NEW YORK – Anfang Januar schrieb ich, dass sich die Wirtschaftslage in diesem Jahr so schwach entwickeln dürfte wie in 2015, dem schlechtesten Jahr seit dem Ausbrauch der globalen Finanzkrise 2008. Und wie mehrmals während des vergangenen Jahres werden nun, nachdem ein paar Monate ins Land gegangen sind, andere, optimistischere Prognosen nach unten korrigiert.
Das grundlegende Problem – das die Weltwirtschaft seit der Krise plagt und das sich nun leicht verschärft hat – ist die mangelnde globale Gesamtnachfrage. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nun in Reaktion darauf ihre Konjunkturimpulse ausgeweitet und beweist so, gemeinsam mit der Bank von Japan und einer Reihe anderer Notenbanken, dass die „Nullgrenze“ – die Unfähigkeit zur Senkung der Zinsen unter den Nullpunkt – eine Grenze ist, die nur in der Fantasie konventionell denkender Ökonomen besteht.
Und doch gab es in keiner der Volkswirtschaften, die das unorthodoxe Experiment negativer Zinssätze wagten, eine Rückkehr zu Wachstum und Vollbeschäftigung. In einigen Fällen war das Ergebnis unerwartet: Hier sind die Kreditzinsen tatsächlich gestiegen.
Es hätte eigentlich deutlich sein müssen, die die Modelle der meisten Notenbanken aus der Zeit vor der Krise – und zwar sowohl die formellen Modelle als auch die geistigen Modelle, die das Denken der politischen Entscheidungsträger bestimmen – schwer danebenlagen. Niemand hat die Krise vorhergesagt, und nur in sehr wenigen dieser Volkswirtschaften wurde so etwas wie Vollbeschäftigung wiederhergestellt. Die EZB erhöhte bekanntermaßen in 2011 zweimal die Zinsen, just als sich die Eurokrise verschärfte und die Arbeitslosigkeit in den zweistelligen Bereich stieg, was eine Deflation immer näher brachte.
Die Notenbanken hielten an den alten, diskreditierten Modellen fest, manchmal in leicht abgewandelter Form. Bei diesen Modellen ist der Zinssatz das wichtigste Werkzeug der Notenbankpolitik, und man fährt ihn herauf und herunter, um eine gute wirtschaftliche Entwicklung zu gewährleisten. Wenn ein positiver Zinssatz nicht ausreicht, dann werden es negative Zinsen schon richten.
Nur haben sie das nicht. In vielen Volkswirtschaften – darunter in Europa und den USA – sind die realen (inflationsbereinigten) Zinsen negativ, manchmal um bis zu -2%. Und doch stagnieren trotz fallender Realzinsen die Unternehmensinvestitionen. Laut der OECD ist der Anteil vom BIP, der in eine in erster Linie Anlagen und Ausrüstung umfassende Kategorie investiert wird, in den letzten Jahren sowohl in Europa als auch in den USA gefallen. (In den USA fiel er von 8,4 % im Jahr 2000 auf 6,8% im Jahr 2014; in der EU ging er während desselben Zeitraums von 7,5 % auf 5,7 % zurück.) Andere Daten ergeben ein ähnliches Bild.
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Die Vorstellung, dass Großunternehmen den Zinssatz, bei dem sie bereit sind, zu investieren, genau kalkulieren – und dass sie bereit wären, eine große Anzahl von Projekten in Angriff zu nehmen, wenn nur die Zinsen um weitere 25 Basispunkte gesenkt würden – ist eindeutig absurd. Realistischer ist, dass die Großkonzerne auf hunderten Milliarden Dollar – bei Berücksichtigung aller hoch entwickelten Volkswirtschaften tatsächlich Billionen von Dollar – sitzen, weil sie bereits jetzt Überkapazitäten haben. Warum sollten sie dann mehr bauen, nur weil die Zinsen etwas gesunken sind? Und kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die bereit wären, Kredite aufzunehmen, konnten schon vor den Negativzinsen der EZB keine bekommen, und daran hat sich nichts geändert.
