0240650446f86f380e72a028_pa3578c.jpg Paul Lachine

Wer sollte die Finanzstabilität schützen?

NEW HAVEN – Die Zentralbanker der Welt hatten die aktuelle Finanzkrise vor ihrem Beginn 2007 nicht kommen sehen. Martin Čihák vom Internationalen Währungsfonds berichtete im Juli 2007, dass von 47 Banken, die Berichte zur Finanzstabilität veröffentlichen, „nahezu alle“ in ihren jüngsten Berichten die „Lage des Finanzsystems in ihrem Land insgesamt positiv“ beurteilten.

Und dennoch: Obwohl diese Zentralbanken uns vor der Krise im Stich gelassen haben, sollten sie trotzdem die führende Rolle beim Verhindern der nächsten Krise übernehmen. Zu diesem vielleicht nicht ganz eingängigen Schluss kommt die Squam Lake Group [http://squamlakegroup.org/], eine Expertenkommission aus 15 Finanzwissenschaftlern, der ich angehöre, in ihrem jüngst veröffentlichten Bericht, Fixing the Financial System (in engl. Sprache).

Makroprudenzielle Aufsichtsbehörden (Regierungsbeamte, die sich nicht auf die Stabilität einzelner Finanzinstitute konzentrieren, sondern vielmehr auf die Stabilität des gesamten Finanzsystems) werden dringend gebraucht, und es ist nur logisch, dass die Zentralbanken diese Rolle ausfüllen sollten. Andere Regulierer schnitten beim Vorhersagen der Krise auch nicht besser ab und sind noch weniger geeignet, die nächste zu verhindern.

David Camerons neue Regierung in Großbritannien war anscheinend zu demselben Schluss gelangt, als sie Pläne bekannt gab, die Aufsichtsbefugnis von der Financial Services Authority (FSA) an die Bank of England zu übertragen.

Doch nicht überall erfährt die Übertragung der Regulierung an die Zentralbanken Zuspruch. In den Vereinigten Staaten beispielsweise ist die Bedeutung der makroprudenziellen Aufsicht unbestritten, doch soll diese Befugnis nicht an die Federal Reserve abgetreten werden. Die gerade verabschiedete Finanzmarktreform vertraut die makroprudenzielle Aufsicht einem neuen Rat zur Überwachung der Finanzstabilität an, dem Financial Stability Oversight Council. Das ist gut, doch übernimmt der US-Finanzminister den Vorsitz des Rats, und die Fed wird, obwohl sie einige neue Befugnisse erhält, nur eines von vielen Mitgliedern sein.

Der Leiter des Rats ist somit ein von der Politik ernannter Amtsträger, der sich nach den Wünschen des Präsidenten richtet. Die jüngere Geschichte zeigt, dass solche ernannten Amtsträger oft keine mutigen oder unpopulären Schritte zur Stabilisierung der Wirtschaft unternehmen. Ein moderner US-Präsident erinnert sich sicher daran, wie schwierig es war, die Wähler davon zu überzeugen, ihn dorthin zu bringen, wo er ist, und kämpft fortwährend weiter um die Gunst der Wähler, um die Umfragewerte hoch zu halten und die Chancen seiner Partei bei den nächsten Wahlen zu wahren. Der Finanzminister gehört zum Team des Präsidenten und hat seinen Amtssitz neben dem Weißen Haus.

Introductory Offer: Save 30% on PS Digital
PS_Digital_1333x1000_Intro-Offer1

Introductory Offer: Save 30% on PS Digital

Access every new PS commentary, our entire On Point suite of subscriber-exclusive content – including Longer Reads, Insider Interviews, Big Picture/Big Question, and Say More – and the full PS archive.

Subscribe Now

George W. Bush gewann im Jahr 2000 die Wahl, obwohl nicht die Mehrheit des Volkes für ihn gestimmt hatte. 2003 ernannte Bush den Geschäftsführer der Eisenbahngesellschaft John W. Snow zu seinem Finanzminister, der, wie es Barron’s-Kolumnist Alan Abelson ausdrückte, „möglicherweise nicht das hellste Licht im Kabinett ist.“ Snow war dem Präsidenten treu ergeben und unterstützte seine Politik bedingungslos, bis er 2006 aus dem Amt schied, kurz bevor die Krise ausbrach. Unter dem neuen Gesetz wäre Snow für die Stabilität der gesamten US-Wirtschaft verantwortlich gewesen.

