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Der Weg in Richtung glaubwürdige Klimapolitik

PARIS – Am 25. Oktober erreichte die Marktkapitalisierung des Elektroautoherstellers Tesla einen Wert von 1 Billion Dollar – und liegt damit höher als der Wert der 10 in der Rangliste folgenden weltweiten Autohersteller zusammen. Selbst wenn man einen gewissen Überschwang einrechnet, ist das doch ein starker Indikator dafür, in welcher Weise die Bedrohung durch den Klimawandel eine Transformation des Kapitalismus bewirkt. Freilich überwiegen noch immer die Umweltverschmutzer und Greenwashing ist allgegenwärtig, aber es wäre ein Fehler, den laufenden Umstieg auszublenden.

Die Regierungen sind jedoch nicht auf Kurs, ihr Versprechen aus dem Pariser Klimaabkommen des Jahres 2015 einzuhalten, die globale Erwärmung auf „deutlich unter“ 2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur würde die Einhaltung der bisher im Rahmen des Pariser Abkommens abgegebenen nationalen Zusagen zu einem globalen Temperaturanstieg von 2,1 Grad führen. Überdies bleiben die tatsächlichen Maßnahmen sogar noch hinter diesen unzureichenden Zusagen zurück: dem „Stated Policies-Szenario“ der IEA zufolge würde die globale Erwärmung einen Wert von 2,6 Grad erreichen.

Nun berücksichtige man noch die – von der Energy Transitions Commission dokumentierte – Tatsache, dass sich die meisten Regierungen verpflichtet haben, das Ziel der Netto-Null-Emissionen erst bis 2050 oder 2060 zu erreichen, und planen, größere Anstrengungen zur Emissionsminderung auf die Zeit nach 2030 zu verschieben, und es zeichnet sich das Bild eines massiven Glaubwürdigkeitsdefizits ab.

Der Ursprung des Problems ist wohlbekannt. Das Pariser Abkommen beruhte auf der realistischen Einschätzung, wonach sich die Regierungen nicht auf eine genau definierte Aufteilung der Klimaschutzbemühungen einigen würden. Diese Schlussfolgerung ergab sich aus dem Scheitern des Kyoto-Protokolls des Jahres 1997 (das eine solche Aufteilung vorsah, aber Schwellenländer wie China ausschloss) und dem Scheitern der UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen (wo der Versuch, ein globales Abkommen nach dem Vorbild des Kyoto-Protokolls zu erzielen, im Streit endete).

Also versuchte man es mit einem anderen Ansatz: Fachleute sollten die erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen festlegen und die Regierungen Zusagen formulieren, die von der Zivilgesellschaft einer eingehenden Prüfung unterzogen werden würden. Niemand erwartete, dass die anfänglichen Zusagen ausreichend wären, aber man hoffte, dass Konformitätsdruck, das Gewicht der öffentlichen Meinung und die unablässigen Warnungen der Wissenschaft die Politik allmählich auf den richtigen Weg bringen würden.

Die Ökonomie zeigte sich skeptisch. Christian Gollier und Jean Tirole von der Toulouse School of Economics warnten schon frühzeitig, dass diese Strategie „zum Scheitern verurteilt“ sei. Und William Nordhaus von der Universität Yale zeigte, dass freiwillige Klimakoalitionen durch Trittbrettfahrer gefährdet sind und zu Instabilität neigen.

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Mit dem Pariser Abkommen wurde jedoch etwas erreicht, das sich in einfachen ökonomischen Modellen nicht abbilden konnte: der Beginn einer Haltungsänderung in der Wirtschaft. Insbesondere wurden Anleger und Manager durch das Pariser Abkommen ermutigt, sich über das Risiko Gedanken zu machen, letztlich mit Stranded Assets oder einem veralteten Geschäftsmodell dazustehen. Mark Carney, der damalige Gouverneur der Bank of England, fügte noch hinzu, dass Regulierungsbehörden die Finanzinstitute für versteckte Klimarisiken zur Verantwortung ziehen würden. Derartige Überlegungen haben im privaten Sektor eine Dynamik in Richtung Dekarbonisierung ausgelöst.

Grüner Kapitalismus kann allerdings nur gedeihen, wenn die Regierungen ihre Klimaversprechen letztlich auch einhalten. Die meisten Investitionen in erneuerbare Energien, energieeffiziente Gebäude oder emissionsfreie Fahrzeuge erfordern eine CO2-Bepreisung, strenge Vorschriften oder beides. Vorausschauende Anleger würden durchaus auf die tatsächliche Einführung solcher Maßnahmen setzen, allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt und nicht ohne Folgen.

