9a45cb0446f86fbc09266509_pa3733c.jpg Paul Lachine

Warum wir China zuhören sollten

NEW HAVEN – Die Chinesen haben lange Zeit die Dynamik der amerikanischen Wirtschaft bewundert. Aber zur amerikanischen Regierung und deren dysfunktionaler Wirtschaftspolitik haben sie das Vertrauen verloren. Dies wurde bei meinen jüngsten Reisen nach Peking, Shanghai, Chongqing und Hongkong sehr deutlich.

So kurz nach der Subprime-Krise ist die Debatte über die Schuldengrenze und das Haushaltsdefizit der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Führende chinesische Politiker haben kein Verständnis dafür, wie die USA Politik auf Kosten der finanziellen Stabilität machen. Mitte Juli meinte ein hochrangiger Funktionär: “Das ist wirklich schockierend … Wir haben Verständnis für Politik, aber die andauernde Verantwortungslosigkeit Ihrer Regierung ist erstaunlich.”

Beim Rennen der USA in Richtung Abgrund steht China nicht unbeteiligt am Rand. Nach der asiatischen Finanzkrise der späten 1990er Jahre hat das Land etwa 3,2 Billionen Dollar Fremdwährungsreserven angehäuft, um sein System gegen externe Schocks abzusichern. Zwei Drittel dieser Summe – etwa 2 Billionen – stecken in Dollar-Anlagen, darunter hauptsächlich US-Schatzbriefe und andere öffentliche Wertpapiere (z.B. von Fannie Mae und Freddie Mac). Dadurch hat China Ende 2008 Japan als größten Investor in US-Finanzanlagen abgelöst.

Nicht nur aus Sicherheitsbedürfnis ist China eine so große Wette auf die einst relativ risikolosen Papiere in der Weltleitwährung eingegangen, sondern auch, weil die Wechselkurspolitik des Landes dies erforderte. Um die Anpassung des Renminbi an den Dollar beizubehalten, musste China einen ungewöhnlich hohen Anteil seiner Fremdwährungsreserven in Dollar-Papieren anlegen.

Diese Tage sind vorbei. China erkennt, dass es nicht mehr sinnvoll ist, seine momentane Wachstumsstrategie beizubehalten – die hauptsächlich auf einer Kombination von Exporten und einem massiven Puffer aus Fremdwährungsreserven in Dollar beruht. Dabei folgt die chinesische Führung hauptsächlich drei Erkenntnissen:

Erstens waren die Krise und die große Rezession von 2008-2009 ein Weckruf. Zwar blieb die chinesische Exportindustrie hoch wettbewerbsfähig, aber trotzdem kamen in Folge dieser Zeit verständliche Zweifel an der ausländischen Nachfrage nach chinesischen Produkten auf. In den USA, Europa und Japan, den krisengeschüttelten Industrieländern, die gemeinsam mehr als 40% der chinesischen Exporte abnehmen, wird die Konsumnachfrage wahrscheinlich in den kommenden Jahren langsamer wachsen als während des chinesischen Exportbooms der letzten 30 Jahre. Die Exportorientierung, lange Zeit der stärkste Antrieb des chinesischen Wachstums, weist heute entscheidende Nachteile auf.

Secure your copy of PS Quarterly: Age of Extremes
PS_Quarterly_Q2-24_1333x1000_No-Text

Secure your copy of PS Quarterly: Age of Extremes

The newest issue of our magazine, PS Quarterly: Age of Extremes, is here. To gain digital access to all of the magazine’s content, and receive your print copy, subscribe to PS Premium now.

Subscribe Now

Zweitens sind die Kosten für die Versicherungsprämie – in Form der übergroßen, hauptsächlich in Dollar angelegten chinesischen Fremdwährungsreserven – aufgrund politischer Risiken gestiegen. Da nun die Schuldenrückzahlung der US-Regierung fraglicher wird, muss das Konzept der risikolosen Dollar-Anlagen in Frage gestellt werden.

In den letzten Jahren haben Chinas Premierminister Wen Jiabao und Präsident Hu Jintao wiederholt ihre Besorgnis über die US-Haushaltspolitik und den Status von Staatsanleihen als sicherer Hafen geäußert. Wie die meisten Amerikaner glaubt auch die chinesische Staatsführung, dass die USA es letztlich nicht auf eine tatsächliche Staatspleite ankommen lassen werden. Aber das ist nicht der Punkt. Gegenüber jeglicher “Reparatur” ist große Skepsis vorhanden – insbesondere einer, die auf Blendwerk beruht, um substanzielle haushaltspolitische Korrekturen zu verschieben.

