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Die zunehmenden politischen Turbulenzen in Südasien

NEU DELHI: Die gewaltsamen, von Studenten angeführten und von Islamisten unterstützten Proteste in Bangladesch haben zum Sturz der Regierung von Premierministerin Sheikh Hasina geführt, und es häufen sich Mob-Angriffe auf jene, die als Anhänger ihrer Partei (der säkularen Awami-Liga) gelten – insbesondere auf die schwindende Hindu-Minderheit des Landes. In einer Zeit, in der das benachbarte Myanmar von Gewalt heimgesucht wird und der pakistanisch-afghanische Gürtel ein fruchtbarer Boden für grenzüberschreitenden Terrorismus bleibt, sind politische Turbulenzen in Bangladesch, zwei Jahre nach dem Sturz der Regierung Sri Lankas, das Letzte, was die Regionalmacht Indien brauchen kann.

Um dauerhafte politische Stabilität in Südasien zu erreichen bedarf es einer Festigung der Demokratie. Doch das ist kein einfaches Unterfangen. Ungeachtet Indiens ist die Region nach wie vor von langjährigen autokratischen Traditionen und einer Zentralisierung der Macht geprägt. Hasina zum Beispiel war im Laufe ihrer mehr als 15-jährigen Amtszeit autokratisch geworden. Vor diesem Hintergrund ist es weitaus wahrscheinlicher, dass Forderungen aus der Bevölkerung nach Demokratie zu Gewalt und politischem Chaos führen als zu reibungslosen politischen Machtwechseln.

Wie das Beispiel Hasina zeigt, überleben autokratische Führer eine von der Bevölkerung ausgehende Herausforderung ihrer Herrschaft nicht unbedingt. Und man denke an das Chaos, das Sri Lanka 2022 heimsuchte, als eine schwere Wirtschaftskrise Massenproteste gegen das dynastische, undemokratische Regime der Rajapaksa-Brüder auslöste. Obwohl Präsident Gotabaya Rajapaksa, wie Hasina, zunächst gewaltsam gegen die Demonstranten vorging, erwiesen sich seine Gegner als zu stark. Wie Hasina gab er auf und floh aus dem Land, ohne dabei offiziell zurückzutreten. Ähnlich wie der Mob in Bangladesch Hasinas weitläufige offizielle Residenz plünderte, besetzten die Demonstranten in Sri Lanka daraufhin den Präsidentenpalast.

Doch übernimmt beim Sturz eines Autokraten statt einer demokratischen Regierung oft das Militär die Macht, auch wenn dies womöglich hinter einer zivilen Fassade geschieht. Bangladesch ist da keine Ausnahme. Seit der gewaltsamen Gründung des Landes 1971 hat das Militär mindestens zwei Dutzend Putschversuche unternommen und seit der Ermordung von Bangladeschs charismatischem Gründer Sheikh Mujibur Rahman im Jahr 1975 mehrmals über einen längeren Zeitraum regiert.

Rahmans Tochter Hasina war insofern eine Ausnahme, als es ihr gelang, das Militär (und die Islamisten) in Schach zu halten – zumindest bis letzte Woche, als der Armeechef sich weigerte, ihr weiteres Vorgehen gegen randalierende Demonstranten zu unterstützen. Das Militär ermöglichte ihr daraufhin die Flucht nach Indien und setzte eine Übergangsregierung aus zivilen „Beratern“ ein, die wenig Erfahrung mit nationalen Fragen haben.

Sicherlich haben einige südasiatische Länder gewisse Fortschritte auf dem Weg zur Demokratie gemacht. Insbesondere der demokratische Wandel in Bhutan schreitet dank eines wohlwollenden Königs, der den Übergang von einer traditionellen Monarchie zu einem parlamentarischen System unterstützt, zügig voran. Bei den vierten nationalen Wahlen in diesem Jahr kam eine Oppositionspartei an die Macht.

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Doch bieten Wahlen allein – selbst, wenn sie hart umkämpft sind – keine Gewähr für eine Stärkung der Rechte der Bevölkerung oder die Einhaltung verfassungsmäßiger Regeln. Dies gilt insbesondere, wenn das Militär die entscheidende Macht innehat. Nehmen wir Pakistan, wo Anfang dieses Jahres Wahlen stattfanden. Der vom Militär bevorzugte Kandidat Shehbaz Sharif wird dort wieder Premierminister, doch wird seine Regierung so lange weiterbestehen, wie das dem wahren Herrscher des Landes, dem Armeechef, zupasskommt. Solange der Rechtsstaat nicht fest verankert ist und diejenigen, die außerkonstitutionelle Macht ausüben, nicht eindeutig in die Schranken gewiesen werden, wird der demokratische Fortschritt begrenzt und reversibel bleiben.

Myanmar hat dies auf die harte Tour gelernt. Obwohl dort das Militär seit der Unabhängigkeit des Landes 1948 das Sagen hatte, begann es 2015, die Macht an eine im Entstehen begriffene Zivilregierung abzugeben, was das Land mit Hoffnung auf eine demokratische Zukunft erfüllte. Doch im Februar 2021 – kaum sechs Jahre später – putschte es erneut. Diesmal allerdings stieß es auf heftigen Widerstand, und schwer bewaffnete aufständische Gruppen – von denen einige „nicht-tödliche Hilfe“ von den USA erhalten – konnten ihre territoriale Kontrolle ausweiten. Die Militärjunta hat darauf mit vermehrten Vergeltungsschlägen aus der Luft und Artilleriebombardements reagiert.

Die Gewalt und die sich verschärfende humanitäre Krise schüren über Myanmars Grenzen hinaus die Instabilität. Bereits mehr als 32.000 ethnische Chin haben im indischen Bundesstaat Mizoram Zuflucht gesucht, und Tausende weitere sind in den Bundesstaat Manipur geflohen, wo ihre Ankunft gewalttätige ethnische Konflikte geschürt hat. Und es sind nicht nur die Chin: Indien beherbergt auch Millionen illegaler Einwanderer aus Bangladesch, deren Zahl noch zunehmen wird, da verzweifelte Hindus vor islamistischen Angriffen auf sie fliehen.

Was Sicherheitsrisiken angeht, so ist die Einwanderung nur der Anfang. Die politischen Turbulenzen auf den Malediven – die 2012 begannen, als radikale Islamisten den demokratisch gewählten Präsidenten des Landes mit Waffengewalt zum Rücktritt zwangen – haben es China ermöglicht, in Indiens maritimen Hinterhof Fuß zu fassen. In diesem Jahr hat China einen Militärpakt mit den Malediven unterzeichnet und ein riesiges Meeresforschungsschiff in einem maledivischen Hafen angedockt. Unterdessen bauen islamistische Radikale ihre Basis aus und gründen ISIS- und Al-Qaida-Zellen auf der Inselgruppe.

Der wachsende wirtschaftliche Druck verschärft die Sicherheitsrisiken. Pakistan hat in den letzten Jahren wiederholt um Hilfen des Internationalen Währungsfonds gebeten. Und der Sturz Hasinas könnte harte Zeiten für die einst boomende Wirtschaft Bangladeschs einläuten, da die Devisenreserven des Landes rapide abnehmen. All dies ist dem Wohlstand in der Region nicht förderlich. Solange die südasiatischen Länder von politischer Instabilität geplagt werden, wird ein starkes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum schwer erreichbar bleiben.

Die Schwierigkeit, politische Stabilität zu erhalten und die Demokratisierung voranzutreiben, zeigt sich auch in Nepal – einem Land, zu dem Indien enge kulturelle und historische Beziehungen unterhält. Im vergangenen Monat wurde dort die 14. Regierung in nur 16 Jahren vereidigt. Geführt wird sie von dem viermaligen Premierminister K.P. Sharma Oli von der pro-chinesischen Marxistisch-Leninistischen Partei. Oli, der in den 1970er und 1980er Jahren jahrelang im Gefängnis saß, weil er einen Krieg gegen den Staat geführt hatte, ist Nepals fünfter Regierungschef innerhalb von fünf Jahren, nachdem er einen anderen ehemaligen kommunistischen Guerillero, Pushpa Kamal Dahal, abgelöst hat.

All dies bringt Indien, die größte Demokratie der Welt und das geografische Zentrum Südasiens, in eine schwierige Lage. Es muss die Auswirkungen der politischen und wirtschaftlichen Instabilität in seiner Nachbarschaft so gering wie möglich halten und sich zugleich weiterhin um wirtschaftliche und strategische Partnerschaften weit über die Grenzen seiner unruhigen Region hinaus bemühen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

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