SEATTLE – Obwohl fast alle hitzebedingten Todesfälle vermeidbar wären, fordern Hitzewellen jedes Jahr weltweit tausende Menschenleben. Im Moment stellt eine extreme Hitzewelle in Indien und Pakistan, von der etwa eine Milliarde Menschen betroffen sind, „die Grenzen der menschlichen Überlebensfähigkeit“ auf die Probe“, warnt Chandni Singh, eine der Hauptautorinnen des Sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates. Im April erreichte die durchschnittliche Maximaltemperatur in Nordwest- und Zentralindien ihren höchsten Wert seit 122 Jahren.
Doch das Problem ist nicht auf Südasien beschränkt. In den letzten Jahren herrschten in den Vereinigten Staaten, Australien, Europa, Skandinavien und Japan ähnlich extreme Bedingungen, die tausende Hospitalisierungen und zusätzliche Todesfälle zur Folge hatten. Außerdem wird extreme Hitze mit häufiger auftretenden Frühgeburten, geringerem Geburtsgewicht und Totgeburten, verminderter Produktivität, einer höheren Rate chronischer Nierenerkrankungen unbekannter Ursache sowie einer Zunahme von Selbstmorden in Verbindung gebracht.
Extremtemperaturen sind also ein „gesamtgesellschaftliches” Problem. Derartige Bedingungen schaden nicht nur der menschlichen Gesundheit, sondern wirken sich auch nachteilig auf Infrastruktur, Ernteerträge und Geflügelsterblichkeit aus, bedrohen Lebensgrundlagen und untergraben die Ernährungssicherheit. Der Hitzedom, der 2021 im pazifischen Nordwesten und im Westen Kanadas auftrat, war ein typisches Beispiel.
Ohne Klimawandel wäre dieses Ereignis praktisch unmöglich gewesen. Die Temperaturextreme lagen ungefähr 5 Grad über den früheren Rekordwerten und verursachten etwa 1.000 zusätzliche Todesfälle sowie einen 69-fachen Anstieg hitzebedingter Krankenhausaufenthalte. Die Ernteerträge bei Weizen und Kirschen sanken dramatisch und Millionen Miesmuscheln, Venusmuscheln und Austern fanden in ihrem angestammten Lebensraum im Meer den Hitzetod. Das wiederum bedrohte die Ernährungssicherheit und die Lebensgrundlagen von indigenen Völkern und einkommensschwachen Gemeinschaften.
Bereits jetzt sind fast 40 Prozent der hitzebedingten Todesfälle auf den Klimawandel zurückzuführen. Und weil damit zu rechnen ist, dass Häufigkeit, Intensität und Dauer der Hitzewellen aufgrund des Klimawandels zunehmen, wird auch die Notwendigkeit zusätzlicher Maßnahmen zum Schutz der Menschen immer vordringlicher werden. Ohne unmittelbare und substanzielle Investitionen in die gesteigerte Resilienz von Gemeinden und Gesundheitssystemen wird die Zahl der hitzebedingten Todesfälle weiter ansteigen.
Benötigt werden gut kommunizierte und evidenzbasierte Aktionspläne, um den Menschen Abkühlung zu ermöglichen und Krankenhausaufenthalte sowie Todesfälle zu reduzieren. Für ein Leben auf einen wärmeren Planeten bedarf es neben Frühwarn- und Reaktionssystemen auch längerfristiger Planung. Das bedeutet, mehr blaue und grüne Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, andere Baumaterialien zu verwenden und sich darauf zu konzentrieren, den Menschen Abkühlung zu verschaffen, anstatt deren Umgebung zu kühlen.