Ein Thema, das, wie Bush feststellte, bei den Wählern im Wahlkampf für seine zweite Amtszeit 2004 Anklang fand, war die „ownership society“, die Gesellschaft der Eigentümer. Damit die Wirtschaft erfolgreich ist, argumentierte Bush, müssen die Menschen lernen, die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Eine Politik, die den Eigenheimbesitz fördert, würde diese Tugend einer größeren Anzahl von Menschen einimpfen. Das klang gut in den Ohren der Wähler, vor allem wenn es eine Regierungspolitik bedeutete, die die entstehende Immobilienblase förderte und den Wert ihrer Eigenheiminvestitionen in die Höhe schießen ließ.

Snow betete die Worte seines Chefs nach. „Die amerikanische Wirtschaft ist gespannt wie eine Feder und marschbereit“, zirpte er 2003. Zwei Jahre später, kurz vor dem Höhepunkt der Spekulationsblasen auf den Kapital- und Immobilienmärkten erklärte er: „Wir können zufrieden sein, dass die Wirtschaft auf einem guten und nachhaltigen Weg ist.“

Doch muss man Bush anrechnen, dass er auch Ben Bernanke 2006 zum Chef der Fed ernannte. Bernanke gehörte nicht zu Bushs Team, und aufgrund Amerikas langer Tradition des Respekts vor der Unabhängigkeit der Fed war er vor politischem Druck geschützt. Die Entscheidung für Bernanke, einen hochgebildeten Wissenschaftler, spiegelte wohl wider, dass Bush die Erwartung der Öffentlichkeit akzeptierte, einen erstklassigen Kandidaten zu bekommen.

Dieselben Probleme treten in vielen anderen Ländern auf. Personen, die zum Teil auserwählt wurden, um die nächste Wahl zu gewinnen, stellen oft fest, dass ihr Urteil in Wirtschaftsfragen eingeschränkt wird. 2003 wurde z. B. in einem Artikel berichtet, dass der australische Finanzminister Ken Henry vor einer „Immobilienblase“ dort gewarnt hatte, dann aber schnell versucht hatte, seinen Kommentar zurückzunehmen, indem er sagte, er sei nicht dazu gedacht gewesen, „außerhalb dieses Raums zitiert zu werden.“ Anfang des Jahres schlug er nun endlich eine neue Steuerpolitik vor, um die immer noch anhaltende australische Immobilienblase aufzuhalten, doch schafft er es jetzt nicht, seine Regierung dazu zu bringen, sie in Kraft zu setzen.

Dagegen haben die Zentralbanker in vielen Ländern im Laufe der letzten Jahrzehnte allmählich Anerkennung für ihre prinzipielle Unabhängigkeit vom tagespolitischen Druck erhalten. In weiten Teilen der Welt versteht die Öffentlichkeit nun, dass die Zentralbanken ihrer Arbeit nachgehen können, ohne dass Politiker sich einmischen. Es gibt die Tradition der Zentralbanker als weltliche Philosophen, die für langfristige, vernünftige Politik eintreten, und diese Tradition macht es ihnen politisch einfacher, das Richtige zu tun.

Obwohl die Zentralbanken der Welt die aktuelle Krise nicht kommen sahen und vor 2007 keine Schritte unternahmen, um den Druck zu verringern, der zu ihr führte, reagierten sie entschlossen und energisch, als die Krise um sich griff – mit abgestimmten internationalen Maßnahmen. Ermöglicht wurde dies durch die Tradition der politischen Unabhängigkeit und Kooperation, die sich im Laufe der Jahre unter den Zentralbanken entwickelt hat.

Die Krise hat unterstrichen, wie überaus wichtig makroprudentielle Aufsicht ist. Obwohl unsere Zentralbanken die Finanzstabilität nicht perfekt einschätzen können, sind sie immer noch in der besten politischen und institutionellen Position, um sie zu gewährleisten.

https://prosyn.org/TnPmCQ4de