MÜNCHEN – Während die Fed angesichts der wachsenden Inflationszahlen über das Tapering nachdenkt, weist die Präsidentin der EZB eine nachhaltige Inflationsgefahr weit von sich. Die derzeit gemessene Inflation sei ein schnell vorrübergehendes Problem, das mit der Überwindung von Lieferengpässen wieder verschwinde. Die EZB werde ihre Politik nicht ändern. Das ist ungefähr so, als würde der Kutscher, dem die Pferde durchgehen, sagen, er wolle die Zügel nicht anziehen, weil sie von allein wieder müden würden.
Die Möglichkeit die Preise temporär laufen zu lassen, ist im Maastrichter Vertrag indes nicht vorgesehen. Die EZB soll vielmehr die Preise unter allen Umständen stabil halten, und im Gegensatz zur Fed hat sie auch keine rechtliche Möglichkeit, das Ziel der Preisstabilität mit anderen Zielen der Geldpolitik abzuwägen.
Die Lieferengpässe haben wesentlich mit den Quarantäne-Maßnahmen der Seehäfen, vor allem, aber nicht nur, in China zu tun. Die einlaufenden Schiffe können ihre Fracht nicht löschen und können deshalb auch nicht mit den Zwischenprodukten bestückt werden, die die europäische Wirtschaft so dringend braucht, um ihre Kunden beliefern zu können. Die Frachtraten für den internationalen Seetransport von Containern haben sich deshalb seit dem Jahr 2019 verachtfacht.
Die Engpässe resultieren aber auch von den hausgemachten Lock-downs der europäischen Staaten während des vergangen Winters und Frühjahrs, die dazu geführt haben, dass selbst heimisches Bauholz und andere in Europa hergestellte Baumaterialien knapp wurden.
In der Summe führten die Lieferprobleme dazu, dass nach einer Umfrage des ifo Instituts unter den deutschen Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes im Hebst 2021 70% Prozent antworteten, sie hätten Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Vorprodukten. Der in den letzten 30 Jahren höchste Wert bei dieser Umfrage hatte bei 20% gelegen.
Nach Schätzung des ifo Instituts verliert Deutschland im Jahr 2021 etwa 40 Milliarden Euro an Wertschöpfung durch diese Engpässe. Das sind 1,15% seines BIP.
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Die Engpässe stehen in einem großen Kontrast zu den gewaltigen Konjunktur- und Rettungsprogrammen, die die Staaten der Eurozone in der Covid-Krise durchführten. So beschloss die deutsche Regierung haushaltswirksame Rettungsprogramme, die, wenn man sie auf zwei Jahre verteilt, jeweils etwa 10% des deutschen BIP ausmachen, und die EU setzte nochmal Programme auf, die nach einer ähnlichen Rechnung 4,5% des BIP der EU ausmachen. Diese Programme wurden im Wesentlichen durch neue staatliche Schulden finanziert, die selbst umgehend zu niedrigsten Zinsen von der EZB monetisiert wurden. Noch nie hat Europa Konjunkturprogramme in einer auch nur halbwegs ähnlichen Größenordnung erlebt.
Beim europäischen Auto hat die Politik Vollgas gegeben, während die Handbremse angezogen war. Die Überhitzung der Wirtschaft war die Folge. Die besondere Form dieser Überhitzung nennen die Ökonomen Stagflation.
Die Inflationsraten sind heute nicht nur in den USA mit 6,2% sehr hoch, sondern auch in Europa. So wuchsen die Konsumentenpreise der Eurozone im Oktober 2021 gegenüber dem Oktober des Vorjahres um 4,1% und jene Deutschlands, der größten Volkswirtschaft des Kontinents, um 4,5%.
Und als wäre das nicht genug des Schreckens, hat das Statistische Bundesamt gerade mitgeteilt, dass die gewerblichen Erzeugerpreise im Oktober um 18,4% gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen waren. Das war der höchste Wert seit dem Jahr 1951 kurz nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Selbst die Spitze der monatlichen Preissteigerung während der Ölkrisen der 1970er Jahre machte sich mit 14,6% im Juni 1974 vergleichsweise bescheiden aus. Im Gegensatz zu den Konsumgüterpreisen, die allein die Endproduktpreise messen, erfassen die gewerblichen Erzeugerpreise sämtliche Zwischenstufen der Produktion unterhalb der Endstufe und haben deshalb eine gewisse prognostische Bedeutung für das, was bei den Endproduktpreisen jetzt noch ansteht, auch wenn letztere die extremen Ausschläge nicht mitmachen werden. Die gewerblichen Erzeugerpreise werden auch nicht durch Mehrwertsteueränderungen, wie sie Deutschland vorgenommen hat, beeinflusst.
Die neuen Zahlen sind so extrem, dass die Position der EZB, die ihren Kopf am liebsten in den Sand stecken möchte, geradezu als Realitätsverweigerung interpretiert werden muss. Deutschland erlebt heute die stärkste Inflation in einem Menschenalter.
Bei den anderen europäischen Ländern ist die Lage kaum besser. Im September verzeichnete Frankreich einen Preisanstieg bei den gewerblichen Erzeugerpreisen im Jahresvergleich von 11,6%, Italien von 14,6%, Finnland von 18,1%, die Niederlande von 21,4% und Spanien von 23,6%, um nur einmal ein paar Beispiele zu zitieren.
Und leider sieht es nicht so aus, als handele es sich um ein vorrübergehendes Phänomen, denn auch wenn die Lieferengpässe im nächsten Sommer überwunden werden, werden die Gewerkschaften die Lohnforderungen des nächsten Jahres um die Inflation dieses Jahres erhöhen. Das setzt eine Lohn-Preis-Spirale in Gang, die sich mehrere Jahre drehen kann. Auch wird es zu Vorziehkäufen bei langlebigen Konsumgüterkäufen kommen, welche die Inflation weiter anheizen.
Und wenn dann die erste Welle der Inflation vielleicht 2023 wieder abebbt, kommen am Horizont schon weitere Gefahren. Wenn die EZB nicht bereit ist der Zinspolitik der FED zu folgen, wird der Euro abwerten, was die Importpreise steigen lässt. Der Renteneintritt der Babyboomer, die in Deutschland heute 57 Jahre alt sind, bedeutet, dass es viele neue Esser gibt, die selbst nicht mehr bei der Produktion mithelfen und deshalb die Inflation schüren. Der Total-Ausstieg aus sämtlichen fossilen Brennstoffen sowie auch die Abschaffung der Kernkraftwerke in Deutschland wird ein Übrigens tun, die Inflation von der Kostenseite her anzutreiben. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, für den Rest des Jahrzehnts und darüber hinaus eine Rückkehr Europas in ein hartnäckiges Inflationsregime zu erwarten, wie es in den 1970 Jahren herrschte.
Angesichts dieser Verhältnisse muss den Staaten Europas und der EZB jetzt ein eindeutiges Haltesignal für weitere mit der Druckerpresse finanzierte Verschuldungsorgien gesetzt werden. Alle Ressourcen, die die heutigen Politiker für ihre Belange nun aus der Wirtschaft abzweigen wollen, bekommen sie nur, indem sie andere Verwendungen eins zu eins zurückdrängen. Wenn die Zurückdrängung über Kürzungen im Staatsbudget oder den Zins nicht mehr funktioniert, weil die EZB nicht mitmacht, greift statt dessen der direkte Crowding-out-Mechanismus über die Güterpreise. Aus ist der Traum von den Ressourcen aus dem Nichts, die durch ewige Schulden aktiviert werden können. Das süße Leben aus den Druckerpressen des Eurosystems ist ein für alle Mal zu Ende.
Hans-Werner Sinn, Professor Emeritus of Economics at the University of Munich, is a former president of the Ifo Institute for Economic Research and serves on the German economy ministry’s Advisory Council. He is the author of The Euro Trap: On Bursting Bubbles, Budgets, and Beliefs.
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At the end of a year of domestic and international upheaval, Project Syndicate commentators share their favorite books from the past 12 months. Covering a wide array of genres and disciplines, this year’s picks provide fresh perspectives on the defining challenges of our time and how to confront them.
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MÜNCHEN – Während die Fed angesichts der wachsenden Inflationszahlen über das Tapering nachdenkt, weist die Präsidentin der EZB eine nachhaltige Inflationsgefahr weit von sich. Die derzeit gemessene Inflation sei ein schnell vorrübergehendes Problem, das mit der Überwindung von Lieferengpässen wieder verschwinde. Die EZB werde ihre Politik nicht ändern. Das ist ungefähr so, als würde der Kutscher, dem die Pferde durchgehen, sagen, er wolle die Zügel nicht anziehen, weil sie von allein wieder müden würden.
Die Möglichkeit die Preise temporär laufen zu lassen, ist im Maastrichter Vertrag indes nicht vorgesehen. Die EZB soll vielmehr die Preise unter allen Umständen stabil halten, und im Gegensatz zur Fed hat sie auch keine rechtliche Möglichkeit, das Ziel der Preisstabilität mit anderen Zielen der Geldpolitik abzuwägen.
Die Lieferengpässe haben wesentlich mit den Quarantäne-Maßnahmen der Seehäfen, vor allem, aber nicht nur, in China zu tun. Die einlaufenden Schiffe können ihre Fracht nicht löschen und können deshalb auch nicht mit den Zwischenprodukten bestückt werden, die die europäische Wirtschaft so dringend braucht, um ihre Kunden beliefern zu können. Die Frachtraten für den internationalen Seetransport von Containern haben sich deshalb seit dem Jahr 2019 verachtfacht.
Die Engpässe resultieren aber auch von den hausgemachten Lock-downs der europäischen Staaten während des vergangen Winters und Frühjahrs, die dazu geführt haben, dass selbst heimisches Bauholz und andere in Europa hergestellte Baumaterialien knapp wurden.
In der Summe führten die Lieferprobleme dazu, dass nach einer Umfrage des ifo Instituts unter den deutschen Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes im Hebst 2021 70% Prozent antworteten, sie hätten Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Vorprodukten. Der in den letzten 30 Jahren höchste Wert bei dieser Umfrage hatte bei 20% gelegen.
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Die Inflationsraten sind heute nicht nur in den USA mit 6,2% sehr hoch, sondern auch in Europa. So wuchsen die Konsumentenpreise der Eurozone im Oktober 2021 gegenüber dem Oktober des Vorjahres um 4,1% und jene Deutschlands, der größten Volkswirtschaft des Kontinents, um 4,5%.
Und als wäre das nicht genug des Schreckens, hat das Statistische Bundesamt gerade mitgeteilt, dass die gewerblichen Erzeugerpreise im Oktober um 18,4% gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen waren. Das war der höchste Wert seit dem Jahr 1951 kurz nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Selbst die Spitze der monatlichen Preissteigerung während der Ölkrisen der 1970er Jahre machte sich mit 14,6% im Juni 1974 vergleichsweise bescheiden aus. Im Gegensatz zu den Konsumgüterpreisen, die allein die Endproduktpreise messen, erfassen die gewerblichen Erzeugerpreise sämtliche Zwischenstufen der Produktion unterhalb der Endstufe und haben deshalb eine gewisse prognostische Bedeutung für das, was bei den Endproduktpreisen jetzt noch ansteht, auch wenn letztere die extremen Ausschläge nicht mitmachen werden. Die gewerblichen Erzeugerpreise werden auch nicht durch Mehrwertsteueränderungen, wie sie Deutschland vorgenommen hat, beeinflusst.
Die neuen Zahlen sind so extrem, dass die Position der EZB, die ihren Kopf am liebsten in den Sand stecken möchte, geradezu als Realitätsverweigerung interpretiert werden muss. Deutschland erlebt heute die stärkste Inflation in einem Menschenalter.
Bei den anderen europäischen Ländern ist die Lage kaum besser. Im September verzeichnete Frankreich einen Preisanstieg bei den gewerblichen Erzeugerpreisen im Jahresvergleich von 11,6%, Italien von 14,6%, Finnland von 18,1%, die Niederlande von 21,4% und Spanien von 23,6%, um nur einmal ein paar Beispiele zu zitieren.
Und leider sieht es nicht so aus, als handele es sich um ein vorrübergehendes Phänomen, denn auch wenn die Lieferengpässe im nächsten Sommer überwunden werden, werden die Gewerkschaften die Lohnforderungen des nächsten Jahres um die Inflation dieses Jahres erhöhen. Das setzt eine Lohn-Preis-Spirale in Gang, die sich mehrere Jahre drehen kann. Auch wird es zu Vorziehkäufen bei langlebigen Konsumgüterkäufen kommen, welche die Inflation weiter anheizen.
Und wenn dann die erste Welle der Inflation vielleicht 2023 wieder abebbt, kommen am Horizont schon weitere Gefahren. Wenn die EZB nicht bereit ist der Zinspolitik der FED zu folgen, wird der Euro abwerten, was die Importpreise steigen lässt. Der Renteneintritt der Babyboomer, die in Deutschland heute 57 Jahre alt sind, bedeutet, dass es viele neue Esser gibt, die selbst nicht mehr bei der Produktion mithelfen und deshalb die Inflation schüren. Der Total-Ausstieg aus sämtlichen fossilen Brennstoffen sowie auch die Abschaffung der Kernkraftwerke in Deutschland wird ein Übrigens tun, die Inflation von der Kostenseite her anzutreiben. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, für den Rest des Jahrzehnts und darüber hinaus eine Rückkehr Europas in ein hartnäckiges Inflationsregime zu erwarten, wie es in den 1970 Jahren herrschte.
Angesichts dieser Verhältnisse muss den Staaten Europas und der EZB jetzt ein eindeutiges Haltesignal für weitere mit der Druckerpresse finanzierte Verschuldungsorgien gesetzt werden. Alle Ressourcen, die die heutigen Politiker für ihre Belange nun aus der Wirtschaft abzweigen wollen, bekommen sie nur, indem sie andere Verwendungen eins zu eins zurückdrängen. Wenn die Zurückdrängung über Kürzungen im Staatsbudget oder den Zins nicht mehr funktioniert, weil die EZB nicht mitmacht, greift statt dessen der direkte Crowding-out-Mechanismus über die Güterpreise. Aus ist der Traum von den Ressourcen aus dem Nichts, die durch ewige Schulden aktiviert werden können. Das süße Leben aus den Druckerpressen des Eurosystems ist ein für alle Mal zu Ende.
Hans-Werner Sinn, Professor Emeritus of Economics at the University of Munich, is a former president of the Ifo Institute for Economic Research and serves on the German economy ministry’s Advisory Council. He is the author of The Euro Trap: On Bursting Bubbles, Budgets, and Beliefs.