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Eine koordinierte Antwort auf COVID-19

NEW YORK – In nur wenigen Monaten hat das COVID-19-Coronavirus die Welt erobert, 435.000 Menschen infiziert, über 19.000 getötet und sogar die Gesundheitssysteme der Industriestaaten überwältigt. Und trifft dieser Schock verletzliche Länder mit niedrigem Einkommen, werden die bereits jetzt hohen menschlichen und wirtschaftlichen Kosten weiter steigen – und zwar für die ganze Welt. Die einzige Chance, die wir haben, um die Folgen zu begrenzen, ist unser gemeinsames Handeln.

Als erstmals die Nachricht über ein neues Coronavirus aus China kam, nahmen viele an, seine Ansteckungskurve werde derjenigen des letzten dortigen Coronavirus ähneln – des SARS-Virus (Severe Acute Respiratory Syndrome). Aber der SARS-Ausbruch von 2002 bis 2003 dauerte nur sechs Monate an und erstreckte sich über nur 26 Länder.

Also waren die wirtschaftlichen Folgen des Ausbruchs – insbesondere für den Dienstleistungssektor – von kurzer Dauer und weitgehend auf China beschränkt, obwohl über Handel und Finanzwesen auch die Nachbarländer betroffen waren. Nach dem Ausbruch konnte sich die chinesische Wirtschaft schnell wieder erholen. Konsum und Investitionen wurden dabei durch haushalts- und geldpolitische Expansion unterstützt.

COVID-19 hingegen hat sich bereits über mehr als 170 Länder verbreitet, Lieferketten unterbrochen, die Mobilität der Arbeitnehmer behindert, die Produktionskosten gesteigert und die Nachfrage geschwächt. In den ersten zwei Monaten des Jahres gingen in China die festen Investitionen, die Industrieproduktion und die Verkäufe im Einzelhandel aufs Jahr bezogen zweistellig zurück. Auch die Vereinigten Staaten und viele europäische Volkswirtschaften leiden unter der Pandemie. Der US-Aktienmarkt musste die schlimmste Woche seit 2008 erleben, und tatsächlich erinnert das Chaos auf den Märkten an die globale Finanzkrise vor zwölf Jahren.

Die OECD prognostiziert jetzt für dieses Jahr einen Rückgang des globalen BIP um 1,5 Prozentpunkte, obwohl dies davon abhängt, wie lang der Ausbruch noch anhält. Kann das Virus innerhalb des nächsten Monats eingedämmt werden, könnte sich die Wirtschaft bis Ende 2020 wieder erholen. Wenn nicht, wären die wirtschaftlichen Folgen katastrophal. Im schlimmsten Szenario stände die Welt vor einer ähnlichen Rezession wie 2009.

Aber dies bedeutet nicht, dass die Regierungen keine Macht haben, die Folgen der Pandemie zu begrenzen. Das Problem ist, dass sie bis jetzt nur innenpolitische Maßnahmen getroffen haben, die teilweise auch noch ineffektiv oder überzogen waren. Unilaterale Reiseverbote haben Chaos verursacht. Und geldpolitische Lockerungen – wie die Ankündigung der US-Federal-Reserve, sie werde die Zinssätze fast auf Null senken und die quantitative Erleichterung wieder aufnehmen – haben zur Beruhigung der Investoren nur wenig beigetragen.

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Außerdem planen die Regierungen verschiedene Haushaltsmaßnahmen, darunter auch Steuererleichterungen und Subventionen. Später werden auch noch größere fiskale Aktionen erwartet, deren – kurz- oder langfristige – Folgen jedoch unsicher sind.

Tatsächlich haben viele Volkswirtschaften heute weniger Spielraum für expansive Haushalts- und Geldpolitik als nach der globalen Wirtschaftskrise.Die Zinsen in Europa und Japan liegen bereits jetzt im negativen Bereich. Und die meisten Industrieländer haben nur noch einen geringen Haushaltsspielraum.

Jedenfalls reichen unilaterale Maßnahmen auf keinen Fall aus, um eine hochgradig vernetzte globale Wirtschaft zu schützen, ganz zu schweigen vom Kampf gegen ein Virus, das keine Grenzen respektiert. Statt dessen müssen die Politiker aller großen Volkswirtschaften zusammenarbeiten, um eine umfassende Strategie mit multilateralen und koordinierten nationalen Maßnahmen zu entwickeln.

