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Helikopter im Anflug

NEW YORK – Angesichts der sich verschärfenden COVID-19-Pandemie haben die Vereinigten Staaten gerade ein wirtschaftliches Rettungspaket im Ausmaß von 2 Billionen Dollar verabschiedet (das entspricht 9,2 Prozent des BIP 2019). Diese Gesetze folgen auf beispiellose Maßnahmen der US-Notenbank Federal Reserve, die eine unbefristete quantitative Lockerung umsetzen wird und bereits neue Mechanismen für Unternehmenshilfen und zur Aufrechterhaltung des Kreditflusses eingeführt hat.  

Ein erheblicher Teil der  wirtschaftspolitischen Maßnahmen in den USA wird in Form von „Helikoptergeld” kommen, einer praktischen Anwendung der Modern Monetary Theory (MMT), im Rahmen derer die Zentralbank Konjunkturpakete durch den Ankauf von Staatsanleihen finanziert, die wiederum zur Finanzierung von Steuersenkungen oder höheren Staatsausgaben begeben werden. Die US-Wirtschaft verschlechtert sich in spektakulärem Tempo. Dies teilweise aufgrund der direkten gesundheitlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, aber hauptsächlich aufgrund der verordneten sozialen Distanzierung, die die Menschen von Produktion und Verbrauch abhält. 

Unter den gegebenen Umständen kann davon ausgegangen werden, dass das inkrementelle Ankaufprogramm der Fed zumindest ein Ausmaß von 2 Billionen Dollar erreichen wird, sollte das notwendig sein, um der US-Bundesregierung zur Finanzierung ihrer neuen Initiativen den direkten Gang auf die Vermögensmärkte zu ersparen. Im Januar, bevor das Coronavirus als Bedrohung erkannt wurde, prognostizierte die US-Haushaltsbehörde Congressional Budget Office, dass die US-Regierung zumindest in den nächsten zehn Jahren mit einem jährlich wiederkehrenden Bundeshaushaltsdefizit von über 1 Billion Dollar rechnen müsse.  

Vor einigen Wochen, als sich der Ernst der Lage abzuzeichnen begann, warnten offizielle Regierungsvertreter, die Arbeitslosigkeit in den USA könnte ohne massive fiskalpolitische Maßnahmen auf 20 Prozent ansteigen. Aber auch mit der neuen Gesetzgebung könnte der Verlust von Arbeitsplätzen im zweiten und dritten Quartal dieses Jahres weiter zunehmen. Um wirksam zu sein, muss die fiskalische Unterstützung minutiös auf Haushalte mit Einkommensverlusten und auf (große und kleine) Unternehmen abzielen, die infolge der Pandemie mit Einnahmenverlusten konfrontiert sind. Es bleibt abzuwarten, ob die fiskalischen Maßnahmen der USA derart zielgerichtet ausfallen werden oder ob diese Zielausrichtung überhaupt rechtzeitig und geordnet durchführbar ist.

Unterdessen ist auch im Vereinigten Königreich ein umfassendes Experiment im Bereich MMT/Helikoptergeld im Gange. Zunächst bereitet sich die Bank of England auf den Ankauf britischer Staatsanleihen im Ausmaß von 200 Milliarden Pfund (219 Milliarden Euro) und britischer Unternehmensanleihen mit Investment-Grade im Nicht-Finanzbereich vor – ein geldpolitisches Programm, das knapp 10 Prozent des BIP im Jahr 2019 entspricht. Und auf der fiskalischen Seite tritt der neue britische Finanzminister Rishi Sunak gerade eine Lawine defiziterhöhender Konjunkturprogramme los.  

Für das Kalenderjahr 2020 rechnet die britische Regierung mit einem Defizit von mindestens 7,5  und möglicherweise sogar 10 Prozent des BIP. Aber selbst im Falle des höheren Wertes würde das Defizit immer noch in den Bereich fallen, der durch die monetisierten Anleihekäufe der BOE gedeckt ist. Mit anderen Worten: trotz des außerordentlichen Ausmaßes der Konjunkturprogramme muss sich die britische Regierung zur Kreditaufnahme nicht an die Märkte wenden.