Eine unzureichend glaubwürdige Dekarbonisierungspolitik führt sowohl zu höheren Gesamtkosten (weil sie Investoren dazu verleitet, sich durch die Kombination von braunen und grünen Investitionen abzusichern) als auch zu wiederkehrenden Ungleichgewichten zwischen Nachfrage und Angebot. Eine beschleunigte Abkehr von fossilen Brennstoffen auszutarieren, gestaltet sich in jedem Szenario als Herausforderung, umso mehr aber, wenn die künftige Politik ungewiss ist. Der derzeitige Anstieg der Energiepreise könnte daher ein Vorbote rauerer Zeiten sein.

Die mangelnde Glaubwürdigkeit der Klimapolitik ist zum Teil auf innenpolitische Abwägungen zurückzuführen, denn die Regierungen versprechen gleichzeitig eine grüne Zukunft und die Fortführung des Status quo. US-Präsident Joe Biden verfügt im Kongress über keine Mehrheit, wenn es darum geht, die Nutzung fossiler Brennstoffe zu sanktionieren. Der chinesische Präsident Xi Jinping fürchtet, das energiehungrige Wirtschaftswachstum seines Landes zu gefährden, und der französische Präsident Emmanuel Macron weiß aus Erfahrung, dass die Haushalte der Mittelschicht einer CO2-Steuer ablehnend gegenüberstehen.

Derartige Bedenken sind verständlich. Wenn die Investoren jedoch zu dem Schluss kommen, dass es den Regierungen mit der Erreichung der globalen Klimaziele nicht ernst ist, werden sie weniger finanzielle Mittel in grüne Initiativen investieren und der zentrale Mechanismus des Pariser Abkommens wird zusammenbrechen.

Eine Lösung bestünde darin, dass die Regierungen sich selbst die Hände binden und das Mandat zur Festsetzung des CO2-Preises an eine unabhängige Institution übertragen, so wie man die Verantwortung für die Kontrolle der Inflation an die Zentralbanken delegiert. Alternativ könnten sich die Regierungen zu Strafzahlungen verpflichten, wenn sie sich nicht an einen vorher festgelegten Kurs für den CO2-Preis halten (beispielsweise durch die Ausgabe von Zertifikaten, deren Wert von der Differenz zwischen angekündigtem und tatsächlichem Preis abhängen würde). Die Frage ist allerdings, ob institutionelles oder finanzielles Engineering ein zutiefst politisches Problem lösen könnte.

Darüber hinaus werden die Regierungen ihre Verpflichtungen zur Einhaltung der Klimaziele nur dann umsetzen, wenn eine kritische Masse an Ländern auf diesem Kurs bleibt. Mehr noch als innenpolitische Abwägungen bildet dies den Kern des derzeitigen Glaubwürdigkeitsdefizits. Nordhaus hat daher die Bildung eines „Klima-Clubs“ bestehend aus gleichgesinnten Ländern vorgeschlagen, der  Zölle auf Importe von Handelspartnern erhebt, die nicht zu den gemeinsamen Anstrengungen beitragen. Heute würde dies beispielsweise bedeuten, Brasilien für die unverantwortliche Klimapolitik von Präsident Jair Bolsonaro zu bestrafen.

Die Idee ist ökonomisch durchaus sinnvoll, und die scheidende deutsche Regierung hat sie auch in einem kürzlich veröffentlichten Papier in abgeschwächter Form aufgegriffen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass ein Mechanismus zum Ausgleich der handelspolitischen Auswirkungen der unterschiedlichen CO2-Bepreisung zwar mit den Regeln der Welthandelsorganisation vereinbar sein sollte, eine direkte Strafe jedoch im Widerspruch zu diesen Regeln stehen würde.

Die Entscheidung der Europäischen Union, den Europäischen Grünen Deal voranzutreiben, ist ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung. Unter der Voraussetzung, dass die EU ausreichende Mittel für die Entschädigung gefährdeter Haushalte bereitstellt, wird der gemeinsame Charakter des Programms den Mitgliedsstaaten helfen, ihre Probleme mit der Klimaglaubwürdigkeit zu lösen. Im Laufe der Zeit wird die EU mit ausgewählten Handelspartnern wahrscheinlich eine Art Klimaclub bilden und auf ehrgeizige Klimaziele drängen. Die Frage ist, wer die anderen Mitglieder sein werden. Derzeit mangelt es sowohl den Vereinigten Staaten als auch China an den für eine derartige Allianz notwendigen Ambitionen. Bei dem Weg in Richtung Klimaglaubwürdigkeit handelt es sich also um einen schmalen Pfad, aber er ist der einzige, den wir beschreiten können.  

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Jean Pisani-Ferry ist Senior Fellow bei der in Brüssel ansässigen Denkfabrik Bruegel,

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