Frühwarn- und Reaktionssysteme erfordern mehr als nur einen einzigen Schwellenwert zur Bestimmung des Beginns einer Hitzewelle. In wirksamen Systemen sollten auch kollaborative Prozesse vorgesehen sein, um zu gewährleisten, dass die Interventionen lokalen Kapazitäten und Beschränkungen Rechnung tragen. Für die Gesundheitsministerien gilt es, (unter anderem) eng mit hydrometeorologischen Diensten, Polizei und Feuerwehr, Notdiensten, den für Altenpflege zuständigen Stellen sowie mit Vertrauenspersonen für gefährdete Bevölkerungsgruppen (etwa Erwachsene über 65) und marginalisierte Gemeinschaften zusammenzuarbeiten.
Ressourcen sollten dabei kein Hindernis sein. Weltweit bestehen bereits wirksame Frühwarnsysteme, auch in ressourcenarmen Gebieten wie in der indischen Stadt Ahmedabad. Darüber hinaus erfassen Organisationen wie das Global Heat Health Information Network Daten über lokale und nationale Erkenntnisse sowie bewährte Verfahren im Umgang mit Hitze und geben diese auch weiter. Mit zunehmender Häufigkeit und Intensität der Hitzewellen steigt auch der Bedarf an zusätzlicher Beratung rapide an.
Die meisten der heutigen Frühwarnsysteme berücksichtigen jedoch nicht ausdrücklich die Gefahren des Klimawandels. Um diese Systeme anpassungsfähiger zu gestalten, sollten in der Planungsphase Zeitpläne für die Überprüfung von Veränderungen zwischen dem Beginn und dem Ende der Sommersaison festgelegt und gleichzeitig regionale Kooperationen etabliert werden, um eine einheitliche Kommunikation zu gewährleisten. Eine größere Rolle werden auch mehrstufige Frühwarnsysteme spielen, in denen unterschiedliche Schwellenwerte berücksichtigt werden, wie etwa durch die Verknüpfung von Temperaturmesswerten mit lokalen Informationen über besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen.
So könnten beispielsweise erste Warnungen mehrere Tage vor dem Höhepunkt einer Hitzewelle herausgegeben werden, um Risikogruppen wie ältere Erwachsene, Kleinkinder und Schwangere auf die bevorstehende Wetterlage aufmerksam zu machen. Bei höheren Temperaturen würde eine zweite Serie an Warnungen ausgegeben werden – und zwar für im Freien arbeitende Menschen sowie für Personen, die Freiluftsport betreiben oder ähnlichen Aktivitäten nachgehen. Schließlich gäbe es eine dritte Reihe an Warnungen für die Allgemeinheit, wenn der Schwellenwert für die Ausrufung einer Hitzewelle erreicht ist. Diese Warnungen müssen mit wirksamer Kommunikation einhergehen, um die Menschen zu motivieren, die richtigen Maßnahmen zu ihrer Abkühlung zu ergreifen.
Auch nach erfolgten Verbesserungen sollten die Frühwarnsysteme einem Stresstest unterzogen werden, um ihre Belastbarkeit im Falle einer beispiellosen Hitzewelle zu prüfen. Geschehen könnte das im Rahmen von Schreibtischtests, um Schwachstellen zu ermitteln. Diese Stresstests sollten nicht nur Hitzewellen, sondern auch kombinierte Risiken berücksichtigen wie etwa eine Hitzewelle in Kombination mit einem Waldbrand oder eine mit einer Pandemie zusammenfallende Hitzewelle, wie dies im pazifischen Nordwesten Kanadas im Jahr 2021 der Fall war. Die Kartierung von Gefährdungslagen kann sich als wirksames Instrument erweisen, wenn entschieden werden muss, wo Interventionen am dringendsten notwendig sind, um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen zu schützen.
