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Trumps beste Hoffnung auf Frieden ist die Unterstützung der Ukraine

URBANA, ILLINOIS/BERKELEY/KIEW – Der designierte US-Präsident Donald Trump behauptete, er könne den Krieg zwischen Russland und der Ukraine innerhalb eines Tages beenden. Zwar hat er die Einzelheiten seines Plans noch nicht dargelegt, doch einige seiner Berater deuteten an, er wolle die Ukraine dazu drängen, Gebietsverluste zu akzeptieren und einem Nicht-Nato-Status zuzustimmen, damit Russland seine Militäroperationen einstellt. Lehnt die Ukraine diesen Deal ab, werden die Vereinigten Staaten die Militär- und Wirtschaftshilfe für das Land kürzen. Lehnt Russland ab, werden die USA der Ukraine modernere Waffen zur Verfügung stellen.

Leider beruht dieser Ansatz auf einer Fehleinschätzung. Das Hauptziel des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist nicht territoriale Expansion, sondern die Unterwerfung des ukrainischen Volkes, wodurch die Ukraine als souveränes, unabhängiges Land praktisch ausgelöscht werden würde. Die von russischen Streitkräften in der besetzten Ostukraine begangenen Gräueltaten – Folter, Vergewaltigung, extralegale Tötungen und Entführungen – bieten einen düsteren Ausblick auf die Zukunft, die uns erwartet, sollte Putin sich durchsetzen.

Darüber hinaus zeigt Putin, der von seinem „Sieg“ im Krieg überzeugt ist, kein echtes Interesse an einem Kompromiss. Vielmehr beharrt Russland weiterhin auf der vollständigen Kapitulation der Ukraine. China - eifrig darauf bedacht, den Westen zu schwächen -  ist nur allzu gern bereit, Putin Waffen, Ausrüstung und finanzielle Mittel zur Unterstützung seines Feldzugs zur Verfügung zu stellen. Sollte Trump Putin zu Verhandlungen aufrufen, würde er wahrscheinlich Geschichten über „ukrainische Nazis“, „historische russische Gebiete“ und imaginäre „Bedrohungen“ der russischen Sicherheit durch die Nato zu hören bekommen.

Die Ukraine ihrerseits ist weiterhin entschlossen, um ihr Überleben zu kämpfen. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat deutlich gemacht, dass die Ukrainer zwar mehr als alle anderen den Krieg beenden wollen, aber einen gerechten Frieden und dauerhafte Sicherheit fordern. Ein Abkommen auf der Grundlage „Land gegen Waffenruhe“ würde weder das eine noch das andere bringen, da Russland sich wiederholt als nicht vertrauenswürdig erwiesen hat. Allein in den letzten Jahren hat Russland zahlreiche Verträge und Vereinbarungen in eklatanter Weise gebrochen, darunter die UN-Charta von 1945, den Atomwaffensperrvertrag von 1970, den russisch-ukrainischen Flottenvertrag von 1997, den russisch-ukrainischen Freundschaftsvertrag von 1998, den russisch-ukrainischen Vertrag zur gemeinsamen Nutzung des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch von 2003 sowie den Charkiw-Pakt von 2010.

Gleichzeitig hat Amerika durch sein Unvermögen, die russische Aggression in den Jahren 2014 und 2022 abzuschrecken, kombiniert mit der mangelnden Bereitschaft, seine Macht zur Verteidigung der Ukraine einzusetzen, erheblich an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Da mehr als 70 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer bereit sind, weiter zu kämpfen, kann Selenskyj keinem Abkommen zustimmen, das keine konkreten Sicherheitsgarantien und effektive Durchsetzungsmechanismen enthält.

Trumps voraussichtlicher „Friedensvertrag“ mit der Ukraine sollte in Ländern wie Polen, Schweden, Finnland, den baltischen Staaten, Norwegen, Japan und Südkorea die Alarmglocken schrillen lassen. Putin einen Sieg zuzugestehen, würde einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen und zu künftigen Aggressionen ermutigen – insbesondere, wenn die von Trump geführten USA die Nato und andere Militärbündnisse aushöhlen.

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Wenn die politischen Führungsspitzen der Welt die Möglichkeit einer Verhandlungslösung in Betracht ziehen, sollten sie daran denken, wie das Vertrauen in Adolf Hitlers Zusicherungen bezüglich des Sudetenlandes es Nazi-Deutschland ermöglichte, die Tschechoslowakei zu zerstören und den Weg für den Zweiten Weltkrieg zu ebnen. Demokratische Länder stehen heute vor einer ähnlichen Entscheidung: Sie können die Ukraine unterstützen, um künftige Konflikte zu verhindern, oder sie laufen Gefahr, dass diese Kriege ihre eigenen Grenzen erreichen. Angesichts einer erstarkten Achse zwischen Russland, China, Iran und Nordkorea würde ein Verzicht auf entschlossene Maßnahmen weitere Aggressionen geradezu herausfordern.

Obwohl die USA nach wie vor eine dominierende Wirtschafts- und Militärmacht sind, haben sie nicht die Möglichkeit, die Aktivitäten der wichtigsten geopolitischen Akteure vollständig zu kontrollieren. Die Europäische Union beispielsweise hat ihren Anteil an der militärischen und wirtschaftlichen Hilfe für die Ukraine stetig erhöht und wird dies voraussichtlich auch weiterhin tun. Die Ukraine verfügt über ausreichende finanzielle Mittel, um ihre Verteidigungsanstrengungen mindestens ein Jahr lang aufrechtzuerhalten, und mit 320 Milliarden US-Dollar an eingefrorenen russischen Vermögenswerten, die hauptsächlich in Europa liegen, könnte die EU den – auf 100 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzten – Bedarf der Ukraine auf Jahre hinaus finanzieren.

Unterdessen investieren europäische Länder wie Dänemark und Norwegen aktiv in die Verteidigungsindustrie der Ukraine und helfen bei der Entwicklung neuer Kapazitäten wie etwa in den Bereichen Munitionsproduktion und KI-gesteuerte Drohnen. Auch die europäischen Länder selbst verstärken ihre Verteidigungsanstrengungen, wenn auch nur allmählich. Friedrich Merz, der nach der Bundestagswahl im Februar voraussichtlich die Nachfolge von Bundeskanzler Olaf Scholz antreten wird, scheint der Ukraine mehr Unterstützung zukommen lassen zu wollen als die derzeitige Regierung.

Neben der damit verbundenen breiten öffentlichen Unterstützung steht die Stärkung der Ukraine auch im Einklang mit den strategischen Interessen wichtiger US-amerikanischer und europäischer Wirtschaftsbereiche. Amerikanische Energieunternehmen positionieren sich, um Russland als Europas wichtigsten Energielieferanten abzulösen, insbesondere, wenn die EU ihre Wirtschaftssanktionen verschärft. Und US-amerikanische Rüstungsunternehmen profitieren von Waffenlieferungen an die Ukraine und ihre Verbündeten. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die Slowakei: Trotz der anti-ukrainischen Rhetorik von Ministerpräsident Robert Fico beliefern slowakische Waffenhersteller die Ukraine weiterhin mit wichtiger militärischer Ausrüstung.

Darüber hinaus gehen Russland bereits kritische Ressourcen aus: Die Wirtschaft des Landes überhitzt angesichts eines Leitzinssatzes von 21 Prozent. Das russische Militär verzeichnet schwere Verluste, die von ukrainischen Quellen mit schätzungsweise 1.800 getöteten oder schwer verwundeten russische Soldaten täglich beziffert werden. Und die Waffenvorräte aus der Sowjetzeit schrumpfen rapide. Einem wirtschaftlich unterentwickelten, von Vetternwirtschaft geprägten kapitalistischen Staat zu ermöglichen, seine imperialen Ambitionen zu verfolgen, wäre wohl kaum ein schmeichelhaftes Vermächtnis.

Tatsächlich könnte ein Rückzug aus der Ukraine Erinnerungen an den beschämenden Abzug der USA aus Afghanistan und Vietnam wecken. Würde Trump riskieren, als moderner Neville Chamberlain in Erinnerung zu bleiben, dessen unglückselige Appeasement-Politik gegenüber Hitler „Frieden für unsere Zeit“ versprach, aber zum verheerendsten Krieg in der Geschichte der Menschheit führte? So wie Hitler einst Chamberlain und andere als „kleine Würmchen“ verspottete, würden Putin, der chinesische Präsident Xi Jinping und der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un Trump wahrscheinlich verlachen, sollte er die Ukraine opfern, um Russland zu beschwichtigen.

US-Präsident Joe Bidens Unterstützungspolitik für die Ukraine bei gleichzeitiger Einschränkung ihrer militärischen Möglichkeiten zur Vermeidung einer „Provokation“ Russlands, hat nach mehr als 1.000 Tagen eines umfassenden Krieges keinen Frieden gebracht. Die Aussicht auf eine schnelle Lösung mag verlockend erscheinen, aber die Ukraine zur Kapitulation zu zwingen, wäre genauso sinnlos wie die Behandlung eines gebrochenen Beins mit einem Pflaster.

Ein besseres Modell bietet der Ansatz „Frieden durch Stärke“ des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan. Dieses Modell würde vorsehen, den Druck auf Russland durch strengere Sanktionen und eine stärkere internationale Isolierung zu erhöhen; die Ukraine mit modernen Waffen auszustatten und gleichzeitig die Einsatzbeschränkungen zu lockern, wie Biden es kürzlich tat, als er den ukrainischen Streitkräften die Nutzung in den USA hergestellter Langstreckenraketen und Antipersonenminen gestattete; und mit einer Aufstockung des Pentagon-Budgets unerschütterliche Entschlossenheit zu demonstrieren.

Da bis zu Trumps Rückkehr ins Weiße Haus noch fast zwei Monate vergehen werden, bleibt seine Ukraine-Strategie ungewiss. Sollte es jedoch sein Ziel sein, den Frieden zu fördern, wäre die Unterstützung der Ukraine die sicherste Methode.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

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