Vereinfacht gesagt: Die meisten Unternehmen – und insbesondere KMU – können nicht ohne Weiteres zum Zinssatz von US-Schatzanweisungen Geld aufnehmen. Sie besorgen sich das Geld nicht am Kapitalmarkt, sondern nehmen Kredite bei den Banken auf. Und die Differenz (Risikoaufschlag) zwischen den von den Banken erhobenen Zinssätzen und dem Zinssatz von US-Schatzanweisungen ist groß. Zudem rationieren die Banken die Kreditvergabe. Einigen Firmen verweigern sie Kredite ganz. In anderen Fällen verlangen sie Sicherheiten (häufig Immobilien).
Es mag Nichtökonomen schockieren, doch im Standardmodell, das die Geldpolitiker während der letzten Jahrzehnte verwendet haben, spielen die Banken keine Rolle. Natürlich gäbe es ohne Banken auch keine Notenbanken, aber kognitive Dissonanzen haben das Vertrauen der Notenbanker in ihre Modelle bisher selten erschüttert.
Tatsache ist, dass die Struktur der Eurozone und die Politik der EZB dafür gesorgt haben, dass die Banken in den sich wirtschaftlich schlecht entwickelnden Ländern – und insbesondere in den Krisenländern – sehr schwach sind. Viele Einlagen wurden abgezogen, und die von Deutschland verlangte Sparpolitik verlängert den Ausfall bei der Gesamtnachfrage und erhält die hohe Arbeitslosigkeit aufrecht. Unter derartigen Umständen ist die Vergabe von Krediten riskant, und die Banken haben weder die Risikoneigung noch die Fähigkeit zur Kreditvergabe – insbesondere an KMU (die in der Regel die meisten Arbeitsplätze schaffen).
Ein Rückgang des realen Zinssatzes auf Staatsanleihen auf -3 % oder sogar -4 % wird daran wenig bis gar nichts ändern. Negative Zinssätze schaden den Bilanzen der Banken, wobei der „Vermögenseffekt“ auf die Banken die geringen zusätzlichen Anreize zur Kreditvergabe mehr als ausgleicht. Wenn die politischen Entscheidungsträger nicht vorsichtig sind, könnten die Kreditzinsen steigen und die Kreditverfügbarkeit könnte zurückgehen.
Es bestehen noch drei weitere Probleme. Erstens ermutigen niedrige Zinssätze die Unternehmen, in besonders kapitalintensive Technologien zu investieren, was dazu führt, dass die Nachfrage nach Arbeitskräften längerfristig sinkt, selbst wenn die Arbeitslosigkeit kurzfristig zurückgeht. Zweitens werden ältere Menschen, die auf Zinseinkünfte angewiesen sind, zusätzlich geschädigt, und sie senken ihren Konsum dann stärker, als diejenigen, die profitieren – reiche Eigentümer von Aktien – ihren erhöhen. Dies untergräbt die aktuelle Gesamtnachfrage. Und drittens verleitet das möglicherweise irrationale, aber weithin dokumentierte Streben nach höheren Renditen viele Anleger, ihre Portfolios auf riskantere Anlagen umzuschichten, was die Volkswirtschaft größerer finanzieller Instabilität aussetzt.
Was die Notenbanken tun sollten, ist, sich auf den Kreditfluss konzentrieren, d. h., sie sollten die Fähigkeit und die Bereitschaft der lokalen Banken, Kredite an KMU zu vergeben, wiederherstellen und bewahren. Stattdessen konzentrieren sich die Notenbanken weltweit auf die systemrelevanten Banken – jene Finanzinstitute, deren übermäßige Risikobereitschaft und missbräuchliche Praktiken die Finanzkrise von 2008 verursachten. Doch eine große Anzahl kleiner Banken ist zusammen ebenfalls systemrelevant, insbesondere, wenn es einem darum geht, wieder für Investitionen, Beschäftigung und Wachstum zu sorgen.
Die große Lehre aus all dem wird durch die bekannte Redewendung „Müll rein, Müll raus.“ eingefangen. Wenn die Notenbanken weiter die falschen Modelle nutzen, werden sie weiter die falschen Dinge tun.
