sheng131Jiang QimingChina News Service via Getty Images_pboc Jiang Qiming/China News Service via Getty Images

Eine Quantitative Lockerung mit chinesischen Merkmalen?

HONG KONG – Im Jahr 2020 kündigte Sebastian Mallaby vom Council on Foreign Relations den Beginn des „Zeitalters des magischen Geldes“ an, in dem die fortgeschrittenen Volkswirtschaften „die äußeren Grenzen ihrer monetären und fiskalischen Macht neu definieren“ würden. Im Juli 2022, so Mallaby, werde dieses Zeitalter zu Ende gehen. Doch während die meisten großen Zentralbanken jetzt die quantitative Lockerung (QE) rückgängig machen und die Zinssätze anheben, muss China möglicherweise den umgekehrten Weg einschlagen.

Beobachter vergessen oft, dass die QE von der Bank of Japan (BOJ) im Jahr 2001 als Instrument zur Bekämpfung der Bilanzdeflation erfunden wurde. Zu den anderen Instrumenten gehörten die Nullzinsrate und die Forward Guidance. Die Bilanz der BOJ wurde von 20 % des BIP im Jahr 2001 auf 30 % im Jahr 2006 ausgeweitet, hauptsächlich durch den Ankauf von japanischen Staatsanleihen.

Doch wie der Nomura-Volkswirt Richard Koo 2010 feststellte, spornte die lockere Geld- und Fiskalpolitik Unternehmen und Haushalte nicht zu Investitionen oder Ausgaben an, da sie sich weiterhin darauf konzentrierten, ihre eigenen beschädigten Bilanzen wieder aufzubauen. Daher führte die BOJ unter der Leitung von Gouverneur Haruhiko Kuroda im Jahr 2015 die sogenannte quantitative und qualitative Lockerung (QQE) ein.

Wie QE zielt auch QQE darauf ab, durch den massiven Ankauf von Staatsanleihen einen Rückgang der langfristigen Zinssätze zu bewirken. Doch die politischen Entscheidungsträger hatten noch ein zweites Ziel vor Augen: Japans tief verwurzelte deflationäre Denkweise zu ändern. Im Jahr 2016 wurde ein negativer Zinssatz eingeführt, um eine weitere geldpolitische Lockerung zu ermöglichen.

Die jährliche Inflation hat das Ziel der BOJ von 2 % nie ganz erreicht, und das japanische Wirtschaftswachstum liegt seit fast drei Jahrzehnten bei durchschnittlich weniger als 1 % pro Jahr. Was die BOJ jedoch erreichte, war eine umfassende Umgestaltung der nationalen Bilanz mit weitreichenden Auswirkungen auf das japanische Steuer- und Finanzsystem.

Mit einer schnell alternden Bevölkerung hat Japan eine sehr hohe Sparquote, da sich die Menschen auf den Ruhestand vorbereiten. Da der größte Teil des Rentenvermögens in Japan in Staatsanleihen gehalten wird, die fast keine Zinsen abwerfen, stellt eine Deflation ein Risiko für das japanische Finanzsystem dar. Wenn gleichzeitig die Inflation zunimmt und die Anleiherenditen steigen, könnten die Rentenfonds sehr hohe Verluste erleiden.

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Die QQE hat alles verändert. Durch den Ankauf von Staatsanleihen der Pensionsfonds zwang die BOJ diese Fonds, mehr langfristige US-Staatsanleihen und hochwertige Wertpapiere aus fortgeschrittenen Ländern mit höheren Renditen zu kaufen. Somit verringerte die QQE die finanziellen Risiken und sorgte gleichzeitig für sehr niedrige Zinssätze, was eine erhebliche inländische Liquidität zur Unterstützung des Finanzsystems sicherstellte und den Wert des Yen niedrig hielt, was den japanischen Exporten zugutekam. Japans Bilanz wurde sowohl in Bezug auf die Duration als auch auf die Verteilung der Vermögenswerte umgestaltet.

Ebenfalls als Ergebnis von QQE stieg Japans Nettoinvestitionsposition von 800 Mrd. USD (16,3 % des BIP) im Jahr 1999 auf beachtliche 3,6 Billionen USD (75,8 % des BIP) im Jahr 2021, was das Land zum größten Nettoinvestor auf ausländischen Märkten macht. Natürlich hat dies die Bilanz der BOJ auch aufgebläht: sie überstieg im Juni 2022 134 % des BIP, verglichen mit 66 % bei der Europäischen Zentralbank, 35 % bei der US-Notenbank und 33 % bei der Chinesischen Volksbank.

