ghosh58_ SAM PANTHAKYAFP via Getty Images_gautam SAM PANTHAKY/AFP via Getty Images

Die Krise der indischen Oligarchie

NEU DELHI – Die engen Beziehungen des indischen Multimilliardärs Gautam Adani zu Premierminister Narendra Modi haben in den letzten zwei Jahrzehnten dazu beigetragen, dass der Geschäftsmann aus Gujarati zum reichsten Menschen Asiens wurde. Adanis kometenhafter Aufstieg, der den seines politischen Mentors in mancher Hinsicht in den Schatten stellt, ließ ihn auch zur Galionsfigur der indischen Wachstumsgeschichte werden – bis Vorwürfe des Betrugs und der Aktienmanipulation sein nach ihm benanntes Imperium ins Wanken brachten. Angesichts eines Börsenwertverlusts seines Firmenkonglomerats im Ausmaß von 110 Milliarden Dollar innerhalb weniger Tage wurde Adani zu einem warnenden Beispiel vor den Gefahren der Günstlingswirtschaft in Modis Indien.  

Die Partnerschaft zwischen Adani und Modi reicht bis in das Jahr 2002 zurück, als Modi – damals Regierungschef des Bundesstaates Gujarat – sich mit heftiger Kritik konfrontiert sah, weil es ihm nicht gelungen war, einen antimuslimischen Mob einzudämmen, der im Bundesstaat über eintausend Menschen getötet hatte. Nach diesen Massakern wurde Modi von den Vereinigten Staaten mit einem Einreiseverbot belegt und Spitzenvertreter der indischen Wirtschaft kehrten ihm großteils den Rücken. Nur Adani unterstützte Modi und seine Bharatiya Janata Party (BJP) weiterhin und wurde für seine Loyalität großzügig belohnt. In den darauffolgenden zehn Jahren wuchs Adanis Konzern in rasantem Tempo, erhielt zahlreiche staatliche Aufträge und expandierte in die Bereiche Import und Export, Kohlehandel und Bergbau, Erschließung von Öl- und Gasfeldern sowie Infrastruktur.  

Im Laufe der Jahre wurde die Beziehung zunehmend symbiotisch. Als Modi 2014 zum Premierminister gewählt wurde, flog er in Adanis Privatjet nach Delhi. Die Nähe zu Modi verhalf Adanis Unternehmen zu lukrativen Regierungsaufträgen sowie öffentlichen und privaten Krediten für Projekte in Indien und anderswo, von denen manche höchst umstritten waren. Immer wieder lockerte die Regierung unter Modi Vorschriften oder änderte Regeln in einer Weise, die den Unternehmen Adanis zugutekam. So etwa erklärte die Regierung Adanis Kraftwerk in Godda im Jahr 2017 zu einer Sonderwirtschaftszone. Dafür sollen die Bestimmungen so abgeändert worden sein, dass die Adani Group in den Genuss eines  Geldsegens im Ausmaß von 5 Milliarden Rupien (60 Millionen Dollar) kam. Im Jahr 2019 übertrug Modis Regierung Adani die Rechte für den Betrieb von sechs frisch privatisierten Flughäfen, obwohl das Unternehmen über keinerlei Erfahrung in diesem Sektor verfügte.

Das rasante Wachstum der Adani Group in Verbindung mit einem wahrhaft ambitionierten, schuldenbasierten Investitionsprogramm - ermöglicht durch spektakuläre Aktienkursanstiege - machten das Unternehmen zu einem Aushängeschild der staatlichen Investitionsoffensive, der Expansion der Datenbranche sowie der Pläne für einen Netto-Null-Übergang. Innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt wuchs Adanis Vermögen von 7 auf 20 Milliarden Dollar, wodurch er zur drittreichsten Person der Welt aufstieg (bis die Aktien des Konzerns Ende Januar auf Talfahrt gingen und sein Nettovermögen um die Hälfte schrumpfte).

Mit zunehmender wirtschaftlicher Macht wurde Adani immer aggressiver in seinen Bemühungen, Kritik an seinen Unternehmen und an Modi zu unterdrücken. Er reichte mehrere Klagen gegen Journalisten und Medien ein, die über die Vorzugsbehandlung der Adani-Unternehmen durch die Behörden berichtet hatten. Ende letzten Jahres startete Adani eine feindliche Übernahme des indischen Fernsehsenders NDTV, einem der wenigen verbliebenen Plattformen für Modi-Kritiker.

Eine Zeit lang hatte es den Anschein, dass Adani nichts falsch machen konnte. Trotz der Bedenken hinsichtlich des schuldengetriebenen Wachstums seines Imperiums und der unrealistischen Aktienbewertung ließen Adanis wirtschaftliche, politische und mediale Macht – sowie die verbreitete Wahrnehmung, die Adani Group sei Grundlage des indischen Wirtschaftswachstums – ihn unaufhaltsam erscheinen.

