BOSTON – Die Menschheit steht mit dem Klimawandel vor ihrer bisher gewaltigsten kollektiven Aufgabe. Der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen muss innerhalb der nächsten dreißig Jahre netto auf beinahe null sinken, wenn wir auch nur die geringste Chance haben wollen, dass die Temperaturen im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter um höchstens 2° Celsius steigen. Je weiter wir diese Schwelle überschreiten, umso wahrscheinlicher werden wahre Katastrophenszenarien. Mit der Rückkehr der USA in das Pariser Klimaabkommen ist jetzt die Zeit, in der die Welt sich wieder der Bekämpfung dieser epochalen Herausforderungen widmen muss.
Bill Gates genießt höchsten Respekt und seine Stimme ist ein willkommener Beitrag zu diesen Anstrengungen. In seinem neuen Buch Wie wir die Klimakatastrophe verhindern: Welche Lösungen es gibt und welche Fortschritte nötig sind argumentiert Gates, dass wir nur dann eine Lösung finden, wenn wir mit neuen Ideen und technologischen Innovationen experimentieren. Sein Plädoyer für Geoengineering durch Strahlungsmanagement ist aber ein Schritt in die falsche Richtung, weil dieser Weg die Anreize untergräbt, die wir für den Kampf gegen den Klimawandel brauchen.
Hinter dem Verfahren steckt eine einfach Idee: Wenn wir die Treibhausgase in der Atmosphäre nicht reduzieren können, können wir vielleicht die wärmende Sonnenstrahlung blockieren, indem wir beispielsweise eine reflektierende Hülle erzeugen. Auf natürlichem Wege geschieht dies bei Vulkanausbrüchen. Bei der Eruption des philippinischen Vulkans Pinatubo im Jahr 1991 gelangten große Mengen Schwefelsäure und Staub in die Stratosphäre, wodurch vorübergehend weniger Sonnenstrahlung die Erde erreichte. In den drei Jahren danach sanken die Temperaturen weltweit um 0,5°C und auf der Nordhalbkugel sogar um 0,6°C.
Viele brillante Denker arbeiten zurzeit an Projekten zum Strahlungsmanagement. Und obwohl beispielsweise die Wissenschaftler, die an der Harvard University am Stratospheric Controlled Perturbation Experiment arbeiten, statt giftiger Schwefel-Aerosole den Einsatz von Calciumcarbonat planen, bleibt das Grundprinzip gleich und Gates selbst hat viele dieser technologischen Innovationen unterstützt.
Was soll da schon schief gehen? Erstens sind die Risiken von Eingriffen in die Sonneneinstrahlung ebenso groß wie der potenzielle Nutzen. Der Ausbruch des Pinatubo hat nicht nur das Klima destabilisiert, sondern vermutlich auch die Zerstörung der Ozonschicht beschleunigt. Um den Klimawandel nennenswert zu bremsen, müssten wir die Effekte dieser Eruption in viel größerem Maßstab nachbilden. Das könnte noch stärkere Klimaschwankungen und in manchen Teilen der Welt sogar Kälteeinbrüche zur Folge haben. Da diese Effekte nicht in allen Ländern und Regionen gleich stark ausfallen würden, dürfte außerdem die geopolitische Instabilität zunehmen.
Wenn ein Vorschlag enorme potenzielle Nutzen, aber auch massive potenzielle Kosten hat, ist es nur vernünftig, mit Experimenten in kleinem Maßstab seine Tauglichkeit zu prüfen – und genau das tun die von Gates unterstützten Projekte gerade. Das Problem ist, dass die globale Klimadynamik sehr komplex ist und uns diese Versuche deshalb nicht unbedingt die tatsächliche Kosten zeigen. Ein kleiner Schirm aus Sonnenstrahlen reflektierendem Staub hat womöglich völlig andere Effekte als ein großer.
Außerdem hat auch Geoengineering mit den allerbesten Absichten eine dunkle Seite. Je mehr wir von seiner Wirksamkeit überzeugt sind, desto stärker lehnen wir CO2-Besteuerung, Investitionen in erneuerbare Energien und andere erprobte und bewährte Lösungen ab. Wirtschaftswissenschaftler nennen das „moralisches Risiko“. Wenn Wirtschaftsteilnehmer wissen, dass sie die Kosten für verantwortungsloses Verhalten nicht selbst tragen müssen, verhalten sie sich häufiger verantwortungslos.