Natürlich ist die Fähigkeit der Geldpolitik, in einer einbrechenden Volkswirtschaft wieder Vollbeschäftigung herzustellen, selbst unter optimalen Umständen begrenzt. Doch der Einsatz des falschen Modells hindert die Notenbanker daran, den ihnen möglichen Beitrag zu leisten – und könnte eine schlechte Situation noch verschlimmern.
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Trump sees tariffs as much more than a policy, and we should, too. Trump’s tariffs will make life materially worse for people around the world – not least Americans – but what matters to him is the heroic spectacle, the leader’s demonstration of his capacity to induce shock and awe.
thinks those who question the rationality of recent US trade policy are missing the point.
While the Constitutional Court has upheld President Yoon Suk-yeol’s impeachment and formally removed him from office, South Korea’s fragile democracy is likely to remain on shaky ground. As long as political polarization persists, the threat of authoritarianism will continue to loom large.
traces the country’s recent turmoil to the lasting impact of the Cold War and decades of military rule.
NEW YORK – Anfang Januar schrieb ich, dass sich die Wirtschaftslage in diesem Jahr so schwach entwickeln dürfte wie in 2015, dem schlechtesten Jahr seit dem Ausbrauch der globalen Finanzkrise 2008. Und wie mehrmals während des vergangenen Jahres werden nun, nachdem ein paar Monate ins Land gegangen sind, andere, optimistischere Prognosen nach unten korrigiert.
Das grundlegende Problem – das die Weltwirtschaft seit der Krise plagt und das sich nun leicht verschärft hat – ist die mangelnde globale Gesamtnachfrage. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nun in Reaktion darauf ihre Konjunkturimpulse ausgeweitet und beweist so, gemeinsam mit der Bank von Japan und einer Reihe anderer Notenbanken, dass die „Nullgrenze“ – die Unfähigkeit zur Senkung der Zinsen unter den Nullpunkt – eine Grenze ist, die nur in der Fantasie konventionell denkender Ökonomen besteht.
Und doch gab es in keiner der Volkswirtschaften, die das unorthodoxe Experiment negativer Zinssätze wagten, eine Rückkehr zu Wachstum und Vollbeschäftigung. In einigen Fällen war das Ergebnis unerwartet: Hier sind die Kreditzinsen tatsächlich gestiegen.
Es hätte eigentlich deutlich sein müssen, die die Modelle der meisten Notenbanken aus der Zeit vor der Krise – und zwar sowohl die formellen Modelle als auch die geistigen Modelle, die das Denken der politischen Entscheidungsträger bestimmen – schwer danebenlagen. Niemand hat die Krise vorhergesagt, und nur in sehr wenigen dieser Volkswirtschaften wurde so etwas wie Vollbeschäftigung wiederhergestellt. Die EZB erhöhte bekanntermaßen in 2011 zweimal die Zinsen, just als sich die Eurokrise verschärfte und die Arbeitslosigkeit in den zweistelligen Bereich stieg, was eine Deflation immer näher brachte.
Die Notenbanken hielten an den alten, diskreditierten Modellen fest, manchmal in leicht abgewandelter Form. Bei diesen Modellen ist der Zinssatz das wichtigste Werkzeug der Notenbankpolitik, und man fährt ihn herauf und herunter, um eine gute wirtschaftliche Entwicklung zu gewährleisten. Wenn ein positiver Zinssatz nicht ausreicht, dann werden es negative Zinsen schon richten.
Nur haben sie das nicht. In vielen Volkswirtschaften – darunter in Europa und den USA – sind die realen (inflationsbereinigten) Zinsen negativ, manchmal um bis zu -2%. Und doch stagnieren trotz fallender Realzinsen die Unternehmensinvestitionen. Laut der OECD ist der Anteil vom BIP, der in eine in erster Linie Anlagen und Ausrüstung umfassende Kategorie investiert wird, in den letzten Jahren sowohl in Europa als auch in den USA gefallen. (In den USA fiel er von 8,4 % im Jahr 2000 auf 6,8% im Jahr 2014; in der EU ging er während desselben Zeitraums von 7,5 % auf 5,7 % zurück.) Andere Daten ergeben ein ähnliches Bild.