PS Events: AI Action Summit 2025
AI Event Hero

PS Events: AI Action Summit 2025

Don’t miss our next event, taking place at the AI Action Summit in Paris. Register now, and watch live on February 10 as leading thinkers consider what effective AI governance demands.

Register Now

Zerstört wurde die Illusion am 24. Januar, als die Leerverkaufsfirma Hindenburg Research einen vernichtenden Bericht veröffentlichte, in dem der Adani Group „der größte Unternehmensbetrug in der Geschichte“ vorgeworfen wird. Nach zwei Jahre dauernden Untersuchungen beschuldigte Hindenburg das Firmenkonglomerat, über Jahrzehnte hinweg ein „dreistes System der Aktienmanipulation und der Bilanzfälschung“ betrieben zu haben. Man verwies auf 38 in Mauritius ansässige Briefkastenfirmen, die angeblich dazu benutzt wurden, Aktienkurse zu manipulieren und Geld von börsennotierten Unternehmen der Adani Group abzuschöpfen.

Während die Adani Group an den indischen Nationalismus appellierte und den Hindenburg-Bericht als „kalkulierten Angriff” auf Indiens Unabhängigkeit, seine Institutionen und seine Wachstumsgeschichte darstellte, reagierte der Markt rasch und tödlich. Anfang Februar stufte Moody’s den Ratingausblick für mehrere Unternehmen der Adani Group herab und MSCI reduzierte die Indexgewichtungen von vier Konzernunternehmen, wodurch sich die Probleme des Firmenkonglomerats noch verschärften. Die Krise setzte sich auch noch fort, nachdem der Konzern mehrere vertrauensbildende Maßnahmen angekündigt hatte, nämlich die vorzeitige Rückzahlung von Krediten im Ausmaß von 1,1 Milliarden Dollar, die Halbierung seiner Umsatzwachstumsziele und den Aufschub geplanter Investitionsausgaben.

Modi selbst schweigt, auch wenn ihm die Oppositionsparteien Günstlingswirtschaft vorwerfen. Die Regierung betont, Indiens „starke” Regulierungsbehörden würden sich dieses Skandals annehmen, obwohl diese bisher jämmerlich agierten. Die indische Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde, die von mehreren Abgeordneten als „stiller Betreiber” dieser Entwicklungen bezeichnet wird, veröffentlichte eine zahnlose Presseerklärung, in der man verspricht, die Vorwürfe zu untersuchen und der Adani Group sechs Monate Zeit für eine Antwort zu geben. Die Aufsichtsbehörde nahm die Kursrückgänge der Aktien und Unternehmensanleihen Adani-Gruppe jedoch unter die Lupe und fand Belege dafür, dass manche Leerverkaufsaktivitäten aus dem Ausland festzustellen waren.

Unabhängig davon, ob die Adani Group wieder auf die Beine kommt oder nicht, sind ihre derzeitigen Schwierigkeiten als Anklage des übermäßigen Vertrauens in einige wenige nationale Großunternehmen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung Indiens zu werten. Mit dieser Strategie ist es nicht gelungen, eine breit angelegte und integrative Entwicklung herbeizuführen, weswegen Indien nun mit enttäuschendem Beschäftigungswachstum, rückläufigem Konsum, sinkenden Investitionsraten und Umweltzerstörung konfrontiert ist. Anstatt sich auf Industriekonglomerate wie Reliance, Tata und Aditya Birla zu verlassen, sollte die Regierung diese Situation als Chance für einen Kurswechsel nutzen. Die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und der Ausbau von sozialen Leistungen würden die Schaffung von Arbeitsplätzen fördern und die wirtschaftliche Nachhaltigkeit verbessern.

Zwar scheint Modis Beliebtheit von diesem Skandal nicht betroffen zu sein, doch für eine Bewertung der politischen Folgen ist es noch zu früh. Modi und die BJP hatten im Laufe der Jahre mit zahlreichen Korruptionsskandalen zu tun, aber dank ihrer ausgeprägten Kontrolle über die Medien überstand man alle Turbulenzen. Adanis Niedergang könnte sich jedoch als Wendepunkt erweisen, weil dadurch ein zentraler Grundsatz der Wirtschaftsphilosophie Modis diskreditiert wird. Einen einzelnen Oligarchen mit endlosen finanziellen Vorteilen und regulatorischen Vergünstigungen zu überhäufen, ist – wie sich herausstellt - noch keine zuverlässige Entwicklungsstrategie.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/9v2Uicpde