Abschied von der Revolution?

„Die FARC ist am Ende, egal wie viele Mitglieder und Waffen sie noch haben mag.” Diese lapidare Festellung des ehemaligen salvadorianischen Guerrilla-Führers Joaquín Villalobos über die kolumbianische Narco-Guerrilla ist bemerkenswert angesichts seines unübertroffenen Insiderwissens über die bewaffnete revolutionäre Linke Lateinamerikas. Ebenso aufschlussreich ist  die beinahe schon larmoyante Erklärung von Heinz Dieterich, des ideologischen Gurus von Venezuelas Präsident Hugo Chávez, wonach „ Chávez’ Rede über die FARC (in der er sie aufforderte, die Waffen niederzulegen und die Geiseln freizulassen) einer bedingungslosen Kapitulation gegenüber den Ambitionen Washingtons in der Region gleichkommt.”

Wie voreilig diese Schlüsse letztlich auch sein mögen, es hat dennoch den Anschein als wäre die älteste und letzte politisch-militärische Organisation der Region letztendlich am Rande der Niederlage. Die Strategie der „demokratischen Sicherheit“ des kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe scheint aufgegangen zu sein. Hilfreich war dabei auch der von den USA finanzierte Plan Kolumbien sowie simple Glücksfälle wie beispielsweise die Entdeckung von tausenden belastenden Computer-Dateien anlässlich eines Angriffs auf ein FARC-Lager in Ecuador vor drei Monaten.

Wenn die Ereignisse in den nächsten Monaten den Niedergang der FARC bestätigen, wäre Lateinamerika damit endlich eine der schlimmsteln Geißeln des letzten halben Jahrhunderts los. Zumindest seit Dezember 1956, als Fidel und Raúl Castro gemeinsam mit einem argentinischen Arzt, der später als Che Guevara bekannt wurde, vom mexikanischen Hafen Tuxpan nach Kuba übersetzten und damit in die Geschichte eingingen, gab es in der Region unzählige Versuche von kleinen linksgerichteten revolutionären Gruppen, durch bewaffnete Aufstände an die Macht zu kommen. Alle beriefen sich dabei auf heldenhafte Präzedenzfälle aus dem 19. und 20. Jahrhundert sowie auf den Mangel an Handlungsalternativen unter brutalen Rechtsdiktaturen wie beispielsweise jene von Batista in Kuba, Somoza in Nicaragua und den militärisch-oligarchischen Strukturen in Guatemala, El Salvador, Bolivien, Argentinien, Peru, Uruguay  und auch anderswo – einschließlich Kolumbien.

In vielen Fällen hatten sie auch recht: Ohne zu den Waffen zu greifen hätte sich in ihren Ländern nie etwas geändert. Erfolg hatten sie aber nur drei Mal: in Kuba im Jahr 1959, in Nicaragua im Jahr 1979 und in El Salvador. Dort kämpfte man bis 1992 gegen die USA und die lokale Armee bis es zu einem Patt kam, das dem Land letztlich Frieden und wachsenden Wohlstand brachte. In allen anderen Fällen endeten die revolutionären Anstrengungen aus verschiedensten Gründen – fehlgeleitete Strategien, taktische Fehler, falsche theoretische Annahmen, Interventionen der USA usw. – mit  Niederlagen, Unterdrückung und Erfolglosigkeit.

In den frühen 1990er Jahren wurde es immer offenkundiger, dass es im bewaffneten Kampf um die Macht in Lateinamerika ruhiger wurde. Übrig blieben nur mehr ein paar Gruppen: der Leuchtende Pfad in Peru, die Patriotische Front Manuel Rodríguez in Chile, für kurze Zeit die Zapatisten im mexikanischen Bundesstaat Chiapas und die FARC in Kolumbien. Der demokratische Wandel in der gesamten Region machte den Guerillakrieg unvertretbar.Wie es Che Guevara in seinem Buch Der Partisanenkrieg  im Jahr 1962 schon voraussagte: Wo immer die äußeren Zeichen (oder die Realität, möchte man sagen) der Demokratie die Oberhand gewannen, war es sinnlos, zu den Waffen zu greifen. In einem Land nach dem anderen wurden die Guerrillas geschlagen, befriedet, in den demokratischen Prozess eingebunden oder einfach in die Bedeutungslosigkeit verbannt. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts hatten nur die FARC und ein paar Splittergruppen in Mexiko überdauert.

