Das World Wide Web der Mikrobiologie

Das gegenwärtige moderne Reden über Computer-„Viren” erklärt, was diese Übeltäter in Entsprechung zu ihren biologischen Namensvettern anrichten. Doch es ist ähnlich erhellend, die Biosphäre der realen, lebenden Mikroben als eine Art World Wide Web des Informationsaustauschs darzustellen. In der Tat tauschen lebende Mikroben Informationen miteinander und mit ihrer Umgebung aus und verwenden dabei die DNS als in alle Richtungen gelangende Datenpakete. Mikroben unterscheiden sich jedoch von Computerviren dadurch, dass sie sich nicht nur vermehren, sondern dass sie sich auch entwickeln können, und zwar mit einem schnelleren Tempo als ihre Wirte. Mikroben sind tatsächlich gut dafür geeignet, diesen Unterschied im Krieg, der gelegentlich zwischen ihnen und anderen Spezies ausbricht und der für uns Krankheit und Tod bedeutet, zu ihrem Vorteil auszunutzen.

Es ist die Fähigkeit der Mikrobe, Informationen an andere Organismen zu übertragen, die die Analogie mit dem World Wide Web plausibel macht. Wie Computerviren können auch zahlreiche lebende Viren ihre eigene DNS in das genetische Material des Wirts integrieren (downloaden); dieses Material kann anschließend kopiert und weitergereicht werden. Tatsächlich lässt sich sogar unsere eigene menschliche Evolution teilweise durch dieses Zusammentreffen mit Mikroben erklären. Viele Segmente der menschlichen DNS sind aus historischen Treffen mit einem bestimmten Virus-Typ, den so genannten Retroviren, entstanden, die ihre Informationen in menschliche Zellen „heruntergeladen” und sie so in die menschliche DNS integriert haben.

Der Bereich der Molekular-Genetik, mit dem 1944 begonnen wurde – als nämlich bewiesen werden konnte, dass die DNS den Mechanismus darstellt, mittels dessen ererbte Charakteristika weitergegeben werden – hat die Mikroben in den Mittelpunkt zahlreicher biologischer Untersuchungen gerückt. Systeme, die aus Mikroben bestehen, sind häufig die am besten passenden Modelle, um die Evolution in einem Labor zu untersuchen.

Was die Evolution der Mikroben so faszinierend und zugleich so Besorgnis erregend macht, ist ihre Kombination von riesigen Populationen mit intensiven Schwankungen innerhalb dieser Populationen. Einige Mikroben verfügen über ein Gen, das ihre Variabilität erhöht und ihnen damit ermöglicht, in Reaktion auf verschiedene Faktoren in der Umwelt mit unterschiedlichem Ausmaß zu mutieren – etwas, was größere Organismen zu tun nur selten in der Lage sind. Während höhere Lebensformen, wie beispielsweise Menschen, sich nicht mit Angehörigen anderer Arten paaren können, ist die Evolution der Mikroben weniger beschränkt durch diese „Spezies-Grenze“. Mikroben können de facto durch einen Prozess, der als „Plasmid-Transfer“ bezeichnet wird, biologische Innovationen untereinander austauschen, einschließlich – das ist der wichtigste und gefährlichste Aspekt dabei – die Resistenz gegenüber Antibiotika, die eine Mikrobenart an die andere weitergeben kann.

Die bloße Anzahl der Mikroben und ihre Fähigkeit, Informationen auszutauschen, ist die Formel für eine Hochgeschwindigkeits-Evolution. Die Population der Mikroben schwankt täglich um viele Milliarden, während sie sich zwischen ihren Wirtsorganismen hin und her bewegen und auf Antibiotika, Antikörper, Mangelzustände oder andere natürliche Gefahren stoßen, auf die ihre genetische Evolution unter Umständen reagiert. Der einfache Vergleich zwischen der Evolutions-Geschwindigkeit der Mikroben und der Evolutions-Geschwindigkeit ihrer multizellularen Wirte deutet auf einen millionen- bis milliardenfachen Vorteil zu Gunsten der Mikroben hin. Ein Jahr im Leben einer Mikrobe übertrifft faktisch mit Leichtigkeit die Zeitalter, die die Säugetiere benötigt haben, um sich zu entwickeln!

