MÜNCHEN – Nun haben sich die Erwartungen bestätigt. Die EZB hat beschlossen, die Eurozone mit Nachdruck zu inflationieren. Was harmlos als symmetrisches Inflationsziel von 1,9% deklariert wird, soll in den nächsten Jahren die Basis für eine neue Phase der expansiven Geldpolitik schaffen, die noch weit über das hinaus geht, was bislang realisiert wurde.
Erinnern wir uns. Im Maastrichter Vertrag wurde der EZB das nicht verhandelbare Ziel mitgegeben, für stabile Preise zu sorgen, was, wenn man es wörtlich nimmt, eine Inflationsrate von null bedeutet. Sie erhielt ein ganz anderes Mandat als die anderen Zentralbanken der Welt. Als dann die vom Euro induzierte Zinssenkung in Südeuropa eine inflationäre Blase hervorrief, die die Inflationsraten in einigen Ländern auf deutlich mehr als 2% pro Jahr ansteigen ließ, argumentierte der EZB-Rat, das Ziel der Preisstabilität könne man nicht genau erreichen, und im übrigen gebe es viele Messfehler. Deswegen solle man eine gemessene Inflationsrate von bis zu 2% im Durchschnitt aller Länder tolerieren.
Eine restriktive Geldpolitik zu Einbremsung der Inflationsraten in Südeuropa wollte die EZB nicht, weil sie das Risiko nur als gering einschätzte, dass damit langfristig die Wettbewerbsfähigkeit einiger Länder zerstört werden würde, und weil Deutschlands Konjunktur lahmte.
Dann kam die Krise, und die Inflationsraten sackten ab. Nun verwandelte der EZB-Rat die noch tolerierbare Obergrenze für die Inflationsrate zu einem Ziel. Auf einmal hieß es, eine Inflationsrate von knapp unter 2% werde angestrebt. Ja, Mario Draghi trat sogar vor die Fernsehkameras und behauptete allen Ernstes, dies sei das Mandat der EZB.
Und nun, am Ende seiner Amtszeit bindet derselbe Präsident seine Nachfolgerin durch einen Beschluss des Rates, der sie zwingt, einen Wert von 1,9% symmetrisch anzustreben. Im Klartext heißt das, sie soll den Wert im Mittel der Jahre zu erreichen versuchen, und da die. Inflationsrate lange Zeit unter 2% lag, kann sie nun auch einige Zeit darüber liegen.
Als Begründung für die neue Phase der expansiven Geldpolitik, die von der EZB nun eingeläutet wurde, verwies der Präsident mehrfach auf die sich rapide verschlechternde Konjunkturlage im verarbeitenden Gewerbe. Die Geldpolitik müsse einer neuen, expansiven Fiskalpolitik zu Hilfe eilen, die für die Belegung der europäischen Wirtschaft vonnöten sei.
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Dabei hatte er wohl vor allem Deutschland im Blick, dessen Industrie sich seit dem Sommer 2018 in der Rezession befindet. Auch der am selben Tag veröffentlichte ifo Index bot keine Erleichterung, sondern setzte die Liste der konjunkturellen Hiobsbotschaften fort. Die guten Jahre für Deutschlands Industrie sind jetzt wohl erst einmal vorbei. Der bevorstehende Brexit, die drohenden US-Zölle, und auch die neue CO2-Richtlinie der EU, die wichtige Autohersteller mittelfristig zwingt, mindestens zur Hälfte Elektroautos zu bauen, setzen der Industrie erheblich zu.
Aber eine expansive Geld- und Fiskalpolitik kann gerade der Industrie kaum helfen, denn deren Geschäft liegt in der weiten Welt. Binnennachfrage gibt es in der Eurozone mehr als genug. In vielen Ländern boomt der Bau, und die Dienstleistungen werden stark nachgefragt, was zu raschen Lohnsteigerungen führte, wie der Präsident zustimmend vermerkte. Setzt die EZB da nun noch eins drauf, erzeugt sie einen Kostendruck, der der Industrie das Leben eher noch schwerer macht. Die Industrie muss innovativ tätig werden, um ihre Wettbewerbsfähigkeit auch in stürmischen Zeiten zu erhalten. Aber was dazu nötig ist, liegt weit außerhalb des Instrumentenkastens, auf den sich die Neu-Keynesianer kaprizieren, die heute die Nationalbanken und internationalen Institutionen bevölkern.
Es ist auch nicht klar, woher die EZB überhaupt das Pulver für die neue Schlacht nehmen will, die sie schlagen will. In den letzten vier Jahren hat sie bereits die Zentralbankgeldmenge von 1,2 Billionen auf 3,2 Billionen Euro ausgedehnt, und sie hat für 2,6 Billionen Euro Wertpapiere kaufen lassen, darunter für 2,1 Billionen Euro Papiere staatlicher Instanzen, was aus der Sicht vieler Rechtsexperten im Konflikt mit Artikel 123 AEUV stand. Die Zinsen sind heute null und negativ. Das alles ist schon abenteuerlich genug. Wenn die EZB nun den Kapitalmarkt noch weiter aushebeln will, riskiert sie, Europa in ein anderes Inflationsregime zu überführen, das den Boden einer soliden und nachhaltigen Wirtschaftsordnung verlässt.
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At the end of a year of domestic and international upheaval, Project Syndicate commentators share their favorite books from the past 12 months. Covering a wide array of genres and disciplines, this year’s picks provide fresh perspectives on the defining challenges of our time and how to confront them.
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MÜNCHEN – Nun haben sich die Erwartungen bestätigt. Die EZB hat beschlossen, die Eurozone mit Nachdruck zu inflationieren. Was harmlos als symmetrisches Inflationsziel von 1,9% deklariert wird, soll in den nächsten Jahren die Basis für eine neue Phase der expansiven Geldpolitik schaffen, die noch weit über das hinaus geht, was bislang realisiert wurde.
Erinnern wir uns. Im Maastrichter Vertrag wurde der EZB das nicht verhandelbare Ziel mitgegeben, für stabile Preise zu sorgen, was, wenn man es wörtlich nimmt, eine Inflationsrate von null bedeutet. Sie erhielt ein ganz anderes Mandat als die anderen Zentralbanken der Welt. Als dann die vom Euro induzierte Zinssenkung in Südeuropa eine inflationäre Blase hervorrief, die die Inflationsraten in einigen Ländern auf deutlich mehr als 2% pro Jahr ansteigen ließ, argumentierte der EZB-Rat, das Ziel der Preisstabilität könne man nicht genau erreichen, und im übrigen gebe es viele Messfehler. Deswegen solle man eine gemessene Inflationsrate von bis zu 2% im Durchschnitt aller Länder tolerieren.
Eine restriktive Geldpolitik zu Einbremsung der Inflationsraten in Südeuropa wollte die EZB nicht, weil sie das Risiko nur als gering einschätzte, dass damit langfristig die Wettbewerbsfähigkeit einiger Länder zerstört werden würde, und weil Deutschlands Konjunktur lahmte.
Dann kam die Krise, und die Inflationsraten sackten ab. Nun verwandelte der EZB-Rat die noch tolerierbare Obergrenze für die Inflationsrate zu einem Ziel. Auf einmal hieß es, eine Inflationsrate von knapp unter 2% werde angestrebt. Ja, Mario Draghi trat sogar vor die Fernsehkameras und behauptete allen Ernstes, dies sei das Mandat der EZB.
Und nun, am Ende seiner Amtszeit bindet derselbe Präsident seine Nachfolgerin durch einen Beschluss des Rates, der sie zwingt, einen Wert von 1,9% symmetrisch anzustreben. Im Klartext heißt das, sie soll den Wert im Mittel der Jahre zu erreichen versuchen, und da die. Inflationsrate lange Zeit unter 2% lag, kann sie nun auch einige Zeit darüber liegen.
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Aber eine expansive Geld- und Fiskalpolitik kann gerade der Industrie kaum helfen, denn deren Geschäft liegt in der weiten Welt. Binnennachfrage gibt es in der Eurozone mehr als genug. In vielen Ländern boomt der Bau, und die Dienstleistungen werden stark nachgefragt, was zu raschen Lohnsteigerungen führte, wie der Präsident zustimmend vermerkte. Setzt die EZB da nun noch eins drauf, erzeugt sie einen Kostendruck, der der Industrie das Leben eher noch schwerer macht. Die Industrie muss innovativ tätig werden, um ihre Wettbewerbsfähigkeit auch in stürmischen Zeiten zu erhalten. Aber was dazu nötig ist, liegt weit außerhalb des Instrumentenkastens, auf den sich die Neu-Keynesianer kaprizieren, die heute die Nationalbanken und internationalen Institutionen bevölkern.
Es ist auch nicht klar, woher die EZB überhaupt das Pulver für die neue Schlacht nehmen will, die sie schlagen will. In den letzten vier Jahren hat sie bereits die Zentralbankgeldmenge von 1,2 Billionen auf 3,2 Billionen Euro ausgedehnt, und sie hat für 2,6 Billionen Euro Wertpapiere kaufen lassen, darunter für 2,1 Billionen Euro Papiere staatlicher Instanzen, was aus der Sicht vieler Rechtsexperten im Konflikt mit Artikel 123 AEUV stand. Die Zinsen sind heute null und negativ. Das alles ist schon abenteuerlich genug. Wenn die EZB nun den Kapitalmarkt noch weiter aushebeln will, riskiert sie, Europa in ein anderes Inflationsregime zu überführen, das den Boden einer soliden und nachhaltigen Wirtschaftsordnung verlässt.