Eine wesentlich wärmere Zukunft erfordert dringende und sofortige Investitionen, die sich bewährte Verfahren und Erfahrungen aus bestehenden Plänen zur Hitze-Anpassung zunutze machen. Erprobte Konzepte müssen zur Verbesserung der Resilienz und Nachhaltigkeit ausgeweitet werden. Wir sind in der Lage, noch nie dagewesene Höchsttemperaturen zu überleben, allerdings nur, wenn wir uns darauf vorbereiten.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
SEATTLE – Obwohl fast alle hitzebedingten Todesfälle vermeidbar wären, fordern Hitzewellen jedes Jahr weltweit tausende Menschenleben. Im Moment stellt eine extreme Hitzewelle in Indien und Pakistan, von der etwa eine Milliarde Menschen betroffen sind, „die Grenzen der menschlichen Überlebensfähigkeit“ auf die Probe“, warnt Chandni Singh, eine der Hauptautorinnen des Sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates. Im April erreichte die durchschnittliche Maximaltemperatur in Nordwest- und Zentralindien ihren höchsten Wert seit 122 Jahren.
Doch das Problem ist nicht auf Südasien beschränkt. In den letzten Jahren herrschten in den Vereinigten Staaten, Australien, Europa, Skandinavien und Japan ähnlich extreme Bedingungen, die tausende Hospitalisierungen und zusätzliche Todesfälle zur Folge hatten. Außerdem wird extreme Hitze mit häufiger auftretenden Frühgeburten, geringerem Geburtsgewicht und Totgeburten, verminderter Produktivität, einer höheren Rate chronischer Nierenerkrankungen unbekannter Ursache sowie einer Zunahme von Selbstmorden in Verbindung gebracht.
Extremtemperaturen sind also ein „gesamtgesellschaftliches” Problem. Derartige Bedingungen schaden nicht nur der menschlichen Gesundheit, sondern wirken sich auch nachteilig auf Infrastruktur, Ernteerträge und Geflügelsterblichkeit aus, bedrohen Lebensgrundlagen und untergraben die Ernährungssicherheit. Der Hitzedom, der 2021 im pazifischen Nordwesten und im Westen Kanadas auftrat, war ein typisches Beispiel.
Ohne Klimawandel wäre dieses Ereignis praktisch unmöglich gewesen. Die Temperaturextreme lagen ungefähr 5 Grad über den früheren Rekordwerten und verursachten etwa 1.000 zusätzliche Todesfälle sowie einen 69-fachen Anstieg hitzebedingter Krankenhausaufenthalte. Die Ernteerträge bei Weizen und Kirschen sanken dramatisch und Millionen Miesmuscheln, Venusmuscheln und Austern fanden in ihrem angestammten Lebensraum im Meer den Hitzetod. Das wiederum bedrohte die Ernährungssicherheit und die Lebensgrundlagen von indigenen Völkern und einkommensschwachen Gemeinschaften.
Bereits jetzt sind fast 40 Prozent der hitzebedingten Todesfälle auf den Klimawandel zurückzuführen. Und weil damit zu rechnen ist, dass Häufigkeit, Intensität und Dauer der Hitzewellen aufgrund des Klimawandels zunehmen, wird auch die Notwendigkeit zusätzlicher Maßnahmen zum Schutz der Menschen immer vordringlicher werden. Ohne unmittelbare und substanzielle Investitionen in die gesteigerte Resilienz von Gemeinden und Gesundheitssystemen wird die Zahl der hitzebedingten Todesfälle weiter ansteigen.
Benötigt werden gut kommunizierte und evidenzbasierte Aktionspläne, um den Menschen Abkühlung zu ermöglichen und Krankenhausaufenthalte sowie Todesfälle zu reduzieren. Für ein Leben auf einen wärmeren Planeten bedarf es neben Frühwarn- und Reaktionssystemen auch längerfristiger Planung. Das bedeutet, mehr blaue und grüne Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, andere Baumaterialien zu verwenden und sich darauf zu konzentrieren, den Menschen Abkühlung zu verschaffen, anstatt deren Umgebung zu kühlen.
