CAMBRIDGE – Die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) liegt mit Kongressmitgliedern im Streit über ein geplantes Gesetz, genannt Federal Reserve Accountability and Transparency Act, das die Fed dazu zwingen würde, bei der Lenkung der Geldpolitik formalen Regeln zu folgen. Die Fed fürchtet, durch das Gesetz würde ihre Unabhängigkeit eingeschränkt, aber die Befürworter des Gesetzes argumentieren, es würde zu besser vorhersagbarem Wachstum bei geringer Inflation führen. Wer hat Recht?
Um den Konflikt zu verstehen, hilft es, die Unabhängigkeit der Fed mit der der Bank of England (BoE) oder der Europäischen Zentralbank (EZB) zu vergleichen.
Die britische Zentralbank verfügt über „Instrumentenunabhängigkeit“, aber nicht über „Zielunabhängigkeit“. Der Finanzminister legt ein Inflationsziel fest und überlässt der BoE die Entscheidung, welche Maßnahmen sie dazu trifft. Sollte das Ziel um über einen Prozentpunkt nach oben oder nach unten verfehlt werden, muss der Gouverneur der BoE in einem offenen Brief an den Finanzminister die Gründe dafür nennen (und was die Bank dagegen zu tun gedenkt).
Die EZB dagegen wurde durch den Vertrag von Maastricht beauftragt, „Preisstabilität“ aufrecht zu erhalten, darf diesen Begriff aber selbst definieren. Preisstabilität wird von der EZB als jährliche Inflation von etwas unter 2% definiert. Die Struktur der Europäischen Währungsunion sieht keine Aufsicht der Regierungen über die EZB vor, die daher sowohl über „Zielunabhängigkeit“ als auch über „Instrumentenunabhängigkeit“ verfügt, auch wenn bestimmte Maßnahmen durch Restriktionen eingeschränkt sind.
Die Fed ist „unabhängig“, aber nur in einem ganz bestimmten Sinne: gegenüber der Exekutive der Regierung. Der US-Präsident kann zwar administrativen Behörden wie dem Handelsministerium oder dem Finanzministerium bestimmte Aufgaben zuweisen (so lange diese nicht mit den gültigen Gesetzen in Konflikt stehen), die Regierung kann aber der Fed nicht vorschreiben, wie sie die Zinssätze, Reserveanforderungen oder andere geldpolitische Aspekte reguliert.
Nun ist die Fed zwar unabhängig vom Weißen Haus, aber nicht vom Kongress. Sie wurde vom Kongress durch ein Gesetz gegründet, das ein „duales Mandat“ von Preisstabilität und Vollbeschäftigung festlegt. Nun liegt es bei der Fed, anwendbare Definitionen dieser Ziele und Maßnahmen zu ihrer Erreichung zu formulieren. Das vorgeschlagene Gesetz würde sowohl die „Zielunabhängigkeit“ als auch die „Instrumentenunabhängigkeit“ beeinflussen.
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Die Fed definiert Preisstabilität als „zwei Prozent mittelfristige Inflation des Konsumentenpreisindex“. In den letzten zwölf Monaten lag dieser Wert bei etwa 1,5%. Vollbeschäftigung wurde zwar nicht definiert, aber viele Ökonomen bestimmen sie als das Äquivalent einer Arbeitslosenquote von etwa 5,5%. Der letzte Wert betrug 6,1%.
Aufgrund der Angst, die aktuelle Fed-Politik anhaltend niedriger Zinsen könnte zu höherer Inflation führen, würde die Fed durch das Gesetz verpflichtet, bei der Festsetzung ihres kurzfristigen Hauptzinssatzes, der „Federal Funds Rate“, einer formalen Vorgabe zu folgen. Genauer ausgedrückt, schlägt das Gesetz eine bestimmte Zinssatzregel (die „Referenzmaßnahmenregel) vor, und die Fed hat nur dann die Möglichkeit, eine andere Regel anzuwenden, wenn sie dem Kongress erklärt, warum sie diese Alternative bevorzugt.
Die Referenzmaßnahmenregel entspricht weitgehend der 1993 erstmals durch John Taylor von der Stanford University vorgeschlagenen Regel, die auf seiner statistischen Schätzung dessen beruht, was die Fed offensichtlich unter Paul Volcker und Alan Greenspan während einer Periode geringer Inflation und niedriger Arbeitslosigkeit getan hat. Sie legt die Federal Funds Rate auf 2% plus die aktuelle Inflationsrate plus die Hälfte der Differenz zwischen der aktuellen und der Zielinflation sowie die Hälfte der Prozentdifferenz zwischen dem aktuellen BIP und dem Vollbeschäftigungs-BIP fest.
Dies bedeutet, dass bei Vollbeschäftigung und Zielinflation die Federal Funds Rate 2% plus Inflationsrate betragen muss. Sie muss höher sein, wenn die Inflationsrate über dem Zielwert liegt, und niedriger, wenn sich das aktuelle BIP unter dem Vollbeschäftigungswert befindet.
Angesichts der Unsicherheit über die Höhe des BIP bei Vollbeschäftigung bleibt der Fed bei der Anwendung der Regel immer noch erheblicher Spielraum. Sie könnte argumentieren, dass die Lücke zwischen aktuellem BIP und dem Vollbeschäftigungswert größer ist, als die 6,1% Arbeitslosigkeit vermuten lassen. Grund dafür wäre die große Anzahl von Teilzeitbeschäftigten, die eigentlich lieber vollzeit arbeiten würden, und am scharfen Rückgang der Erwerbsquote. Wenn die BIP-Lücke entsprechend einer aktuellen Schätzung des Haushaltsbüros des Kongresses bei 4% liegt, würde die Taylor-Regel eine optimale Federal Funds Rate von etwa 1,25% (2 + 1,5 – 0,25 – 2) vorgeben, verglichen mit dem aktuellen Wert von nur 0,1%.
Die Federal Funds Rate könnte zwar in den nächsten 12 oder 18 Monaten auf 1% steigen, aber bis dahin würde die sich verringernde BIP-Lücke einen noch höheren Taylor-Regel-Zinssatz bedeuten. Und die Sache wird dadurch noch komplizierter, dass die enormen Überschussreserven der US-Banken im Zuge der Anleihenkäufe der Fed (der quantitativen Erleichterung) dazu geführt haben, dass die Federal Funds Rate nicht mehr der Schlüsselwert ist, der sie einst war. Stattdessen wird die Fed sich auf den Zinssatz auf Überschussreserven konzentrieren.
Das vorgeschlagene Gesetz ist voll mit überzogenen und unmöglichen Anforderungen, und das von den Republikanern kontrollierte Repräsentantenhaus kann es möglicherweise nicht durchsetzen, nicht einmal in veränderter Form. Selbst wenn das gelingt, wird es nicht durch den demokratisch kontrollierten Senat kommen. Aber falls die Republikaner nach der nächsten Wahl im Senat die Mehrheit stellen, könnte ein Gesetz auf dem Schreibtisch des Präsidenten landen, das eine geldpolitische Regel vorschreibt. Er oder sie könnte ein Veto dagegen einlegen, aber ein eventueller republikanischer Präsident nach der Wahl 2016 täte dies wahrscheinlich nicht.
Die Fed befürchtet zweifellos, dass der Kongress im Fall einer generellen Akzeptanz des Prinzips einer formalen Regel die Anforderungen steigern und eine restriktivere Geldpolitik erzwingen könnte. Daher hat sich die neue Fed-Vorsitzende Janet Yellen in einer kürzlichen Anhörung vehement gegen ein solches Gesetz gestellt.
Eines ist sicher: Der Gesetzentwurf wird die Fed unter Druck setzen, der Inflation mehr Aufmerksamkeit zu schenken und einen dauerhaften Wert über ihrem eigenen Ziel von 2% zu verhindern. Andernfalls könnte ihre operative Unabhängigkeit eingeschränkt und sie dazu gezwungen werden, ihre Maßnahmen stärker auf ihr Inflationsmandat auszurichten.
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While the Democrats have won some recent elections with support from Silicon Valley, minorities, trade unions, and professionals in large cities, this coalition was never sustainable. The party has become culturally disconnected from, and disdainful of, precisely the voters it needs to win.
thinks Kamala Harris lost because her party has ceased to be the political home of American workers.
