deryugina1_BEN BIRCHALLPOOLAFP via Getty Images_ukraineflagsoldier Ben Birchall/Pool/AFP via Getty Images

Die Ukraine ist längst nicht verloren

URBANA, ILLINOIS/BERKELEY: Nach monatelanger Verzögerung hat das zänkische US-Repräsentantenhaus letzte Woche endlich Militärhilfen für die Ukraine im Umfang von mehr als 60 Milliarden Dollar bewilligt – und das keinen Augenblick zu früh. Zwei Jahre nach Beginn von Russlands großangelegter Invasion wächst der Pessimismus über die Fähigkeit der Ukraine, sich zu verteidigen. Die ukrainische Gegenoffensive im vergangenen Sommer verfehlte ihre erklärten Ziele nach wiederholten Verzögerungen bei der Lieferung westlicher Waffen, während Russland seine eigene militärische Produktion hochfuhr und begrenzte Gebietsgewinne erzielte. Infolgedessen fragt ein wachsender Chor von Stimmen, ob es für die Ukraine und ihre Verbündeten Zeit ist, ihre Ziele zu überdenken und eine Verhandlungslösung anzustreben.

Europa hat dasselbe schon einmal erlebt. Dieselbe Frage wurde 1941 gestellt, zwei Jahre, nachdem Nazideutschland mit dem Einmarsch in Polen seinen imperialistischen Eroberungszug begann. Zu den prominenten Stimmen, die sich gegen einen Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg aussprachen, gehörte Charles Lindbergh, der argumentierte, dass keine Chance auf einen Erfolg bestünde und es am besten wäre, wenn der europäische Krieg „ohne klaren Sieg enden“ würde.

Doch während dies dem zunehmend defätistischen Narrativ über die Aussichten der Ukraine in gespenstischer Weise ähnelt, gibt es einen wichtigen Unterschied: Die Lage war 1941 viel schlimmer. Ende jenes Jahres hielt Nazideutschland Frankreich, Dänemark, Norwegen, Belgien, die Niederlande und weite Teile Osteuropas besetzt, und es hatte seine Reichweite mit dem Einmarsch in der Sowjetunion im Juni ausgeweitet. Die Achsenmächte – Deutschland, Italien und Japan – schienen nicht aufzuhalten.

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