Aufbau einer Pax Asia-Pacifica

MANILA: Eine der Hauptspannungsquellen in Asien sind dieser Tage die Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer, wo u.a. die Philippinen, Vietnam und China einander widersprechende Ansprüche geltend machen. Laut chinesischen Medienberichten ist die erhöhte „Unfreundlichkeit“ in der Region auf „böse Gerüchte und Spekulationen“ seitens philippinischer Kommentatoren zurückzuführen. Die Realität freilich ist krasser: das Eindringen chinesischer Flugzeuge in den philippinischen Luftraum im Mai, an der Recto Bank (Reed Bank) 85 Meilen westlich der philippinischen Insel Palawan kreuzende chinesische Patrouillenboote im März und, am gravierendsten, der Beschuss philippinischer Fischerboote in Nähe des zu Palawan gehörenden Quirino-Atolls durch eine mit Raketen bestückte chinesische Fregatte im Februar.

Werden diese wiederholten und, wie es scheint, eskalierenden Streitigkeiten zwischen den Philippinen und Vietnam einerseits und China andererseits zu einem bewaffneten Konflikt führen? Natürlich liegt Krieg in niemandes Interesse. Doch die von diesen Streitigkeiten ausgehende Gefahr wächst, denn Chinas Beziehungen zu den Philippinen und auch zu Vietnam sind so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Angesichts dieser Spannungen ist es nicht verwunderlich, dass die Frage der umstrittenen Suveränität am Südchinesischen Meer aller Vorraussicht nach im ASEAN Regionalforum diesen Monats und im nachfolgenden Ostasiengipfel in Bali im Mittelpunkt stehen wird.

Im Juni war ich in Anwesenheit von 5000 meiner Landsleute und ein paar vereinzelten chinesischen Offiziellen der Hauptredner bei den Feierlichkeiten zum 36. Jahrestag der Aufnahme philippinisch-chinesischer diplomatischer Beziehungen und zum 10. „Tag der Freundschaft“ zwischen beiden Ländern. Doch am selben Tage zogen die Titelseiten chinesischer Zeitungen über die Philippinen her – wegen ihres historischen Eigentumsanspruches an den Spratly-Inseln.

Natürlich erkennen die Regierungen beider Länder die Notwenigkeit an, jene Stabilität und Kooperation aufrechtzuerhalten, die Ostasien zur schnellstwachsenden Region der Erde gemacht hat. Dasselbe gilt für die Regierungen Vietnams und der Vereinigten Staaten. Doch es gibt kein institutionalisiertes Mittel zur Diskussion und Beilegung des Streits, der aufgrund der Annahme, dass am Meeresboden um die Spratlys enorme Mineralien- und Energievorkommen lagern, fast täglich an Bedeutung gewinnt.

Es ist Zeit, dass China, die Philippinen, Vietnam, andere Anspruchssteller und die USA tätig werden, um diese Spannungen abzubauen. Dazu bedarf es vor allem einer Übereinkunft der Führungen des asiatisch-pazifischen Raumes, die eine friedliche Beilegung des Streits für alle Beteiligten – klein oder groß – verbindlich macht. Nur ein derartiges Versprechen kann die Art von Sicherheit gewährleisten, die Investoren – alle Investoren – brauchen, wenn die Bodenschätze bei den Spratlys erschlossen werden sollen.

Die chinesische Führung äußert sich ganz eindeutig so, als ob dies ihr Ziel sei. Im April erklärte der chinesische Präsident Hu Jintao auf dem diesjährigen Boao-Forum (dem asiatischen Davos) auf der Insel Hainan: „Frieden und Entwicklung bleiben die zentralen Themen unserer Zeit. Die Welt braucht Frieden; die Länder haben Anspruch auf Entwicklung, und die Menschen wollen Zusammenarbeit .... China wird den übrigen asiatischen Ländern immer ein guter Nachbar, guter Freund und guter Partner sein.“

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Es ist höchste Zeit, diese Gedanken umzusetzen. Freilich erfordert dies mehr als nur die Zusage, Streitigkeiten friedlich beizulegen. Asiens Regierungen müssen anfangen, sich eine deutlich weiter gehende Vorstellung eines offenen Regionalismus zu Eigen zu machen – was heißt, dass auch Länder wie Indien in asiatisch-pazifischen Fragen eine Stimme haben sollten –, und sie müssen die asiatischen Interessen von Ländern außerhalb der Region respektieren. Die USA etwa sollten zur Teilnahme – oder weiteren Teilnahme – an Friedensaktionen und einer Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen eingeladen werden.

Doch wie soll Asien in dieser Frage einen Konsens erzielen? Schon seit 1994, als Vietnams Präsident Le Duc Anh den ASEAN-Vorsitz innehatte, schlage ich den Führern der ASEAN vor, die Spratlys zur entmilitarisierten Zone zu machen – was ein erster Schritt wäre, um Vertrauen aufzubauen. Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen und die damit verknüpften internationalen Verpflichtungen müssen Grundlage eines produktiven Dialogs werden, der zu rechtsverbindlichen Verträgen führt. Dann könnte die gemeinsame Erkundung und Erschließung der in und unter dem Archipel liegenden Bodenschätze beginnen.

Darüber hinausgehend ist es eine dringende Aufgabe für Asiens Politiker, die Pax Americana der Region, die seit Jahrzehnten für regionale Stabilität sorgt, im Laufe der nächsten fünf bis zehn Jahre durch eine umfassendere Pax Asia-Pacifica zu ersetzen, die auf Inklusivität und einer Umlegung der anfallenden Lasten aufbaut. Ein derartiger asiatisch-pazifischer Frieden freilich wird nur von Dauer sein, wenn er auf einer Balance gegenseitiger Vorteile statt auf dem Machtgleichgewicht beruht.

Dieses Konzept impliziert eindeutig eine Lastenverteilung auf alle Länder des asiatisch-pazifischen Raumes, um Harmonie und Frieden in der Region zu gewährleisten. Die Institutionen der Pax Asia-Pacifica müssen – so wie nach dem Zweiten Weltkrieg der Frieden in Europa – auf starken kooperativen Übereinkünften zwischen den mächtigsten Ländern und Regionalblöcken aufgebaut werden: den USA, China, Japan, Indien, Südkorea, Russland und der ASEAN 10. Anhaltendes Wirtschaftswachstum und dauerhafter Frieden in der Region erfordern, dass wir Asiaten unsere Rivalitäten zügeln und das Wettrüsten vermeiden, das leider inzwischen im Gange zu sein scheint.

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