NAIROBI – Es ist kaum noch zu übersehen: die industrielle Landwirtschaft schadet der Umwelt und den Menschen. Insbesondere giftige Pestizide sind eine Bedrohung für die Natur und die menschliche Gesundheit.
Neben synthetischen Düngemitteln sind vor allem Pestizide der Motor der industriellen Landwirtschaft – und ihr Einsatz nimmt in beinahe allen Regionen dieser Welt zu. Der jüngste Insektenatlas der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt, dass der jährliche weltweite Pestizideinsatz von drei Millionen Tonnen zu Beginn des Jahrtausends auf über vier Millionen Tonnen heute angestiegen ist. Die globalen Pestizidverkäufe beliefen sich im Jahr 2018 auf insgesamt 56,5 Milliarden Euro und könnten bis 2023 auf 82 Milliarden Euro ansteigen.
Obwohl sich einige nationale Regulierungsbehörden hinsichtlich der von Pestizidrückständen in Lebensmitteln ausgehenden Gesundheitsgefahren zunehmend besorgt zeigen, unterschätzen Regierungen in allen Teilen der Welt die Auswirkungen dieser Produkte auf Nichtzielorganismen. Die Pestizide können nach dem Ausbringen jahrzehntelang in der Umwelt verbleiben und ganze Ökosysteme bedrohen. Ihr exzessiver Einsatz belastet Boden- und Wasserressourcen, die wiederum zu einer Verringerung der biologischen Vielfalt, der Vernichtung nützlicher Insekten und letztlich zu geringeren Ernten unserer Nahrungsmittel führen.
Abnehmende Insektenpopulationen sind in Europa zu einem brisanten Thema geworden, seit eine Studie aus dem Jahr 2017 ergab, dass in den vorangegangenen drei Jahrzehnten in einigen Teilen Deutschlands über 75 Prozent der fliegenden Insekten verschwanden. Kurz danach schätzten Forscherinnen und Forscher der Universität Sydney, dass sich der Bestand von weltweit 41 Prozent aller Insektenarten rückläufig entwickelt und ein Drittel vom Aussterben bedroht ist.
Diese Studien bieten erste Einblicke in einen besorgniserregenden ökologischen Trend. Wissenschaftliche Langzeitdaten über Insektenpopulationen sind rar und in Regionen, wo die landwirtschaftliche Industrialisierung immer schneller voranschreitet, wie in Asien, Afrika und Lateinamerika, praktisch nicht vorhanden. Genau diese Regionen sind durch gefährliche Pestizide besonders betroffen.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Europäische Union nach öffentlichen Protesten und Kampagnen zahlreiche schädliche Pestizidwirkstoffe verboten. Dennoch gibt es keinen einheitlichen Trend beim Einsatz von Pestiziden in Europa: einige Länder wie Dänemark haben es geschafft, den Einsatz zu reduzieren während die eingesetzte Menge in anderen Ländern, wie Polen, deutlich ansteigt. Insgesamt jedoch haben strengere Vorschriften und eine geringere Nachfrage den europäischen Markt für die weltweit führenden Pestizidhersteller weniger rentabel werden lassen.
Die vier größten Hersteller – BASF und Bayer aus Deutschland, die in der Schweiz ansässige aber in chinesischem Besitz befindliche Firma Syngenta und Corteva Agriscience, die ehemalige Landwirtschaftssparte von DowDuPont – teilen sich zwei Drittel des weltweiten Pestizidmarktes und sie suchen nach neuen Einnahmequellen. Ihr Ziel sind Entwicklungsländer, wo die landwirtschaftlichen Sektoren unter Druck stehen, wachsende Bevölkerungen zu ernähren und sich gleichzeitig an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen.
