Donald Trump Passion Brian Cahn/ZumaPress

Donald Trumps Botschaft

CAMBRIDGE – Dass Donald Trump beim Rennen um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat für die Republikanische Partei an der Spitze liegt, hat für Bestürzung gesorgt. Das republikanische Establishment fürchtet, er könne Hillary Clinton, die wahrscheinliche Kandidatin der Demokraten, nicht schlagen. Aber manche Beobachter sorgen sich mehr darüber, dass Trump Präsident werden könnte. Einige sehen Trump als einen möglichen amerikanischen Mussolini.

Ungeachtet ihrer Probleme unterscheiden sich die heutigen Vereinigten Staaten allerdings deutlich vom Italien des Jahres 1922. Selbst ein Reality-TV-Showstar kann sich nicht über die institutionellen Kontrollmechanismen der Verfassung und das unparteiische Rechtssystem hinwegsetzen. Die wirkliche Gefahr ist nicht, dass Trump als möglicher Präsident tut, was er sagt, sondern der Schaden, den er auf dem Weg dorthin anrichtet.

Führende Politiker werden nicht nur anhand der Effektivität ihrer Entscheidungen bewertet, sondern auch anhand der Leitsätze, die sie aufstellen und ihren Anhängern vermitteln. Die meisten Anführer erhalten Unterstützung, indem sie an die bestehende Identität und Solidarität ihrer Gruppe appellieren. Große politische Führer aber erklären ihren Anhängern die Welt jenseits ihrer unmittelbaren Gruppe.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem Deutschland zum dritten Mal innerhalb von 70 Jahren in Frankreich einmarschiert war, entschied der französische Politiker Jean Monnet, die Rache gegenüber einem besiegten Deutschland würde nur zu einer weiteren Tragödie führen. Statt dessen stellte er einen Plan für die schrittweise Entwicklung der Institutionen auf, die sich später zur Europäischen Union entwickelten, im Rahmen derer solch ein Krieg undenkbar wurde.

Oder, um ein weiteres Beispiel großer Führung zu geben: Nelson Mandela hätte sich leicht dafür entscheiden können, seine Gruppe als schwarze Südafrikaner zu definieren und Rache für die Ungerechtigkeit jahrzehntelanger Apartheid und seiner eigenen Gefangenschaft zu suchen. Statt dessen versuchte er unermüdlich, die Identität seiner Anhänger durch Worte und Taten zu erweitern.

In einer berühmten Geste trug er bei einem Rugby-Spiel das Trikot der South African Springboks, eines Teams, das zuvor ein Symbol für die Überlegenheit der südafrikanischen Weißen war. Vergleichen wir einmal Mandelas Bemühungen, seine Anhänger über ihre umfassendere Identität aufzuklären, mit der rigiden Art Robert Mugabes im Nachbarstaat Simbabwe. Im Gegensatz zu Mandela baute Mugabe seine Unterstützerbasis auf Ressentiments auf, die noch aus der Kolonialzeit stammen, und verteidigt seine Präsidentschaft nun mit Gewalt.

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In den USA, wo die Wirtschaft wächst und die Arbeitslosenquote mit 4,9% sehr niedrig ist, fühlen sich viele vom Wohlstand des Landes ausgeschlossen. Die Schuld für die steigende Ungleichheit der letzten Jahrzehnte geben viele nicht der Technologie, sondern den Ausländern, und Oppositionspolitik gegen Einwanderung und Globalisierung zu führen, ist ziemlich leicht. Eine bedeutende Minderheit der Bevölkerung führt sich nicht nur von populistisch ausgeschlachteten wirtschaftlichen Problemen bedroht, sondern auch durch einen kulturellen Wandel mit den Themen von Rasse, Kultur und ethnischer Zugehörigkeit, auch wenn vieles davon kein neues Phänomen ist.

Der nächste Präsident muss die Amerikaner darüber aufklären, wie mit dem auf viele Menschen bedrohlich wirkenden Globalisierungsprozess umgegangen werden kann. Nationale Identitäten sind imaginierte Gemeinschaften in dem Sinne, dass nur wenige Menschen über direkte Erfahrungen mit den anderen Mitgliedern verfügen. In den letzten ein oder zwei Jahrhunderten war der Nationalstaat eine imaginierte Gemeinschaft, für die die Menschen bereit waren zu sterben, und die meisten Politiker fühlten sich hauptsächlich ihrer Nation gegenüber verpflichtet. Dies ist unvermeidlich, reicht aber in einer immer stärker globalisierten Welt nicht aus.

Dort gehören viele Menschen zu mehreren imaginierten Gemeinschaften lokaler, regionaler, nationaler und kosmopolitischer Art, die Schnittmengen bilden und durch das Internet sowie günstige Reisemöglichkeiten bestimmt sind. Diasporas sind nun über Nationalgrenzen hinaus miteinander verbunden. Berufsgruppen wie beispielsweise Rechtsanwälte verfügen über transnationale Standards. Und auch Aktivistengruppen von Umweltschützern bis hin zu Terroristen sind über Staatsgrenzen hinaus miteinander verknüpft. Die Staatshoheit ist nicht mehr so absolut, wie sie es einst war.

Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton sagte einmal, er bereue es, dass er 1994 nicht angemessen auf den Völkermord in Ruanda reagieren konnte, obwohl er damit nicht allein war. Hätte er amerikanische Truppen gesandt, wäre er im Kongress auf heftigen Widerstand gestoßen. Gute Politiker spüren heute oft den Konflikt zwischen ihren kosmopolitischen Neigungen und den traditionelleren Verpflichtungen gegenüber ihren Wählern – wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Zuge ihrer mutigen Führung bei der Flüchtlingskrise im letzten Sommer erfahren musste.

In einer Welt, in der die Menschen in erster Linie in nationalen Gemeinschaften organisiert sind, ist ein rein kosmopolitisches Ideal unrealistisch. Dies sehen wir an der verbreiteten Weigerung, Einwanderung zu akzeptieren. Wenn Politiker sagen, weltweit müssten die Einkommen aneinander angeglichen werden, ist dies nicht glaubwürdig, aber wenn sie sagen, die Armut müsse verringert und den Bedürftigen geholfen werden, können sie damit erzieherisch auf ihre Anhänger einwirken.

Worte sind wichtig. Wie der Philosoph Kwame Anthony Appiah sagte: „‚Du sollst nicht töten’ ist ein Test, den man entweder besteht oder nicht. ‚Du sollst Vater und Mutter ehren’ erlaubt feinere Abstufungen.“ Das gleiche gilt auch für Weltbürgerschaft im Gegensatz zur Inselmentalität.

Während die Welt den US-Präsidentschaftskandidaten dabei zusieht, wie sie mit Themen von Protektionismus, Einwanderung, weltweiter Gesundheit, Klimawandel und internationaler Zusammenarbeit umgehen, sollten wir uns fragen, an welche Aspekte der amerikanischen Identität sie appellieren und ob sie auf ihre Anhänger einen bedeutungserweiternden oder erzieherischen Einfluss ausüben. Weiten sie den amerikanischen Identitätssinn so stark aus, wie sie können, oder wenden sie sich nur an die engsten Interessen?

Trumps Vorschlag, Muslime am Betreten der USA zu hindern, und seine Forderungen, Mexiko solle den Bau einer Mauer bezahlen, um die Einwanderung zu stoppen, wären im Falle seiner Präsidentschaft politisch oder verfassungsrechtlich wohl kaum durchführbar. Allerdings sind viele seiner Vorschläge keineswegs Maßnahmen, die tatsächlich zur Umsetzung bestimmt sind, sondern Parolen, die die engstirnigen populistischen Gefühle eines Teils der Bevölkerung ansprechen sollen.

Angesichts seines Mangels an ideologischer Substanz und seiner Vorliebe für die „Kunst der Verhandlung“ wäre Trump trotz seines Narzismus vielleicht sogar ein pragmatischer Präsident. Aber gute Führungspersönlichkeiten helfen uns dabei, unsere Identität zu definieren. Auf diesem Gebiet ist Trump bereits jetzt gescheitert.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/6U0mOxPde