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Wie China sich auf den nächsten US-Präsidenten vorbereitet

LONDON: Während die übrige Welt die Auswirkungen eines Sieges von Donald Trump oder Kamala Harris bei der US-Präsidentschaftswahl im November erwägt, gehen für China von beiden Kandidaten große Herausforderungen aus. Einen offenen Konflikt zwischen beiden Mächten, der einen alptraumhaften Abstieg ins globale Chaos auslösen könnte, scheinen beide zwar nicht anzustreben. Jedoch rechnen chinesische Entscheidungsträger unabhängig davon, wer die Wahl gewinnt, mit erbitterten Auseinandersetzungen im Bereich des Handels, der Technologie und in der Taiwanfrage.

China bereitet sich auf weitere Turbulenzen vor, indem es in seinen Beziehungen zu den USA einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt. Es geht dabei über den Bereich der Außenpolitik hinaus, verfolgt eine Abstimmung zwischen wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern, Militärs und Technologieführern und mobilisiert landesweit Ressourcen. Das liegt auch an der Containment-Strategie der USA, die in den letzten Jahren unablässige Bemühungen zur Wahrung der technologischen Vormachtstellung der USA, zur Einschränkung des Zugangs Chinas zum Weltmarkt und zum Aufbau einer Koalition von Verbündeten in Asien und anderswo beinhaltete, um der „chinesischen Herausforderung“ zu begegnen. China fühlt sich belagert und rüstet sich für eine langfristige Feindschaft mit der weltgrößten Volkswirtschaft.

China hat im Rahmen dieses Prozesses sein wirtschaftliches Paradigma geändert – weg von der Jagd nach Wachstum um jeden Preis und hin zum Aufbau einer widerstandsfähigen, von Innovationen angetriebenen Wirtschaft, die langwierige geopolitische Spannungen bewältigen kann. Durch Beschleunigung der inländischen Innovation will der chinesische Präsident Xi Jinping zudem die Wirtschaft umstrukturieren und so dazu beitragen, ihre übermäßige Abhängigkeit vom Immobiliensektor zu verringern. Das kürzlich zu Ende gegangene dritte Plenum des 20. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gab den endgültigen Startschuss für diese massive Umstrukturierung.

Wissenschaftlicher Fortschritt und technologische Leistungsstärke sind ein weiteres wichtiges strategisches Ziel Xis. China misst der Steigerung seiner Innovationsfähigkeit große Bedeutung bei und ist entschlossen, in bestimmten Technologiesektoren zu einem weltweit führenden Land aufzusteigen. Die gezielten US-Sanktionen gegen chinesische Technologieunternehmen und Individuen jedoch haben diese Bemühungen bisher vereitelt – und wirken somit wie beabsichtigt.

Handel und Investitionen gelten traditionell als stabilisierende Kräfte in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen. Doch legt die chinesische Führung heute einen geringeren Schwerpunkt darauf, weil ihr greifbarer Nutzen für die bilateralen Beziehungen aufgrund der gestiegenen wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Chinas und seines Übergangs von einem exportorientierten Wachstumsmodell im unteren Marktsegment zu einer technologieorientierten Wirtschaft im oberen Marktsegment deutlich abgenommen hat. Stattdessen haben Chinas rasche Fortschritte bei der Fertigung von Elektrofahrzeugen und Halbleitern die Handelsspannungen mit den USA verschärft.

Das bei weitem heikelste Thema in den Beziehungen zwischen den USA und China ist jedoch nach wie vor Taiwan. Obwohl es keine formellen Änderungen am Wortlaut der chinesischen Politik gibt, halten chinesische Strategen die derzeitige Situation angesichts der neuen, die Unabhängigkeit Taiwans befürwortenden Regierung für prekär. Dies dürfte dazu führen, dass China zu einer aktiveren Abschreckung gegenüber der taiwanesischen Führung und damit auch gegenüber den USA übergeht. Da die USA ihre Abschreckungsmaßnahmen gegenüber China ebenfalls verstärken, sind die Voraussetzungen für eine Konfrontation in der Straße von Taiwan gegeben. Egal also, für wen sich die US-Wähler im November entscheiden: Um ein Worst-Case-Szenario zu verhindern, sollte Xi regelmäßig persönliche Gespräche mit ihm oder ihr führen.

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Chinas Hauptziel besteht darin, sicherzustellen, dass eine weitere Erosion der chinesisch-amerikanischen Beziehungen das Wirtschaftswachstum, das die Legitimität des Regimes untermauert, nicht beeinträchtigt. Die chinesischen Politiker haben daher versucht, den vom Zerwürfnis mit den USA ausgehenden Schaden für das Land zu minimieren, indem sie Chinas wirtschaftlichen und politischen Einfluss in der übrigen Welt – vor allem im globalen Süden – ausweiten. Dies könnte China Zeit verschaffen, um seine wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit zu stärken und das Tempo der technologischen Entwicklung zu beschleunigen.

Angesichts der Tatsache, dass Trump und Harris im Vorfeld der Wahlen darum wetteifern, wer China gegenüber am härtesten auftritt, machen sich chinesische Entscheidungsträger keine Illusionen, dass sich die schwierigen Beziehungen zu den USA in naher Zukunft auf magische Weise verbessern werden. Man sollte die chinesisch-amerikanischen Beziehungen jedoch nicht mit übertriebenem Pessimismus betrachten. Chinas Politik gegenüber den USA war schon immer das Ergebnis ausgewogener Überlegungen, die den Stand der internationalen Angelegenheiten berücksichtigen und die eigenen Bedürfnisse abwägen, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Daran hat sich trotz der großen Veränderungen in der politischen Landschaft unter Xi nichts geändert.

Es ist vielversprechend, dass beide Seiten in letzter Zeit mehr Interesse an einer verantwortungsvollen Steuerung der Beziehungen gezeigt haben. Die chinesisch-amerikanische Rivalität wird zwar nicht über Nacht verschwinden. Doch egal, wer nächstes Jahr ins Weiße Haus einzieht: Die beiden weltgrößten Volkswirtschaften können einen Konflikt – und die damit verbundenen katastrophalen Folgen – immer noch vermeiden.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

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