Wenn also Villalobos und Dieterich hinsichtlich des bevorstehenden Zusammenbruchs der FARC recht haben, wäre das ein echter Meilenstein in der Region und die Bestätigung einer Strategie – derjenigen Uribes – die viele von uns mit Vorsicht betrachteten. Diese Strategie wurde aufgrund der damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen zurecht kritisiert, aber sie hatte allem Anschein nach Erfolg. Das ist für den Kontinent, für Kolumbien und für Uribe keine Kleinigkeit.

Secure your copy of PS Quarterly: Age of Extremes
PS_Quarterly_Q2-24_1333x1000_No-Text

Secure your copy of PS Quarterly: Age of Extremes

The newest issue of our magazine, PS Quarterly: Age of Extremes, is here. To gain digital access to all of the magazine’s content, and receive your print copy, subscribe to PS Premium now.

Subscribe Now

Dennoch bleiben drei grundlegende Probleme bestehen. Erstens: In den letzten vierzig Jahren erwies sich die FARC als außerordentlich widerstandsfähig und zwar trotz einer hohen Zahl an Überläufern und des Todes von drei der sieben Anführer sowie Chávez’ offenkundiger Entscheidung, die FARC fallen zu lassen (vorerst jedenfalls). Ja, die Bewegung ist gespalten, unbeliebt, und ohne jede Vertretung auf internationalem Parkett, aber das Auf und Ab in einem Guerillakrieg ist wohlbekannt. Und nur der beerdigte Guerrillakämpfer ist wirklich tot.

Zweitens wäre es höchst riskant, den Schluss zu ziehen, eine Rede von Chávez’ käme einer grundlegenden Bestätigung seiner Prinzipien gleich. Angsichts ihrer derzeit offenkundig geschwächten Position ist Chávez für das Überleben der FARC natürlich von absolut entscheidender Bedeutung. Aber ich bin Chávez bereits Dutzende Male persönlich begegnet und es erscheint zumindest mir naiv, seinen Äußerungen  – ob sie jetzt gemäßigt, weit links oder irgendwo dazwischen lagen  - große Bedeutung oder innere Überzeugung beizumessen. Er könnte sich genauso gut für eine kleine taktische „Korrektur“ entschieden haben, nur um ein anderes Mal den Kampf wieder aufzunehmen

Wenn man nun von der Annahme ausgeht, Uribe stehe unmittelbar vor dem Sieg, stellt sich die Frage, was er damit anfangen soll. Zahlreiche Akteure haben sich für eine friedliche Verhandlungslösung mit den Nachfolgern des verstorbenen FARC-Anführers Manuel Marulanda ausgesprochen. Aber ohne ein Konzept für die Machtaufteilung ist das leichter gesagt als getan.

Schließlich wurde das Friedensabkommen von Chapultepec, das 1992 den Bürgerkrieg in El Salvador beendete, erst zwei Jahre nach jenem Zeitpunkt unterzeichnet, an dem klar wurde, dass keine der Parteien gewinnen konnte. Und dies war dem gekonnten Engagement der Vereinten Nationen unter der Führung von Alvaro de Soto, dem Geschick erfahrener FMLN-Anführer wie Villalobos und Chefverhandler Salvador Samayoa sowie dem starken Druck der USA, ihres Protagonisten Bernard Aronson und dem Mut und Weitblick des salvadorianischen Präsidenten Alfredo Christiani zu verdanken.

In Kolumbien sind heute wenige dieser Faktoren auszumachen. Daher sollte Villalobos vielleicht ein wenig vorsichtiger und Dieterich etwas weniger pessimistisch sein.

https://prosyn.org/qoZmqp2de