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Wäre Harris oder Trump besser für die Weltwirtschaft?

NEW YORK – Eine erhebliche Unsicherheit für die Weltwirtschaft besteht in der Frage, wer als nächstes die US-Präsidentschaft übernehmen wird. Obwohl in den Vereinigten Staaten nur 5 Prozent der Weltbevölkerung leben und lediglich 15 Prozent der globalen Wertschöpfung erwirtschaftet werden, nimmt das Land eine maßgebliche Rolle bei der Gestaltung der Weltwirtschaft ein. Aus diesem Grund wird die Handelspolitik der nächsten Regierung - ob sie nun von US-Vizepräsidentin Kamala Harris oder dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump angeführt wird - zweifellos erhebliche Ausstrahlungseffekte haben.

Was Trump wahrscheinlich tun wird, ist bekannt: nämlich die US-Zölle auf Einfuhren aus China auf 60 Prozent anheben und Importe aus allen anderen Ländern mit Zöllen in Höhe von 10 Prozent belegen. Am meisten schaden würden diese Maßnahmen den chinesischen Exporten in die USA. Doch auch die Exporte vieler anderer Länder in die USA würden zurückgehen, auch wenn einige wenige - nämlich diejenigen, die Ersatzprodukte für chinesische Waren anbieten - davon profitieren könnten.

Ebenfalls zum Handkuss kämen Volkswirtschaften, die von Lieferketten mit Beteiligung Chinas abhängig sind. Zahlreiche südkoreanische und japanische Unternehmen exportieren Teile und Komponenten nach China, wo sie mit Teilen und Komponenten aus chinesischer Produktion zusammengeführt und zu Endprodukten zusammengesetzt werden, die dann in die USA und andere Länder exportiert werden. Das heißt, jeder Rückgang chinesischer Exporte in die USA würde auch sinkende Exporte aus Japan, Südkorea und anderen Ländern nach sich ziehen. Bemühungen, das Problem durch die Verlagerung von Lieferketten nach Indien, Vietnam und in andere Länder zu umgehen, könnten diesen Effekt teilweise ausgleichen, doch derartige Lösungen sind vermutlich ebenso kostspielig wie unvollständig.

Die Auswirkungen des „Trump-Handelsschocks“ wären hier aber noch nicht zu Ende. Wenn Zölle das Wachstum in China bremsen, könnte die chinesische Nachfrage nach Importen ebenfalls zurückgehen, was wiederum Volkswirtschaften wie Japan, Südkorea und südostasiatischen Ländern, für die China ein wichtiger Handelspartner ist, einen weiteren Schlag versetzen würde.

Die von Trump beabsichtigten Zölle hätten auch zwei weniger offensichtliche Auswirkungen, die jedoch beide für die USA nicht wünschenswert wären. Zunächst würden sie die US-Exporte in viele Länder beeinträchtigen, da das gesamte US-Handelsdefizit weniger durch die amerikanische Handelspolitik als durch einen Mangel an nationalen Ersparnissen im Verhältnis zu den Investitionen bestimmt wird. Da es unwahrscheinlich ist, dass die Ersparnisse in den USA durch die von Trump vorgeschlagenen Zölle signifikant steigen, würden sinkende US-Importe mit einem Rückgang der US-Exporte einhergehen. Für viele Länder würden die USA als Handelspartner relativ an Bedeutung verlieren.

Zweitens könnten Trumps Zölle die Weltwirtschaftsordnung schwächen, bei deren Schaffung die USA eine Vorreiterrolle spielten. Trumps Maßnahmen würden gegen die rechtlichen Verpflichtungen der USA im Rahmen der Welthandelsorganisation verstoßen. Da die USA jedoch jahrelang den Streitbeilegungsmechanismus der WTO schwächten, ist es unwahrscheinlich, dass die Organisation in der Lage ist, Trumps Protektionismus aufzuhalten. Dadurch könnte sich der Eindruck verfestigen, dass sich die USA nicht an die Regeln halten, und andere Länder - insbesondere solche, die mit einem hohen Maß an Ungleichheit zu kämpfen haben - würden ermutigt, Vergeltungszölle oder andere protektionistische Maßnahmen zu ergreifen. (Populistische Politiker preisen Handelsschranken oft als Lösung für Ungleichheit an.)