Hier profitieren die großen Hersteller von der Tatsache, dass die von den europäischen Ländern beschlossenen Pestizidvorschriften nur innerhalb ihrer Grenzen Anwendung finden. Die Regelungen führen nicht dazu, dass schädliche Pestizide aus der EU nicht länger in andere Länder exportiert werden dürfen. Solange die Inhaltsstoffe in einem OECD-Land zugelassen sind, dürfen EU-Unternehmen Pestizide mit diesen Inhaltsstoffen herstellen und exportieren, und zwar unabhängig davon, ob diese wissenschaftlich erwiesenermaßen schädlich für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt sind.
So ist beispielsweise ein Drittel der in Kenia registrierten aktiven Pestizidwirkstoffe in Europa wegen ihrer negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt nicht zugelassen. Laut der Pestiziddatenbank Pesticide Properites Database, die von der Universität Hertfordshire im Rahmen des von der EU finanzierten FOOTPRINT-Projekts unterhalten wird, sind 77 Prozent der Pestizidprodukte in Kenia entweder als karzinogen, mutagen, als endokrine Disruptoren oder neurotoxisch einzustufen oder haben deutliche Auswirkungen auf die Reproduktion. Darüber hinaus sind 32 Prozent der im Land verfügbaren Pestizide giftig für Bienen, und mehr als die Hälfte ist toxisch für Fische.
Europa ist nach China zweitgrößter Exporteur von Pestiziden nach Kenia und beinahe 60 Prozent aller in diesem Land registrierten Produkte werden von BASF, Bayer und Syngenta hergestellt. Eine Public Eye-Untersuchung ergab, dass über ein Drittel der von BASF, Bayer, Corteva Agriscience, FMC und Syngenta verkauften Pestizide hochgiftige Chemikalien für Gesundheit oder Umwelt enthalten.
Leider ist die Pestizidregulierung in zahlreichen Ländern des globalen Südens schwach. Und weil diese Produkte zunehmend verfügbar sind, neigen lokale Bäuerinnen und Bauern dazu, sie auch einzusetzen, ohne sicherere Alternativen in Betracht zu ziehen.
Aber selbst wenn die Möglichkeit besteht, Pestizide sicher anzuwenden, fehlt vielen Menschen, die im globalen Süden in der Landwirtschaft arbeiten die notwendigen Lese- und Schreibkenntnisse, um die auf die Packungen gedruckten Sicherheitsanleitungen zu befolgen. Vor allem, wenn diese nicht in lokalen Dialekten abgefasst sind. Derartige Hindernisse können neben den hohen Kosten für die Schutzausrüstungen die Anweisungen zur „sicheren Verwendung“ sinnlos werden lassen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die schlechte Laborinfrastruktur vieler Entwicklungsländer die Lebensmittelsicherheit für Konsumentinnen und Konsumenten weiter untergräbt.
Mithilfe einer Petition im kenianischen Parlament haben Umwelt- und Gesundheitsorganisationen strengere Pestizidkontrollen und den Ausstieg aus nachweislich schädlichen aktiven Wirkstoffen gefordert. Akteure aus der Branche bezeichnen die Bemühungen dieser Gruppen als wissenschaftsfeindlich und behaupten, Pestizide seien unverzichtbar, um Hunger und Unterernährung weltweit zu bekämpfen – ein ebenso eingängiges wie falsches Narrativ. Oberflächliche Argumente, die evidenzbasierte Bedenken zu Pestiziden ausklammern, ermöglichen es den Herstellern weiterhin vom gewohnten Geschäftsbetrieb zu profitieren.
Stattdessen brauchen wir eine ernsthafte Diskussion über alternative Ansätze für den Anbau sicherer Lebensmittel in einem nachhaltigen Landwirtschaftssystem, in dem die öffentliche Gesundheit und der Umweltschutz höchste Priorität genießen. Wie die EU-Verordnungen und die kenianische Petition gezeigt haben, erfordert ein sinnvoller Wandel konzertierte politische Führungskraft. Die Rechte jedes Menschen auf sichere Lebensmittel und eine gesunde Umwelt stehen dabei auf dem Spiel.