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Frühwarn- und Reaktionssysteme erfordern mehr als nur einen einzigen Schwellenwert zur Bestimmung des Beginns einer Hitzewelle. In wirksamen Systemen sollten auch kollaborative Prozesse vorgesehen sein, um zu gewährleisten, dass die Interventionen lokalen Kapazitäten und Beschränkungen Rechnung tragen. Für die Gesundheitsministerien gilt es, (unter anderem) eng mit hydrometeorologischen Diensten, Polizei und Feuerwehr, Notdiensten, den für Altenpflege zuständigen Stellen sowie mit Vertrauenspersonen für gefährdete Bevölkerungsgruppen (etwa Erwachsene über 65) und marginalisierte Gemeinschaften zusammenzuarbeiten.
Ressourcen sollten dabei kein Hindernis sein. Weltweit bestehen bereits wirksame Frühwarnsysteme, auch in ressourcenarmen Gebieten wie in der indischen Stadt Ahmedabad. Darüber hinaus erfassen Organisationen wie das Global Heat Health Information Network Daten über lokale und nationale Erkenntnisse sowie bewährte Verfahren im Umgang mit Hitze und geben diese auch weiter. Mit zunehmender Häufigkeit und Intensität der Hitzewellen steigt auch der Bedarf an zusätzlicher Beratung rapide an.
Die meisten der heutigen Frühwarnsysteme berücksichtigen jedoch nicht ausdrücklich die Gefahren des Klimawandels. Um diese Systeme anpassungsfähiger zu gestalten, sollten in der Planungsphase Zeitpläne für die Überprüfung von Veränderungen zwischen dem Beginn und dem Ende der Sommersaison festgelegt und gleichzeitig regionale Kooperationen etabliert werden, um eine einheitliche Kommunikation zu gewährleisten. Eine größere Rolle werden auch mehrstufige Frühwarnsysteme spielen, in denen unterschiedliche Schwellenwerte berücksichtigt werden, wie etwa durch die Verknüpfung von Temperaturmesswerten mit lokalen Informationen über besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen.
So könnten beispielsweise erste Warnungen mehrere Tage vor dem Höhepunkt einer Hitzewelle herausgegeben werden, um Risikogruppen wie ältere Erwachsene, Kleinkinder und Schwangere auf die bevorstehende Wetterlage aufmerksam zu machen. Bei höheren Temperaturen würde eine zweite Serie an Warnungen ausgegeben werden – und zwar für im Freien arbeitende Menschen sowie für Personen, die Freiluftsport betreiben oder ähnlichen Aktivitäten nachgehen. Schließlich gäbe es eine dritte Reihe an Warnungen für die Allgemeinheit, wenn der Schwellenwert für die Ausrufung einer Hitzewelle erreicht ist. Diese Warnungen müssen mit wirksamer Kommunikation einhergehen, um die Menschen zu motivieren, die richtigen Maßnahmen zu ihrer Abkühlung zu ergreifen.
Auch nach erfolgten Verbesserungen sollten die Frühwarnsysteme einem Stresstest unterzogen werden, um ihre Belastbarkeit im Falle einer beispiellosen Hitzewelle zu prüfen. Geschehen könnte das im Rahmen von Schreibtischtests, um Schwachstellen zu ermitteln. Diese Stresstests sollten nicht nur Hitzewellen, sondern auch kombinierte Risiken berücksichtigen wie etwa eine Hitzewelle in Kombination mit einem Waldbrand oder eine mit einer Pandemie zusammenfallende Hitzewelle, wie dies im pazifischen Nordwesten Kanadas im Jahr 2021 der Fall war. Die Kartierung von Gefährdungslagen kann sich als wirksames Instrument erweisen, wenn entschieden werden muss, wo Interventionen am dringendsten notwendig sind, um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen zu schützen.
Eine wesentlich wärmere Zukunft erfordert dringende und sofortige Investitionen, die sich bewährte Verfahren und Erfahrungen aus bestehenden Plänen zur Hitze-Anpassung zunutze machen. Erprobte Konzepte müssen zur Verbesserung der Resilienz und Nachhaltigkeit ausgeweitet werden. Wir sind in der Lage, noch nie dagewesene Höchsttemperaturen zu überleben, allerdings nur, wenn wir uns darauf vorbereiten.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier