EU-Erweiterung: Optionen und Fehler

CAMBRIDGE: Überall in Lateinamerika wächst der Druck, sich auf die USA einzulassen, um die regionale Integration zu stärken. Mexikos neuer Präsident Vincente Fox macht die Integration des freien Arbeitsmarktes einen wichtigen Punkt seiner Tagesordnung. Argentinien hofft, ein Freihandelsabkommen abzuschließen um, zumindest aus der Sicht von Investoren, näher an die USA heranzurücken und somit die kürzlich auferlegten Risokoprämien auf Kapital zu vermeiden. In Asien fördert Japan, im Kielwasser der Finanzkrise von 1997, aggressiv eine regionale Wirtschaftsintegration. Regionale Zentralbanken verhandelten über Swap-Kreditgrenzen; andere asiatische Ökonomien boten einem zögerlichen Japan einen Freihandelspakt an. Südkorea wird zu einer Währungsintegration gedrängt und ist erschrocken über diese versuchte Umarmung durch Japan.

Der gewagteste Versuch einer regionalen Integration findet jedoch in Europa statt, indem sich die Europäische Union nach Osten öffnet. Nach der „Südwelle“ (Portugal. Spanien, Griechenland) vor zwei Jahrzehnten handelt es sich jetzt, in verschiedenen Etappen, um zehn postkommunistische Ökonomien, unter denen - hinsichtlich der wirtschaftlichen Größe und Nähe - Polen, Ungarn und die Tschechische Republik herausragen. Aber die Liste reicht bis weit in den Balkan hinein, mit Rumänien und, wer weiß, sogar der Türkei als mögliche EU-Mitglieder.

EU und Beitrittskandidaten

--------------------------------------------------------------------------------

Bevölkerung BSP (pro Kopf)

(PPP Index, EU’100)

Secure your copy of PS Quarterly: The Climate Crucible
PS_Quarterly_Q3-24_1333x1000_No-Text

Secure your copy of PS Quarterly: The Climate Crucible

The newest issue of our magazine, PS Quarterly: The Climate Crucible, is here. To gain digital access to all of the magazine’s content, and receive your print copy, subscribe to PS Premium now.

Subscribe Now

--------------------------------------------------------------------------------

Europäische Union 375 100

zehn osteuropäische Kandidaten 103 34.3

Türkei 63 31.0

--------------------------------------------------------------------------------

Europa findet keinen Geschmack an dieser Ost-Erweiterung. Immerhin floriert seit 1989 der Export nach Osteuropa, auch die Industrieproduktion ist ziemlich erfolgreich. Integration ist jedoch eine andere Sache, besonders dann, wenn sie freie Arbeitsmobilität, eine Beteiligung am reichen sozialen Sicherheitssystem Europas und Zugang zu europäischen Subventionen einschließt. Den osteuropäische Ländern kann der Beitritt natürlich nicht schnell genug erfolgen; der Westen, ungeachtet der vermutlichen Unvermeidbarkeit, würde gerne einen Weg finden, deren Beitritt zu vermeiden. Die EU-Erweiterung ist jedoch Europas Schicksal, ungeachtet einer hohen Arbeitslosigkeit (d.h. Leute werden dafür bezahlt, nicht zu arbeiten), ungeachtet der Protektion für die Landwirtschaft und der regionalen Subventionen. Die Länder Osteuropas klopfen an die Tür, und jeder weiß, dass sie einfach denn Zaun überspringen, wenn niemand öffnet.

In den osteuropäischen Ländern stehen die Vorteile eines Anschlusses an den Westen außer Zweifel: Jeder erkennt, dass der Zugang zu Märkten und Kapital nur Gutes bringen kann. Die verbleibenden Skeptiker sollten sich Mexiko und den phantastischen Erfolg anschauen, den dessen nördliche Regionen durch die Integration mit den USA haben. Dort wiederum sind auch keinerlei Anzeichen irgendwelcher Spannungen auszumachen - der immer wieder prophezeite enorme Unmut angesichts der „in den Süden abwandernden Jobs“ kam nie zufolge. Vom Boom in Mexikos Norden angezogen, kehren die mexikanischen Arbeiter in der Tat auch wieder nach Hause zurück. Aber für Westeuropa scheint die Diskussion zweideutiger zu sein. Sicher, Arbeitnehmer widersetzen sich der Konkurrenz, und Steuerzahler wiederum scheuen vor den Kosten zurück, die durch eine Ausweitung des Wohlfahrtsstaates und des Subventionssystems auf Osteuropa entstehen. Warum nicht einfach „Nein, danke“! sagen, fragen sich die Leute.

Es ist überhaupt nicht klar, worin Westeuropas Gewinn bestehen würde, falls durch eine Erweiterung Ineffizienz und Wohlfahrtsstaat auf Osteuropa ausgebreitet werden. Es wäre durchweg besser, das Geld, das verschwendet würde, zu sparen und sich so Osteuropa gegenüber taub zu stellen. Die ökonomische Integration Ostdeutschlands, zu den Bedingungen des westdeutschen Wohlfahrtsstaates und der Gewerkschaften, war erschreckend teuer und ausgesprochen ineffizient. Es wäre töricht, dieses Experiment in großem Maßstab mit Osteuropa zu wiederholen.

Die richtige Reaktion Westeuropas wäre, die Erweiterung für eine dramatische und saubere Zäsur zu nutzen: Man sollte sich all der regionalen Subventionen an Italien, Portugal und Spanien entledigen, Subventionen, die keine nützliche ökonomische Funktion haben, sondern eine bloße politische Ausgleichszahlung sind, um Regionen und Menschen vom Markt fernzuhalten. Ebenso sollte man sich der Subventionen für Wirtschaftssektoren - von der Landwirtschaft über Kohle bis hin zu Werften - und unzähliger anderer wirkungsloser EU-Instrumentarien entledigen. Eine ordentliche Dosis Deregulierung des Arbeitsmarktes, inklusive der Arbeitslosenunterstützung, sollte ebenfalls hinzugefügt werden.

Sobald solche liberalen Reformen stattgefunden haben, sollte Osteuropa zu folgenden Bedingungen willkommen geheißen werden: umfassender und uneingeschränkter Freihandel, der schnell und vollständig innerhalb eines Jahrzehnts in mehreren Phasen verwirklicht werden sollte; umfassender und uneingeschränkter Verkehr von Dienstleistungen in Bereichen wie Banken, Gesundheit und Versicherung; umfassender und uneingeschränkter Kapitalfluss. Es besteht keine Notwendigkeit, eine vollständige Mobilität des Arbeitsmarktes anzubieten, ebenso besteht keine ökonomische Notwendigkeit einer frühen Integration in eine Europäische Union, die noch dabei ist, sich selbst zu definieren.

Die osteuropäischen Länder sollten nicht darauf warten, bis der Westen handelt. Warum sollte ein Land, das Zugang zu Kapital wünscht, nicht einseitig einen Currency Board einrichten, um Investoren von stabilen Finanzen zu überzeugen? Warum sollte ein Land, das Kapital sucht, nicht Eigentumsrechte und unabhängige ökonomische Institutionen unterstützen, um attraktiver zu werden? Und angesichts der Erfahrung der ostdeutschen Bundesländer, in denen die Gewerkschaften jetzt für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht werden: Warum sollte da ein Land nicht langsam mit dem Aufbau eines eigenen Wohlfahrtsstaates beginnen und sich um Markteffizienz bemühen? Je mehr solcher Schritte die Länder Osteuropas unternehmen, um so deutlicher wird, dass die Integration weniger ein kostspieliges Abenteuer ist als vielmehr eine Angelegenheit, bei der alle gewinnen können, und um so schneller wird sich der Westen bewegen. Nur dann, wenn ein solcher Wille zur Erweiterung vorhanden ist, wird sich Osteuropa in eine Region mit hohem Wirtschaftswachstum und rasch ansteigendem Lebensstandard verwandeln

https://prosyn.org/bIvAQIZde