CAMBRIDGE – Die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) liegt mit Kongressmitgliedern im Streit über ein geplantes Gesetz, genannt Federal Reserve Accountability and Transparency Act, das die Fed dazu zwingen würde, bei der Lenkung der Geldpolitik formalen Regeln zu folgen. Die Fed fürchtet, durch das Gesetz würde ihre Unabhängigkeit eingeschränkt, aber die Befürworter des Gesetzes argumentieren, es würde zu besser vorhersagbarem Wachstum bei geringer Inflation führen. Wer hat Recht?
Um den Konflikt zu verstehen, hilft es, die Unabhängigkeit der Fed mit der der Bank of England (BoE) oder der Europäischen Zentralbank (EZB) zu vergleichen.
Die britische Zentralbank verfügt über „Instrumentenunabhängigkeit“, aber nicht über „Zielunabhängigkeit“. Der Finanzminister legt ein Inflationsziel fest und überlässt der BoE die Entscheidung, welche Maßnahmen sie dazu trifft. Sollte das Ziel um über einen Prozentpunkt nach oben oder nach unten verfehlt werden, muss der Gouverneur der BoE in einem offenen Brief an den Finanzminister die Gründe dafür nennen (und was die Bank dagegen zu tun gedenkt).
Die EZB dagegen wurde durch den Vertrag von Maastricht beauftragt, „Preisstabilität“ aufrecht zu erhalten, darf diesen Begriff aber selbst definieren. Preisstabilität wird von der EZB als jährliche Inflation von etwas unter 2% definiert. Die Struktur der Europäischen Währungsunion sieht keine Aufsicht der Regierungen über die EZB vor, die daher sowohl über „Zielunabhängigkeit“ als auch über „Instrumentenunabhängigkeit“ verfügt, auch wenn bestimmte Maßnahmen durch Restriktionen eingeschränkt sind.
Die Fed ist „unabhängig“, aber nur in einem ganz bestimmten Sinne: gegenüber der Exekutive der Regierung. Der US-Präsident kann zwar administrativen Behörden wie dem Handelsministerium oder dem Finanzministerium bestimmte Aufgaben zuweisen (so lange diese nicht mit den gültigen Gesetzen in Konflikt stehen), die Regierung kann aber der Fed nicht vorschreiben, wie sie die Zinssätze, Reserveanforderungen oder andere geldpolitische Aspekte reguliert.
Nun ist die Fed zwar unabhängig vom Weißen Haus, aber nicht vom Kongress. Sie wurde vom Kongress durch ein Gesetz gegründet, das ein „duales Mandat“ von Preisstabilität und Vollbeschäftigung festlegt. Nun liegt es bei der Fed, anwendbare Definitionen dieser Ziele und Maßnahmen zu ihrer Erreichung zu formulieren. Das vorgeschlagene Gesetz würde sowohl die „Zielunabhängigkeit“ als auch die „Instrumentenunabhängigkeit“ beeinflussen.
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Die Fed definiert Preisstabilität als „zwei Prozent mittelfristige Inflation des Konsumentenpreisindex“. In den letzten zwölf Monaten lag dieser Wert bei etwa 1,5%. Vollbeschäftigung wurde zwar nicht definiert, aber viele Ökonomen bestimmen sie als das Äquivalent einer Arbeitslosenquote von etwa 5,5%. Der letzte Wert betrug 6,1%.
Aufgrund der Angst, die aktuelle Fed-Politik anhaltend niedriger Zinsen könnte zu höherer Inflation führen, würde die Fed durch das Gesetz verpflichtet, bei der Festsetzung ihres kurzfristigen Hauptzinssatzes, der „Federal Funds Rate“, einer formalen Vorgabe zu folgen. Genauer ausgedrückt, schlägt das Gesetz eine bestimmte Zinssatzregel (die „Referenzmaßnahmenregel) vor, und die Fed hat nur dann die Möglichkeit, eine andere Regel anzuwenden, wenn sie dem Kongress erklärt, warum sie diese Alternative bevorzugt.