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Weniger Spielraum herrscht diesbezüglich in der Eurozone. Die Europäische Zentralbank hat sich allerdings zusätzlich zu den am 18. März angekündigten Ankaufprogramm im Wert von 750 Milliarden Euro bereits zum Ankauf von Vermögenswerten im Ausmaß von 120 Milliarden Euro verpflichtet.  Im Rahmen des neuen Anleihekaufprogramms namens Pandemic Emergency Purchase Program wird man sogar griechische Staatsanleihen kaufen. Das war bei früheren Programmen nach dem Zahlungsausfall Griechenlands im Jahr 2015 ausgeschlossen.

Insgesamt belaufen sich die zusätzlichen Anleihekäufe der EZB (die in der Regel monetarisiert werden) auf knapp 7,3 Prozent des BIPs der Eurozone im Jahr 2019, womit die Maßnahmen in ihrem Umfang hinter jenen der USA und des Vereinigten Königreichs liegen. Leider präsentiert sich die Fiskalpolitik der Union in erbärmlichem Zustand. Am 16. März kündigten die Finanzminister der Mitgliedstaaten an, dass sie im Laufe des Jahres 2020 Konjunkturprogramme im Wert von mageren 1 Prozent des BIP verfolgen würden - und das in einer Ökonomie, die bereits vorher um Wachstum rang. Spitzenpolitiker in der Eurozone äußerten zwar, bei Bedarf noch mehr tun zu wollen, aber das ist nur ein schwacher Trost. Die einzig positive Entwicklung in diesem Bereich ist eine Verpflichtung, Liquiditätsfazilitäten – darunter öffentliche Bürgschaftsprogramme und zurückgestellte Steuerzahlungen - im Wert von mindestens 10 Prozent des BIPs einzurichten.

Da es in der Eurozone an einer zentralen Stelle mit unabhängigen Haushaltsbefugnissen fehlt, ist der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) die offensichtliche Institution, im Rahmen derer die finanziell starken Mitgliedstaaten schwächere Mitglieder im Bedarfsfall politisch transparent unterstützen könnten. Dennoch scheint es innerhalb der Eurozone keine Einigkeit darüber zu geben, ob der ESM auf diese Weise eingesetzt werden könnte.

Bleibt daher nur die Möglichkeit, dass die Mitgliedstaaten ihre nationalen Konjunkturprogramme auf beispielsweise 7,3 Prozent des BIP erhöhen und die EZB als geldpolitischer Helikopter fungiert. Damit wäre die EZB jedoch in quasi-fiskalische Maßnahmen eingebunden, die auf eine grenzübergreifende Verteilung des fiskalischen Risikos hinauslaufen und das erfordert entweder die Änderung bestehender Verträge oder die kollektive Bereitschaft, durch derartige Operationen aufgeworfene, offensichtliche Legitimitätsprobleme außer Acht zu lassen.

Anders als in den USA und in Großbritannien, wo es eine Zentralbank für ein Land gibt, kann die EZB nicht so einfach die Rolle des Fiskalagenten für eine Regierung übernehmen. Mit dem Ankauf  von beispielsweise italienischen Anleihen durch das Euro-System würde das Risiko auf die nationalen Zentralbanken der finanziell stärkeren Mitgliedstaaten und letztendlich auf die Steuerzahler dieser Länder übergehen.

Aber selbst wenn dies der Fall ist, wäre es grob fahrlässig zuzulassen, dass Konstruktionsfehler in bestehenden Verträgen den nunmehr angebrachten Einsatz von Helikoptergeld in Zeiten existenzieller Krisen verhindern. Italien muss ein Konjunkturpaket im Ausmaß von mindestens 5 Prozent des BIPs – wahrscheinlich sogar mehr – umsetzen und durch eine Kombination aus EZB und ESM muss das Land in die Lage versetzt werden, das auch zu tun.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/ojft1BJde