Nach der globalen Finanzkrise von 2008 haben sich die Staatschefs der G20 darauf geeinigt, ihre Geld- und Haushaltspolitik zu koordinieren – einschließlich Zinssenkungen, quantitativer Lockerung und Ausgaben in Höhe von 5,5 Prozent des BIP von 2009 und 2010. Auch sollte ein Handelsprotektionismus verhindert werden. Gemeinsam mit weitreichenden Reformen zum Schutz des globalen Finanzsystems spielten diese Maßnahmen eine entscheidende Rolle bei der Rettung der Weltwirtschaft.

Heute müssen die Regierungen – insbesondere jene der G20 – einen ähnlichen Ansatz verfolgen. Die Details weichen natürlich etwas ab, da es heute an haushalts- und geldpolitischer Munition mangelt. Aber eine koordinierte gemeinsame Antwort – einschließlich fiskaler, finanzieller und handelspolitischer Maßnahmen – ist weiterhin von entscheidender Bedeutung.

Allerdings reichen wirtschaftliche Maßnahmen in einer Pandemie nicht aus: Auch die Gesundheitspolitik ist gefragt. Unilaterale Reiseverbote müssen zugunsten gemeinsamer Maßnahmen vermieden werden, zu denen auch gehört, Informationen zu teilen und die Entwicklung und Verteilung von Impfstoffen und Behandlungen zu koordinieren. Und auch die öffentlichen Gesundheitssysteme müssen geschützt werden.

Gemeinsames Handeln liegt im Interesse aller Beteiligten. Aber in einer Zeit des zunehmenden Nationalismus, schwacher politischer Führung und steigender politischer und wirtschaftlicher Spannungen zwischen den beiden weltweit größten Volkswirtschaften sind effektive internationale Aktionen schwer durchführbar. Die USA und China sind beispielsweise in völlig kontraproduktiven gegenseitigen Schuldzuweisungen gefangen. US-Präsident Donald Trump besteht darauf, das COVID-19-Virus „Chinesisches Virus“ zu nennen, womit er die Fremdenfeindlichkeit verstärkt und Fortschritte verhindert. Und einige chinesische Politiker haben die Verschwörungstheorie verbreitet, das Virus sei vom US-Militär nach China eingeschleust worden.

Solche Ansätze könnten den grenzübergreifenden Fluss von Waren und Menschen behindern, was verheerende wirtschaftliche Folgen hätte. Daher müssen wir verstehen, dass kein Land diese Pandemie allein bewältigen kann. Wie wir in allen bisherigen globalen Krisen gesehen haben, ist eine effektive politische Zusammenarbeit der einzige Weg, um grenzübergreifende Effekte einzudämmen und die Handels- und Finanzflüsse zu schützen.

Dabei gibt es Grund zur Hoffnung: Die Staatsführer der G7 haben versprochen, „angemessene“ haushalts- und geldpolitische Maßnahmen zu treffen, um auf die Pandemie zu reagieren und das Wachstum zu erneuern. Aber eine bessere – und besser ausgestattete – Plattform zur Planung einer gemeinsamen Reaktion wären die G20, die sich dazu mit anderen internationalen Organisationen zusammenschließen sollten.

Der bevorstehende virtuelle G20-Gipfel ist eine ideale Gelegenheit, um damit zu beginnen. Die Politiker sollten Informationen und Erfahrungen aus China, Südkorea und Europa austauschen, sich auf eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Diagnostika und Therapeutika einigen und die Grundlagen für eine wirtschaftspolitische Koordination schaffen. Und während dieses Prozesses sollten sich die G20 auch daran erinnern, dass sie sich auf die nächste Krise vorbereiten müssen.

In unserem Zeitalter der umfassenden Verbundenheit liegt der einzige Weg, sich selbst zu helfen, darin, sich gegenseitig zu helfen. Solange es noch keinen Impfstoff gibt, besteht unsere stärkste Waffe gegen ein tödliches Virus – und unsere beste Verteidigung gegen einen weltweiten wirtschaftlichen Zusammenbruch – in der internationalen Zusammenarbeit.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

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