All dies beschädigt die Glaubwürdigkeit der US-Regierung, Washingtons Richtlinie des “vollen Vertrauens und voller Kreditwürdigkeit” zu folgen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen Chinas massive Investitionen in Dollar-Vermögenswerte nicht mehr als sehr weise.

Und schließlich ist sich Chinas Führung der Risiken ihrer eigenen makroökonomischen Ungleichgewichte gewahr – und dem Einfluss des exportgeführten Wachstums und der kumulierten Dollarbestände auf diese. Darüber hinaus registriert China durchaus den politischen Druck, den die wachstumsgebremsten Industrienationen gegen die enge Kontrolle des Wechselkurses zum Dollar ausüben – ein Druck, der stark an eine ähnliche Kampagne gegen Japan Mitte der 1980er Jahre erinnert.

Im Gegensatz zu Japan gibt China den Rufen nach einer scharfen Aufwertung des Renminbi nicht nach. Allerdings sieht das Land gleichzeitig die Notwendigkeit, diese geopolitischen Spannungen ernst zu nehmen. Es reagiert darauf durch Förderung der Inlandsnachfrage und löst sich dabei aus der Abhängigkeit von Dollar-Anlagen.

China ist sich all dieser Einflussfaktoren bewusst und hat darauf eine sehr transparente Antwort. All dies steht im neuen zwölften Fünfjahresplan – eine Verschiebung hin zur Konsumförderung, die sich direkt gegen Chinas unhaltbare Schieflagen richtet. Durch die Betonung auf die Neuschaffung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich, intensive Urbanisierung und den Ausbau des sozialen Sicherheitsnetzes werden Arbeitseinkommen und Konsumentenmacht entscheidend gestärkt. Als Ergebnis ist eine Steigerung des Konsumanteils an der chinesischen Wirtschaft bis zum Jahr 2015 um mindestens fünf Prozent des BIP zu erwarten.

Eine konsumorientierte Neuausrichtung lindert viele der oben angesprochenen Spannungen. Sie entkoppelt das Wirtschaftswachstum von einer gefährlichen Abhängigkeit von externer Nachfrage und wechselt zur internen Nachfrage, die noch großen Nachholbedarf hat. Außerdem nimmt sie den Druck weg, zur Exportförderung die Währung billig halten zu müssen, was Potenzial für Währungsreformen bietet.

Allerdings wird China durch die Erhöhung des Konsumanteils am BIP auch einen großen Teil seiner Ersparnisse aufbrauchen. Dies könnte die Leistungsbilanz des Landes bis 2015 zum Ausgleich bringen – oder gar zu einem kleinen Defizit führen. Dadurch wird das Tempo der Akkumulation von Währungsreserven stark vermindert und Chinas endlose Nachfrage nach Geldanlagen in Dollar beendet.

Also wird China, der größte ausländische Käufer von US-Staatspapieren, bald gesättigt sein. Ein weiterer nichtssagender Haushaltskompromiss und schwächeres US-Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren lässt eine langwierige Periode übergroßer Staatsdefizite erwarten. Und dies wirft die größte Frage von allen auf: Wie will sich eine klamme US-Wirtschaft bei fehlender chinesischer Nachfrage nach Staatsanleihen finanzieren, ohne den Dollar massiv auf Talfahrt zu schicken und/oder die langfristigen Zinsen stark zu erhöhen?

Die hochmütige Antwort einiger Washingtoner Insider lautet, dass die Chinesen sich nicht trauen würden, es darauf ankommen zu lassen. Wo sonst sollten sie schließlich ihr Geld anlegen? Warum sollten sie Verluste ihrer großen Mengen an Dollar-Geldanlagen riskieren?

Chinas Antworten auf diese Fragen sind klar: Das Land ist nicht mehr bereit, im Vertrauen auf die hohlen Versprechen und die marode Wirtschaftspolitik Washingtons seine finanzielle und wirtschaftliche Stabilität aufs Spiel zu setzen. Die Chinesen sagen endlich nein. Hören wir ihnen genau zu!

https://prosyn.org/FlYTOrgde