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Es mag Nichtökonomen schockieren, doch im Standardmodell, das die Geldpolitiker während der letzten Jahrzehnte verwendet haben, spielen die Banken keine Rolle. Natürlich gäbe es ohne Banken auch keine Notenbanken, aber kognitive Dissonanzen haben das Vertrauen der Notenbanker in ihre Modelle bisher selten erschüttert.
Tatsache ist, dass die Struktur der Eurozone und die Politik der EZB dafür gesorgt haben, dass die Banken in den sich wirtschaftlich schlecht entwickelnden Ländern – und insbesondere in den Krisenländern – sehr schwach sind. Viele Einlagen wurden abgezogen, und die von Deutschland verlangte Sparpolitik verlängert den Ausfall bei der Gesamtnachfrage und erhält die hohe Arbeitslosigkeit aufrecht. Unter derartigen Umständen ist die Vergabe von Krediten riskant, und die Banken haben weder die Risikoneigung noch die Fähigkeit zur Kreditvergabe – insbesondere an KMU (die in der Regel die meisten Arbeitsplätze schaffen).
Ein Rückgang des realen Zinssatzes auf Staatsanleihen auf -3 % oder sogar -4 % wird daran wenig bis gar nichts ändern. Negative Zinssätze schaden den Bilanzen der Banken, wobei der „Vermögenseffekt“ auf die Banken die geringen zusätzlichen Anreize zur Kreditvergabe mehr als ausgleicht. Wenn die politischen Entscheidungsträger nicht vorsichtig sind, könnten die Kreditzinsen steigen und die Kreditverfügbarkeit könnte zurückgehen.
Es bestehen noch drei weitere Probleme. Erstens ermutigen niedrige Zinssätze die Unternehmen, in besonders kapitalintensive Technologien zu investieren, was dazu führt, dass die Nachfrage nach Arbeitskräften längerfristig sinkt, selbst wenn die Arbeitslosigkeit kurzfristig zurückgeht. Zweitens werden ältere Menschen, die auf Zinseinkünfte angewiesen sind, zusätzlich geschädigt, und sie senken ihren Konsum dann stärker, als diejenigen, die profitieren – reiche Eigentümer von Aktien – ihren erhöhen. Dies untergräbt die aktuelle Gesamtnachfrage. Und drittens verleitet das möglicherweise irrationale, aber weithin dokumentierte Streben nach höheren Renditen viele Anleger, ihre Portfolios auf riskantere Anlagen umzuschichten, was die Volkswirtschaft größerer finanzieller Instabilität aussetzt.
Was die Notenbanken tun sollten, ist, sich auf den Kreditfluss konzentrieren, d. h., sie sollten die Fähigkeit und die Bereitschaft der lokalen Banken, Kredite an KMU zu vergeben, wiederherstellen und bewahren. Stattdessen konzentrieren sich die Notenbanken weltweit auf die systemrelevanten Banken – jene Finanzinstitute, deren übermäßige Risikobereitschaft und missbräuchliche Praktiken die Finanzkrise von 2008 verursachten. Doch eine große Anzahl kleiner Banken ist zusammen ebenfalls systemrelevant, insbesondere, wenn es einem darum geht, wieder für Investitionen, Beschäftigung und Wachstum zu sorgen.
Die große Lehre aus all dem wird durch die bekannte Redewendung „Müll rein, Müll raus.“ eingefangen. Wenn die Notenbanken weiter die falschen Modelle nutzen, werden sie weiter die falschen Dinge tun.
Natürlich ist die Fähigkeit der Geldpolitik, in einer einbrechenden Volkswirtschaft wieder Vollbeschäftigung herzustellen, selbst unter optimalen Umständen begrenzt. Doch der Einsatz des falschen Modells hindert die Notenbanker daran, den ihnen möglichen Beitrag zu leisten – und könnte eine schlechte Situation noch verschlimmern.
Aus dem Englischen von Jan Doolan