COLD SPRING HARBOR – Seit der erstmaligen Sequenzierung des menschlichen Genoms im Jahr 2000 hat sich die Entwicklung in der Genomwissenschaft in bemerkenswerter Weise beschleunigt. Rasche Fortschritte in der DNA-Sequenzierungstechnologie bedeuten, dass eine Entschlüsselung des menschlichen Erbguts zu erschwinglichen Preisen nicht mehr weit entfernt ist. Tatsächlich könnten menschliche Genome schon in den nächsten Jahren für nur 1.000 Dollar sequenziert werden. Leider ist das aktuelle Establishment in der biomedizinischen Forschung auf ein derartiges Szenario jedoch völlig unvorbereitet.
Wissenschaftler glauben oft, dass ihre Mission darin bestünde, neue Erkenntnisse in Biologie und Genetik zu gewinnen und die Übertragung der Ergebnisse in den klinischen Bereich anderen zu überlassen. Dementsprechend arbeiten viele Genetiker in der „hohen Wissenschaft“ der Genomik, einschließlich genomweiter Assoziationsstudien, die auf häufige genetische Variationen beim Menschen abzielen.
Allerdings ist weithin bekannt, dass gewisse Mutationen in Familien vorkommen können, wodurch das Risiko gewisser Krankheiten – beispielsweise Brustkrebs, Sichelzellanämie und zystische Fibrose – dramatisch erhöht ist. Leider haben sich viele Molekulargenetiker jeder Verantwortung dafür entzogen, die Gesamtbelastung durch solche Krankheiten zu senken.
Obwohl dieser Trend viele Ursachen hat – von denen die meisten ausführlich diskutiert worden sind – wird über einen wichtigen Faktor nur selten gesprochen. Die wissenschaftliche Forschung – insbesondere die biomedizinische Forschung – ähnelt nämlich größtenteils einem Wettrennen. Wie die Großwildjäger spezialisieren sich Humangenetiker auf die Entdeckung von Krankheitsgenen – die „Trophäe“. Nach erfolgter Entdeckung gehen sie ihren Ergebnissen normalerweise nicht weiter nach, sondern wenden sich dem nächsten Ziel zu.
Heute werden Wissenschaftler dafür belohnt, wie viele Arbeiten sie in welchen Journalen veröffentlichen. In den Vereinigten Staaten dienen mehrere große Zentren für Genomsequenzierung primär der Forschung – auch die Centers for Mendelian Genomics, wo man bestrebt ist, der genetischen Basis „einfacher“ (durch eine einzige Mutation in der Struktur der DNA verursachter) Mendelscher Krankheiten auf die Spur zu kommen. Ähnliche Programme gibt es in vielen anderen Ländern.
Dennoch profitieren die Menschen, die diese Forschung durch ihre Blutspenden und ihre Gewebeproben ermöglichen, in den seltensten Fällen von den Entdeckungen und veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten. In seinem jüngst erschienen Buch Reinventing Discovery geht Michael Nielsen auf die in diesem Bereich vorherrschende Mentalität des „Publizierens oder Untergehens“ ein, die zur Folge hat, dass viele mangelhafte oder unvollständige Arbeiten publiziert werden, während den Menschen, die eigentlich von der Forschung profitieren sollen, oft wenig mehr als ein Nachsatz gewidmet wird.
Tatsächlich bekommen freiwillige Teilnehmer an Forschungsstudien ihre genomischen Daten selten übermittelt. Dadurch wird das Vertrauen der Teilnehmer verraten, die davon ausgehen, dass ihre Ergebnisse nicht nur zur Erweiterung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes beitragen, sondern auch praktische Resultate liefern.
Das Genomik- und Biotechnologieunternehmen 23andMe schuf eine nützliche Schnittstelle zur Übermittlung von Resultaten, auf der man leicht aufbauen könnte, um den Teilnehmern ihre vollständigen Genomdaten zu liefern – solange Probengewinnung und Sequenzierung nach ausreichend hohen klinischen Standards erfolgen. Das Modell dieser Firma fordert die Teilnehmer löblicherweise auf, bei der Analyse ihrer Genome mitzuhelfen, wodurch den Forschern die Last einer unverzüglichen Übermittlung aller Resultate abgenommen wird.
Angesichts des immer größeren Wissens wird die Analyse von Genomen einfacher. Es besteht die Hoffnung, dass mit der Weiterentwicklung der Technologie mehr Forscher die Bedeutung der Übermittlung von Resultaten an die Teilnehmer erkennen – vor allem jener Resultate, die beträchtliche medizinische Auswirkungen haben.
Weil es keine Regelung gibt, die eine Sequenzierung humaner Genome nach bestimmten klinischen Standards fordert, entspricht auch ein Großteil dieser Sequenzierungen nicht den Kriterien für Labortests. Tatsächlich sind die Resultate oft nicht reproduzierbar – die Studien schlecht geplant, miserabel oder geradezu betrügerisch ausgeführt. Daher müssen Kriterien etabliert werden, die sicherstellen, dass diese Sequenzierung in einem entsprechenden klinischen Umfeld mit rigorosen Standards, auch für die Probengewinnung, durchgeführt werden.
Die Wissenschaftler stehen heute vor falschen Anreizen und das findet seinen Niederschlag in der Tatsache, dass Untersuchungsergebnisse nicht in sinnvolle Maßnahmen für die Studienteilnehmer münden. Nur durch eine Verbesserung der klinischen Standards und die Übermittlung von Resultaten an die Teilnehmer kann die Sequenzierung des menschlichen Genoms ihren Zweck wahrhaft erfüllen – nämlich im Dienste der Menschen zu stehen.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
COLD SPRING HARBOR – Seit der erstmaligen Sequenzierung des menschlichen Genoms im Jahr 2000 hat sich die Entwicklung in der Genomwissenschaft in bemerkenswerter Weise beschleunigt. Rasche Fortschritte in der DNA-Sequenzierungstechnologie bedeuten, dass eine Entschlüsselung des menschlichen Erbguts zu erschwinglichen Preisen nicht mehr weit entfernt ist. Tatsächlich könnten menschliche Genome schon in den nächsten Jahren für nur 1.000 Dollar sequenziert werden. Leider ist das aktuelle Establishment in der biomedizinischen Forschung auf ein derartiges Szenario jedoch völlig unvorbereitet.
Wissenschaftler glauben oft, dass ihre Mission darin bestünde, neue Erkenntnisse in Biologie und Genetik zu gewinnen und die Übertragung der Ergebnisse in den klinischen Bereich anderen zu überlassen. Dementsprechend arbeiten viele Genetiker in der „hohen Wissenschaft“ der Genomik, einschließlich genomweiter Assoziationsstudien, die auf häufige genetische Variationen beim Menschen abzielen.
Allerdings ist weithin bekannt, dass gewisse Mutationen in Familien vorkommen können, wodurch das Risiko gewisser Krankheiten – beispielsweise Brustkrebs, Sichelzellanämie und zystische Fibrose – dramatisch erhöht ist. Leider haben sich viele Molekulargenetiker jeder Verantwortung dafür entzogen, die Gesamtbelastung durch solche Krankheiten zu senken.
Obwohl dieser Trend viele Ursachen hat – von denen die meisten ausführlich diskutiert worden sind – wird über einen wichtigen Faktor nur selten gesprochen. Die wissenschaftliche Forschung – insbesondere die biomedizinische Forschung – ähnelt nämlich größtenteils einem Wettrennen. Wie die Großwildjäger spezialisieren sich Humangenetiker auf die Entdeckung von Krankheitsgenen – die „Trophäe“. Nach erfolgter Entdeckung gehen sie ihren Ergebnissen normalerweise nicht weiter nach, sondern wenden sich dem nächsten Ziel zu.
Heute werden Wissenschaftler dafür belohnt, wie viele Arbeiten sie in welchen Journalen veröffentlichen. In den Vereinigten Staaten dienen mehrere große Zentren für Genomsequenzierung primär der Forschung – auch die Centers for Mendelian Genomics, wo man bestrebt ist, der genetischen Basis „einfacher“ (durch eine einzige Mutation in der Struktur der DNA verursachter) Mendelscher Krankheiten auf die Spur zu kommen. Ähnliche Programme gibt es in vielen anderen Ländern.
Dennoch profitieren die Menschen, die diese Forschung durch ihre Blutspenden und ihre Gewebeproben ermöglichen, in den seltensten Fällen von den Entdeckungen und veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten. In seinem jüngst erschienen Buch Reinventing Discovery geht Michael Nielsen auf die in diesem Bereich vorherrschende Mentalität des „Publizierens oder Untergehens“ ein, die zur Folge hat, dass viele mangelhafte oder unvollständige Arbeiten publiziert werden, während den Menschen, die eigentlich von der Forschung profitieren sollen, oft wenig mehr als ein Nachsatz gewidmet wird.
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Tatsächlich bekommen freiwillige Teilnehmer an Forschungsstudien ihre genomischen Daten selten übermittelt. Dadurch wird das Vertrauen der Teilnehmer verraten, die davon ausgehen, dass ihre Ergebnisse nicht nur zur Erweiterung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes beitragen, sondern auch praktische Resultate liefern.
Das Genomik- und Biotechnologieunternehmen 23andMe schuf eine nützliche Schnittstelle zur Übermittlung von Resultaten, auf der man leicht aufbauen könnte, um den Teilnehmern ihre vollständigen Genomdaten zu liefern – solange Probengewinnung und Sequenzierung nach ausreichend hohen klinischen Standards erfolgen. Das Modell dieser Firma fordert die Teilnehmer löblicherweise auf, bei der Analyse ihrer Genome mitzuhelfen, wodurch den Forschern die Last einer unverzüglichen Übermittlung aller Resultate abgenommen wird.
Angesichts des immer größeren Wissens wird die Analyse von Genomen einfacher. Es besteht die Hoffnung, dass mit der Weiterentwicklung der Technologie mehr Forscher die Bedeutung der Übermittlung von Resultaten an die Teilnehmer erkennen – vor allem jener Resultate, die beträchtliche medizinische Auswirkungen haben.
Weil es keine Regelung gibt, die eine Sequenzierung humaner Genome nach bestimmten klinischen Standards fordert, entspricht auch ein Großteil dieser Sequenzierungen nicht den Kriterien für Labortests. Tatsächlich sind die Resultate oft nicht reproduzierbar – die Studien schlecht geplant, miserabel oder geradezu betrügerisch ausgeführt. Daher müssen Kriterien etabliert werden, die sicherstellen, dass diese Sequenzierung in einem entsprechenden klinischen Umfeld mit rigorosen Standards, auch für die Probengewinnung, durchgeführt werden.
Die Wissenschaftler stehen heute vor falschen Anreizen und das findet seinen Niederschlag in der Tatsache, dass Untersuchungsergebnisse nicht in sinnvolle Maßnahmen für die Studienteilnehmer münden. Nur durch eine Verbesserung der klinischen Standards und die Übermittlung von Resultaten an die Teilnehmer kann die Sequenzierung des menschlichen Genoms ihren Zweck wahrhaft erfüllen – nämlich im Dienste der Menschen zu stehen.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier