kisilowski11_ BRENDAN SMIALOWSKIAFP via Getty Images)_trump BRENDAN SMIALOWSKI/AFP via Getty Images

Straffreiheit für Autoritäre schürt politische Gewalt

WIEN – Die Schüsse auf den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump waren das zweite Attentat auf einen populistischen Spitzenpolitiker in diesem Jahr. Erst vor zwei Monaten wurde der slowakische Ministerpräsident Robert Fico durch vier Schüsse aus nächster Nähe schwer verletzt, womit die Gefahr des Wiederaufflammens politischer Gewalt auf der ganzen Welt deutlich wird.

Die Attentatsversuche auf Trump und Fico haben zwar viele Liberale dazu veranlasst, ihre Sprache zu mäßigen, aber derartige Reaktionen gehen am Thema vorbei. Die treibende Kraft hinter der aktuellen Zunahme politischer Gewalt ist nicht die Kritik an autoritären Kräften, sondern vielmehr das Versäumnis angeblich funktionierender Demokratien, kriminellen Anschuldigungen gegen populistische Führer zeitnah nachzugehen.

Wie Trump wurde auch Fico mitten in einem ungewöhnlichen politischen Comeback angegriffen. Fünf Jahre zuvor war er zum Rücktritt gezwungen gewesen, als sein engster Kreis in den grausamen Mord an dem Enthüllungsjournalisten Jan Kuciak und dessen Freundin verwickelt war.

Bedauerlicherweise haben die pro-demokratischen Parteien der Slowakei nicht dafür gesorgt, dass Fico für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wurde. In einer bemerkenswerten Abstimmung im Jahr 2022 stimmte das slowakische Parlament gegen die Aufhebung der Immunität Ficos und verhinderte damit, dass die Behörden ihn wegen organisierter Kriminalität verhaften konnten. Ein Jahr später kehrte Fico an die Macht zurück und nahm seine autoritäre Agenda wieder auf.

Doch während sich die slowakischen Liberalen empört darüber zeigen, dass Ficos Immunität nicht aufgehoben wurde, scheint die Demokratische Partei in den Vereinigten Staaten die Augen vor der Realität zu verschließen. Viele US-Liberale führen das Schneckentempo in den Strafverfahren gegen Trump auf die dem Justizsystem innewohnende Schwerfälligkeit zurück und übersehen dabei die Fehler, die zu diesen Verzögerungen geführt haben.

Einer dieser Fehler war die Ernennung von Merrick Garland zum Justizminister durch US-Präsident Joe Biden. Bereits 2022 war Biden angeblich frustriert über Garlands Zögerlichkeit, Trump wegen seiner zahlreichen Delikte strafrechtlich zu verfolgen. Im privaten Kreis beschwerte er sich, dass Garland eher wie „ein schwerfälliger Richter“ als ein offensiver Staatsanwalt agiere, der sich mit einer ernsten Bedrohung der amerikanischen Demokratie befasse. Doch Biden, der sich an seit langem geltenden Normen hielt, teilte diese Bedenken Garland gegenüber offenbar nicht mit.

Das derzeitige Wiederaufflammen politischer Gewalt sollte uns dazu veranlassen, diese Normen zu überdenken. Auch wenn wir die Beweggründe einzelner Attentäter vielleicht nie ganz verstehen werden, führt ein Schauspiel, im Rahmen dessen eine wichtige politische Persönlichkeit ständig schwerer Straftaten bezichtigt wird und sich jahrelang der Justiz entzieht, unweigerlich zu sozialen Spannungen. Daher bezeichnen Staatsanwälte niemanden ohne strafrechtliche Verfolgung öffentlich als Mörder oder Vergewaltiger: behördliche Untätigkeit ermöglicht nicht nur potenziell gefährlichen Kriminellen sich weiter frei zu bewegen, sondern birgt auch die Gefahr, in der Bevölkerung Angst und Unzufriedenheit zu schüren.

Nach dem Attentat auf Trump haben Fox News und andere konservative Medien wiederholt Bidens Äußerungen über Trump, dieser sei eine „existenzielle Bedrohung für unsere Demokratie“ als Beispiel für aufwieglerische politische Rhetorik hervorgehoben. Diese Kritik ist zum Teil berechtigt: Vorwürfe der Aufwiegelung oder anderer krimineller Handlungen sollten vor Gericht bewiesen werden und nicht als Material im Wahlkampf dienen. Falls diese Anschuldigungen nämlich unbegründet sein sollten, wäre es von den Demokraten in der Tat aufwieglerisch, sie zu wiederholen.

Andere etablierte Demokratien haben bewiesen, dass ehemalige Staatsoberhäupter für begangene Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden können. Zwei ehemalige französische Präsidenten, Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy, wurden wegen Korruption angeklagt und verurteilt. In Brasilien wurde der ehemalige Präsident Jair Bolsonaro nur wenige Monate, nachdem seine Anhänger den Obersten Gerichtshof und den Nationalkongress gestürmt hatten, um seinen Nachfolger Luiz Inácio Lula da Silva zu stürzen, von der Kandidatur ausgeschlossen. Ein Jahr später ist Bolsonaro bereits wegen Geldwäsche angeklagt und sieht sich mehreren strafrechtlichen Ermittlungen gegenüber.

Für Länder, die mit einer autoritären Vergangenheit zu kämpfen haben, bietet Polen ein besonders brauchbares Modell. Seit seinem Amtsantritt im Dezember 2023 verfolgt Polens Ministerpräsident Donald Tusk einen beherzten Ansatz zur Wahrung der Demokratie. Er hat sein Versprechen eingelöst, die Korruption der Vorgängerregierung mit dem „eisernen Besen“ zu eliminieren.

Zunächst ernannte Tusk den ehemaligen Ombudsmann Adam Bodnar zum neuen Justizminister des Landes. Im Gegensatz zu Garland ließ sich Bodnar von unangebrachten Bedenken hinsichtlich der Optik bei der Strafverfolgung politischer Gegner nicht davon abhalten, die Rechtsstaatlichkeit zügig durchzusetzen. Bodnars Büro wartete nicht auf den Abschluss parlamentarischer Untersuchungen, bevor er führende Mitglieder der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) wegen Machtmissbrauchs, Veruntreuung öffentlicher Gelder und anderer Straftaten anklagte.

Tusk mischt sich zwar nicht in Bodnars Arbeit oder in die Tätigkeit unabhängiger Gerichte ein, die letztlich über das Schicksal der Angeklagten entscheiden werden, scheut aber nicht davor zurück, die energischen Strafverfolgungsbemühungen seiner Regierung öffentlich zu erklären und zu verteidigen. In zahlreichen Reden und Social-Media-Posts hat Tusk betont, dass der eiserne Besen kein Selbstzweck ist, sondern ein notwendiger Schritt zur nationalen Aussöhnung. „So geht Abrechnung. Keine Politik, nur Substanz. Und nach der Abrechnung und Wiedergutmachung kommt die Zeit der Aussöhnung. Wie ich es versprochen habe“, schrieb er am 3. Juli auf X.

Bislang hat Tusks mutiger Ansatz die Populisten in die Defensive gedrängt. Amerika sollte das aufmerksam zur Kenntnis nehmen. Angesichts der extremen Polarisierung und der politischen Gewalt, die die amerikanische Demokratie zu untergraben drohen, ist es wohl mehr als deutlich, dass autoritäre Populisten nicht nur von der öffentlichen Meinung, sondern auch vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden müssen.

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Übersetzung: Helga Klinger-Groier

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