CAMBRIDGE – Viele, die während des Kalten Krieges die Grundschule besuchten, werden sich noch erinnern, was man ihnen für den Fall eines Atomangriffs zu tun befahl. Wenn die Sirenen heulten, so wurde Kindern in den USA erklärt, sollte man „in Deckung gehen“. Als ob es einen vor der nuklearen Vernichtung retten würde, sich unter seinem Tisch zu verstecken und das Gesicht mit den Händen zu bedecken. Wenn es doch nur so wäre.
Sich diesen absurden Ratschlag wieder ins Gedächtnis zu rufen, heißt auch, die aktuelle Angst zu würdigen, die derzeit in Japan umgeht. Mehrfach während der letzten Wochen informierten SMS-Nachrichten (die Sirenen von heute) die Bevölkerung, dass der kaum sichtbare Streifen am Himmel von einer Interkontinentalrakete stamme, die ein mit Atomwaffen ausgerüsteter 33-jähriger Diktator mit Problemen bei der Impulskontrolle habe abschießen lassen.
Dies ist eine menschgemachte Bedrohung für die Weltordnung, die die von einem Kontinent und einem großen Ozean im Westen abgeschirmten Politiker und Kommentatoren der Atlantikküste möglicherweise nicht so richtig einzuschätzen wissen. Allerdings hatte die von Nordkoreas Kim Jong-un ausgehende Bedrohung in den letzten Monaten erhebliche Auswirkungen auf die globalen Finanzmärkte.
Einfach und erschreckend formuliert, hat das Säbelrasseln auf der koreanischen Halbinsel das Risiko eines direkten Konflikts mit dem Norden, der die Beziehung zwischen China und den USA erschüttern würde, verschärft. Jeder derartige Konflikt würde eine enorme Anzahl an Menschenleben kosten und hätte eine große regionale und möglicherweise eine globale Kontraktion der Wirtschaftsaktivität zur Folge.
Die Theorie „seltener Katastrophenrisiken“ hat sich in den letzten Jahren aufgrund der Arbeit des Harvard-Ökonomen Robert Barro beträchtlich fortentwickelt. Die Kernerkenntnis dabei ist, dass niemand das Eintreten eines alttestamentarischen Ereignisses – von Krieg, Hunger, Seuchen oder dem Zusammenbruch von Gesellschaften – ausschließen kann. Derartige Störungen einer geregelten Lebensführung führen zu einer drastischen Verringerung der Produktionsleistung, des Konsums und des Gemeinwohls. Weil sie nicht oft eintreten, sind sie weit vom glatten Zentrum der Wahrscheinlichkeitsverteilung entfernt, auf dem unsere Basisszenarien beruhen.
Die Erfahrung der Großen Rezession zeigt, was von den Finanzmärkten zu erwarten ist, wenn die Produktionsleistung steil fällt: Mit Rückgang der Inflation sinken zugleich die nominalen und realen (inflationsgeschützten) Erträge von US-Schatzanleihen. Die Renditekurve flacht sich ab, weil das Eigentum einer Forderung mit langer Laufzeit auf einen Fluchtwert eine wertvolle Versicherung darstellt. Mit Rückgang der Renditen von Schatzanleihen vergrößern sich die Risikoaufschläge anderer Papiere diesen gegenüber.
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Im aktuellen Kontext verursachen geopolitische Spannungen die entfernte Möglichkeit einer Katastrophe (deren Wahrscheinlichkeit von Tag zu Tag schwankt), welche dazu führen würde, dass es allen sehr viel schlechter geht. Wir behaupten nicht, besondere Erkenntnisse darüber zu haben, was im Kopf von Kim Jong-un vor sich geht, doch hilft das Wissen darüber, dass es eine unbekannte Größe gibt, hilft, die aktuellen Vermögenspreise besser zu verstehen. Unter derartigen Umständen möchten risikoscheue Anleger, insbesondere solche in den stärker gefährdeten Anrainerstaaten des Pazifiks, sich gegen ein negatives Ereignis absichern, indem sie die voraussichtlichen Finanzmarkteffekte jetzt ausnutzen. Nominale Zinsen, reale Zinsen und die inflationsausgleichenden Zinssätze von Schatzanleihen sind niedriger, als die zyklische Lage der Volkswirtschaft rechtfertigen würde; bedingt ist dies durch die Wahrnehmung der Anleger, dass azyklische und atypische Risiken vorliegen.
In einer aktuellen Rede hat Gertjan Vlieghe, Mitglied des geldpolitischen Ausschusses der Bank von England, in dieselbe Richtung gewiesen. Er erläuterte, dass, wenn künftige Konsumaussichten nicht der bewährten Gauss’schen Glockenkurve folgen und daher eine ungünstige Entwicklung wahrscheinlicher scheint, der reale Gleichgewichtszinssatz im historischen Vergleich sinkt.
Die zunehmende Wahrnehmung seltener Katastrophenrisiken hat drei Implikationen. Erstens sind niedrige Zinssätze nicht zwangsläufig ein Hinweis dafür, dass die hochentwickelten Volkswirtschaften infolge ungünstiger demografischer Trends und langsamen Produktivitätswachstums in einer Falle niedrigen Wachstums gefangen sind. Vielmehr sagen sie uns, dass die Konkurrenz um sichere Anlagen zugenommen hat.
Zweitens ist dies kein Grund für die Regierungen, die Ausgaben zu erhöhen. Die kurzfristigen Kosten der Finanzierung von Defiziten sind niedrig, weil die privaten Haushalte in Sorge sind, dass die möglichen „sieben mageren Jahre“ tatsächlich sehr mager ausfallen könnten. Wenn die Bürger für den schlimmsten Fall sparen, haben dann ihre Regierungen – selbst Regierungsvertreter, die mit der zyklischen Steuerung der Gesamtnachfrage befasst sind –, das Recht, alle Vorsicht sausen zu lassen?
Und drittens sind die niedrigen Leitzinsen in den hochentwickelten Volkswirtschaften nicht unbedingt ein Beleg für eine übermäßig lockere Geldpolitik seitens der Währungsbehörden. Dies liegt daran, dass sich die geldpolitische Lockerung an der Differenz zwischen dem tatsächlichen Zinssatz und dem Gleichgewichtszinssatz bemisst. Die aktuellen niedrigen Leitzinsen der US Federal Reserve, der Europäischen Zentralbank und der Bank von Japan nehmen sich möglicherweise gar nicht so niedrig aus, wenn der Gleichgewichtszinssatz tatsächlich niedrig ist.
Die Vorstellung seltener Katastrophenrisiken ergänzt andere Erklärungen für das derzeitige niedrige Realzinsniveau weltweit. Vielleicht hat das Risiko einer entfernten Katastrophe die „globale Ersparnisschwemme“ hervorgebracht, vor der der frühere US-Notenbankchef Ben Bernanke 2005 warnte. Und wenn Regierungsvertreter besorgt sind über künftige Konflikte, sind sie möglicherweise eher geneigt, die Leitzinsen durch „Finanzrepression“ nach unten zu drücken, damit sie genügend Haushaltsspielraum haben, um sich vorzubereiten.
Freilich sind dies Erklärungen für längerfristige Trends. Die Existenz der globalen Ersparnisschwemme anzuerkennen, hilft uns, die 15 Jahre nach der asiatischen Finanzkrise von 1998 zu verstehen. Finanzrepression erklärt die Erlebnisse nach Kriegen oder bei anderen Anlässen, wenn die Staatsverschuldung zunimmt. Seltene Katastrophenrisiken leisten aller Wahrscheinlichkeit nach einen Beitrag zu derartigen Episoden und sind als Erklärung für die Dynamik an den Finanzmärkten möglicherweise sogar noch relevanter, wenn Raketen fliegen.
The US stock market today looks a lot like it did before most of its 13 previous price collapses, dating back to 1871. That doesn't mean that a bear market is imminent, but it does amount to a stark warning against complacency.
presents evidence that US stock markets may not maintain their high valuations for much longer.
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Labour leader Keir Starmer’s incoming cabinet has more people of working-class origin than any British cabinet that came before it, and this remarkable feature will surely bear on policymaking. However, various countervailing forces will moderate any latent impulse to veer sharply to the left.
explain how the socioeconomic backgrounds of Labour’s cabinet members will, and will not, bear on policymaking.
If Russia, Saudi Arabia, and the world’s other large oil producers were to shift away from settling their oil trade in dollars, the implications for other commodity markets, global trade patterns, and financial stability would be enormous. But how plausible is this scenario in the foreseeable future?
considers whether Saudi Arabia would ever move away from invoicing its oil trade in US dollars.
CAMBRIDGE – Viele, die während des Kalten Krieges die Grundschule besuchten, werden sich noch erinnern, was man ihnen für den Fall eines Atomangriffs zu tun befahl. Wenn die Sirenen heulten, so wurde Kindern in den USA erklärt, sollte man „in Deckung gehen“. Als ob es einen vor der nuklearen Vernichtung retten würde, sich unter seinem Tisch zu verstecken und das Gesicht mit den Händen zu bedecken. Wenn es doch nur so wäre.
Sich diesen absurden Ratschlag wieder ins Gedächtnis zu rufen, heißt auch, die aktuelle Angst zu würdigen, die derzeit in Japan umgeht. Mehrfach während der letzten Wochen informierten SMS-Nachrichten (die Sirenen von heute) die Bevölkerung, dass der kaum sichtbare Streifen am Himmel von einer Interkontinentalrakete stamme, die ein mit Atomwaffen ausgerüsteter 33-jähriger Diktator mit Problemen bei der Impulskontrolle habe abschießen lassen.
Dies ist eine menschgemachte Bedrohung für die Weltordnung, die die von einem Kontinent und einem großen Ozean im Westen abgeschirmten Politiker und Kommentatoren der Atlantikküste möglicherweise nicht so richtig einzuschätzen wissen. Allerdings hatte die von Nordkoreas Kim Jong-un ausgehende Bedrohung in den letzten Monaten erhebliche Auswirkungen auf die globalen Finanzmärkte.
Einfach und erschreckend formuliert, hat das Säbelrasseln auf der koreanischen Halbinsel das Risiko eines direkten Konflikts mit dem Norden, der die Beziehung zwischen China und den USA erschüttern würde, verschärft. Jeder derartige Konflikt würde eine enorme Anzahl an Menschenleben kosten und hätte eine große regionale und möglicherweise eine globale Kontraktion der Wirtschaftsaktivität zur Folge.
Die Theorie „seltener Katastrophenrisiken“ hat sich in den letzten Jahren aufgrund der Arbeit des Harvard-Ökonomen Robert Barro beträchtlich fortentwickelt. Die Kernerkenntnis dabei ist, dass niemand das Eintreten eines alttestamentarischen Ereignisses – von Krieg, Hunger, Seuchen oder dem Zusammenbruch von Gesellschaften – ausschließen kann. Derartige Störungen einer geregelten Lebensführung führen zu einer drastischen Verringerung der Produktionsleistung, des Konsums und des Gemeinwohls. Weil sie nicht oft eintreten, sind sie weit vom glatten Zentrum der Wahrscheinlichkeitsverteilung entfernt, auf dem unsere Basisszenarien beruhen.
Die Erfahrung der Großen Rezession zeigt, was von den Finanzmärkten zu erwarten ist, wenn die Produktionsleistung steil fällt: Mit Rückgang der Inflation sinken zugleich die nominalen und realen (inflationsgeschützten) Erträge von US-Schatzanleihen. Die Renditekurve flacht sich ab, weil das Eigentum einer Forderung mit langer Laufzeit auf einen Fluchtwert eine wertvolle Versicherung darstellt. Mit Rückgang der Renditen von Schatzanleihen vergrößern sich die Risikoaufschläge anderer Papiere diesen gegenüber.
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In einer aktuellen Rede hat Gertjan Vlieghe, Mitglied des geldpolitischen Ausschusses der Bank von England, in dieselbe Richtung gewiesen. Er erläuterte, dass, wenn künftige Konsumaussichten nicht der bewährten Gauss’schen Glockenkurve folgen und daher eine ungünstige Entwicklung wahrscheinlicher scheint, der reale Gleichgewichtszinssatz im historischen Vergleich sinkt.
Die zunehmende Wahrnehmung seltener Katastrophenrisiken hat drei Implikationen. Erstens sind niedrige Zinssätze nicht zwangsläufig ein Hinweis dafür, dass die hochentwickelten Volkswirtschaften infolge ungünstiger demografischer Trends und langsamen Produktivitätswachstums in einer Falle niedrigen Wachstums gefangen sind. Vielmehr sagen sie uns, dass die Konkurrenz um sichere Anlagen zugenommen hat.
Zweitens ist dies kein Grund für die Regierungen, die Ausgaben zu erhöhen. Die kurzfristigen Kosten der Finanzierung von Defiziten sind niedrig, weil die privaten Haushalte in Sorge sind, dass die möglichen „sieben mageren Jahre“ tatsächlich sehr mager ausfallen könnten. Wenn die Bürger für den schlimmsten Fall sparen, haben dann ihre Regierungen – selbst Regierungsvertreter, die mit der zyklischen Steuerung der Gesamtnachfrage befasst sind –, das Recht, alle Vorsicht sausen zu lassen?
Und drittens sind die niedrigen Leitzinsen in den hochentwickelten Volkswirtschaften nicht unbedingt ein Beleg für eine übermäßig lockere Geldpolitik seitens der Währungsbehörden. Dies liegt daran, dass sich die geldpolitische Lockerung an der Differenz zwischen dem tatsächlichen Zinssatz und dem Gleichgewichtszinssatz bemisst. Die aktuellen niedrigen Leitzinsen der US Federal Reserve, der Europäischen Zentralbank und der Bank von Japan nehmen sich möglicherweise gar nicht so niedrig aus, wenn der Gleichgewichtszinssatz tatsächlich niedrig ist.
Die Vorstellung seltener Katastrophenrisiken ergänzt andere Erklärungen für das derzeitige niedrige Realzinsniveau weltweit. Vielleicht hat das Risiko einer entfernten Katastrophe die „globale Ersparnisschwemme“ hervorgebracht, vor der der frühere US-Notenbankchef Ben Bernanke 2005 warnte. Und wenn Regierungsvertreter besorgt sind über künftige Konflikte, sind sie möglicherweise eher geneigt, die Leitzinsen durch „Finanzrepression“ nach unten zu drücken, damit sie genügend Haushaltsspielraum haben, um sich vorzubereiten.
Freilich sind dies Erklärungen für längerfristige Trends. Die Existenz der globalen Ersparnisschwemme anzuerkennen, hilft uns, die 15 Jahre nach der asiatischen Finanzkrise von 1998 zu verstehen. Finanzrepression erklärt die Erlebnisse nach Kriegen oder bei anderen Anlässen, wenn die Staatsverschuldung zunimmt. Seltene Katastrophenrisiken leisten aller Wahrscheinlichkeit nach einen Beitrag zu derartigen Episoden und sind als Erklärung für die Dynamik an den Finanzmärkten möglicherweise sogar noch relevanter, wenn Raketen fliegen.
Aus dem Englischen von Jan Doolan