Auf die Bekämpfung des Klimawandels bezogen, bedeutet das: Sobald Regierungen wissen, dass es Verfahren gibt, mit denen sie auch ohne harte Eingriffe zur Senkung der Emissionen einer Katastrophe noch entgehen könnten, schrecken sie vor diesen harten Eingriffen zurück. Die CO2-Besteuerung wird auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben, Fördermittel für grüne Forschung werden gestrichen und auch die Verbraucher haben weniger Anreize, ihren CO2-Fußabdruck zu senken.
Das moralische Risiko ist nicht nur eine abwegige Theorie. So meint Bill Gates beispielsweise selbst, dass die Solar- und Windenergie auch dann als Lösungen nicht ausreichten, wenn in den USA eine CO2-Steuer eingeführt würde. Diese Denkweise ist aber womöglich ein fataler Fehler. Man kann sich leicht vorstellen, dass Politiker, die Regionen mit einer starken Kohlewirtschaft nicht durch politische Maßnahmen für mehr Klimaschutz unter Druck bringen wollen, diese Skepsis sehr attraktiv finden. Wir sollten jedoch nicht die enormen Fortschritte bei der Wirtschaftlichkeit der Solar- und Windenergie vergessen. Und wir müssen bedenken, wie viel mehr Fortschritt noch möglich ist, wenn wir diese Energiequellen mit innovativen Speichertechnologien kombinieren.
Moralisches Risiko tragen aber nicht nur Regierungen. Laut meiner eigenen Forschung mit Will Rafey von der University of California in Los Angeles verlangsamen die Projekte zum Geoengineering womöglich auch den Umstieg auf saubere Energien in der Privatwirtschaft. Firmen, die schon angefangen haben, in erneuerbare Energien zu investieren, gehen davon aus, dass künftig strengere Klimaschutzvorschriften gelten und CO2 effizient besteuert wird. Wenn wir ihnen die Chance vorgaukeln, dass Geoengineering durch Strahlungsmanagement die globale Erwärmung noch verhindern kann, erwarten sie auch weniger Regulierung und Besteuerung und streichen ihre Investitionen entsprechen zusammen.
Letztlich gibt es keinen einfachen Weg und keine Alternative zu CO2-Steuern und erneuerbarer Energie, wenn wir eine Klimakatastrophe verhindern wollen. Bill Gates hat das in seiner Begeisterung für Geoengineering aus den Augen verloren. Aber je länger wir die CO2-Besteuerung und die massiven zusätzliche Investitionen aufschieben, die wir zum Ausbau der erneuerbaren Energien brauchen, umso gravierender werden die Klimaprobleme der Zukunft.
Gates Unterstützung für Geoengineering ist Ausdruck seines Hangs zu Techno-Utopien. Technologien sind ohne Frage ein Teil der Lösung, aber keine Wunderwaffen gegen die übermäßigen CO2-Emissionen von Jahrhunderten. Das Problem mit Techno-Utopien ist, dass sie lieber schnelle Lösungen finden und der Gesellschaft überstülpen, als zu akzeptieren, dass wir teure Investitionen und Graswurzellösungen aus vielen unterschiedlichen Perspektiven brauchen. Wie der Politikwissenschaftlicher James C. Scott beschreibt, hat diese Einstellung im zwanzigsten Jahrhundert viele soziale Katastrophen ausgelöst und wird dies angesichts der neuen Begeisterung für Geoengineering womöglich wieder tun.
Welche Schäden der Glaube an Techno-Utopien anrichten kann, zeigt sich heute schon zum Beispiel im Bereich der künstlichen Intelligenz, in dem uns spektakuläre Fortschritte versprochen werden, wir aber nur sehen, wie Algorithmen in großem Stil Arbeitsplätze vernichten oder Menschen diskriminieren. Ein weiteres Beispiel ist das Gesundheitswesen, für das die USA gewaltige Summen ausgibt – rund 18 % des BIP – und dabei viel stärker auf High-Tech setzt als auf Investitionen in die öffentliche Gesundheit, Prävention und eine Krankenversicherung für alle Bürger. Das Ergebnis ist eine kranke Bevölkerung trotz hoher Kosten.
Der Klimawandel stellt uns vor noch größere Herausforderungen. Er ist zu wichtig, um ihn denjenigen zu überlassen, die uns technologische Patentrezepte versprechen, die wortwörtlich vom Himmel fallen.
BOSTON – Die Menschheit steht mit dem Klimawandel vor ihrer bisher gewaltigsten kollektiven Aufgabe. Der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen muss innerhalb der nächsten dreißig Jahre netto auf beinahe null sinken, wenn wir auch nur die geringste Chance haben wollen, dass die Temperaturen im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter um höchstens 2° Celsius steigen. Je weiter wir diese Schwelle überschreiten, umso wahrscheinlicher werden wahre Katastrophenszenarien. Mit der Rückkehr der USA in das Pariser Klimaabkommen ist jetzt die Zeit, in der die Welt sich wieder der Bekämpfung dieser epochalen Herausforderungen widmen muss.
Bill Gates genießt höchsten Respekt und seine Stimme ist ein willkommener Beitrag zu diesen Anstrengungen. In seinem neuen Buch Wie wir die Klimakatastrophe verhindern: Welche Lösungen es gibt und welche Fortschritte nötig sind argumentiert Gates, dass wir nur dann eine Lösung finden, wenn wir mit neuen Ideen und technologischen Innovationen experimentieren. Sein Plädoyer für Geoengineering durch Strahlungsmanagement ist aber ein Schritt in die falsche Richtung, weil dieser Weg die Anreize untergräbt, die wir für den Kampf gegen den Klimawandel brauchen.
Hinter dem Verfahren steckt eine einfach Idee: Wenn wir die Treibhausgase in der Atmosphäre nicht reduzieren können, können wir vielleicht die wärmende Sonnenstrahlung blockieren, indem wir beispielsweise eine reflektierende Hülle erzeugen. Auf natürlichem Wege geschieht dies bei Vulkanausbrüchen. Bei der Eruption des philippinischen Vulkans Pinatubo im Jahr 1991 gelangten große Mengen Schwefelsäure und Staub in die Stratosphäre, wodurch vorübergehend weniger Sonnenstrahlung die Erde erreichte. In den drei Jahren danach sanken die Temperaturen weltweit um 0,5°C und auf der Nordhalbkugel sogar um 0,6°C.
Viele brillante Denker arbeiten zurzeit an Projekten zum Strahlungsmanagement. Und obwohl beispielsweise die Wissenschaftler, die an der Harvard University am Stratospheric Controlled Perturbation Experiment arbeiten, statt giftiger Schwefel-Aerosole den Einsatz von Calciumcarbonat planen, bleibt das Grundprinzip gleich und Gates selbst hat viele dieser technologischen Innovationen unterstützt.
Was soll da schon schief gehen? Erstens sind die Risiken von Eingriffen in die Sonneneinstrahlung ebenso groß wie der potenzielle Nutzen. Der Ausbruch des Pinatubo hat nicht nur das Klima destabilisiert, sondern vermutlich auch die Zerstörung der Ozonschicht beschleunigt. Um den Klimawandel nennenswert zu bremsen, müssten wir die Effekte dieser Eruption in viel größerem Maßstab nachbilden. Das könnte noch stärkere Klimaschwankungen und in manchen Teilen der Welt sogar Kälteeinbrüche zur Folge haben. Da diese Effekte nicht in allen Ländern und Regionen gleich stark ausfallen würden, dürfte außerdem die geopolitische Instabilität zunehmen.
Wenn ein Vorschlag enorme potenzielle Nutzen, aber auch massive potenzielle Kosten hat, ist es nur vernünftig, mit Experimenten in kleinem Maßstab seine Tauglichkeit zu prüfen – und genau das tun die von Gates unterstützten Projekte gerade. Das Problem ist, dass die globale Klimadynamik sehr komplex ist und uns diese Versuche deshalb nicht unbedingt die tatsächliche Kosten zeigen. Ein kleiner Schirm aus Sonnenstrahlen reflektierendem Staub hat womöglich völlig andere Effekte als ein großer.
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Außerdem hat auch Geoengineering mit den allerbesten Absichten eine dunkle Seite. Je mehr wir von seiner Wirksamkeit überzeugt sind, desto stärker lehnen wir CO2-Besteuerung, Investitionen in erneuerbare Energien und andere erprobte und bewährte Lösungen ab. Wirtschaftswissenschaftler nennen das „moralisches Risiko“. Wenn Wirtschaftsteilnehmer wissen, dass sie die Kosten für verantwortungsloses Verhalten nicht selbst tragen müssen, verhalten sie sich häufiger verantwortungslos.
