Jahre 2030 soweit sein – vorausgesetzt, man löst zuerst das vorherige Problem.
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Das Werkstoffproblem ist für sich allein gesehen bereits ein vollständiges Forschungsfeld. Um es zu untersuchen, wurde beschlossen, in Japan die Internationale Anlage zur Bestrahlung von Fusionswerkstoffen (IFMIF) zu errichten. Einige Wissenschaftler haben argumentiert, dass die Bestrahlung mit Neutronen in der IFMIF nicht mit der eines Fusionsreaktors identisch sei, aber dafür betragen die Kosten für die IFMIF mit einer Milliarde Euro nur ein Zehntel der Kosten von ITER.
Warum also können wir nicht die Ergebnisse der IFMIF abwarten, bevor wir ITER bauen? Es ist alles eine Frage des Budgets. Falls sich mit ITER das Energieproblem unseres Planeten tatsächlich lösen ließe, wären 10 Milliarden Euro eine unbedeutende Investition – weniger als der Nettogewinn der Ölgesellschaft TOTAL (der 2006 bei 13 Milliarden Euro lag) und genau so viel wie zehn Tage Kriegsführung im Irak.
Aber es wird viele Jahrzehnte dauern, bis die Kernfusion vielleicht einmal in Nuklearkraftwerken zum Einsatz kommen kann. Selbst falls ITER Erfolg haben sollte und man die Tritium- und die Werkstoffprobleme löst, müsste alles in Realgröße getestet werden, und erst dann könnte der erste Prototyp eines industriellen Reaktors errichtet werden. Eine drastische Reduzierung der CO2-Emissionen ist eine drängende Priorität, aber es ist unwahrscheinlich, dass die Kernfusion vor Beginn des 22. Jahrhunderts ausreichend Energie produziert, um dieses Ziel zu erreichen.
Tatsächlich ist ITER ein großes Instrument zur Grundlagenforschung; deshalb muss man seine Jahreskosten von 500 Millionen Euro mit denen ähnlicher wissenschaftlicher Initiativen wie der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) vergleichen, die eine Milliarde Schweizer Franken pro Jahr kostet. Meiner Meinung nach ist die Suche nach der Grundstruktur von Teilchen wesentlich wichtiger als die Untersuchung der Plasmastabilität.
Der französische Beitrag zu ITER ist größer als die Summe sämtlicher für Forschungsprojekte in all unseren Physiklabors zur Verfügung stehenden Fördermittel zusammen. Es besteht daher die Gefahr, dass ITER anderen lebenswichtigen Forschungsprojekten die Fördermittel entzieht. Wir haben so etwas schon einmal erlebt: mit der Internationalen Raumfahrtstation, für welche 100 Milliarden Dollar verschwendet wurden, ohne dass sie wissenschaftliche Ergebnisse geliefert hätte.
ITER wird unser Energieproblem nicht lösen. Obwohl ITER für den Bereich der Plasmaphysik von gewissem Interesse ist, sollten die teilnehmenden Länder klar erklären, dass seine Finanzierung ihre übrigen Forschungsanstrengungen nicht beeinflussen wird. Zugleich sollte die internationale Gemeinschaft Forschungsmaßnahmen im Bereich der Energieeinsparung und der Energiespeicherung unterstützen und die Entwicklung von Nuklearreaktoren der vierten Generation vorantreiben, die die Kernspaltung nutzen und sowohl sauber als auch langlebig sein werden.