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Die Konturen von Harris' voraussichtlicher Handelspolitik präsentieren sich weniger eindeutig. Vorstellbar ist, dass sie den handelspolitischen Ansatz von US-Präsident Joe Biden beibehält, der zwar etwas weniger sprunghaft ist als der von Trump, aber trotzdem einen Makel in Bidens wirtschaftspolitischem Vermächtnis darstellt. Tatsächlich würde eine Fortführung von Bidens Politik den relativen Niedergang Amerikas als Handelsnation weiter vorantreiben, nur nicht in  so rasantem Tempo wie Trumps Zölle.

Es besteht jedoch noch eine andere Möglichkeit. In Anlehnung an zwei andere demokratische Präsidenten der jüngeren Vergangenheit, Barack Obama und Bill Clinton, könnte Harris versuchen, die Führungsrolle der USA im globalen Handel wiederzubeleben, nicht zuletzt durch den Wiederbeitritt zur „Umfassenden und Progressiven Übereinkunft für eine Transpazifische Partnerschaft“ (CPTPP), der auch Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam angehören.

Hervorgegangen ist die CPTPP aus der Transpazifischen Partnerschaft - einem Abkommen, das von Obama vorangetrieben, jedoch nie ratifiziert wurde, da Trump 2017 beschloss, aus dem Abkommen auszusteigen. Es war der japanischen Führung zu verdanken, dass die CPTPP im darauffolgenden Jahr ratifiziert wurde.

Neben der Ausweitung des Marktzugangs unter den Mitgliedsländern sieht das CPTPP auch institutionelle Anforderungen vor, die das Verhalten staatseigener Unternehmen (SOEs), das öffentliche Beschaffungswesen und Subventionsregeln betreffen. Angesichts dieser Möglichkeit, institutionelle Reformen in den Mitgliedsländern anzustoßen, kann die CPTPP als eine Art „WTO plus“ betrachtet werden.

Die CPTPP könnte sogar Reformen unter den potenziellen Mitgliedern antreiben. Obwohl China derzeit die Anforderungen des Abkommens nicht erfüllt, hat es den Beitritt beantragt und damit seine Bereitschaft signalisiert, Staatsunternehmen und Marktzugang zu reformieren. Ein CPTPP, dem zwar China, nicht aber die USA angehören, liegt kaum im Interesse der USA.

Eine Harris-Regierung könnte auch die Zölle der Vorgängerregierungen auf chinesische Importe rückgängig machen, die für die Verbraucher in den USA, insbesondere für Haushalte der Mittelschicht und die unteren Einkommensschichten, wie eine Steuer wirken. Harris muss es gelingen, der amerikanischen Öffentlichkeit zu erklären, dass Zölle selbstschädigend wirken, da diese die Lebenshaltungskosten erhöhen, ohne neue Arbeitsplätze für amerikanische Arbeitskräfte zu schaffen.

Es gibt keine Garantie dafür, dass Harris die richtigen Handelsberaterinnen und -berater auswählen oder den protektionistischen Druck innerhalb ihrer Partei überwinden wird. Falls es ihr aber doch gelingt - durch die Kombination einer relativ offenen Handelspolitik mit innerstaatlicher Umverteilung - könnte sie einen Aufschwung des Welthandels einleiten, der die US-Wirtschaft ankurbelt und die globale Führungsrolle der USA stärkt. Mit Trump hingegen ist kaum mehr als ein weiterer negativer Schock für den Welthandel zu erwarten, der weit mehr Verlierer als Gewinner hervorbrächte.

Übersetzung: Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/11uwcPnde