Auf die Bekämpfung des Klimawandels bezogen, bedeutet das: Sobald Regierungen wissen, dass es Verfahren gibt, mit denen sie auch ohne harte Eingriffe zur Senkung der Emissionen einer Katastrophe noch entgehen könnten, schrecken sie vor diesen harten Eingriffen zurück. Die CO2-Besteuerung wird auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben, Fördermittel für grüne Forschung werden gestrichen und auch die Verbraucher haben weniger Anreize, ihren CO2-Fußabdruck zu senken.
Das moralische Risiko ist nicht nur eine abwegige Theorie. So meint Bill Gates beispielsweise selbst, dass die Solar- und Windenergie auch dann als Lösungen nicht ausreichten, wenn in den USA eine CO2-Steuer eingeführt würde. Diese Denkweise ist aber womöglich ein fataler Fehler. Man kann sich leicht vorstellen, dass Politiker, die Regionen mit einer starken Kohlewirtschaft nicht durch politische Maßnahmen für mehr Klimaschutz unter Druck bringen wollen, diese Skepsis sehr attraktiv finden. Wir sollten jedoch nicht die enormen Fortschritte bei der Wirtschaftlichkeit der Solar- und Windenergie vergessen. Und wir müssen bedenken, wie viel mehr Fortschritt noch möglich ist, wenn wir diese Energiequellen mit innovativen Speichertechnologien kombinieren.
Moralisches Risiko tragen aber nicht nur Regierungen. Laut meiner eigenen Forschung mit Will Rafey von der University of California in Los Angeles verlangsamen die Projekte zum Geoengineering womöglich auch den Umstieg auf saubere Energien in der Privatwirtschaft. Firmen, die schon angefangen haben, in erneuerbare Energien zu investieren, gehen davon aus, dass künftig strengere Klimaschutzvorschriften gelten und CO2 effizient besteuert wird. Wenn wir ihnen die Chance vorgaukeln, dass Geoengineering durch Strahlungsmanagement die globale Erwärmung noch verhindern kann, erwarten sie auch weniger Regulierung und Besteuerung und streichen ihre Investitionen entsprechen zusammen.
Letztlich gibt es keinen einfachen Weg und keine Alternative zu CO2-Steuern und erneuerbarer Energie, wenn wir eine Klimakatastrophe verhindern wollen. Bill Gates hat das in seiner Begeisterung für Geoengineering aus den Augen verloren. Aber je länger wir die CO2-Besteuerung und die massiven zusätzliche Investitionen aufschieben, die wir zum Ausbau der erneuerbaren Energien brauchen, umso gravierender werden die Klimaprobleme der Zukunft.
Gates Unterstützung für Geoengineering ist Ausdruck seines Hangs zu Techno-Utopien. Technologien sind ohne Frage ein Teil der Lösung, aber keine Wunderwaffen gegen die übermäßigen CO2-Emissionen von Jahrhunderten. Das Problem mit Techno-Utopien ist, dass sie lieber schnelle Lösungen finden und der Gesellschaft überstülpen, als zu akzeptieren, dass wir teure Investitionen und Graswurzellösungen aus vielen unterschiedlichen Perspektiven brauchen. Wie der Politikwissenschaftlicher James C. Scott beschreibt, hat diese Einstellung im zwanzigsten Jahrhundert viele soziale Katastrophen ausgelöst und wird dies angesichts der neuen Begeisterung für Geoengineering womöglich wieder tun.
Welche Schäden der Glaube an Techno-Utopien anrichten kann, zeigt sich heute schon zum Beispiel im Bereich der künstlichen Intelligenz, in dem uns spektakuläre Fortschritte versprochen werden, wir aber nur sehen, wie Algorithmen in großem Stil Arbeitsplätze vernichten oder Menschen diskriminieren. Ein weiteres Beispiel ist das Gesundheitswesen, für das die USA gewaltige Summen ausgibt – rund 18 % des BIP – und dabei viel stärker auf High-Tech setzt als auf Investitionen in die öffentliche Gesundheit, Prävention und eine Krankenversicherung für alle Bürger. Das Ergebnis ist eine kranke Bevölkerung trotz hoher Kosten.
Der Klimawandel stellt uns vor noch größere Herausforderungen. Er ist zu wichtig, um ihn denjenigen zu überlassen, die uns technologische Patentrezepte versprechen, die wortwörtlich vom Himmel fallen.