WASHINGTON, D.C./CAMBRIDGE, MASS. – Weltweit ist die extreme Armut erstmals seit 20 Jahren im Steigen begriffen. Obwohl einige arme Länder inzwischen COVID-19-Impfstoffe erhalten, dürfte die Pandemie bis Ende 2021 fast 150 Millionen Menschen in schlimmste Armut stürzen und damit die Fortschritte von Jahrzehnten zunichtemachen.
Doch hat die Welt eine enorme Chance, zur Verhinderung einer solchen Entwicklung beizutragen, und zwar nicht nur durch großzügigere Hilfen und die Verteilung von Impfstoffen. Die einkommensschwachen Länder brauchen darüber hinaus Unterstützung bei der Anpassung und Skalierung belastbarerer Programme zur sozialen Absicherung und zum Schutz der Existenzgrundlagen. Derartige Initiativen schaffen Resilienz und versetzen die Menschen so in die Lage, künftige Wirtschaftskrisen zu bewältigen. Und Kollaborationen zwischen rührigen gemeinnützigen Organisationen und Wissenschaftlern können dabei den Weg weisen.
Sorgfältige, qualitativ hochwertige Forschung zur Bewertung der Effektivität konkreter sozialpolitischer Strategien und Programme in unterschiedlichen Zusammenhängen hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten deutlich zugenommen. Ein besonders stringenter Ansatz, der als „randomisierte Evaluation“ bezeichnet wird, nutzt eine Methodologie ähnlich der medizinischer Studien, um die praktischen Auswirkungen vielversprechender Innovationen zu bewerten.
Ein deutliches Beispiel dafür, wie sozialpolitische Forschungs- und Entwicklungskollaborationen für Menschen, deren Existenzgrundlagen durch die Pandemie schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden, einen echten Unterschied bewirken können, ist derGraduation-Ansatz, dessen Wirksamkeit Banerjee und Duflo untersucht haben. Dieser von BRAC, der größten NGO im globalen Süden, entwickelte und eingeführte Ansatz umfasst eine holistische Abfolge evidenzbasierter Interventionen, die sich stark an lokale Kontexte anpassen lassen und darauf ausgelegt sind, die vielschichtigen Bedürfnisse von Menschen in extremer Armut zu erfüllen.
Die Teilnehmer erhalten bei diesem Ansatz einen einkommensgenerierenden Vermögenswert wie etwa eine Kuh, eine Nähmaschine oder eine Geldleistung. Zusätzlich erhalten sie in den folgenden 18-36 Monaten umfassende Unterstützung, darunter Training dazu, wie sie mit dem Vermögenswert ein Einkommen erzielen können, lebenskundliche Beratung, Unterstützung in Konsumfragen, Zugriff auf ein Sparkonto und Verweise auf staatliche Hilfsangebote.
At a time of escalating global turmoil, there is an urgent need for incisive, informed analysis of the issues and questions driving the news – just what PS has always provided.
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BRAC hatte zuvor mit einem Team von Ökonomen der London School of Economics an einer randomisierten Evaluation zur Untersuchung der Auswirkungen des Graduation-Programms auf die Armut im ländlichen Bangladesch zusammengearbeitet. Die Ergebnisse waren beeindruckend: Der Schritt in die Selbstständigkeit erhöhte die Einkünfte der ärmsten Teilnehmer im Verlaufe von vier Jahren um durchschnittlich 37%. Aber würde der Ansatz auch in anderen Kontexten wirksam sein, und würde er skalierbar sein?
Um diese Frage zu beantworten, wurden in sieben Ländern (von Pakistan bis Peru) tätige gemeinnützige Organisationen in der Durchführung des Programms geschult, während die strikte Evaluation fortgesetzt wurde. Wissenschaftler vom Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab (J-PAL) des MIT und von Innovations for Poverty Action führten in jedem Land sechs zeitgleich ablaufende randomisierte Evaluationen durch. Diese koordinierten Untersuchungen ergaben, dass der Graduation-Ansatz eines der wirksamsten der evaluierten Programme zur Unterstützung von Menschen bei der Selbstbefreiung aus der Armut ist.
In fast jedem Land verbesserten die Teilnehmer der Graduation-Programme ihre wirtschaftliche Lage. Sie gründeten erfolgreich kleine Unternehmen, und ihr Einkommenszuwachs brachte sie dazu, andere Möglichkeiten des Geldverdienens zu untersuchen. Die Teilnehmer berichteten zudem, dass es ihnen psychologisch besser ginge und dass sie insbesondere hoffnungsvoller seien. Eine im November 2020 veröffentlichte Anschlussstudie ergab, dass die positiven Auswirkungen bis zu zehn Jahre nach Programmende anhielten.
Bis dato hat BRAC in Bangladesch, wo das Programm seinen Ursprung hatte, mehr als 2,1 Millionen Haushalte erreicht – bei einer Erfolgsquote von 95%. Mit Stand 2018 hatten 100 Organisationen in fast 50 Ländern Graduation-Programme umgesetzt oder Pilotprojekte dafür begonnen.
Die weltweite Ausweitung des Graduation-Ansatzes und seine nachweisliche Fähigkeit, den Kreislauf extremer Armut zu durchbrechen, zeigen, dass die Entwicklung innovativer Programme, die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern zu ihrer stringenten Erprobung und die Einrichtung zuverlässiger Partnerschaften mit den Regierungen zu großen Fortschritten bei der Ausweitung der wirksamsten Projekte führen kann. Qualitativ hochwertige Studien, die die Wirksamkeit des Graduation-Ansatzes in unterschiedlichen Kontexten belegen, haben BRAC, J-PAL und anderen Partnern geholfen, Geber und Regierungen zu überzeugen, dass das Modell schutzbedürftigen Menschen helfen kann, sich nachhaltige Existenzgrundlagen zu schaffen, und dass es politische Strategien zur sozialen Absicherung inklusiver und wirksamer machen kann.
BRAC hat im Rahmen der weltweiten Ausweitung des Graduation-Ansatzes durch eigene Maßnahmen und in Zusammenarbeit mit Partnern wichtige Lehren ermittelt, die bei der Gestaltung ähnlicher Bemühungen helfen können. Wichtig ist vor allem die Einhaltung der zentralen Grundprinzipien, die die Auswirkungen eines Programms bestimmen, bei gleichzeitiger Anpassung des Modells an seinen jeweiligen Kontext. Wie die 20-jährige Entwicklung des Graduation-Ansatzes in Bangladesch gezeigt hat, ist ein Ethos des Lernens und der kritischen Selbstevaluation ist für den Programmerfolg zentral. Und durch Untersuchung der Auswirkungen des Programms auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und kontinuierliche Verbesserung und Erprobung seiner Bestandteile – wie der Größe und Art der zur Verbesserung der Existenzgrundlagen zur Verfügung gestellten Pakete – können wir derartige Studien auch künftig nutzen, um in extremer Armut lebende Menschen zu stärken.
Der Umfang des Graduation-Ansatzes nach Jahren der Wiederholung und Evaluation hat Bereiche aufgezeigt, in denen philanthropisches Engagement und Hilfe besonders nützlich sein können. Hierzu gehören Investitionen in sozialpolitische Innovationen, die stringente Evaluation, ob und wie sie funktionieren, sowie Partnerschaften mit Regierungen, um weltweit erworbenes Fachwissen auf eigene Programme anzuwenden.
Unsere Erfahrung zeigt, dass innovative, evidenzbasierte Ansätze, die gut umgesetzt werden, die Armut wirksam verringern können. Nun, da die Pandemie droht, schwer erkämpfte globale Erfolge zunichte zu machen, ist die Notwendigkeit sachbezogener Forschung und der Ausweitung wirksamer Lösungen dringlicher denn je.
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Donald Trump’s immediate, aggressive use of import tariffs has revealed a fundamental difference between his first and second term. Far from a mere negotiating strategy, the goal this time is to replace a global rules-based system of managed economic integration with coerced decoupling.
emphasizes a fundamental difference between the US trade agenda now and during the president’s first term.
Recent actions by the United States may foreshadow its withdrawal from the world’s foremost multilateral institution. Paradoxically, however, the breakdown of the multilateral order the US helped establish nearly eight decades ago could serve as a catalyst for greater international cooperation.
thinks the paradigm shift in US foreign policy could end up strengthening global solidarity.
WASHINGTON, D.C./CAMBRIDGE, MASS. – Weltweit ist die extreme Armut erstmals seit 20 Jahren im Steigen begriffen. Obwohl einige arme Länder inzwischen COVID-19-Impfstoffe erhalten, dürfte die Pandemie bis Ende 2021 fast 150 Millionen Menschen in schlimmste Armut stürzen und damit die Fortschritte von Jahrzehnten zunichtemachen.
Doch hat die Welt eine enorme Chance, zur Verhinderung einer solchen Entwicklung beizutragen, und zwar nicht nur durch großzügigere Hilfen und die Verteilung von Impfstoffen. Die einkommensschwachen Länder brauchen darüber hinaus Unterstützung bei der Anpassung und Skalierung belastbarerer Programme zur sozialen Absicherung und zum Schutz der Existenzgrundlagen. Derartige Initiativen schaffen Resilienz und versetzen die Menschen so in die Lage, künftige Wirtschaftskrisen zu bewältigen. Und Kollaborationen zwischen rührigen gemeinnützigen Organisationen und Wissenschaftlern können dabei den Weg weisen.
Sorgfältige, qualitativ hochwertige Forschung zur Bewertung der Effektivität konkreter sozialpolitischer Strategien und Programme in unterschiedlichen Zusammenhängen hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten deutlich zugenommen. Ein besonders stringenter Ansatz, der als „randomisierte Evaluation“ bezeichnet wird, nutzt eine Methodologie ähnlich der medizinischer Studien, um die praktischen Auswirkungen vielversprechender Innovationen zu bewerten.
Diese Forschungen haben eine Palette wirksamer Maßnahmen zur Reduzierung extremer Armut identifiziert. Hierzu gehören Programme, um den Schulbesuch von Mädchen zu erhöhen,Arbeitslosen bei der Arbeitssuche zu helfen undWähler beim Treffen begründeterer Wahlentscheidungen zu unterstützen. Der enorme Nutzen dieser Forschungsarbeiten wurde 2019 anerkannt, als drei Pionieren auf diesem Gebiet,Abhijit Banerjee undEsther Duflo vom MIT undMichael Kremer von der Universität Harvard, der Wirtschaftsnobelpreis zugesprochen wurde.
Ein deutliches Beispiel dafür, wie sozialpolitische Forschungs- und Entwicklungskollaborationen für Menschen, deren Existenzgrundlagen durch die Pandemie schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden, einen echten Unterschied bewirken können, ist derGraduation-Ansatz, dessen Wirksamkeit Banerjee und Duflo untersucht haben. Dieser von BRAC, der größten NGO im globalen Süden, entwickelte und eingeführte Ansatz umfasst eine holistische Abfolge evidenzbasierter Interventionen, die sich stark an lokale Kontexte anpassen lassen und darauf ausgelegt sind, die vielschichtigen Bedürfnisse von Menschen in extremer Armut zu erfüllen.
Die Teilnehmer erhalten bei diesem Ansatz einen einkommensgenerierenden Vermögenswert wie etwa eine Kuh, eine Nähmaschine oder eine Geldleistung. Zusätzlich erhalten sie in den folgenden 18-36 Monaten umfassende Unterstützung, darunter Training dazu, wie sie mit dem Vermögenswert ein Einkommen erzielen können, lebenskundliche Beratung, Unterstützung in Konsumfragen, Zugriff auf ein Sparkonto und Verweise auf staatliche Hilfsangebote.
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BRAC hatte zuvor mit einem Team von Ökonomen der London School of Economics an einer randomisierten Evaluation zur Untersuchung der Auswirkungen des Graduation-Programms auf die Armut im ländlichen Bangladesch zusammengearbeitet. Die Ergebnisse waren beeindruckend: Der Schritt in die Selbstständigkeit erhöhte die Einkünfte der ärmsten Teilnehmer im Verlaufe von vier Jahren um durchschnittlich 37%. Aber würde der Ansatz auch in anderen Kontexten wirksam sein, und würde er skalierbar sein?
Um diese Frage zu beantworten, wurden in sieben Ländern (von Pakistan bis Peru) tätige gemeinnützige Organisationen in der Durchführung des Programms geschult, während die strikte Evaluation fortgesetzt wurde. Wissenschaftler vom Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab (J-PAL) des MIT und von Innovations for Poverty Action führten in jedem Land sechs zeitgleich ablaufende randomisierte Evaluationen durch. Diese koordinierten Untersuchungen ergaben, dass der Graduation-Ansatz eines der wirksamsten der evaluierten Programme zur Unterstützung von Menschen bei der Selbstbefreiung aus der Armut ist.
In fast jedem Land verbesserten die Teilnehmer der Graduation-Programme ihre wirtschaftliche Lage. Sie gründeten erfolgreich kleine Unternehmen, und ihr Einkommenszuwachs brachte sie dazu, andere Möglichkeiten des Geldverdienens zu untersuchen. Die Teilnehmer berichteten zudem, dass es ihnen psychologisch besser ginge und dass sie insbesondere hoffnungsvoller seien. Eine im November 2020 veröffentlichte Anschlussstudie ergab, dass die positiven Auswirkungen bis zu zehn Jahre nach Programmende anhielten.
Bis dato hat BRAC in Bangladesch, wo das Programm seinen Ursprung hatte, mehr als 2,1 Millionen Haushalte erreicht – bei einer Erfolgsquote von 95%. Mit Stand 2018 hatten 100 Organisationen in fast 50 Ländern Graduation-Programme umgesetzt oder Pilotprojekte dafür begonnen.
Die weltweite Ausweitung des Graduation-Ansatzes und seine nachweisliche Fähigkeit, den Kreislauf extremer Armut zu durchbrechen, zeigen, dass die Entwicklung innovativer Programme, die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern zu ihrer stringenten Erprobung und die Einrichtung zuverlässiger Partnerschaften mit den Regierungen zu großen Fortschritten bei der Ausweitung der wirksamsten Projekte führen kann. Qualitativ hochwertige Studien, die die Wirksamkeit des Graduation-Ansatzes in unterschiedlichen Kontexten belegen, haben BRAC, J-PAL und anderen Partnern geholfen, Geber und Regierungen zu überzeugen, dass das Modell schutzbedürftigen Menschen helfen kann, sich nachhaltige Existenzgrundlagen zu schaffen, und dass es politische Strategien zur sozialen Absicherung inklusiver und wirksamer machen kann.
BRAC hat im Rahmen der weltweiten Ausweitung des Graduation-Ansatzes durch eigene Maßnahmen und in Zusammenarbeit mit Partnern wichtige Lehren ermittelt, die bei der Gestaltung ähnlicher Bemühungen helfen können. Wichtig ist vor allem die Einhaltung der zentralen Grundprinzipien, die die Auswirkungen eines Programms bestimmen, bei gleichzeitiger Anpassung des Modells an seinen jeweiligen Kontext. Wie die 20-jährige Entwicklung des Graduation-Ansatzes in Bangladesch gezeigt hat, ist ein Ethos des Lernens und der kritischen Selbstevaluation ist für den Programmerfolg zentral. Und durch Untersuchung der Auswirkungen des Programms auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und kontinuierliche Verbesserung und Erprobung seiner Bestandteile – wie der Größe und Art der zur Verbesserung der Existenzgrundlagen zur Verfügung gestellten Pakete – können wir derartige Studien auch künftig nutzen, um in extremer Armut lebende Menschen zu stärken.
Der Umfang des Graduation-Ansatzes nach Jahren der Wiederholung und Evaluation hat Bereiche aufgezeigt, in denen philanthropisches Engagement und Hilfe besonders nützlich sein können. Hierzu gehören Investitionen in sozialpolitische Innovationen, die stringente Evaluation, ob und wie sie funktionieren, sowie Partnerschaften mit Regierungen, um weltweit erworbenes Fachwissen auf eigene Programme anzuwenden.
Unsere Erfahrung zeigt, dass innovative, evidenzbasierte Ansätze, die gut umgesetzt werden, die Armut wirksam verringern können. Nun, da die Pandemie droht, schwer erkämpfte globale Erfolge zunichte zu machen, ist die Notwendigkeit sachbezogener Forschung und der Ausweitung wirksamer Lösungen dringlicher denn je.
Aus dem Englischen von Jan Doolan