Vor dem Hintergrund dieser Maßstäbe spielt die Menschheit außerhalb ihrer evolutionären Liga. Tatsächlich haben zahlreiche komplexe Arten den Krieg gegen die Mikroben verloren und sind ausgestorben. Auch die Geschichte der Menschheit wurde durch katastrophale Seuchen geprägt, die durch Mikroben verursacht worden waren. Bisher hat die Menschheit alle diese durch Mikroben hervorgerufene Katastrophen überlebt. Um unser Überleben in einer Welt gewährleisten zu können, in der Krankheitserreger/Viren und ihre Wirte fortwährend auf neue Art und Weise interagieren, wird für uns ein innovatives Denken unabdingbar und ist es notwendig, ständig zu verfeinernden technischen Verstand und soziale Intelligenz in diesen Wettkampf mit einzubeziehen.

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In meiner letzten Arbeit habe ich die Auswirkungen dieses krassen Ungleichgewichtes zwischen der Evolutions-Geschwindigkeit der Menschen im Vergleich zu der der Mikroben und Viren untersucht.

Wäre der gesamte evolutionäre Antrieb der Mikroben darauf gerichtet gewesen, ihre Bösartigkeit und Letalität zu optimieren, so hätten größere Arten einen so mörderischen Wettkampf nicht überlebt. Doch selbstverständlich hätten auch viele Mikroben nicht überlebt, da sie von anderen Arten als ihrem Lebensraum abhängen. Trotzdem – ungeachtet der Tatsache, dass Mikroben für gewöhnlich nicht nur danach streben, ihre Virulenz zu erhöhen – legen die meisten Untersuchungen über Infektionskrankheiten ihren Schwerpunkt auf die Mechanismen, durch die die schädlichen Auswirkungen der Mikroben spürbar werden, sowie auf die Eigenarten, die Wirtsorganismen annehmen (hauptsächlich mittels des Immunsystems), um diese Virulenz zu bekämpfen. Den internen Mechanismen der Mikroben, die sie dazu verwenden, um weiterhin als Bewohner in ihren Wirten verbleiben zu können, wurde nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt – das schließt auch das Interesse der Mikroben an einer Steuerung und Begrenzung der durch sie bewirkten Schäden mit ein, das sie mit ihren Wirten teilen.

Immerhin residieren die Mikroben in ihren Wirten, um einen Vorteil aus dem Austausch zu ziehen. Erstaunliche Beispiele zeigen, dass das Ziel einer Mikrobe tatsächlich darin besteht, ein gemeinsames Überleben mit ihrem Wirt zu ermöglichen. In einigen Fällen manipuliert ein Parasit sogar das Immunsystem des Wirtes, um seine Widerstandskraft gegen eine Super-Infektion durch rivalisierende eindringende Parasiten zu erhöhen. Wir müssen also vielmehr lernen, wie diese Synergien auszunutzen sind und wie wir die Waffen nutzen können, die uns die Mikroben liefern, statt die Mikroben ausschließlich als tödliche Feinde zu betrachten, die es mit aller Entschiedenheit auszulöschen gilt.

Genau wie Wissenschaftler ganze ökologische Systeme untersuchen, um zu sehen, wie verschiedene Teile interagieren, müssen wir den menschlichen Körper als ein erweitertes Genom betrachten. Seine Einzelteile bestehen aus dem Kern-DNS-Genom (Karyom), einem Chondrium (Mitochondrium) und aus dem, was ich als Mikrobiom bezeichne: die Menagerie der zum Körper gehörigen Mikroben. Wir müssen die Mikroben, die wir in und auf unseren Körpern tragen, als Bestandteil einer geteilten Umwelt untersuchen.

„Wenn Du sie nicht schlagen kannst, dann verbünde Dich mit ihnen,“ so das altbekannte Sprichwort, und unser Schicksal ist auf Gedeih und Verderb mit den Mikroben verbunden, die unseren Körper mit uns teilen. Wir können und werden von einem tieferen Verständnis dessen, wie sie in und mit uns arbeiten, profitieren.

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