NEW YORK – in seinem Roman 1984 beschreibt George Orwell auf gruselige Weise ein totalitäres Regime, in dem jegliche Kommunikation durch ein Ministerium für Wahrheit kontrolliert wird und Dissidenten von der politischen Polizei verfolgt werden. Die Vereinigten Staaten sind nach wie vor eine Demokratie mit pluralistischen Medien, die von einer Verfassung geregelt wird und in der Rechtsstaatlichkeit herrscht, dennoch gibt es beunruhigende Anzeichen dafür, dass die Propagandamethoden, die Orwell beschrieb, sich hier eingenistet haben.
In der Tat wurden die Täuschungstechniken seit Orwells Zeiten enorm verbessert. Viele dieser Techniken wurden im Zusammenhang mit der Werbung und Vermarktung kommerzieller Produkte und Dienstleistungen entwickelt und dann an die Politik angepasst. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie für Geld erworben werden können. In jüngerer Zeit hat die Kognitionswissenschaft dazu beigetragen, Täuschungstechniken noch wirksamer zu machen, was professionelle Politiker hervorgebracht hat, die sich ausschließlich darauf konzentrieren, „Ergebnisse zu erzielen“.
Diese Profis sind stolz auf ihre Leistungen und genießen vielleicht sogar den Respekt der amerikanischen Öffentlichkeit, die Erfolg bewundert, unabhängig davon, wie er erreicht wurde. Diese Tatsache lässt Zweifel an Karl Poppers Konzept der offenen Gesellschaft aufkommen, das auf der Erkenntnis beruht, dass wir zwar kein vollkommenes Wissen erlangen können, jedoch die Realität besser verstehen, wenn wir kritisch denken.
Popper hat nicht erkannt, dass in einer demokratischen Politik das Gewinnen der öffentlichen Unterstützung Vorrang vor der Suche nach der Wahrheit hat. In anderen Bereichen, z. B. in der Wissenschaft und Industrie, trifft der Impuls, der Welt die eigenen Ansichten aufzuzwingen, auf den Widerstand der äußeren Wirklichkeit. In der Politik dagegen kann die Realitätswahrnehmung der Wählerschaft leicht manipuliert werden. Infolgedessen führt ein politischer Diskurs selbst in demokratischen Gesellschaften nicht notwendigerweise zu einem besseren Verständnis der Realität.
Der Grund, warum demokratische Politik zu Manipulation führt, ist, dass Politiker nicht anstreben, die Wahrheit zu sagen. Sie wollen die Wahlen gewinnen, und das gelingt am besten, wenn sie die Wirklichkeit zu ihren eigenen Gunsten verdrehen.
Diese Einsicht sollte nicht dazu führen, dass wir das Konzept der offenen Gesellschaft verwerfen, wir sollten es stattdessen überarbeiten und die Gründe, die für sie sprechen, neu bekräftigen. Wir müssen Poppers stillschweigende Annahme aufgeben, dass der politische Diskurs auf ein besseres Verständnis der Realität abzielt, und dies als eine explizite Forderung wieder einführen. Gewaltenteilung, freie Rede und freie Wahlen allein können keine offene Gesellschaft gewährleisten; zudem ist auch ein starkes Engagement für die Suche nach der Wahrheit erforderlich.
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Wir müssen neue Grundregeln für den politischen Diskurs einführen. Diese können nicht mit wissenschaftlichen Methoden identisch sein, aber sie sollten ähnliche Merkmale aufweisen und die Suche nach Wahrheit als das Kriterium verankern, nach dem politische Ansichten bewertet werden sollen. Die Politiker werden sich nur dann an die Realität halten, anstatt sie zu manipulieren, wenn der Öffentlichkeit an der Wahrheit gelegen ist und wenn sie Politiker bestraft, die bei vorsätzlicher Täuschung gestellt werden. Und der Öffentlichkeit sollte an der Wahrheit gelegen sein, weil Täuschung die Menschen bei der Wahl ihrer Vertreter irreführt, politische Entscheidungen verzerrt, Verantwortlichkeiten unterminiert und das Vertrauen in die Demokratie zerstört.
Die jüngere Geschichte bietet überzeugende Beweise dafür, dass politische Maßnahmen fehlschlagen, wenn sie auf einer falschen Darstellung der Wirklichkeit beruhen. Durch die Reaktion der Regierung Bush auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 – die Ausrufung eines Krieges gegen den Terror und die Behandlung von Kritik als unpatriotisch – gelang es, die Unterstützung der Öffentlichkeit zu gewinnen, dennoch war das Ergebnis das genaue Gegenteil von dem, was die Regierung Bush sowohl für sich selbst als auch für die Vereinigten Staaten beabsichtigt hatte.
Die praktische Schwierigkeit ist, zu erkennen, wann die Politprofis die Realität verzerren. An dieser Stelle spielen die Medien, die politische Elite und das Bildungssystem eine wichtige Rolle: Sie alle müssen die Aufgabe der Aufpasser übernehmen. Außerdem muss die Öffentlichkeit gegen die verschiedenen Täuschungstechniken geimpft werden. Die effektivsten Techniken wirken auf der unterbewussten Ebene. Die Öffentlichkeit ist nahezu wehrlos, wenn Gefühle durch Methoden erzeugt werden können, die das Bewusstsein umgehen. Doch wenn der Öffentlichkeit die verschiedenen Techniken bewusst gemacht werden, wird sie sie wahrscheinlich ablehnen.
Eine einflussreiche Technik – die der republikanische Politberater Frank Luntz nach eigener Aussage aus 1984 gelernt hat – ist, den Sinn einfach zu verdrehen und die Realität auf den Kopf zu stellen. Zum Beispiel bezeichnet sich Fox News als „gerecht und ausgewogen“, und Karl Rove und seine Gehilfen verwandeln die stärksten Eigenschaften ihrer Gegner in deren Achillesfersen, indem sie die Leistungen der Opponenten anhand von Andeutungen und Lügen als falsch darstellen. So trugen die Andeutungen über die Feigheit und das unehrliche Vorgehen der beiden mit hohen Orden ausgezeichneten Vietnamveteranen Senator Max Cleland 2002 und John Kerry 2004 zu deren Niederlage bei, während Bush und Vizepräsident Dick Cheney – die beide dem Militärdienst entgingen – als wahre Patrioten dargestellt wurden.
Eine weitere Technik ist die Übertragung: Man wirft seinen Gegnern vor, aufgrund von Motiven zu handeln oder Methoden zu verwenden, die für den Ankläger selbst charakteristisch sind. Zum Beispiel ist David Horowitz, der mir vorwirft, „der Lenin der antiamerikanischen Verschwörung“ zu sein, ein ehemaliger Trotzkist, für den Gegner niemals Gegenspieler sind, mit denen man debattiert, sondern Feinde, die man zerstört.
Die amerikanische Öffentlichkeit hat sich als ungewöhnlich anfällig für die Manipulation der Wahrheit erwiesen, die den politischen Diskurs unseres Landes immer stärker beherrscht. Ein ganzes Netzwerk von Publikationen, von denen es einigen gelingt, sich als Mainstream-Medien zu präsentieren, hat sich dieser Aufgabe verschrieben. Dennoch glaube ich, dass es möglich ist, die Öffentlichkeit gegen falsche Argumente zu impfen, indem man ihren Groll gegen das orwellsche Neusprech schürt. Was wir brauchen, ist eine gemeinsame Anstrengung, Manipulationstechniken zu erkennen – und diejenigen öffentlich anzuprangern, die sie benutzen.
Der Zeitpunkt ist ideal, um damit anzufangen. Die Amerikaner wachen gerade wie aus einem schlechten Traum auf. Was wir aus der Erfahrung der letzten Jahre gelernt haben – und von vornherein hätten wissen sollen – ist, dass die Oberhoheit des kritischen Denkens im politischen Diskurs nicht als gegeben angesehen werden darf. Sie kann lediglich durch eine Wählerschaft gewährleistet werden, die die Realität achtet und Politiker bestraft, die lügen oder andere Arten der Täuschung einsetzen.
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Recent demonstrations in Gaza have pushed not only for an end to the war, but also for an end to Hamas's rule, thus echoing Israel's own stated objectives. Yet the Israeli government, consumed by its own internal politics, has barely acknowledged this unprecedentedly positive development.
underscores the unprecedented nature of recent demonstrations in the war-ravaged enclave.
NEW YORK – in seinem Roman 1984 beschreibt George Orwell auf gruselige Weise ein totalitäres Regime, in dem jegliche Kommunikation durch ein Ministerium für Wahrheit kontrolliert wird und Dissidenten von der politischen Polizei verfolgt werden. Die Vereinigten Staaten sind nach wie vor eine Demokratie mit pluralistischen Medien, die von einer Verfassung geregelt wird und in der Rechtsstaatlichkeit herrscht, dennoch gibt es beunruhigende Anzeichen dafür, dass die Propagandamethoden, die Orwell beschrieb, sich hier eingenistet haben.
In der Tat wurden die Täuschungstechniken seit Orwells Zeiten enorm verbessert. Viele dieser Techniken wurden im Zusammenhang mit der Werbung und Vermarktung kommerzieller Produkte und Dienstleistungen entwickelt und dann an die Politik angepasst. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie für Geld erworben werden können. In jüngerer Zeit hat die Kognitionswissenschaft dazu beigetragen, Täuschungstechniken noch wirksamer zu machen, was professionelle Politiker hervorgebracht hat, die sich ausschließlich darauf konzentrieren, „Ergebnisse zu erzielen“.
Diese Profis sind stolz auf ihre Leistungen und genießen vielleicht sogar den Respekt der amerikanischen Öffentlichkeit, die Erfolg bewundert, unabhängig davon, wie er erreicht wurde. Diese Tatsache lässt Zweifel an Karl Poppers Konzept der offenen Gesellschaft aufkommen, das auf der Erkenntnis beruht, dass wir zwar kein vollkommenes Wissen erlangen können, jedoch die Realität besser verstehen, wenn wir kritisch denken.
Popper hat nicht erkannt, dass in einer demokratischen Politik das Gewinnen der öffentlichen Unterstützung Vorrang vor der Suche nach der Wahrheit hat. In anderen Bereichen, z. B. in der Wissenschaft und Industrie, trifft der Impuls, der Welt die eigenen Ansichten aufzuzwingen, auf den Widerstand der äußeren Wirklichkeit. In der Politik dagegen kann die Realitätswahrnehmung der Wählerschaft leicht manipuliert werden. Infolgedessen führt ein politischer Diskurs selbst in demokratischen Gesellschaften nicht notwendigerweise zu einem besseren Verständnis der Realität.
Der Grund, warum demokratische Politik zu Manipulation führt, ist, dass Politiker nicht anstreben, die Wahrheit zu sagen. Sie wollen die Wahlen gewinnen, und das gelingt am besten, wenn sie die Wirklichkeit zu ihren eigenen Gunsten verdrehen.
Diese Einsicht sollte nicht dazu führen, dass wir das Konzept der offenen Gesellschaft verwerfen, wir sollten es stattdessen überarbeiten und die Gründe, die für sie sprechen, neu bekräftigen. Wir müssen Poppers stillschweigende Annahme aufgeben, dass der politische Diskurs auf ein besseres Verständnis der Realität abzielt, und dies als eine explizite Forderung wieder einführen. Gewaltenteilung, freie Rede und freie Wahlen allein können keine offene Gesellschaft gewährleisten; zudem ist auch ein starkes Engagement für die Suche nach der Wahrheit erforderlich.
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Die jüngere Geschichte bietet überzeugende Beweise dafür, dass politische Maßnahmen fehlschlagen, wenn sie auf einer falschen Darstellung der Wirklichkeit beruhen. Durch die Reaktion der Regierung Bush auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 – die Ausrufung eines Krieges gegen den Terror und die Behandlung von Kritik als unpatriotisch – gelang es, die Unterstützung der Öffentlichkeit zu gewinnen, dennoch war das Ergebnis das genaue Gegenteil von dem, was die Regierung Bush sowohl für sich selbst als auch für die Vereinigten Staaten beabsichtigt hatte.
Die praktische Schwierigkeit ist, zu erkennen, wann die Politprofis die Realität verzerren. An dieser Stelle spielen die Medien, die politische Elite und das Bildungssystem eine wichtige Rolle: Sie alle müssen die Aufgabe der Aufpasser übernehmen. Außerdem muss die Öffentlichkeit gegen die verschiedenen Täuschungstechniken geimpft werden. Die effektivsten Techniken wirken auf der unterbewussten Ebene. Die Öffentlichkeit ist nahezu wehrlos, wenn Gefühle durch Methoden erzeugt werden können, die das Bewusstsein umgehen. Doch wenn der Öffentlichkeit die verschiedenen Techniken bewusst gemacht werden, wird sie sie wahrscheinlich ablehnen.
Eine einflussreiche Technik – die der republikanische Politberater Frank Luntz nach eigener Aussage aus 1984 gelernt hat – ist, den Sinn einfach zu verdrehen und die Realität auf den Kopf zu stellen. Zum Beispiel bezeichnet sich Fox News als „gerecht und ausgewogen“, und Karl Rove und seine Gehilfen verwandeln die stärksten Eigenschaften ihrer Gegner in deren Achillesfersen, indem sie die Leistungen der Opponenten anhand von Andeutungen und Lügen als falsch darstellen. So trugen die Andeutungen über die Feigheit und das unehrliche Vorgehen der beiden mit hohen Orden ausgezeichneten Vietnamveteranen Senator Max Cleland 2002 und John Kerry 2004 zu deren Niederlage bei, während Bush und Vizepräsident Dick Cheney – die beide dem Militärdienst entgingen – als wahre Patrioten dargestellt wurden.
Eine weitere Technik ist die Übertragung: Man wirft seinen Gegnern vor, aufgrund von Motiven zu handeln oder Methoden zu verwenden, die für den Ankläger selbst charakteristisch sind. Zum Beispiel ist David Horowitz, der mir vorwirft, „der Lenin der antiamerikanischen Verschwörung“ zu sein, ein ehemaliger Trotzkist, für den Gegner niemals Gegenspieler sind, mit denen man debattiert, sondern Feinde, die man zerstört.
Die amerikanische Öffentlichkeit hat sich als ungewöhnlich anfällig für die Manipulation der Wahrheit erwiesen, die den politischen Diskurs unseres Landes immer stärker beherrscht. Ein ganzes Netzwerk von Publikationen, von denen es einigen gelingt, sich als Mainstream-Medien zu präsentieren, hat sich dieser Aufgabe verschrieben. Dennoch glaube ich, dass es möglich ist, die Öffentlichkeit gegen falsche Argumente zu impfen, indem man ihren Groll gegen das orwellsche Neusprech schürt. Was wir brauchen, ist eine gemeinsame Anstrengung, Manipulationstechniken zu erkennen – und diejenigen öffentlich anzuprangern, die sie benutzen.
Der Zeitpunkt ist ideal, um damit anzufangen. Die Amerikaner wachen gerade wie aus einem schlechten Traum auf. Was wir aus der Erfahrung der letzten Jahre gelernt haben – und von vornherein hätten wissen sollen – ist, dass die Oberhoheit des kritischen Denkens im politischen Diskurs nicht als gegeben angesehen werden darf. Sie kann lediglich durch eine Wählerschaft gewährleistet werden, die die Realität achtet und Politiker bestraft, die lügen oder andere Arten der Täuschung einsetzen.