Die Kosten und Nutzen einer QE werden sowohl in akademischen als auch in politischen Kreisen heftig diskutiert. Mainstream-Ökonomen waren überrascht, dass die massiven QE-Programme die Inflation nicht in die Höhe schnellen ließen. Obwohl die kollektive Bilanz der vier größten Zentralbanken der Welt – der BOJ, der EZB, der Fed und der PBOC – von 5 Billionen Dollar (8 % des weltweiten BIP) im Jahr 2006 auf 31 Billionen Dollar (32 % des weltweiten BIP) im Jahr 2021 anschwoll, blieb die Inflation in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften bis zum letzten Jahr gedämpft. Diese Mainstream-Stimmen mögen sich durch die derzeit hohen Inflationsraten bestätigt fühlen, obwohl selbst dieser Anstieg durch den Krieg in der Ukraine erheblich angeheizt wurde.

Das Instrument der QE kann zweifellos zum Guten eingesetzt werden – auch zur Sicherung der Finanzstabilität (mit Auswirkungen auf Wechselkurse und steuerliche Bedingungen). Das hat die Bank of England im Oktober bewiesen, als sie eine befristete QE-Operation einleitete, um einen Ausverkauf auf dem Markt für Staatsanleihen zu verhindern und eine größere Krise abzuwenden.

Dennoch hat die QE auch enorme fiskalische Auswirkungen. Niedrigere Zinssätze bedeuten niedrigere Schuldendienstkosten. Wenn die Zinssätze steigen, muss das Finanzministerium jedoch höhere Schuldendienstkosten tragen und das durch die Bilanzverluste der Zentralbank entstandene quasi-fiskalische Loch füllen, da die zu niedrigeren Zinssätzen gekauften Anleihen mit höheren Renditen bewertet würden. Das britische Finanzministerium war gezwungen, der BOE die Verluste in Höhe von 11 Mrd. £ (13 Mrd. $), die ihr bei ihren Gilt-Operationen entstanden waren, zu erstatten.

Theoretisch ist gegen eine Erhöhung der Verbindlichkeiten nichts einzuwenden, wenn die entsprechenden Vermögenswerte soziale Renditen abwerfen, die höher sind als die Kapitalkosten. Verwendet man eine QE jedoch zur Finanzierung von Haushaltsdefiziten, die für kurzfristige Ausgaben gebraucht werden, anstatt sie in langfristige Investitionen zu lenken, könnte dies die künftige Produktivität verringern, während überschüssige Liquidität die Preise von Vermögenswerten in die Höhe treibt und damit die Ungleichheit verschärft.

In jedem Fall blieb den meisten großen Zentralbanken angesichts der hohen Inflation kaum eine andere Wahl, als eine aggressive Straffung vorzunehmen. Aber die Situation in China ist anders. Die chinesische Staatsverschuldung macht nur 3,8 % der Bilanz der PBOC aus, während die Staatsverschuldung 55 % der Bilanz der Fed und satte 80 % der Bilanz der BOJ ausmacht.

Da China immer noch einen Leistungsbilanzüberschuss und einen Nettoinvestitionsüberschuss von mehr als 2 Billionen Dollar (10 % des BIP) aufweist, hat das Land reichlich Spielraum, um die Geldmengenexpansion zur Unterstützung der Finanzstabilität und zur Förderung von Strukturreformen zu nutzen. Die PBOC hat bereits eine Senkung des Pflichtreservesatzes der Banken um 25 Basispunkte angekündigt – ein Schritt, der Liquidität freisetzen und das Wachstum fördern wird.

Einige Traditionalisten würden argumentieren, dass Zentralbanken nicht in die Vermögensallokation eingreifen sollten, außer über den Zinskanal. Aber die QE hat sich bereits als ein mächtiges Instrument zur Ressourcenallokation erwiesen, das die Bilanzen der Länder verändern kann. Ein innovatives, gut geplantes QE-Programm – nennen wir es QE mit chinesischen Merkmalen – könnte Chinas Bemühungen unterstützen, einige der größten Herausforderungen zu bewältigen, vor denen es steht.

Übersetzung: Andreas Hubig

https://prosyn.org/ytfHB5Nde