Die Referenzmaßnahmenregel entspricht weitgehend der 1993 erstmals durch John Taylor von der Stanford University vorgeschlagenen Regel, die auf seiner statistischen Schätzung dessen beruht, was die Fed offensichtlich unter Paul Volcker und Alan Greenspan während einer Periode geringer Inflation und niedriger Arbeitslosigkeit getan hat. Sie legt die Federal Funds Rate auf 2% plus die aktuelle Inflationsrate plus die Hälfte der Differenz zwischen der aktuellen und der Zielinflation sowie die Hälfte der Prozentdifferenz zwischen dem aktuellen BIP und dem Vollbeschäftigungs-BIP fest.
Dies bedeutet, dass bei Vollbeschäftigung und Zielinflation die Federal Funds Rate 2% plus Inflationsrate betragen muss. Sie muss höher sein, wenn die Inflationsrate über dem Zielwert liegt, und niedriger, wenn sich das aktuelle BIP unter dem Vollbeschäftigungswert befindet.
Angesichts der Unsicherheit über die Höhe des BIP bei Vollbeschäftigung bleibt der Fed bei der Anwendung der Regel immer noch erheblicher Spielraum. Sie könnte argumentieren, dass die Lücke zwischen aktuellem BIP und dem Vollbeschäftigungswert größer ist, als die 6,1% Arbeitslosigkeit vermuten lassen. Grund dafür wäre die große Anzahl von Teilzeitbeschäftigten, die eigentlich lieber vollzeit arbeiten würden, und am scharfen Rückgang der Erwerbsquote. Wenn die BIP-Lücke entsprechend einer aktuellen Schätzung des Haushaltsbüros des Kongresses bei 4% liegt, würde die Taylor-Regel eine optimale Federal Funds Rate von etwa 1,25% (2 + 1,5 – 0,25 – 2) vorgeben, verglichen mit dem aktuellen Wert von nur 0,1%.
Die Federal Funds Rate könnte zwar in den nächsten 12 oder 18 Monaten auf 1% steigen, aber bis dahin würde die sich verringernde BIP-Lücke einen noch höheren Taylor-Regel-Zinssatz bedeuten. Und die Sache wird dadurch noch komplizierter, dass die enormen Überschussreserven der US-Banken im Zuge der Anleihenkäufe der Fed (der quantitativen Erleichterung) dazu geführt haben, dass die Federal Funds Rate nicht mehr der Schlüsselwert ist, der sie einst war. Stattdessen wird die Fed sich auf den Zinssatz auf Überschussreserven konzentrieren.
Das vorgeschlagene Gesetz ist voll mit überzogenen und unmöglichen Anforderungen, und das von den Republikanern kontrollierte Repräsentantenhaus kann es möglicherweise nicht durchsetzen, nicht einmal in veränderter Form. Selbst wenn das gelingt, wird es nicht durch den demokratisch kontrollierten Senat kommen. Aber falls die Republikaner nach der nächsten Wahl im Senat die Mehrheit stellen, könnte ein Gesetz auf dem Schreibtisch des Präsidenten landen, das eine geldpolitische Regel vorschreibt. Er oder sie könnte ein Veto dagegen einlegen, aber ein eventueller republikanischer Präsident nach der Wahl 2016 täte dies wahrscheinlich nicht.
Die Fed befürchtet zweifellos, dass der Kongress im Fall einer generellen Akzeptanz des Prinzips einer formalen Regel die Anforderungen steigern und eine restriktivere Geldpolitik erzwingen könnte. Daher hat sich die neue Fed-Vorsitzende Janet Yellen in einer kürzlichen Anhörung vehement gegen ein solches Gesetz gestellt.
Eines ist sicher: Der Gesetzentwurf wird die Fed unter Druck setzen, der Inflation mehr Aufmerksamkeit zu schenken und einen dauerhaften Wert über ihrem eigenen Ziel von 2% zu verhindern. Andernfalls könnte ihre operative Unabhängigkeit eingeschränkt und sie dazu gezwungen werden, ihre Maßnahmen stärker auf ihr Inflationsmandat auszurichten.
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff