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Ein Jahr der Chancen für Afrika

WASHINGTON, DC – Das vergangene Jahr war für Afrika eine Herausforderung. Nach einem hoffnungsvollen Jahr 2021, im Laufe dessen das gesamtkontinentale BIP um beinahe 7 Prozent anstieg und sich in allen Regionen reales Wachstum einstellte, verlangsamte sich die Wirtschaft 2022 vor dem Hintergrund steigender Inflation, strafferer Geldpolitik und geopolitischer Spannungen. Dennoch war es auch ein Jahr, in dem sich die afrikanischen Länder auf der Weltbühne endlich Gehör verschaffen konnten. Am Beginn eines weiteren krisenhaften Jahres, in dem das BIP des Kontinents laut Prognosen um relativ bescheidene 4,1 Prozent wachsen soll, können die Regierungen mehrere Schritte unternehmen, um die Wirtschaftstätigkeit anzukurbeln und eine nachhaltige Zukunft zu sichern.

Zunächst einmal gilt es für die Politik, Handel und Investitionen auf Grundlage der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA) zu fördern. Im Rahmen einer vollständig realisierten AfCFTA wird erwartet, dass die Gesamtausgaben afrikanischer Verbraucher und Unternehmen bis 2030 6,7 Billionen Dollar und bis 2050 16,12 Billionen Dollar erreichen werden, wodurch sich Wertschöpfungsketten verändern und die Armut auf dem Kontinent möglicherweise verringert werden kann. 

Acht Länder - Kamerun, Ägypten, Ghana, Kenia, Mauritius, Ruanda, Tansania und Tunesien - haben im vergangenen Jahr den Handel im Rahmen der geführten Handelsinitiative der AfCFTA aufgenommen. Um 2023 auf dieser Dynamik aufzubauen, müssen die politischen Verantwortlichen die Umsetzung der nächsten Phasen des Abkommens beschleunigen, die innerafrikanische Koordinierung verbessern und auf erste Erfolge aufmerksam machen. Darüber hinaus würde die Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse durch Melde- und Überwachungsmechanismen die Kosten für die Unternehmen senken und die Länder dazu ermutigen, ihre Einfuhren zu steigern.

Die Politik sollte auch verstärkt auf Technologien der vierten industriellen Revolution (Industrie 4.0) wie künstliche Intelligenz und Cloud Computing setzen, um neue Wertschöpfungsketten zu schaffen und die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit zu stärken. Um das transformative Potential dieser Instrumente auszuschöpfen, ist die Politik gefordert, die auf dem Gipfeltreffen der Afrikanischen Union 2022 über Industrialisierung und wirtschaftliche Diversifizierung eingegangenen Verpflichtungen im Bereich Infrastruktur auch einzuhalten. Außerdem sollten die politisch Verantwortlichen Investitionen in strategisch wichtige Branchen wie Pharmaindustrie, Landwirtschaft und Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, Automobilsektor und Logistik in Betracht ziehen. Die Regierungen der Länder südlich der Sahara müssen auch in Bildung, insbesondere in MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) und digitale Fähigkeiten investieren sowie Partnerschaften mit Akteuren des Privatsektors anstreben, um den Zugang zu Informations- und Kommunikationsdiensten sowie Mobiltelefonen zu erweitern.

Da die wirtschaftliche Zukunft Afrikas in hohem Maße von seiner Fähigkeit zur Neudefinition seines weltweiten Status abhängt, liegt es nun an den Regierungen, auf den jüngsten diplomatischen Durchbrüchen aufzubauen. In den letzten Jahren haben afrikanische Regierungen auf internationaler Ebene eine gewichtigere Rolle übernommen und treten bei multilateralen Klimaverhandlungen geschlossen auf. US-Präsident Joe Biden hat sich dafür ausgesprochen, die Afrikanische Union zu einem ständigen Mitglied der G20 zu machen. Das würde dazu beitragen, die Position der AU als weltweit führende Verhandlungsgruppe im Bereich Landwirtschaft zu stärken. Die Verständigung auf eine gemeinsame Agenda würde es den afrikanischen Staats- und Regierungschefs ermöglichen, die Finanzierung nachhaltigkeitsbezogener Projekte zu sichern und die Vereinigten Staaten, China und die Europäische Union zur Einhaltung ihrer Versprechen zu bewegen.

Angesichts der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, der steigenden Inflation und des Klimawandels auf die Einkommens- und Vermögensunterschiede in Afrika kommt einem konzertierten Vorgehen immer größere Bedeutung zu. Ohne derartige Bemühungen werden nach Schätzungen der Vereinten Nationen bis 2030 mindestens 492 Millionen Menschen in Afrika in extreme Armut gedrängt und zumindest 350 Millionen werden auch im Jahr 2050 noch extrem arm sein. Darüber hinaus leben trotz der jüngsten Fortschritte im Bereich Geschlechtergleichstellung hinsichtlich Bildungschancen und politische Repräsentation afrikanische Frauen immer noch häufiger unter der international definierten Armutsgrenze, erleben schwerwiegende Ernährungsunsicherheit und verlassen die Arbeitswelt um Betreuungsarbeit zu leisten.  

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Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, gilt es für die afrikanischen Länder, sich auf die Bereitstellung qualitativ hochwertiger Bildung, Gesundheitsversorgung und die Durchführung von Arbeitsmarktprogrammen zu konzentrieren, die alle – insbesondere Frauen und junge Menschen - einschließen. Afrikanische Entwicklungsbehörden wie jene der AU sind mit jenen Mitteln und Befugnissen auszustatten, die sie zur Erfüllung ihres Auftrags benötigen.

Ein derartiger Kapazitätsaufbau setzt jedoch voraus, dass die afrikanischen Regierungen dem institutionellen Verfall entgegenwirken. Wie aus dem jährlichen Freedom House-Bericht „Freedom in the World” hervorgeht, war 2022 das 16. Jahr in Folge, in dem die Demokratie weltweit geschwächt wurde und Afrika bildet dabei keine Ausnahme. Lässt man den Fortbestand dieser Verhältnisse zu, können politische Instabilität, Korruption und mangelnde Rechenschaftspflicht auch die perfektesten Strategien untergraben. Durch die Zusammenarbeit mit Partnern und den Einsatz evidenzbasierter Methoden zur Überwachung von Projekten, zur Unterstützung bei deren Umsetzung und zur Entscheidungsfindung könnten die afrikanischen Länder die Kluft zwischen politischen Zielen und tatsächlichen Ergebnissen überbrücken.

Schließlich bleibt die Gewährleistung eines gerechten und nachhaltigen grünen Übergangs das dringlichste Problem, dem sich Afrika, der am stärksten vom Klimawandel bedrohte Kontinent, gegenübersieht. Obwohl die afrikanischen Länder bis 2030 2,8 Billionen Dollar benötigen würden, um die Emissionsziele des Pariser Abkommens von 2015 zu erreichen, belaufen sich die jährlichen Zuflüsse im Bereich Klimafinanzierung derzeit auf nur 30 Milliarden US-Dollar. Allerdings können und müssen die Regierungen auf die im Rahmen der Uno-Klimakonferenz (COP27) in Ägypten entstandene Dynamik aufbauen, wo es letztlich eine bahnbrechende Entscheidung zur Einrichtung eines „Entschädigungsfonds“ gab, der den Entwicklungsländern helfen soll, die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels abzumildern. Die Politik könnte diese Mittel mobilisieren, um in Anpassungsmaßnahmen und erneuerbare Energien zu investieren.

Die politischen Führungen Afrikas sind gefordert, diesen Augenblick zu nutzen, um den Übergang des Kontinents zu einer kohlenstoffneutralen Wirtschaft zu beschleunigen. In einem mit Sicherheit entscheidenden Jahr für den Klimaschutz kann und muss Afrika erhebliche Fortschritte auf dem Weg zu einer gerechteren, nachhaltigeren und widerstandsfähigeren Zukunft erzielen.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/T172POude