Zusammenlegung oder Wettbewerb der Finanzaufsichtsbehörden?

Wie viele Finanzaufsichtsbehörden braucht ein Land? Eine? Zwei? Vielleicht drei oder vier? Wie wäre es mit zweihundert? Solche Fragen gewinnen an Dringlichkeit, da mehr und mehr Länder und die EG selbst darüber diskutieren, ob sie die Regulierung des Finanzwesens der Überwachung nur einer Körperschaft mit Gesamtvollmacht unterstellen sollen oder nicht.

Die Aktivitäten der Finanzaufsichtsbehörden zielen darauf ab, die Integrität des Finanzwesens eines Landes, seiner finanziellen Institutionen und Finanztransaktionen zu erhalten. Zu ihrem Betätigungsfeld gehören Banken, Sparkassen, Versicherungsgesellschaften, Wertpapierhändler, Pensionskassen, Finanzierungsgesellschaften - tatsächlich jede Einrichtung, die finanzielle Transaktionen durchführt. Gegenwärtige herrscht in den Ländern der Trend, ihre Einrichtungen zur Regelung der Finanzgeschäfte in einer einzigen Agentur zusammenzufassen; Großbritanniens Agentur für finanzielle Dienstleistungen (Financial Services Agency, FSA) dient dabei als Vorbild.

Ich halte diesen Trend für einen schweren Fehler, der recht kurzsichtig die Möglichkeit übersieht, daß der Aufsicht Fehler unterlaufen können. Obwohl ich nicht unbedingt 200 Agenturen zur Finanzregulierung empfehle (mehr darüber weiter unter), glaube ich doch, dass ein vielfältiges Gefüge mehrerer Kontrolleinrichtungen wahrscheinlich ein gesünderes Finanzwesen gewährleistet, als dies ein einzelner, alles umfassender Regulierungsapparat erreichen könnte.

Die Argumente zugunsten einer einzigen Aufsichtsbehörde sind trügerisch einfach: Ein jedes Land hat ja auch nur eine Staatregierung, warum sollte man nicht mit nur einer Stelle auskommen, um das Finanzwesen umfassend zu beaufsichtigten? Wenn die Europäische Union nur einen gemeinsamen Markt haben soll, fährt dieses Argument fort, dann braucht sie auch nur einen einzigen Aufsichtsapparat für den Finanzmarkt. Dadurch werden Rivalitäten zwischen den Agenturen vermieden. Hinsichtlich der Zuständigkeit werden keine Zweifel aufkommen. Bei nur einer Stelle lässt sich alles ,,in einem Aufwasch`` erledigen und die Regierung spricht nur mit ,,einer Stimme``.

Soweit, so gut! Aber berücksichtigen Sie eine andere Möglichkeit: nehmen Sie einmal an, die Finanzaufsichtsbehörde hätte sich in der Handhabung einer besonderen Angelegenheit geirrt. Ein vielversprechendes Finanzierungsinstrument, durch das sich die Leistungsfähigkeit der Kreditmärkte steigern ließe, würde abgelehnt; oder das Verfahren, nach dem die Agentur Vorgänge untersucht und beurteilt, wäre inzwischen veraltet. Schließlich sind Behörden nicht allwissend; sie machen Fehler und können verknöchern.

Was geschieht in einem solchen Fall? Gäbe es nur eine Aufsichtsbehörde, wie könnte jemand mit innovativen Ideen für das Finanzwesen diese umstimmen? Wo fände er ein anderes Forum? Wie ließe sich die Verfahrensweise einer Behörde reformieren? Wo bleibt der Konkurrenzdruck, um innovatives Denken seitens der Regierungen zu ermöglichen.

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Berücksichtigen Sie jetzt als Alternative ein vielfältiges Gefüge von Regulierungsbehörden im Bereich der Finanzen- sagen wir, eine Stelle für Banken, eine weitere für Sparkassen, wieder eine andere für Versicherungen, eine für den Wertpapierhandel, vielleicht noch eine andere für Pensions- und Rentenkassen. Ja, das klingt verwirrend, ein solches System kann zu doppelten Bearbeitungen führen oder zu übertriebenen Abgrenzungen. Doch es bietet auch Sicherheitsventile, alternative Foren, schafft Gelegenheit zum Vergleich, Quellen für neue Ideen und möglicherweise Versuchsfelder für Neuerungen. Regulativer Wettbewerb wird möglich .

Wird es nicht ein "Wettrennen" im Beaufsichtigen mit sich bringen? Das muß nicht sein. Die Finanzaufsicht hat viele Seiten - dazu gehören unter anderem Informationsbeschaffung, Zugangsbeschränkungen, Einschränkung der Möglichkeiten - hierbei könnten mehr Wahlmöglichkeiten und mehr Wettbewerb nützlich sein. Eine Ausnahme sollten allerdings wohlüberlegte Normen (zur Garantie von Sicherheit und gesunder Wirtschaftlichkeit) für Banken, Versicherungsgesellschaften und für einige Arten von Rentenversicherungen bilden. Diese müssen hart sein, weil die nationalen Regierungen fast immer die Verluste dieser Art Finanzinstitutionen im Falle ihrer Pleite tragen müssen. Sogar für diesen Fall dürfte eine Mehrzahl von Agenturen nützliche Neuerungen hervorrufen, welche die Belastung der Institutionen durch Aufsichtsmaßnahmen mindert und gleichzeitig ein wirksame Niveau an Sicherheit gewährleistet.

Ich schreibe dies aus der Sicht eines ehemaligen Beamten der amerikanischen Finanzaufsicht. In den USA gibt es gleich drei nationale Agenturen, um kommerzielle Bankgeschäfte zu regeln, eine weitere beaufsichtigt Sparkassen, dazu gibt es eine für Kreditvereinigungen, eine für die Wertpapiermärkte, eine für die Warenbörsen und die Optionen- und Futuresmärkte und zwei für die Pensionskassen. Außerdem haben die 50 amerikanischen Einzelstaaten je eine eigene Bankenaufsicht (deren Verfügungsgewalt sich mit derjenigen der nationalen Aufsicht überschneidet), die meisten Staaten haben eine Sparkassenaufsicht, jeder Staat unterhält eine Aufsicht für Kreditvereinigungen, jeder eine für das Versicherungswesen (die ausschließlich der Verantwortung der Staaten obliegt), und alle Staaten beaufsichtigen den Wertpapierhandel. So!

Natürlich ist dieses System ein bißchen unübersichtlich; es hat das Problem doppelter Zuständigkeiten. (Es ist fast unmöglich, jemandem, der nicht selbst Aufsichtsbeamter oder Rechtsanwalt gewesen ist, die Einzelheiten zu erklären.) Aber das System funktioniert. Tatsächlich arbeitet es sogar ziemlich gut, obwohl auch Fehler vorkommen (wie in jedem derartigen System). Am wichtigsten ist wohl, dass dieses vielschichtige Gefüge an Agenturen einen regulativen Wettbewerb sichert - jede Agentur will in der Regel ihren Bereich des Konzessionierens und der Rechtsbefugnisse ausweiten - und das ist für das Finanzwesen und für die Gesundheit der amerikanischen Wirtschaft im Grunde recht nützlich.

Ich vertrete nicht die Ansicht, man müsse das amerikanische System mit 200 und mehr Aufsichtsbehörden nachahmen. Für die meisten Länder reichen weit weniger Agenturen aus. Wenn aber das nächste Mal jemand der Einfachheit halber einer einzigen Aufsichtsbehörde das Wort redet, denken Sie daran, daß es noch eine andere Seite der Medaille gibt: Wo sind die Sicherheitsventile? Wo die Alternativen? Was geschieht bei Fehlentscheidungen? Wie soll es zu Neuerung kommen? Für Regierungsstellen gilt (wie im privaten Sektor) die goldene Regel, mehr Wettbewerb und weniger Monopol ist eher nützlich.

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