NAIROBI – Es ist kaum noch zu übersehen: die industrielle Landwirtschaft schadet der Umwelt und den Menschen. Insbesondere giftige Pestizide sind eine Bedrohung für die Natur und die menschliche Gesundheit.
Neben synthetischen Düngemitteln sind vor allem Pestizide der Motor der industriellen Landwirtschaft – und ihr Einsatz nimmt in beinahe allen Regionen dieser Welt zu. Der jüngste Insektenatlas der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt, dass der jährliche weltweite Pestizideinsatz von drei Millionen Tonnen zu Beginn des Jahrtausends auf über vier Millionen Tonnen heute angestiegen ist. Die globalen Pestizidverkäufe beliefen sich im Jahr 2018 auf insgesamt 56,5 Milliarden Euro und könnten bis 2023 auf 82 Milliarden Euro ansteigen.
Obwohl sich einige nationale Regulierungsbehörden hinsichtlich der von Pestizidrückständen in Lebensmitteln ausgehenden Gesundheitsgefahren zunehmend besorgt zeigen, unterschätzen Regierungen in allen Teilen der Welt die Auswirkungen dieser Produkte auf Nichtzielorganismen. Die Pestizide können nach dem Ausbringen jahrzehntelang in der Umwelt verbleiben und ganze Ökosysteme bedrohen. Ihr exzessiver Einsatz belastet Boden- und Wasserressourcen, die wiederum zu einer Verringerung der biologischen Vielfalt, der Vernichtung nützlicher Insekten und letztlich zu geringeren Ernten unserer Nahrungsmittel führen.
Abnehmende Insektenpopulationen sind in Europa zu einem brisanten Thema geworden, seit eine Studie aus dem Jahr 2017 ergab, dass in den vorangegangenen drei Jahrzehnten in einigen Teilen Deutschlands über 75 Prozent der fliegenden Insekten verschwanden. Kurz danach schätzten Forscherinnen und Forscher der Universität Sydney, dass sich der Bestand von weltweit 41 Prozent aller Insektenarten rückläufig entwickelt und ein Drittel vom Aussterben bedroht ist.
Diese Studien bieten erste Einblicke in einen besorgniserregenden ökologischen Trend. Wissenschaftliche Langzeitdaten über Insektenpopulationen sind rar und in Regionen, wo die landwirtschaftliche Industrialisierung immer schneller voranschreitet, wie in Asien, Afrika und Lateinamerika, praktisch nicht vorhanden. Genau diese Regionen sind durch gefährliche Pestizide besonders betroffen.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Europäische Union nach öffentlichen Protesten und Kampagnen zahlreiche schädliche Pestizidwirkstoffe verboten. Dennoch gibt es keinen einheitlichen Trend beim Einsatz von Pestiziden in Europa: einige Länder wie Dänemark haben es geschafft, den Einsatz zu reduzieren während die eingesetzte Menge in anderen Ländern, wie Polen, deutlich ansteigt. Insgesamt jedoch haben strengere Vorschriften und eine geringere Nachfrage den europäischen Markt für die weltweit führenden Pestizidhersteller weniger rentabel werden lassen.
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Die vier größten Hersteller – BASF und Bayer aus Deutschland, die in der Schweiz ansässige aber in chinesischem Besitz befindliche Firma Syngenta und Corteva Agriscience, die ehemalige Landwirtschaftssparte von DowDuPont – teilen sich zwei Drittel des weltweiten Pestizidmarktes und sie suchen nach neuen Einnahmequellen. Ihr Ziel sind Entwicklungsländer, wo die landwirtschaftlichen Sektoren unter Druck stehen, wachsende Bevölkerungen zu ernähren und sich gleichzeitig an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen.
Hier profitieren die großen Hersteller von der Tatsache, dass die von den europäischen Ländern beschlossenen Pestizidvorschriften nur innerhalb ihrer Grenzen Anwendung finden. Die Regelungen führen nicht dazu, dass schädliche Pestizide aus der EU nicht länger in andere Länder exportiert werden dürfen. Solange die Inhaltsstoffe in einem OECD-Land zugelassen sind, dürfen EU-Unternehmen Pestizide mit diesen Inhaltsstoffen herstellen und exportieren, und zwar unabhängig davon, ob diese wissenschaftlich erwiesenermaßen schädlich für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt sind.
So ist beispielsweise ein Drittel der in Kenia registrierten aktiven Pestizidwirkstoffe in Europa wegen ihrer negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt nicht zugelassen. Laut der Pestiziddatenbank Pesticide Properites Database, die von der Universität Hertfordshire im Rahmen des von der EU finanzierten FOOTPRINT-Projekts unterhalten wird, sind 77 Prozent der Pestizidprodukte in Kenia entweder als karzinogen, mutagen, als endokrine Disruptoren oder neurotoxisch einzustufen oder haben deutliche Auswirkungen auf die Reproduktion. Darüber hinaus sind 32 Prozent der im Land verfügbaren Pestizide giftig für Bienen, und mehr als die Hälfte ist toxisch für Fische.
Europa ist nach China zweitgrößter Exporteur von Pestiziden nach Kenia und beinahe 60 Prozent aller in diesem Land registrierten Produkte werden von BASF, Bayer und Syngenta hergestellt. Eine Public Eye-Untersuchung ergab, dass über ein Drittel der von BASF, Bayer, Corteva Agriscience, FMC und Syngenta verkauften Pestizide hochgiftige Chemikalien für Gesundheit oder Umwelt enthalten.
Leider ist die Pestizidregulierung in zahlreichen Ländern des globalen Südens schwach. Und weil diese Produkte zunehmend verfügbar sind, neigen lokale Bäuerinnen und Bauern dazu, sie auch einzusetzen, ohne sicherere Alternativen in Betracht zu ziehen.
Aber selbst wenn die Möglichkeit besteht, Pestizide sicher anzuwenden, fehlt vielen Menschen, die im globalen Süden in der Landwirtschaft arbeiten die notwendigen Lese- und Schreibkenntnisse, um die auf die Packungen gedruckten Sicherheitsanleitungen zu befolgen. Vor allem, wenn diese nicht in lokalen Dialekten abgefasst sind. Derartige Hindernisse können neben den hohen Kosten für die Schutzausrüstungen die Anweisungen zur „sicheren Verwendung“ sinnlos werden lassen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die schlechte Laborinfrastruktur vieler Entwicklungsländer die Lebensmittelsicherheit für Konsumentinnen und Konsumenten weiter untergräbt.
Mithilfe einer Petition im kenianischen Parlament haben Umwelt- und Gesundheitsorganisationen strengere Pestizidkontrollen und den Ausstieg aus nachweislich schädlichen aktiven Wirkstoffen gefordert. Akteure aus der Branche bezeichnen die Bemühungen dieser Gruppen als wissenschaftsfeindlich und behaupten, Pestizide seien unverzichtbar, um Hunger und Unterernährung weltweit zu bekämpfen – ein ebenso eingängiges wie falsches Narrativ. Oberflächliche Argumente, die evidenzbasierte Bedenken zu Pestiziden ausklammern, ermöglichen es den Herstellern weiterhin vom gewohnten Geschäftsbetrieb zu profitieren.
Stattdessen brauchen wir eine ernsthafte Diskussion über alternative Ansätze für den Anbau sicherer Lebensmittel in einem nachhaltigen Landwirtschaftssystem, in dem die öffentliche Gesundheit und der Umweltschutz höchste Priorität genießen. Wie die EU-Verordnungen und die kenianische Petition gezeigt haben, erfordert ein sinnvoller Wandel konzertierte politische Führungskraft. Die Rechte jedes Menschen auf sichere Lebensmittel und eine gesunde Umwelt stehen dabei auf dem Spiel.