Zum 150. Mal jährt sich in diesem Monat die Veröffentlichung von Charles Darwins
Die Entstehung der Arten
. Die von Darwin in diesem großartigen Buch vorgelegte Evolutionstheorie beruht auf zwei Säulen: der Idee der Abstammung mit Veränderungen und der Idee der natürlichen Selektion.
Darwin war der Ansicht, dass die heutigen Organismen von sehr viel einfacheren Ahnen abstammen: Sie sind die Produkte ununterbrochener Vererbungslinien, die bis zum Ursprung allen Lebens zurückreichen. Inzwischen gibt es eine Menge Belege – von Studien uralter Fossilien bis hin zu den neusten Entdeckungen der Molekularbiologie –, die diese Theorie bestätigen.
Die Idee der Abstammung mit Veränderungen freilich hat nicht Darwin erfunden. Schon fünfzig Jahre vor ihm hatte Jean-Baptiste Lamarck behauptet, dass Lebewesen Produkte eines langen historischen Transformationsprozesses seien. Doch die von ihm vorgeschlagenen evolutionären Mechanismen, zu denen auch die Vererbung von durch die Umwelt hervorgerufenen Merkmalen gehörte, fanden keinen Anklang.
Es ist Darwins zweite wuchtige Idee – die Vorstellung, dass selbst komplizierteste Merkmale von Organismen das Ergebnis natürlicher Selektion sind –, die den Schlüssel zum langfristigen Erfolg seiner Theorie bildete. Natürliche Selektion bietet die wissenschaftliche Erklärung für so unterschiedliche Merkmale wie das Auge der Säugetiere, den Flügel der Vögel und die Fähigkeit der Pflanzen, Licht in Zucker umzuwandeln. Wir kennen heute zahlreiche Beispiele für den Vorgang der natürlichen Selektion in der Natur.
Die beiden Säulen der Evolutionstheorie sind die Folge des Zusammenspiels dreier markanter Eigenschaften lebender Organismen: der Fortpflanzung (Individuen bringen Nachwuchs hervor), der Vererbung (Gleiches bringt Gleiches hervor) und der Variation (manchmal unterscheidet sich der Nachwuchs von den Eltern). Zur natürlichen Selektion kommt es immer dann, wenn Unterschiede zwischen Individuen die Zahl der Nachkommen beeinflussen, die diese in die Welt setzen. Falls die Variationen, die die Fortpflanzung beeinflussen,
vererbbar
sind, ist das Ergebnis
Evolution
durch natürliche Selektion. Viele Generationen der Selektion in einer bestimmten Richtung – etwa der effizienten Fortbewegung durch die Luft – können zu komplizierten Strukturen wie Flügeln und dem koordinierten Prozess des Fliegens führen.
Zur Konkretisierung des Darwinismus bedarf es natürlich der Kenntnis dieser drei seinen Kern bildenden Prozesse. Wir müssen wissen, wie sich Organismen entwickeln und vermehren, was vererbt wird und wie dies geschieht, und wie vererbbare Variationen entstehen.
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Bis vor kurzem war die Sicht der Biologen in Bezug auf diese Prozesse stark genzentriert – wofür etwa Richard Dawkins’ Idee des „egoistischen Gens“ ein Beispiel ist. Vererbung und Fortpflanzung wurden unter dem Gesichtspunkt der DNA und ihrer Replikation betrachtet, und Variation im Sinne zufälliger Veränderungen der DNA-Sequenzen.
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts gemachte Entdeckungen zeigen freilich, dass Vererbung viel mehr umfasst als nur die DNA. Wir kennen inzwischen eine Reihe von Mechanismen, die Zellen mit identischer DNA in die Lage versetzen, unterschiedliche Merkmale auszubilden, die an Tochterzellen weitergegeben werden. Diese
epigenetische
Vererbung ist ein entscheidender Bestandteil der normalen Entwicklung von mehrzelligen Tieren wie uns selbst.
Die Zellen der Bauchspeicheldrüse und der Haut unterscheiden sich eindeutig, haben jedoch dieselben Gene mit denselben DNA-Sequenzen. Mehr noch: Die Eigenschaften der Zellen werden über ihre jeweiligen Zelllinien vererbt, obwohl die Reize, die während der embryonalen Entwicklung die Unterschiede zwischen ihnen auslösten, längst nicht mehr vorliegen.
Epigenetische Vererbung ereignet sich nicht nur
innerhalb
von Individuen während ihrer Entwicklung, sondern auch
zwischen Generationen
: Einzelne Hefezellen oder bakterielle Zellen können epigenetischen Variationen von einer Generation an die nächste weitergeben; mehrzellige Organismen können sie durch Sperma und Eizellen übertragen. Falls der epigenetische Zustand der Keimzellen während der Entwicklung eines Organismus verändert wird, kann diese Variation an seine Nachkommen weitergegeben werden.
Ein gutes Beispiel hierfür bieten die Arbeiten von Michael Skinner und Kollegen. Diese haben festgestellt, dass, wenn man schwangeren Ratten eine Chemikalie injiziert, die Androgene (männliche Sexualhormone) unterdrückt, dies bei deren Nachkommen zu Erkrankungen führt, die über mehrere Generationen vererbt werden. Es gibt viele weitere Beispiele vererbbarer epigenetischer Variationen, von denen einige durch Umweltfaktoren hervorgerufen werden. Gal Raz und eine von uns (EJ) sichteten kürzlich die wissenschaftliche Fachliteratur und fanden 101 Fälle epigenetischer Vererbung zwischen den Generationen – bei Bakterien, Pilzen, Einzellern, Pflanzen und Tieren –, und wir sind überzeugt, dass dies nur die Spitze eines sehr großen Eisbergs ist.
Zusätzlich zur zellularen epigenetischen Vererbung gibt es noch andere nicht genetische Wege, auf denen Variationen von Generation zu Generation übertragen werden können. Als Menschen sind wir uns dieser wohl bewusst: Die Übertragung kultureller Variationen wie etwa unterschiedlicher religiöser Überzeugungen ist ein Musterbeispiel. Doch gibt es noch viele weitere, weniger bekannte Beispiele von Informationen, die von den Eltern mit nicht genetischen Mitteln gelernt oder erworben werden: Sie reichen von den Fütterungstechniken von Affen und Ratten zu den Nahrungsvorlieben von Kaninchen und den Gesangsdialekten von Vögeln und Walen.
Anzuerkennen, dass Vererbung mehr umfasst als die DNA, hat Auswirkungen nicht nur für die Evolutionstheorie, sondern auch für Medizin und Landwirtschaft. So wissen wir etwa, dass einige umweltbedingte Schädigungen und Stressfaktoren wie z.B. vorübergehende Unterernährung zukünftige Generationen beeinträchtigen können. In evolutionären Studien müssen wir, weil vererbbare nicht genetische Variationen häufig umweltbedingt sind, unsere Vorstellung von Vererbung und Variation erweitern, um die Vererbung erworbener Variationen einzubeziehen – was jener einst verworfenen Vorstellung aus der Theorie Lamarcks entspricht.
In gewissem Sinne müssen wir zurückgehen zu Darwins ursprünglichen, pluralistischen Überzeugungen. Anders als viele seiner dogmatischeren Anhänger sah Darwin eine Rolle für von außen hervorgerufene Variation in der Evolution. Angesichts der neu entdeckten epigenetischen Mechanismen sollte die Darwin’sche Evolution heute die Abstammung mit epigenetischen und genetischen Veränderungen und die natürliche Selektion von außen hervorgerufener und willkürlicher Variationen umfassen. Mit Sicherheit sollte man sie nicht auf „egoistische Gene“ reduzieren.
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Zum 150. Mal jährt sich in diesem Monat die Veröffentlichung von Charles Darwins Die Entstehung der Arten . Die von Darwin in diesem großartigen Buch vorgelegte Evolutionstheorie beruht auf zwei Säulen: der Idee der Abstammung mit Veränderungen und der Idee der natürlichen Selektion.
Darwin war der Ansicht, dass die heutigen Organismen von sehr viel einfacheren Ahnen abstammen: Sie sind die Produkte ununterbrochener Vererbungslinien, die bis zum Ursprung allen Lebens zurückreichen. Inzwischen gibt es eine Menge Belege – von Studien uralter Fossilien bis hin zu den neusten Entdeckungen der Molekularbiologie –, die diese Theorie bestätigen.
Die Idee der Abstammung mit Veränderungen freilich hat nicht Darwin erfunden. Schon fünfzig Jahre vor ihm hatte Jean-Baptiste Lamarck behauptet, dass Lebewesen Produkte eines langen historischen Transformationsprozesses seien. Doch die von ihm vorgeschlagenen evolutionären Mechanismen, zu denen auch die Vererbung von durch die Umwelt hervorgerufenen Merkmalen gehörte, fanden keinen Anklang.
Es ist Darwins zweite wuchtige Idee – die Vorstellung, dass selbst komplizierteste Merkmale von Organismen das Ergebnis natürlicher Selektion sind –, die den Schlüssel zum langfristigen Erfolg seiner Theorie bildete. Natürliche Selektion bietet die wissenschaftliche Erklärung für so unterschiedliche Merkmale wie das Auge der Säugetiere, den Flügel der Vögel und die Fähigkeit der Pflanzen, Licht in Zucker umzuwandeln. Wir kennen heute zahlreiche Beispiele für den Vorgang der natürlichen Selektion in der Natur.
Die beiden Säulen der Evolutionstheorie sind die Folge des Zusammenspiels dreier markanter Eigenschaften lebender Organismen: der Fortpflanzung (Individuen bringen Nachwuchs hervor), der Vererbung (Gleiches bringt Gleiches hervor) und der Variation (manchmal unterscheidet sich der Nachwuchs von den Eltern). Zur natürlichen Selektion kommt es immer dann, wenn Unterschiede zwischen Individuen die Zahl der Nachkommen beeinflussen, die diese in die Welt setzen. Falls die Variationen, die die Fortpflanzung beeinflussen, vererbbar sind, ist das Ergebnis Evolution durch natürliche Selektion. Viele Generationen der Selektion in einer bestimmten Richtung – etwa der effizienten Fortbewegung durch die Luft – können zu komplizierten Strukturen wie Flügeln und dem koordinierten Prozess des Fliegens führen.
Zur Konkretisierung des Darwinismus bedarf es natürlich der Kenntnis dieser drei seinen Kern bildenden Prozesse. Wir müssen wissen, wie sich Organismen entwickeln und vermehren, was vererbt wird und wie dies geschieht, und wie vererbbare Variationen entstehen.
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Gegen Ende des 20. Jahrhunderts gemachte Entdeckungen zeigen freilich, dass Vererbung viel mehr umfasst als nur die DNA. Wir kennen inzwischen eine Reihe von Mechanismen, die Zellen mit identischer DNA in die Lage versetzen, unterschiedliche Merkmale auszubilden, die an Tochterzellen weitergegeben werden. Diese epigenetische Vererbung ist ein entscheidender Bestandteil der normalen Entwicklung von mehrzelligen Tieren wie uns selbst.
Die Zellen der Bauchspeicheldrüse und der Haut unterscheiden sich eindeutig, haben jedoch dieselben Gene mit denselben DNA-Sequenzen. Mehr noch: Die Eigenschaften der Zellen werden über ihre jeweiligen Zelllinien vererbt, obwohl die Reize, die während der embryonalen Entwicklung die Unterschiede zwischen ihnen auslösten, längst nicht mehr vorliegen.
Epigenetische Vererbung ereignet sich nicht nur innerhalb von Individuen während ihrer Entwicklung, sondern auch zwischen Generationen : Einzelne Hefezellen oder bakterielle Zellen können epigenetischen Variationen von einer Generation an die nächste weitergeben; mehrzellige Organismen können sie durch Sperma und Eizellen übertragen. Falls der epigenetische Zustand der Keimzellen während der Entwicklung eines Organismus verändert wird, kann diese Variation an seine Nachkommen weitergegeben werden.
Ein gutes Beispiel hierfür bieten die Arbeiten von Michael Skinner und Kollegen. Diese haben festgestellt, dass, wenn man schwangeren Ratten eine Chemikalie injiziert, die Androgene (männliche Sexualhormone) unterdrückt, dies bei deren Nachkommen zu Erkrankungen führt, die über mehrere Generationen vererbt werden. Es gibt viele weitere Beispiele vererbbarer epigenetischer Variationen, von denen einige durch Umweltfaktoren hervorgerufen werden. Gal Raz und eine von uns (EJ) sichteten kürzlich die wissenschaftliche Fachliteratur und fanden 101 Fälle epigenetischer Vererbung zwischen den Generationen – bei Bakterien, Pilzen, Einzellern, Pflanzen und Tieren –, und wir sind überzeugt, dass dies nur die Spitze eines sehr großen Eisbergs ist.
Zusätzlich zur zellularen epigenetischen Vererbung gibt es noch andere nicht genetische Wege, auf denen Variationen von Generation zu Generation übertragen werden können. Als Menschen sind wir uns dieser wohl bewusst: Die Übertragung kultureller Variationen wie etwa unterschiedlicher religiöser Überzeugungen ist ein Musterbeispiel. Doch gibt es noch viele weitere, weniger bekannte Beispiele von Informationen, die von den Eltern mit nicht genetischen Mitteln gelernt oder erworben werden: Sie reichen von den Fütterungstechniken von Affen und Ratten zu den Nahrungsvorlieben von Kaninchen und den Gesangsdialekten von Vögeln und Walen.
Anzuerkennen, dass Vererbung mehr umfasst als die DNA, hat Auswirkungen nicht nur für die Evolutionstheorie, sondern auch für Medizin und Landwirtschaft. So wissen wir etwa, dass einige umweltbedingte Schädigungen und Stressfaktoren wie z.B. vorübergehende Unterernährung zukünftige Generationen beeinträchtigen können. In evolutionären Studien müssen wir, weil vererbbare nicht genetische Variationen häufig umweltbedingt sind, unsere Vorstellung von Vererbung und Variation erweitern, um die Vererbung erworbener Variationen einzubeziehen – was jener einst verworfenen Vorstellung aus der Theorie Lamarcks entspricht.
In gewissem Sinne müssen wir zurückgehen zu Darwins ursprünglichen, pluralistischen Überzeugungen. Anders als viele seiner dogmatischeren Anhänger sah Darwin eine Rolle für von außen hervorgerufene Variation in der Evolution. Angesichts der neu entdeckten epigenetischen Mechanismen sollte die Darwin’sche Evolution heute die Abstammung mit epigenetischen und genetischen Veränderungen und die natürliche Selektion von außen hervorgerufener und willkürlicher Variationen umfassen. Mit Sicherheit sollte man sie nicht auf „egoistische Gene“ reduzieren.